Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 146/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 102.408,36 €
Gründe:
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- I. 1. Die Parteien streiten - nur noch - darüber, ob eine Zahlung der Beklagten und Widerklägerin auf ein Konto einer Gesellschaft, deren Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Klägerin und Widerbeklagte ist, die Gewährung eines persönlichen Darlehens darstellte, und die Klägerin zur Rückzahlung eines Restbetrags nebst Zinsen verpflichtet ist. Das Landgericht hat durch Vernehmung der Zeugen P. , Bo. , A. und B. sowie durch Parteivernehmung der Beklagten Beweis erhoben und daraufhin der Widerklage stattgegeben, da die Beklagte das Zustandekommen eines Darlehensvertrages bewiesen habe.
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- 2. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das Berufungsgericht wies sie darauf hin, es beabsichtige, das Rechtsmittel mangels Erfolgsaussicht durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Eine Abschrift dieses rechtlichen Hinweises wurde der Beklagten übersandt. Nach ergänzendem Parteivortrag bestimmte das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung, ordnete gemäß § 141 Abs. 1 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien an und lud die von der Klägerin benannten Zeugen A. und An. sowie die von der Beklagten benannten Zeugen P. , Bo. und B. zum Termin. In der mündlichen Verhandlung wurde zunächst die Klägerin persönlich angehört, sodann wurden die Zeugen P. und Bo. vernommen. Der Zeuge P. wurde vereidigt. Nach Beratung wies das Berufungsgericht die Parteien darauf hin, dass es nicht beabsichtige, auch die weiteren Zeugen noch zu hören. Die Parteien verhandelten daraufhin zum bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme mit den zuvor gestellten Anträgen. Sodann wurden die nicht vernommenen Zeugen in allseitigem Einverständnis entlassen. Am Schluss der Sitzung verkündete das Berufungsgericht sein die Widerklage abweisendes Urteil. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis einer Darlehensvereinbarung mit der Klägerin als Rechtsgrund für eine von ihr veranlasste Überweisung eines Betrages von 330.000 DM nicht erbracht.
Zwar sei die Behauptung der Beklagten, zwischen den Parteien sei im Juni 2001 ein solcher Vertrag zustande gekommen, im Wesentlichen durch die Aussagen der Zeugen P. und Bo. bestätigt worden. An der Richtigkeit dieser Zeugenaussagen bestünden jedoch erhebliche Zweifel, die hinsichtlich des Zeugen P. auch nicht dadurch ausgeräumt worden seien, dass dieser seine Aussage beeidigt habe.
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- II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Die Beklagte beanstandet im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung nach einer nur unvollständigen Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme getroffen hat. Denn es hat dabei seine Verpflichtungen aus § 279 Abs. 3 ZPO verletzt und der Beklagten die Möglichkeit genommen, durch Vortrag und weitere Beweisanträge auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen.
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- 1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht der Verfahrensbeteiligten , vor einer gerichtlichen Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144). Zwar ist der Richter im Zivilprozess regelmäßig nicht zu einem Rechtsgespräch mit den Parteien verpflichtet. Diese müssen alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte grundsätzlich von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (BVerfGE 74, 1, 5; BVerfG NJW 1996, 3202). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Wahrung rechtlichen Gehörs setzt jedoch voraus, dass die Parteien bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (BVerfGE 84, 188, 190). Ohne vorherigen Hinweis oder Erörterung mit den Parteien darf das Gericht nicht auf einen Gesichtspunkt abstellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zur rechnen braucht (BVerfGE 86, 133, 144 ff.). Dies gilt auch, soweit eine Partei nach den Umständen des Falles durch die vom Gericht beabsichtigte Beweiswürdigung überrascht zu werden droht (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1981 - VII ZR 147/80 - NJW 1981, 1378 unter 2 c u. 3).
