Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2017 - IV ZR 30/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann
am 10. Mai 2017
beschlossen:
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 230.000 €
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger beantragte bei der Beklagten mit Antrag vom 1. November 2007 eine Risikolebensversicherung mit BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung , wobei er die im Antragsformular unter Ziffer 1 gestellten Fragen nach Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Beschwerden teilweise mit "ja" beantwortete, bei den insoweit abgefragten ergänzenden Angaben zu mit "ja" beantworteten Fragen aber nicht mit- teilte, dass er im September 2004 nach einem Sporttraining eine Ohnmacht erlitten hatte, ein eingeholtes EEG einen unklaren Befund ergeben hatte und deshalb eine Überweisung an eine radiologische Praxis erfolgt war, wo am 17. November 2004, 24. Januar 2005 und 17. Juli 2006 jeweils MRT-Untersuchungen des Schädels stattgefunden hatten.
- 2
- Die Beklagte verlangte im Hinblick auf die Höhe der Versicherungssumme vor einer Antragsannahme eine ärztliche Untersuchung des Klägers. Bestandteil des insoweit auf einem Formular der Beklagten erstellten Arztzeugnisses vom 6. Dezember 2007 war eine "Erklärung vor dem Arzt", in deren Rahmen unter anderem die Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden des Herzens oder der Kreislauforgane erneut bejaht ist. Als ergänzende Erläuterung dazu ist angegeben: "2004 - 1x Synkope … kard. Abklärung: o.B. neurol. Abklärung: o.B."
- 3
- Danach erfolgte die Annahme des Versicherungsantrags durch die Beklagte.
- 4
- Eine weitere MRT-Untersuchung des Klägers fand am 9. Oktober 2008 statt. Im Juli 2010 wurde dem Kläger ein Glioblastom im zentralen Nervensystem operativ entfernt. Dazu heißt es im Bericht der Universitätsklinik Frankfurt am Main: "Bei dem Patienten ist seit ca. 6 Jahren eine Gliose bekannt."
- 5
- Im Bericht des Strahlenklinikums heißt es: "Patient gibt an, dass seit 2004 eine Gliose links bekannt sei."
- 6
- Die Beklagte lehnte die vom Kläger beantragten Leistungen für Berufsunfähigkeit ab und erklärte zunächst den Rücktritt und die Kündigung des Versicherungsvertrages, später die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
- 7
- Der Kläger behauptet, seit der Operation bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein. Er begehrt die vertragsgemäßen Leistungen für eine Berufsunfähigkeit und die Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
- 8
- Er macht geltend, dass er bei Antragstellung keine Kenntnis von einer Gliose gehabt habe; von diesem Befund habe er erst 2010 erfahren. Ihm sei vielmehr von seiner Ärztin ausdrücklich mitgeteilt worden, dass er gesund sei, und zwar auch nach Übermittlung der Ergebnisse der MRT-Untersuchungen. Außerdem sei eine Gliose weder eine Erkrankung noch ein krankhafter Befund, weshalb die Beklagte den Vertrag auch bei Kenntnis von dieser Diagnose in unveränderter Form abgeschlossen hätte.
- 9
- II. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben.
- 10
- Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten erklärte Arglistanfechtung durchgreifen lassen. Der Kläger habe jedenfalls die Frage 3 des Antragsformulars, ob er in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten, behandelt oder operiert worden sei, falsch beantwortet, indem er sie zwar mit "ja" beantwortet, jedoch erläuternd nur Routineuntersuchungen beim Zahnarzt und beim Hausarzt angegeben und die vor Antragstellung lie- genden MRT-Untersuchungen verschwiegen habe. Ob ihm die Feststellung einer Gliose bekannt gewesen sei, sei unerheblich. Seine Erklärung, wonach ihm der Anlass dieser Untersuchungen nicht bekannt gewesen sei, sei unglaubhaft. Das Verschweigen dieser Ursachen in Frage 3 des Gesundheitsfragebogens habe bereits das Landgericht mit Recht als arglistige Täuschung gewertet.
- 11
- III. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
- 12
- 1. Unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das Berufungsgericht bei seiner Feststellung einer vom Kläger begangenen arglistigen Täuschung alleine auf die Beantwortung der Fragen im Antragsformular vom 1. November 2007 abgestellt. Den Vortrag des Klägers zu den ergänzenden Angaben in der Erklärung vor dem Arzt vom 6. Dezember 2007 hat es übergangen.
- 13
- a) Kommt es auf Betreiben des Versicherers im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss einer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses auf einem vom Versicherer vorgegebenen Formblatt und hat der Antragsteller dabei im Rahmen der "Erklärung vor dem Arzt" gegenüber dem Arzt vom Versicherer vorformulierte Fragen zu beantworten, so stehen die vom Arzt in Erfüllung dieses Auftrags gestellten Fragen den Fragen des Versicherers , die erteilten Antworten den Erklärungen gegenüber dem Versiche- rer gleich. Der vom Versicherer eingeschaltete Arzt ist insoweit dessen passiver Stellvertreter, nämlich zur Entgegennahme der Antworten des Antragstellers beauftragt. Bei der Aufnahme der "Erklärung vor dem Arzt" steht der Arzt damit insoweit einem Versicherungsagenten bei Aufnahme des Versicherungsantrags gleich. Was dem Arzt zur Beantwortung der vom Versicherer vorformulierten Fragen gesagt ist, ist dem Versicherer gesagt (Senatsurteile vom 11. Februar 2009 - IV ZR 26/06, VersR 2009, 529 Rn. 15; vom 7. März 2001 - IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620 unter 2 b aa m.w.N.).
