Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juni 2016 - IX ZB 83/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Schoppmeyer
am 9. Juni 2016
beschlossen:
Der Schuldner wird, nachdem er seine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2015 zurückgenommen hat, des Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde auf seine Kosten für verlustig erklärt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 120.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht Ludwigsburg - Insolvenzgericht - eröffnete mit Beschluss vom 1. Januar 2004 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zu 3 zum Insolvenzverwalter. Der Schuldner warf dem Insolvenzverwalter vor, er handele insolvenzzweckwidrig und unterlasse es, Gläubigerinteressen zu vertreten. Deshalb beantragte der anwaltlich vertretene Schuldner beim Insolvenzgericht, einen Sonderinsolvenzverwalter hinsichtlich des nach seiner Ansicht hervorgerufenen Gesamtschadens (§ 92 InsO) zu bestellen.
- 2
- Das Insolvenzgericht gab dem Insolvenzverwalter Gelegenheit zur Stellungnahme und bestimmte daraufhin Termin für eine Gläubigerversammlung; einziger Tagesordnungspunkt war die "Anhörung der Gläubigerversammlung zur Entscheidung über die Anregung des Schuldnervertreters [...], einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen". Der Beschluss wurde öffentlich bekannt gemacht. In der am 22. September 2014 durchgeführten Gläubigerversammlung hielt der Schuldner daran fest, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Sieben anwesende Gläubiger, darunter die weiteren Beteiligten zu 1 und 2, sprachen sich für die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters aus. Vier anwesende Gläubiger lehnten die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ab.
- 3
- Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 hat das Insolvenzgericht entschieden , keinen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Hiergegen haben der Schuldner sowie die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 Erinnerung eingelegt. Das Insolvenzgericht hat die Erinnerungen zurückgewiesen. Daraufhin haben der Schuldner und die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Insolvenzgericht hat die sofortigen Beschwerden als unzulässig angesehen und ihnen nicht abgeholfen; das Landgericht hat sie als unzulässig verworfen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Schuldner und die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 ihr Begehren weiter, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Der Schuldner hat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen; er ist inzwischen während des Rechtsbeschwerdeverfahrens verstorben.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerden sind unstatthaft.
- 5
- 1. Nachdem der Schuldner seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen hat, ist er des Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde verlustig; dies ist klarstellend auszusprechen.
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerden der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 sind unstatthaft. Auf die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage, ob ein Insolvenzgläubiger beschwerdebefugt ist, wenn die Gläubigerversammlung beschlossen hat, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, kommt es im Streitfall nicht an.
- 7
- a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn bereits die sofortige Beschwerde statthaft war. War die Ausgangsentscheidung unanfechtbar, fehlt es auch an einer Grundlage für das Rechtsbeschwerdeverfahren; ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht ist nur möglich, solange das Verfahren nicht rechtswirksam beendet ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ändert hieran nichts (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08, NZI 2009, 553 Rn. 5; vom 7. Februar 2013 - IX ZB 43/12, WM 2013, 518 Rn. 7, jeweils mwN).
- 8
- b) So liegt der Fall hier. Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung dies ausdrücklich vorschreibt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Insolvenzordnung sieht weder ein Recht eines einzelnen Insolvenzgläubigers vor, die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu beantragen (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - IX ZB 239/06, nv; vom 16. Dezember 2010 - IX ZB 238/09, ZInsO 2011, 131 Rn. 7), noch enthält sie ausdrückliche Bestimmungen über ein Beschwerderecht gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts, keinen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen.
- 9
- aa) Lehnt das Insolvenzgericht es ab, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, steht dem einzelnen Insolvenzgläubiger gegen diese Entscheidung daher kein Beschwerderecht zu. Dies ist in der Rechtsprechung geklärt (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - IX ZB 239/06, nv; vom 5. Februar 2009 - IX ZB 187/08, ZIP 2009, 529 Rn. 2 ff, insb. 7 ff; vom 30. September 2010 - IX ZB 280/09, NZI 2010, 940 Rn. 5). Auch das Beschwerdegericht geht hiervon aus. Noch nicht entschieden ist, ob ein einzelner Gläubiger aufgrund eines von der Gläubigerversammlung abgeleiteten Beschwerderechts in entsprechender Anwendung von § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO beschwerdebefugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2006 - IX ZB 225/04, NZI 2006, 474 Rn. 12; vom 5. Februar 2009 aaO Rn. 7, 9; vom 30. September 2010 aaO). Dies kann auch weiterhin dahinstehen. In jedem Fall setzt ein solches Beschwerderecht eines einzelnen Gläubigers voraus, dass ein Beschluss der Gläubigerversammlung vorliegt, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO dienen nur dazu, eine Entscheidung der Gläubigergesamtheit durchzusetzen, nicht jedoch dazu, das Recht eines einzelnen Gläubigers zu verwirklichen (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 aaO Rn. 9; vom 30. September 2010 aaO).
