Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2010 - IX ZB 280/09

published on 30/09/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2010 - IX ZB 280/09
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Amtsgericht Essen, 164 IN 119/08, 27/07/2009
Landgericht Essen, 7 T 444/09, 16/11/2009

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 280/09
vom
30. September 2010
in dem Insolvenzverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, den Richter Vill, die Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer
und Dr. Pape
am 30. September 2010

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 16. November 2009 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu A als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Das Amtsgericht eröffnete mit Beschluss vom 1. März 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Zum Insolvenzverwalter bestellte es den weiteren Beteiligten zu B. Die weiteren Beteiligten zu A sind jeweils Eigentümer von Grundstücken, die die Schuldnerin zur Durchführung ihres Geschäftsbetriebs - den Betrieb von Kaufhäusern - angemietet hatte. Sie haben Forderungen von knapp 36 Mio. € zur Insolvenztabelle angemeldet.
2
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2009 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte dieser Gläubiger im Hinblick auf die für den nächsten Tag angesetzte Gläubigerversammlung (Berichtstermin), die Gläubigerversammlung über die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters mit bestimmten, näher bezeichnetem Aufgabenkreis abstimmen zu lassen. In der Gläubigerversammlung vom 20. Mai 2009 nahm der Gläubigervertreter diesen Antrag zurück, beantragte aber gleichzeitig unter Bezugnahme auf den zuvor gestellten Antrag die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters mit dem genannten Aufgabenkreis.
3
Beschluss Mit vom 27. Juli 2009, berichtigt durch Beschluss vom 17. August 2009, hat das Insolvenzgericht durch den zuständigen Abteilungsrichter den Antrag auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters abgelehnt, weil es hierfür keinen Anlass gebe. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde , der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat, hat das Landgericht als unzulässig, weil nicht statthaft, verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu A.

II.


4
Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht statthaft ist.
5
Voraussetzung 1. der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist, dass für den Rechtsbeschwerdeführer das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO eröffnet war (BGH, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - IX ZB 54/04, NZI 2006, 239; v. 5. Februar 2009 - IX ZB 187/08, ZIP 2009, 529 Rn. 2; v. 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08, NZI 2009, 553 Rn. 5). Dem einzelnen Insolvenzgläubiger oder auch mehreren einzelnen Insolvenzgläubigern gemeinsam steht jedoch kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts zu, keinen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, selbst wenn dieser einen Gesamtschaden nach § 92 InsO geltend machen soll (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2009, aaO Rn. 2 ff, insbesondere 7 ff; v. 25. Juni 2009 - IX ZB 84/08). Es kommt lediglich ein von einer Entscheidung der Gläubigerversammlung abgeleitetes Beschwerderecht des einzelnen Gläubigers entsprechend § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO in Betracht, das aber der Durchsetzung der Entscheidung der Gläubigergesamtheit dient, nicht der Verwirklichung eines Rechts des einzelnen Gläubigers (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2009, aaO S. 530 Rn. 9). Ein derartiger Beschluss der Gläubigerversammlung lag hier nicht vor.
6
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann wegen der Gegebenheiten im vorliegenden Fall nichts ander es gelten. Die Rechtsbeschwerdeführer berufen sich darauf, sie hätten den Antrag in der Gläubigerversammlung zurückgenommen und sodann am 26. Mai 2009 einen neuen Antrag an das Insolvenzgericht gestellt. Es sei ihnen unmöglich gemacht worden, eine Abstimmung in der Gläubigerversammlung zu erreichen, weil der die Abstimmung leitende Amtsrichter zugesagt habe, über diesen Antrag außerhalb der Gläubigerversammlung zu entscheiden. Nur deshalb sei der Antrag zurückgenommen und entsprechend der richterlichen Empfehlung neu gestellt worden. Der Antrag sei ausschließlich deshalb nicht zur Abstimmung gestellt worden, weil das Amtsgericht die Entscheidung an sich gezogen und die Abstimmung in der Gläubigerversammlung verhindert habe.
7
Selbst wenn man den so geschilderten - mit dem Versammlungsprotokoll und den richterlichen Feststellungen allerdings nicht übereinstimmenden - Sachverhalt als zutreffend zugrunde legt, trägt dieser nicht die von den Beschwerdeführern gezogenen Schlussfolgerungen.
8
Es blieb dem Gläubigervertreter in der Gläubigerversammlung überlassen , seinen Antrag aufrechtzuerhalten oder zurückzunehmen. Etwas anderes behaupten die Rechtsbeschwerdeführer selbst nicht. Nach der Stellungnahme des zuständigen Amtsrichters im Nichtabhilfebeschluss war der Gläubigervertreter von dem die Sitzung (auch ausweislich des Protokolls) leitenden Rechtspfleger darauf hingewiesen worden, dass der Antrag erst am Vortag und damit im Hinblick auf § 74 Abs. 2 InsO verspätet eingereicht worden sei, weshalb er nicht mehr habe rechtzeitig bekannt gemacht werden können. Er müsse deshalb als verspätet zurückgewiesen werden, falls er nicht zurückgenommen werde.
9
Es mag dahinstehen, aus welchen Gründen der Gläubigervertreter seinen Antrag tatsächlich zurückgenommen hat. Jedenfalls stand es ihm frei, den Antrag auch aufrechtzuerhalten. Inwiefern der - nach eigenen Angaben lediglich als Zuhörer im Sitzungssaal anwesende - Amtsrichter oder aber der Rechtspfleger die Entscheidung der Gläubigerversammlung "verhindert" haben soll, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar dargelegt. Auch nach dem Sachvortrag der Beschwerdeführer hat das Amtsgericht der Gläubigerversammlung nichts "entzogen" oder die Entscheidung "an sich gezogen". Woraus sich derartige Schlussfolgerungen rechtfertigen sollen, wird nicht dargelegt. Vielmehr hat der Gläubigervertreter - auch nach eigenem Sachvortrag - den Antrag auf Abstimmung in der Gläubigerversammlung eigenverantwortlich zurückgenommen und einen neuen Antrag an das Insolvenzgericht gestellt. Das führt nicht dazu, dass nunmehr die Rechtsbeschwerde wie bei einer entsprechenden Beschlussfas- sung durch die Gläubigerversammlung - deren mögliches Abstimmungsergebnis im Übrigen völlig offen ist - statthaft wäre.
10
Das Amtsgericht hatte in Aussicht gestellt, über eine beim Insolvenzgericht von den Beschwerdeführern angeregte Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu entscheiden. Dies ist auch geschehen. Eventuelle Fehlvorstellungen des Gläubigervertreters über die Möglichkeit und die Voraussetzungen von Rechtsbehelfen führen entgegen seiner Auffassung nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens oder Art. 103 Abs. 1 GG.