- 14
- b) Das Berufungsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob die in der Erklärung vor dem Arzt erfolgte Angabe des Klägers, dass er 2004 eine Synkope erlitten habe und es eine neurologische Abklärung gegeben habe, die ohne Befund geblieben sei, der Annahme einer arglistigen Täuschung entgegensteht. Hiermit befasst sich das angefochtene Urteil nicht.
- 15
- aa) Allerdings stehen diese ergänzenden Angaben der Bejahung einer objektiven Anzeigepflichtverletzung nicht entgegen. Aus der Mitteilung , dass eine neurologische Abklärung der Synkope stattgefunden habe und ohne Befund geblieben sei, konnte die Beklagte nicht entnehmen, dass es zu wiederholten MRT-Untersuchungen des Schädels gekommen war. Es hätte sich auch um einen einmaligen Besuch beim Neurologen mit weniger aufwändigen Untersuchungsmaßnahmen handeln können. Im Vergleich dazu hätte der Umstand eines dreimaligen MRT innerhalb von 20 Monaten der Beklagten durchaus eher Anlass zu Nachfragen und gegebenenfalls Nachforschungen bei den behandelnden Ärzten geben können.
- 16
- bb) Alleine aus der unrichtigen oder unvollständigen Beantwortung von Gesundheitsfragen kann jedoch nicht auf das Vorliegen von Arglist geschlossen werden; in subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (Senatsurteil vom 24. November 2010 - IV ZR 252/08, VersR 2011, 338 Rn. 19 m.w.N.; st. Rspr.).
- 17
- Insoweit kann es nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Frage nach dem Vorliegen dieser Voraussetzung anders beurteilt hätte, wenn es die zusätzlichen Angaben in der Erklärung vor dem Arzt ebenfalls berücksichtigt hätte. Diese lassen es nämlich möglich erscheinen, dass der Kläger davon ausgegangen ist, schon die Mitteilung über die Synkope im Jahre 2004 und eine nachfolgende "neurologische Abklärung", die ohne Befund geblieben sei, gestatte es der Beklagten in gleicher Weise, eine Risikobewertung vorzunehmen wie nach ausdrücklicher Bezeichnung der durchgeführten MRT-Untersuchungen. Denn immerhin legte die nunmehr erfolgte Angabe offen, dass die Frage 3 im Antragsformular unrichtig beantwortet worden war, indem dort keine neurologischen Untersuchungen offenbart, sondern nur Routineuntersuchungen beim Hausarzt und Zahnarzt mitgeteilt worden waren, und stellte diese Falschangabe damit richtig, auch wenn die Frage nach den behandelnden Ärzten damit weiter unvollständig beantwortet blieb. Damit war der Beklagten aber zumindest ein Anhaltspunkt für weitere Nachforschungen oder Nachfragen gegeben, soweit die Synkope im Jahre 2004 als Anlass durchgeführter neurologischer Untersuchungen für ihre Risikobeurteilung von Relevanz war. Das Berufungsgericht hätte deshalb - gegebenenfalls auch durch Anhörung des Klägers nach § 141 ZPO - der Frage nachgehen müssen, ob dieser geglaubt hat, es sei für die Annahmeentscheidung der Beklagten nicht von Bedeutung, ob sie konkret über durchgeführte MRT-Untersuchungen oder nur allgemein über eine "neurologische Abklärung" unterrichtet wurde. Hierfür könnte die vom Kläger behauptete Mitteilung seiner Hausärztin, er sei gesund, ein tragfähiges Indiz darstellen, wenn diese in Kenntnis der MRT-Befunde erfolgt war.
- 18
- 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht auch die Frage der Gefahrerheblichkeit der nicht angegebenen MRT-Untersuchungen ergänzend zu beurteilen haben wird.
Lehmann Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 03.04.2014- 2-23 O 300/13 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 17.12.2015- 3 U 74/14 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Ist einer Partei wegen großer Entfernung oder aus sonstigem wichtigen Grund die persönliche Wahrnehmung des Termins nicht zuzumuten, so sieht das Gericht von der Anordnung ihres Erscheinens ab.
(2) Wird das Erscheinen angeordnet, so ist die Partei von Amts wegen zu laden. Die Ladung ist der Partei selbst mitzuteilen, auch wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat; der Zustellung bedarf die Ladung nicht.
(3) Bleibt die Partei im Termin aus, so kann gegen sie Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Dies gilt nicht, wenn die Partei zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist. Die Partei ist auf die Folgen ihres Ausbleibens in der Ladung hinzuweisen.