Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2012 - IV ZR 224/10

published on 23/05/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2012 - IV ZR 224/10
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Landgericht Paderborn, 3 O 170/09, 26/11/2009
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 11/10, 03/09/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 224/10
vom
23. Mai 2012
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski
am 23. Mai 2012

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. September 2010 zugelassen.
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 95.000 €

Gründe:


1
I. Die Parteien streiten darüber, ob die Rentenleistungspflicht aus der von der Klägerin bei der Beklagten gehaltenen BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung zum 1. Februar 2010 geendet hat. Die derzeit berufsunfähige Klägerin meint, die Beklagte müsse ihr - längstens bis zum 1. Februar 2033 - weiterhin die vereinbarte Rente von jährlich 30.677,51 € (entsprechend ursprünglich vereinbarter 60.000 DM) zahlen.
Dazu hat sie sich zum einen auf die Auslegung des Versicherungsvertrages , zum anderen darauf berufen, der Versicherungsagent der Beklagten habe ihr sowohl anlässlich der hier maßgeblichen Vertragsänderung im Jahre 1986 als auch später wiederholt zugesagt, eine etwaige Berufsunfähigkeitsrente werde bis zum Jahr 2033 gezahlt.
2
Das Berufungsgericht hat die letztgenannten Behauptungen der Klägerin für entscheidungserheblich erachtet, nachdem es der von ihr vertretenen Vertragsauslegung nicht gefolgt ist. Es hat deshalb im Termin vom 3. September 2010 vier Zeugen vernommen. Das Sitzungsprotokoll weist nicht aus, dass die Parteien im Anschluss an die Zeugenvernehmungen über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt haben.
3
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.
4
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
5
1. Nach §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Findet sich im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht infolge der Beweiskraft gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen die §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO und mithin ein Verfahrensfehler fest, der in der Regel das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 2001 - IV ZR 264/99, MDR 2001, 830; BGH, Urteil vom 26. April 1989 - I ZR 220/87, NJW 1990, 121, 122 unter II 2 a; BGH, Beschlüsse vom 25. September 2007 - VI ZR 162/06, ZMGR 2007, 141; vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 307/04, BGH-Report 2006, 529 unter

II).


6
2. Ein solcher Verstoß liegt hier vor. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 3. September 2010 findet sich kein Hinweis darauf , dass die Parteien nach Vernehmung der vier Zeugen zum Beweisergebnis verhandelt haben.
7
Darin liegt zugleich eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Parteien ein Recht darauf , dass sie Gelegenheit erhalten, im Verfahren zu Wort zu kommen und dass das Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten darf, zu denen die Parteien Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfG NJW 1994, 1210 unter II 1). Dieses Recht hat das Berufungsgericht verletzt. Es hat die mündliche Verhandlung geschlossen, ohne mit den Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln.
8
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf dem dargelegten Verstoß beruht. Dafür genügt die Möglichkeit, dass eine Stellungnahme der Klägerin zum Beweisergebnis zu einer ihr günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl.BVerfG aaO S. 1211). Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde unter anderem dargelegt, dass sie im Falle einer ordnungsgemäßen Verhandlung zum Beweisergebnis auf zahlreiche Gesichtspunkte hingewiesen hätte, die möglicherweise zu einem anderen Verständnis und/oder einer anderen Bewertung der Zeugenaussagen geführt hätten.
9
III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Sollte die Beweisaufnahme die Behauptungen der Klägerin nicht bestätigen, wird das Berufungsgericht für die Frage, wann die Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung endet, klären müssen , welche Versicherungsbedingungen dem im Jahre 1986 geschlossenen Vertrag zugrunde liegen.
11
1. Der Senat teilt nicht die Auffassung, der normale Sprachgebrauch gehe dahin, dass mit dem Ende der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung auch alle daraus herzuleitenden Ansprüche auf Rente und Beitragsfreiheit beendet sein sollten (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2010 - IV ZR 226/07, BGHZ 186, 171 ff. Rn. 21 unter Hinweis auf: OLG Saarbrücken VersR 2007, 780, 782; OLG Karlsruhe VersR 1995, 1341; Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2. Aufl. § 46 Rn. 90; Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. VI Anm. D 16; Terno, r+s 2008, 361, 367; Veith/Gräfe, Der Versicherungsprozess 2005 § 8 Rn. 137 f.).
12
2. Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht die Versicherungspolice dahin auslegt, dass die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zum 31. Januar 2010 ablaufen sollte, finden sich unterschiedliche Regelungen über die Leistungszeit, insbesondere das Ende der Versicherungsleistungen , erst in § 1 Nr. 4 der Versicherungsbedingungen (BBBUZ 1975), die die Klägerin (als Anlage 4) eingereicht hat, und in § 1 Nr. 3 der BB-BUZ 4/85, die die Beklagte (als Anlage B 5) vorgelegt hat. Gegen die in § 1 Nr. 4 BB-BUZ 1975 getroffene Regelung bestehen schon wegen des Widerspruchs zu § 9 Nr. 8 BB-BUZ 1975 rechtliche Bedenken.
Mayen Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Karczewski
Vorinstanzen:
LG Paderborn, Entscheidung vom 26.11.2009- 3 O 170/09 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 03.09.2010- I-20 U 11/10 -
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Versicherungsvertragsgesetz - VVG

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

(1) Das Protokoll enthält 1. den Ort und den Tag der Verhandlung;2. die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers;3. die Bezeichnung des Rechtsstreits;4. die Namen der erschienenen Parteien, Neben
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

(1) Das Protokoll enthält 1. den Ort und den Tag der Verhandlung;2. die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers;3. die Bezeichnung des Rechtsstreits;4. die Namen der erschienenen Parteien, Neben
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Über das Ergebnis der Beweisaufnahme haben die Parteien unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln.

(2) Ist die Beweisaufnahme nicht vor dem Prozessgericht erfolgt, so haben die Parteien ihr Ergebnis auf Grund der Beweisverhandlungen vorzutragen.

Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Das Protokoll enthält

1.
den Ort und den Tag der Verhandlung;
2.
die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers;
3.
die Bezeichnung des Rechtsstreits;
4.
die Namen der erschienenen Parteien, Nebenintervenienten, Vertreter, Bevollmächtigten, Beistände, Zeugen und Sachverständigen und im Falle des § 128a den Ort, von dem aus sie an der Verhandlung teilnehmen;
5.
die Angabe, dass öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist.

(2) Die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung sind aufzunehmen.

(3) Im Protokoll sind festzustellen

1.
Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich;
2.
die Anträge;
3.
Geständnis und Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung sowie sonstige Erklärungen, wenn ihre Feststellung vorgeschrieben ist;
4.
die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien; bei einer wiederholten Vernehmung braucht die Aussage nur insoweit in das Protokoll aufgenommen zu werden, als sie von der früheren abweicht;
5.
das Ergebnis eines Augenscheins;
6.
die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts;
7.
die Verkündung der Entscheidungen;
8.
die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels;
9.
der Verzicht auf Rechtsmittel;
10.
das Ergebnis der Güteverhandlung.

(4) Die Beteiligten können beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Das Gericht kann von der Aufnahme absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ankommt. Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er ist in das Protokoll aufzunehmen.

(5) Der Aufnahme in das Protokoll steht die Aufnahme in eine Schrift gleich, die dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist.

(1) Über das Ergebnis der Beweisaufnahme haben die Parteien unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln.

(2) Ist die Beweisaufnahme nicht vor dem Prozessgericht erfolgt, so haben die Parteien ihr Ergebnis auf Grund der Beweisverhandlungen vorzutragen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.