Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2014 - IV ZB 40/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Beschwerdewert: 225.000 €
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
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- Er hat gegen das ihm am 9. Juli 2013 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Diese hat er mit einem am 10. September 2013 im Original bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, in dem vor der Adresse im Fettdruck "vorab per Fax" angegeben ist. Die Berufungsbegründung ging bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 9. September 2013 nicht per Telefax beim Oberlandesgericht ein. Dies teilte der stellvertretende Vorsitzende des Berufungssenats dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage am 10. September 2013 mit.
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- Daraufhin hat der Kläger mit einem am 10. September 2013 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz beantragt, ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen und glaubhaft gemacht:
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- Die Berufungsbegründungsschrift sei rechtzeitig am 9. September 2013 unterzeichnet und zum Versand bereit gewesen. Die Versendung sei auf das geschulte und zuverlässige Büropersonal übertragen worden. Es gebe die bürointerne Daueranweisung, ausgehende Telefaxschreiben auf einen erfolgreichen Versand zu überprüfen. Weiter bestehe die Anweisung , abendlich die Erledigung und den Ausgang der Fristabläufe anhand des Fristenkalenders zu kontrollieren. Mit dem Versand und der Kontrolle der Berufungsbegründung sei der im Büro seines Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt gewesen. Es habe die klare Anweisung bestanden, die Berufungsbegründungsschrift am 9. September 2013 vorab per Telefax zu übersenden und den erfolgreichen Versand zu kontrollieren. Der Rechtsanwaltsfachangestellte habe diese Aufgabe ohne das Wissen des Prozessbevollmächtigten an die ebenfalls in dessen Büro tätige Rechtsfachwirtin übertragen. Diese sei auf den Fristablauf hingewiesen worden. Es sei jedoch die Kontrolle des Versands vergessen worden.
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- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
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- II. Die Rechtsbeschwerde ist nach den §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, jedoch im Übrigen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat nicht die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat.
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- 1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten. Das Wiedereinsetzungsgesuch lasse keine Büroorganisation erkennen, die eine wirksame Ausgangskontrolle durch einen Kanzleimitarbeiter sicherstelle. Eine solche erfordere grundsätzlich die allgemeine Anweisung, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt sei, und die Frist im Fristenkalender erst anschließend zu streichen. Fehle es an einer allgemeinen Anweisung, müsse sich die Einzelanweisung, einen bestimmten Schriftsatz sogleich per Telefax abzusenden, auf die Ausgangskontrolle erstrecken; der Kanzleiangestellte sei zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erteilte Einzelanweisung habe sich darauf beschränkt, das ausgehende Telefax nur auf seinen erfolgreichen Versand zu kontrollieren, und den Kanzleimitarbeitern keine wirksame Ausgangskontrolle aufgegeben.
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- 2. Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax nicht überspannt.
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- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Anwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Erst nach der Fristenkontrolle darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2013 - I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 6; vom 23. Januar 2013 - XII ZB 559/12, NJW-RR 2013, 572 Rn. 6; vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 7; jeweils m.w.N.). Der Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genügt der Rechtsanwalt nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen , ob der Schriftsatz vollständig und an den richtigen Empfänger übermittelt worden ist (BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2013 aaO; vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, NJW 2014, 1390 Rn. 8; vom 17. Juli 2013 - XII ZB 115/13, NJW-RR 2013, 1328 Rn. 6; vom 15. Juni 2011 - XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367 Rn. 13; vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 unter II 2; jeweils m.w.N.). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allge- meinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 aaO m.w.N.). Fehlt es an einer allgemeinen Anweisung, muss sich die Einzelanweisung , einen Schriftsatz sogleich per Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden, in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken. Die Kanzleiangestellten sind zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen (BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2011 aaO m.w.N.; vom 7. Juli 2010 - XII ZB 59/10, NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12 ff.). Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal , einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle nicht entbehrlich (BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2013 aaO Rn. 8 m.w.N.; vom 15. Juni 2011 aaO).
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- b) Gemessen daran hat der Kläger die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausreichend entschuldigt.
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- aa) Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich keine den genannten Maßstäben genügende allgemeine Kanzleianweisung zur Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax. Dazu genügt nicht die allgemeine Anweisung, ausgehende Telefaxschreiben auf einen erfolgreichen Versand zu kontrollieren bzw. zu überprüfen. Wie diese Überprüfung ausgestaltet sein soll, hat der Kläger in seinem Wiedereinsetzungsgesuch nicht dargetan. Insbesondere ist daraus nicht ersichtlich , dass die Kanzleiangestellten seines Prozessbevollmächtigten angewiesen waren, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, dass der Schriftsatz vollständig und an die richtige Faxnummer übermittelt worden war, und demgemäß die Erledigung im Fristenkalender zu vermerken.
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- bb) Eine ausreichende allgemeine Organisationsanweisung war nicht deshalb entbehrlich, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Rechtsanwaltsfachangestellten angewiesen hatte, die Berufungsbegründungsschrift am 9. September 2013 vorab per Telefax zu übersenden und den erfolgreichen Versand zu kontrollieren. Auch bei einer solchen Einzelanweisung müssen ausreichende Sicherheitsvorkehrungen dagegen getroffen werden, dass sie in Vergessenheit gerät und die zu treffende Maßnahme unterbleibt (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 aaO Rn. 9 m.w.N.). Besondere Vorkehrungen können entbehrlich sein, wenn die Bürokraft angewiesen ist, den Schriftsatz sofort und vor allen anderen Arbeiten per Telefax zu versenden (BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2013 aaO Rn. 10; vom 15. November 2007 - IX ZB 219/06, NJW 2008, 526 Rn. 12 m.w.N.; vom 4. April 2007 - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 Rn. 9 m.w.N.). Eine solche Anweisung, auf deren Befolgung sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers unabhängig von allgemeinen Organisationsanweisungen hätte verlassen dürfen, hat er seinem Mitarbeiter nicht erteilt. Insbesondere ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht, dass der Rechtsanwaltsfachangestellte konkret angewiesen war, anhand des Sendeprotokolls die ordnungsgemäße Übermittlung zu kontrollieren und auf dieser Grundlage die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender als erledigt zu vermerken.
- 13
- c) Die ungenügende Organisation der Ausgangskontrolle im Büro seines Prozessbevollmächtigten und die unzureichende Einzelanweisung waren für die Fristversäumung ursächlich. Die Kausalität entfiel nicht deshalb, weil der Rechtsanwaltsfachangestellte die ihm aufgegebene Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift auf seine Kollegin übertragen hatte. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung einer Frist ursächlich geworden ist, muss von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten ausgegangen werden und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14).
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 18.06.2013- 13 O 230/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 21.10.2013- 12 U 116/13 -
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.