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- Danach 2. wäre das Berufungsgericht nach der nur teilweise durchgeführten Beweisaufnahme verpflichtet gewesen, deren Ergebnis gem. § 279 Abs. 3 ZPO vor Verkündung des die Klage abweisenden Urteils mit den Parteien zu erörtern. Ob dieser Vorschrift für den Fall drohender Beweisfälligkeit einer Partei immer eine Verpflichtung des Gerichts zu entnehmen ist, in eine Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzutreten, seine eigene Würdigung des Beweisergebnisses zu offenbaren und gegebenenfalls die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 279 Rdn. 5; Musielak /Stadler, ZPO 4. Aufl. § 139 Rdn. 14 m.Nachw. zum Meinungsstand; Schulz/Sticken MDR 2005, 1, 5), braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls im vorliegenden Fall war ein solcher Hinweis zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beklagten geboten. Das Berufungsgericht hatte - entgegen seiner den Parteien zunächst bekannt gegebenen Auffassung über die mangelnde Erfolgsaussicht der Berufung - mit der Anordnung der Beweisaufnahme Zweifel an der Richtigkeit bzw. Vollständigkeit der vom Landgericht festgestellten Tatsachen zu erkennen gegeben (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). In der Beweisaufnahme bestätigten zwei Zeugen jedoch im Wesentlichen den Vortrag der Beklagten; der Zeuge P. wurde überdies auf seine Aussage vereidigt. Die in erster Instanz siegreiche Beklagte durfte daher auch unter Berücksichtigung der von ihr als Prozesspartei zu verlangenden Sorgfalt darauf vertrauen, vor einer ihr nachteiligen Entscheidung vom Berufungsgericht zu erfahren , wie dieses das Ergebnis der Beweisaufnahme einschätzte, zumal es den Parteien nach kurzer Beratung seine Absicht mitgeteilt hatte, die Beweisaufnahme nicht weiter fortzuführen. Die Abweisung der Widerklage stellte für die Beklagte eine im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Damit war ihr auch die Möglichkeit abgeschnitten, durch neue Beweisanträge oder Richtigstellungen auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen.
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- 3. Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Die Beschwerde hat im Einzelnen dargelegt, dass sich das Berufungsgericht bei Fortsetzung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin B. und durch Vernehmung der Beklagten als Partei, wie im ersten Rechtszug geschehen, möglicherweise die erforderliche Gewissheit über die Richtigkeit des Beklagtenvortrags verschafft hätte.
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 16.10.2003 - 18 O 434/02 -
KG Berlin, Entscheidung vom 07.04.2005 - 12 U 286/03 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Ist einer Partei wegen großer Entfernung oder aus sonstigem wichtigen Grund die persönliche Wahrnehmung des Termins nicht zuzumuten, so sieht das Gericht von der Anordnung ihres Erscheinens ab.
(2) Wird das Erscheinen angeordnet, so ist die Partei von Amts wegen zu laden. Die Ladung ist der Partei selbst mitzuteilen, auch wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat; der Zustellung bedarf die Ladung nicht.
(3) Bleibt die Partei im Termin aus, so kann gegen sie Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Dies gilt nicht, wenn die Partei zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist. Die Partei ist auf die Folgen ihres Ausbleibens in der Ladung hinzuweisen.
(1) Erscheint eine Partei in der Güteverhandlung nicht oder ist die Güteverhandlung erfolglos, soll sich die mündliche Verhandlung (früher erster Termin oder Haupttermin) unmittelbar anschließen. Andernfalls ist unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.
(2) Im Haupttermin soll der streitigen Verhandlung die Beweisaufnahme unmittelbar folgen.
(3) Im Anschluss an die Beweisaufnahme hat das Gericht erneut den Sach- und Streitstand und, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern.
(1) Erscheint eine Partei in der Güteverhandlung nicht oder ist die Güteverhandlung erfolglos, soll sich die mündliche Verhandlung (früher erster Termin oder Haupttermin) unmittelbar anschließen. Andernfalls ist unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.
(2) Im Haupttermin soll der streitigen Verhandlung die Beweisaufnahme unmittelbar folgen.
(3) Im Anschluss an die Beweisaufnahme hat das Gericht erneut den Sach- und Streitstand und, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.