Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Mai 2014 - IV ZB 1/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Streithelfer des Klägers je zur Hälfte.
Streitwert: 5.361,32 €
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger fordert von der Beklagten Rückzahlung der für eine Lebensversicherung geleisteten Beiträge und Ersatz daraus gezogener Nutzungen. Das klagabweisende Urteil des Landgerichts ist seinem Prozessbevollmächtigten und jetzigem Streithelfer zu 2 am 11. März 2013 zugestellt worden, der dagegen fristgerecht Berufung eingelegt hat. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 17. Mai 2013 auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 13. Mai 2013 hat der Streithelfer zu 2 die Berufung mit einem am 6. Juni 2013 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet und zugleich Wieder- einsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
- 2
- 1. Das Wiedereinsetzungsgesuch stützt sich auf die Behauptung, eine bislang stets zuverlässige Mitarbeiterin des Streithelfers zu 2 habe gegen die im Rechtsanwaltsbüro geltende Anweisung verstoßen, Fristen im Fristenkalender erst als erledigt zu streichen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert habe, dass die fristwahrende Maßnahme erfolgt sei. Das habe zum Fristversäumnis geführt. Für Akten, in denen Fristen zu wahren seien, würden Vorfristen notiert, die eine Vorlage beim bearbeitenden Rechtsanwalt eine Woche vor Fristablauf gewährleisteten. Das sei im Streitfall am 6. Mai 2013 geschehen, allerdings habe der Streithelfer zu 2 die Akte an diesem Tage noch nicht bearbeitet, sondern sie zunächst noch einmal an ihren üblichen Aufbewahrungsort im Postzimmer der Kanzlei zurückgestellt. Von dort sei sie erst am 15. Mai 2013 wieder entnommen und dem Streithelfer zu 2 vorgelegt worden.
- 3
- 2. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die beiden Streithelfer , der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers (Streithelfer zu 2) und die in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verbundenen Rechtsanwälte, für die er tätig ist (Streithelfer zu 1), mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde.
- 4
- II. Das Rechtsmittel ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil Gründe für seine Zulassung nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die angefochtene Entscheidung widerspricht entgegen der Auffas- sung der Rechtsbeschwerde weder der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , noch verletzt sie den Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz.
- 5
- 1. Das Berufungsgericht, das die vom Streithelfer zu 2 vorgetragenen und glaubhaft gemachten organisatorischen Maßnahmen und Anweisungen zur Wahrung von Fristen und zur Führung des Fristenkalenders im Grundsatz nicht beanstandet, hat angenommen, er habe dennoch ein persönliches, dem Kläger über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden an dem Fristversäumnis i.S. von § 233 ZPO nicht ausgeräumt. Seiner anwaltlichen Versicherung zufolge sei ihm die Akte am 6. Mai 2013 aufgrund der notierten Vorfrist ordnungsgemäß vorgelegt worden; er habe sie an diesem Tage aber nicht bearbeitet, sondern an ihren normalen Aufbewahrungsort zurückgestellt. Demgegenüber habe er nicht dargelegt, dass er dies aktenkundig gemacht oder eine Wiedervorlagefrist notiert habe. Deshalb sei die erneute Aktenvorlage rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährleistet gewesen. Der Streithelfer zu 2 habe damit nicht alles ihm zur Fristwahrung Zumutbare veranlasst und kausal zum Fristversäumnis beigetragen.
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerdeführer meinen, diese Begründung widerspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zufolge der Rechtsanwalt eine aufgrund einer Vorfristnotierung vorgelegte Akte zunächst unbearbeitet zurückgeben und sich darauf verlassen dürfe, dass ausreichend geschultes und überwachtes Büropersonal ihm die Akte am Tage des Fristablaufs erneut vorlegen werde. Habe er keine Anhaltspunkte dafür, dass seine organisatorischen Maßnahmen zur Fristenkontrolle versagen könnten, müsse er weitere Vorkehrungen zur Sicherstellung der Wiedervorlage nicht treffen (BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2011 - VII ZB 18/10 und VII ZB VII ZB 19/10, NJW 2012, 614 Rn. 12 m.w.N.; vom 12. August 1997 - VI ZB 13/97, VersR 1998, 121 unter 2 a m.w.N.; Urteil vom 27. September 1967 - Ib ZR 69/66, VersR 1967, 1098 unter A
III).
- 7
- 3. Damit kann die Rechtsbeschwerde aber deshalb nicht durchdringen , weil das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, es habe hier für den Rechtsanwalt Anhaltspunkte für die Befürchtung gegeben , die in seinem Büro praktizierte Fristenkontrolle könne versagen.