- 10
- Im Streitfall fehlt es bereits an einem wirksamen Beschluss der Gläubigerversammlung. Dies hat das Beschwerdegericht zutreffend angenommen. Ein förmlicher und wirksamer Beschluss der Gläubigerversammlung, einen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen, setzt zum einen eine vom Insolvenzgericht einberufene und geleitete Gläubigerversammlung voraus (§ 76 Abs. 1 InsO); zum anderen muss insbesondere die Tagesordnung öffentlich bekannt gemacht worden sein (§ 74 Abs. 2 Satz 1 InsO). Zu einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung gehört eine wenigstens schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030 Rn. 3; vom 21. Juli 2011 - IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626 Rn. 7). Trifft die Gläubigerversammlung einen Beschluss über einen Gegenstand, der bei der öffentlichen Bekanntmachung nicht als Tagesordnungspunkt aufgeführt worden ist, ist dieser Beschluss der Gläubigerversammlung regelmäßig nichtig (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 aaO).
- 11
- Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts gibt es im Streitfall weder eine Bekanntmachung, dass die Gläubigerversammlung vom 22. September 2014 über die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu entscheiden haben sollte, noch hat die am 22. September 2014 abgehaltene Gläubigerversammlung förmlich beschlossen, dass ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen ist. Soweit sich Gläubiger bei der Abfrage durch das Insolvenzgericht zustimmend geäußert haben, erreichen im Übrigen die zustimmenden Äußerungen der anwesenden Gläubiger nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts auch die von § 76 Abs. 2 InsO geforderte Summenmehrheit nicht. Die- se Feststellungen des Beschwerdegerichts sind nicht zu beanstanden; die Rechtsbeschwerde greift sie auch nicht an.
- 12
- bb) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich schließlich nicht deshalb ein Beschwerderecht der weiteren Beteiligten zu 1 und 2, weil - wie die Rechtsbeschwerde meint - das Insolvenzgericht habe darauf hinwirken oder hinweisen müssen, dass die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 sich dazu erklären , ob sie eine teilweise oder vollständige Entlassung des Insolvenzverwalters beantragen wollen. Darauf kommt es schon deshalb nicht an, weil weder Anlass zu einem solchen Hinweis bestand noch die Beteiligten einen solchen Antrag gestellt haben noch eine Gläubigerversammlung zu dieser Frage einberufen worden ist.
Lohmann Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Ludwigsburg, Entscheidung vom 22.01.2015 - 5 IN 367/03 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 25.09.2015 - 2 T 95/15 -
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Annotations
Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), können während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, so können sie nur von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt, können die Gläubiger an dessen Stelle eine andere Person wählen. Die andere Person ist gewählt, wenn neben der in § 76 Abs. 2 genannten Mehrheit auch die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger für sie gestimmt hat. Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Gegen die Versagung steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.
(1) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Schuldners, des Gläubigerausschusses, der Gläubigerversammlung oder eines Insolvenzgläubigers erfolgen. Auf Antrag des Schuldners oder eines Insolvenzgläubigers erfolgt die Entlassung nur, wenn dies innerhalb von sechs Monaten nach der Bestellung beantragt wird und der Verwalter nicht unabhängig ist; dies ist von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. Vor der Entscheidung des Gerichts ist der Verwalter zu hören.
(2) Gegen die Entlassung steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu. Gegen die Ablehnung des Antrags steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. Hat die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt, steht auch jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.
In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt, können die Gläubiger an dessen Stelle eine andere Person wählen. Die andere Person ist gewählt, wenn neben der in § 76 Abs. 2 genannten Mehrheit auch die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger für sie gestimmt hat. Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Gegen die Versagung steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.
(1) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Schuldners, des Gläubigerausschusses, der Gläubigerversammlung oder eines Insolvenzgläubigers erfolgen. Auf Antrag des Schuldners oder eines Insolvenzgläubigers erfolgt die Entlassung nur, wenn dies innerhalb von sechs Monaten nach der Bestellung beantragt wird und der Verwalter nicht unabhängig ist; dies ist von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. Vor der Entscheidung des Gerichts ist der Verwalter zu hören.
(2) Gegen die Entlassung steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu. Gegen die Ablehnung des Antrags steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. Hat die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt, steht auch jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.
(1) Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht geleitet.
(2) Ein Beschluß der Gläubigerversammlung kommt zustande, wenn die Summe der Forderungsbeträge der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Forderungsbeträge der abstimmenden Gläubiger beträgt; bei absonderungsberechtigten Gläubigern, denen der Schuldner nicht persönlich haftet, tritt der Wert des Absonderungsrechts an die Stelle des Forderungsbetrags.
(1) Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht einberufen. Zur Teilnahme an der Versammlung sind alle absonderungsberechtigten Gläubiger, alle Insolvenzgläubiger, der Insolvenzverwalter, die Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Schuldner berechtigt.
(2) Die Zeit, der Ort und die Tagesordnung der Gläubigerversammlung sind öffentlich bekanntzumachen. Die öffentliche Bekanntmachung kann unterbleiben, wenn in einer Gläubigerversammlung die Verhandlung vertagt wird.
(1) Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht geleitet.
(2) Ein Beschluß der Gläubigerversammlung kommt zustande, wenn die Summe der Forderungsbeträge der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Forderungsbeträge der abstimmenden Gläubiger beträgt; bei absonderungsberechtigten Gläubigern, denen der Schuldner nicht persönlich haftet, tritt der Wert des Absonderungsrechts an die Stelle des Forderungsbetrags.