11
Es bleibt den Rechtsbeschwerdeführern unbenommen, auf die Einberufung einer Gläubigerversammlung gemäß § 75 InsO hinzuwirken, um dort über einen rechtzeitig gestellten Antrag zur Tagesordnung abstimmen zu lassen.
Ganter Vill Lohmann
Fischer Pape

Vorinstanzen:
AG Essen, Entscheidung vom 27.07.2009 - 164 IN 119/08 -
LG Essen, Entscheidung vom 16.11.2009 - 7 T 444/09 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginn
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Annotations

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), können während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, so können sie nur von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt, können die Gläubiger an dessen Stelle eine andere Person wählen. Die andere Person ist gewählt, wenn neben der in § 76 Abs. 2 genannten Mehrheit auch die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger für sie gestimmt hat. Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Gegen die Versagung steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.

(1) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Schuldners, des Gläubigerausschusses, der Gläubigerversammlung oder eines Insolvenzgläubigers erfolgen. Auf Antrag des Schuldners oder eines Insolvenzgläubigers erfolgt die Entlassung nur, wenn dies innerhalb von sechs Monaten nach der Bestellung beantragt wird und der Verwalter nicht unabhängig ist; dies ist von dem Antragsteller glaubhaft zu machen. Vor der Entscheidung des Gerichts ist der Verwalter zu hören.

(2) Gegen die Entlassung steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu. Gegen die Ablehnung des Antrags steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu. Hat die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt, steht auch jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu.

(1) Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht einberufen. Zur Teilnahme an der Versammlung sind alle absonderungsberechtigten Gläubiger, alle Insolvenzgläubiger, der Insolvenzverwalter, die Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Schuldner berechtigt.

(2) Die Zeit, der Ort und die Tagesordnung der Gläubigerversammlung sind öffentlich bekanntzumachen. Die öffentliche Bekanntmachung kann unterbleiben, wenn in einer Gläubigerversammlung die Verhandlung vertagt wird.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Gläubigerversammlung ist einzuberufen, wenn dies beantragt wird:

1.
vom Insolvenzverwalter;
2.
vom Gläubigerausschuß;
3.
von mindestens fünf absonderungsberechtigten Gläubigern oder nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, deren Absonderungsrechte und Forderungen nach der Schätzung des Insolvenzgerichts zusammen ein Fünftel der Summe erreichen, die sich aus dem Wert aller Absonderungsrechte und den Forderungsbeträgen aller nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ergibt;
4.
von einem oder mehreren absonderungsberechtigten Gläubigern oder nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, deren Absonderungsrechte und Forderungen nach der Schätzung des Gerichts zwei Fünftel der in Nummer 3 bezeichneten Summe erreichen.

(2) Der Zeitraum zwischen dem Eingang des Antrags und dem Termin der Gläubigerversammlung soll höchstens drei Wochen betragen.

(3) Wird die Einberufung abgelehnt, so steht dem Antragsteller die sofortige Beschwerde zu.