Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05

published on 14/06/2006 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05
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Previous court decisions
Landgericht Leipzig, 5 O 3776/04, 30/11/2004
Oberlandesgericht Dresden, 10 U 2308/04, 03/03/2005

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 18/05
vom
14. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
_____________________
Ist die Frist zur Berufungsbegründung richtig errechnet und deren Eintragung
im Fristenkalender des Anwaltsbüros in der Handakte als erledigt notiert,
muss der Anwalt die Eintragung im Fristenkalender nicht noch persönlich überprüfen.
BGH, Beschluss vom 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 14. Juni 2006

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. März 2005 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Streitwert: 106.885,07 €

Gründe:


1
I. Die Kläger verlangen von der Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 106.885,07 €. Das Landgericht hat die Klage ab- gewiesen. Gegen das am 2. Dezember 2004 zugestellte Urteil wurde rechtzeitig Berufung eingelegt. Begründet wurde sie jedoch erst mit einem am 7. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz, in dem zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am 2. Februar 2005 abgelaufene Frist zur Berufungsbegründung beantragt wurde.
2
Die Kläger haben vorgetragen, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten habe die erfahrene und bewährte Bürovorsteherin nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist sowie die jeweils dazugehörigen Vorfristen zutreffend errechnet und auf einem an die Urteilsausfertigung gehefteten Zettel notiert. Diese Fristen seien zugleich in den Fristenkalender eingetragen worden mit Ausnahme der Berufungsbegründungsfrist, deren Eintragung aus unerklärlichen Gründen unterblieben sei. Auf dem Zettel, der an die Urteilsausfertigung in der Handakte geheftet war, sei jedoch die am 2. Februar 2005 ablaufende Berufungsbegründungsfrist zum Zeichen ihrer Eintragung in den Fristenkalender mit einem Haken und dem Zusatz "not." versehen worden. Diesen Sachverhalt hat die Bürovorsteherin an Eides statt versichert. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat weiter vorgetragen, er sei vom 24. bis 28. Januar 2005 in Urlaub gewesen; da die Vorfrist zur Berufungsbegründung am 26. Januar 2005 ablief, habe er die Berufung schon vor seinem Urlaub begründet und den Entwurf der Berufungsbegründung den Klägern zur Stellungnahme bis zum 31. Januar 2005 mit dem Hinweis übersandt, dass die Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein müsse. Am 1. Februar sei die Antwort der Kläger in seiner Kanzlei eingegangen. Dass die Endfassung dann nicht am 2. Februar an das Berufungsgericht gefaxt worden sei, habe einzig daran gelegen, dass diese Frist nicht im Fristenbuch eingetragen gewesen sei. Das Fristversäumnis sei wegen der Aufarbeitung des urlaubsbedingten Arbeitsrückstaus erst am 7. Februar 2005 aufgefallen.
3
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen haben die Kläger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt.
4
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
5
1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden bei der Überwachung seiner Bürovorsteherin vorzuwerfen sei. Jedenfalls habe er seine Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Eintragung des Fristendes in Bezug auf die Berufungsbegründungsfrist verletzt. Die Handakte habe ihm aufgrund der zum 26. Januar 2005 notierten Vorfrist nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am Montag, dem 31. Januar 2005, vorgelegen. Wenn er die Bearbeitung bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Mittwoch, dem 2. Februar 2005, habe zurückstellen wollen, habe er die Eintragung dieser Frist durch seine Bürovorsteherin im Fristenkalender kontrollieren müssen. Hätte er dies getan, wäre ihm aufgefallen, dass das Ende der Berufungsbegründungsfrist überhaupt nicht im Kalender eingetragen war. Dadurch hätte die Fristversäumnis vermieden werden können.

6
2. Mit dieser Rechtsauffassung weicht das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Danach hat der Rechtsanwalt zwar die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Bearbeitung wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung wie hier vorgelegt werden. Diese Pflicht erstreckt sich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete ) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Dabei kann sich der Rechtsanwalt jedoch grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender wie hier ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich insoweit keine Zweifel auf, braucht er nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 1971 - V ZB 7/71 - VersR 1971, 1125 unter 1; Urteil vom 1. Juli 1976 - III ZR 88/75 - VersR 1976, 1154 unter II; Beschlüsse vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB 16/87 - unter II 2 a und b, dokumentiert in juris; vom 22. Januar 1997 - XII ZB 195/96 - VersR 1997, 598 unter 1; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183 unter II 1 und 2; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435 unter II 3; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rdn. 23 zum Stichwort Fristenbehandlung; Born, NJW 2005, 2042, 2046). Wollte man dem Berufungsgericht folgen, würde die zulässige Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, wie die Rechtsbeschwerde mit Recht hervorhebt.
7
3. Eine andere Rechtsauffassung ist auch dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2002 (VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437 unter II 3 b) nicht zu entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht stützt. Soweit es dort heißt, dass dem Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Prüfungspflicht der Widerspruch zwischen dem von ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden wäre, ergibt sich aus der Entscheidung nicht, dass sich in den Handakten neben dem vom Rechtsanwalt errechneten Fristende ein Vermerk befunden hätte, wonach die neue Frist auch im Fristenbuch notiert sei. Anders als im vorliegenden Fall kann es auch dann liegen, wenn der Rechtsanwalt die zur Vorfrist vorgelegte Akte nicht auf den Ablauf der Hauptfrist und deren Eintragung im Fristenbuch prüft, sondern mehrere Tage bis kurz vor dem Ende der Hauptfrist unbearbeitet lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 - IX ZB 32/99 - NJW 1999, 2680 unter II 2). Hier fiel der Ablauf der Vorfrist in die Urlaubszeit; der Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte die Berufungsbegründung deshalb schon vor Antritt seines Urlaubs entworfen und den Klägern zur Stellungnahme mit dem Hinweis zugesandt, der Schriftsatz müsse in der Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein. Darin kommt zum Ausdruck, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist überprüft hatte, der ausweislich der Handakte auch im Fristenbuch vermerkt war.
8
III. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Bedenken des Berufungsgerichts gegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand greifen nicht durch. Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sonstiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger erkennbar , insbesondere bei der Organisation der Fristenkontrolle (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815 unter II 3 a-c) oder bei der Überwachung der Bürovorsteherin. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ergänzend vorgetragen und eides- stattlich versichert, etwa zweimal pro Woche prüfe jeder in seiner Kanzlei tätige Anwalt stichprobenartig nach, ob die in den Handakten als notiert abgehakten Fristen auch tatsächlich im Fristenbuch eingetragen seien; Beanstandungen hätten sich bisher nie ergeben. Es fehlt danach jeder Anhalt dafür, dass die Bürovorsteherin die Erledigung in der Handakte etwa auch in anderen Fällen vor oder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eintragung im Fristenbuch vermerkt hätte (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 aaO unter II 3 d).
9
Mithin haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass die Frist zur Berufungsbegründung ohne eigenes oder ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist. Daher war ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit wird der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts, soweit darin die Berufung als unzulässig verworfen wird, gegenstandslos.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 30.11.2004 - 5 O 3776/04 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 03.03.2005 - 10 U 2308/04 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.