- 8
- a) Die Vorfristnotierung soll sicherstellen, dass dem Anwalt ausreichende Zeit für die Bearbeitung seiner Rechtsmittelbegründung verbleibt (BGH, Beschluss vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97, VersR 1997, 1252 unter 2 m.w.N.). Wird ihm die Akte aufgrund dieser Vorfrist zeitnah zum Fristablauf zur Erledigung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt , setzt ungeachtet des Umstands, dass er die Fristenkontrolle an sein Büropersonal delegieren und mit der Bearbeitung in geeigneten Fällen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Mai 1997 aaO) bis zum letzten Tag des Fristablaufs warten darf, auch seine persönliche Verantwortung für die Fristwahrung wieder ein (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2010 - IV ZB 11/10, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, VersR 2003, 1460 unter II 2 m.w.N.; vom 22. September 1971 - V ZB 7/71, VersR 1971, 1125 unter 1 und 3). Dem Streithelfer zu 2 ist vorzuwerfen, dass er die Akte hier unbearbeitet an ihren ursprünglichen Aufbewahrungsort zurückstellte und danach offenbar binnen kurzer Zeit aus dem Blick verlor (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2010 aaO).
- 9
- b) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs billigt es dem Rechtsanwalt allerdings zu, eine Akte nach Vorlage aufgrund einer Vorfristnotierung noch einmal in den Geschäftsbetrieb seiner Kanzlei zu- rückzugeben, etwa um Anweisungen zur Vorbereitung seines Schriftsatzes ausführen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - VII ZB 18 und 19/10, NJW 2012, 614 Rn. 12; betreffend die Anfertigung von Fotokopien) oder um bis zum Tage des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist die Klärung der Frage abzuwarten, ob eine eingelegte Berufung nach dem Willen des Mandanten tatsächlich durchgeführt werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97, VersR 1997, 1252 unter 2). Er kann sich bei einer für die wirksame Fristenkontrolle geeigneten Büroorganisation im Grundsatz auch in einem solchen Fall noch darauf verlassen, dass das von ihm geschulte und überwachte Büropersonal die Einhaltung der im Fristenkalender notierten Fristen beachtet und die Akten rechtzeitig vorlegt (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 aaO Rn. 12 m.w.N.). Das gilt aber nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die generell zur Fristenkontrolle getroffenen Maßnahmen die fristgerechte Aktenvorlage im konkreten Fall möglicherweise nicht gewährleisten (BGH, Beschlüsse vom 12. August 1997 - VI ZB 13/97, VersR 1998, 121 unter 2 a; vom 13. Oktober 2011 aaO; Urteil vom 27. September 1967 - Ib ZR 69/66, VersR 1967, 1098 unter A III).
- 10
- c) Im Streitfall ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen , es sei lediglich glaubhaft gemacht, dass der Streithelfer zu 2 die Rückgabe der Akte in den Geschäftsbetrieb seines Büros seinen Mitarbeitern nicht zur Kenntnis gebracht, sondern den Ordner mit der Akte eigenhändig wieder zur Aufbewahrung an den dafür üblichen Ort im Postzimmer der Kanzlei zurückgestellt habe, ohne dies aktenkundig zu machen. Gegen diese Annahme erhebt die Rechtsbeschwerde keine Einwände.
- 11
- Dann aber hatte der Rechtsanwalt Anlass zu der Befürchtung, sein Büropersonal werde die Akte selbst bei einer Fristenüberwachung anhand des Fristenkalenders nicht erneut und fristgerecht vorlegen, weil sie dort als bereits mit Ablauf der Vorfrist vorgelegt ausgewiesen war, das Büropersonal mithin irrtümlich annehmen konnte, die Akte liege dem Rechtsanwalt weiterhin zur Bearbeitung vor. Da nach dem Vortrag des Streithelfers zu 2 nicht davon ausgegangen werden kann, dass seine Büromitarbeiter für einen solchen Fall angewiesen sind, den bearbeitenden Rechtsanwalt gesondert auf den Ablauf einer Rechtsmittelbegründungsfrist hinzuweisen, hätte er anderweitig, etwa mit einer Wiedervorlageverfügung oder zumindest einem Hinweis auf den Verbleib der Akte, Vorsorge treffen müssen, um die rechtzeitige Wiedervorlage sicherzustellen. Mayen Wendt Felsch Lehmann Dr. Brockmöller
LG Köln, Entscheidung vom 06.03.2013- 26 O 315/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 19.12.2013 - 20 U 51/13 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.