Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2007 - I ZB 100/06
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 876,73 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 16. Februar 2006 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Lingen vom 14. Februar 2006 am 14. März 2006 beim Landgericht Osnabrück Berufung eingelegt. Diese hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. April 2006 begründet, der am 19. April 2006 beim Landgericht eingegangen ist. Mit einem am 26. April 2006 zugegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
- 2
- Hierzu hat der Kläger ausgeführt:
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- Die Berufungsbegründung sei am Donnerstag, dem 13. April 2006, gegen 19.30 Uhr von einer Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten in den Briefkasten am Hauptpostamt in Oldenburg eingeworfen worden. Der Briefkasten werde nach den dort angebrachten Angaben täglich um 19.30 Uhr (Spätleerung ) und um 22.00 Uhr (Nachtleerung) geleert. An dem Briefkasten sei folgender Hinweis angebracht: "Alle Sendungen aus einer Tages- und Spätleerung erreichen den Empfänger bundesweit mit der nächsten Zustellung. Bei Nachtleerungen gilt dies nur für den Bereich mit der Postleitzahl 26".
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- Das Berufungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dieser habe damit rechnen müssen, dass beim Einwurf des Schriftsatzes in den Briefkasten am 13. April 2006 gegen 19.30 Uhr die Spätleerung bereits erfolgt und wegen des folgenden Osterwochenendes der Eingang des Schriftsatzes am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück, das nicht zum Postleitzahlenbereich 26 gehöre, nicht gewährleistet gewesen sei. Davon sei offensichtlich auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausgegangen, der eine Mitarbeiterin beauftragt habe, am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück anzurufen, um sich nach dem Eingang des Schriftsatzes zu erkundigen. Die Mitarbeiterin habe aber nach den eigenen An- gaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers an diesem Tag niemanden mehr telefonisch auf der Geschäftsstelle erreicht.
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- II. 1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip), wonach den Parteien der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf. Dies bedeutet, dass einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden darf, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchkörpers nicht rechnen musste (BVerfG, Beschl. v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004).
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- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Gewährung der Wiedereinsetzung. Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein dem Kläger zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).
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- a) Den Prozessbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlasst, dass der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, dass er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können , darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (BGH, Beschl. v. 30.9.2003 - VI ZB 60/02, NJW 2003, 3712, 3713). Dies gilt auch, wenn vor Feiertagen mit einer besonders starken Beanspruchung der Post zu rechnen ist (BVerfG, Beschl. v. 25.9.2000 - 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1566 f.).
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- b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger den Einwurf der Postsendung mit der Berufungsbegründung am 13. April 2006 gegen 19.30 Uhr in den Briefkasten am Hauptpostamt Oldenburg und den an dem Briefkasten angebrachten Hinweis auf die Postlaufzeiten durch eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin P. seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht hat.
- 9
- Bei einem Einwurf der Berufungsbegründungsschrift in den Postkasten am 13. April 2006 auch zu einem Zeitpunkt nach der Spätleerung konnte der Prozessbevollmächtigte aufgrund des an dem Briefkasten angebrachten Hinweises der Post davon ausgehen, dass der Brief - ebenso wie die Spätleerung am 14. April 2006 (Karfreitag) um 19.30 Uhr - am Samstag, dem 15. April 2006, beim Landgericht Osnabrück eingehen würde. Jedenfalls konnte der Prozessbevollmächtigte - selbst wenn er den Brief erst am Ostermontag vor der Spätleerung in den Briefkasten eingeworfen hätte - annehmen, dass die Postsendung mit der Berufungsbegründungsschrift an dem den Osterfeiertagen folgenden Zustelltag, dem 18. April 2006, dem Landgericht zugehen würde. Dies wäre zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist ausreichend gewesen.
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- Darauf, ob der Kläger durch weitere Maßnahmen (Nachfrage am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück und erneute Zusendung der Berufungsbegründung am selben Tag per Telefax) die Wahrung der Frist noch hätte erreichen können, kommt es nicht an. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war nicht verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, ob der Schriftsatz rechtzeitig beim Landgericht eingegangen war. Wenn er seine Mitarbeiterin M. anwies, sich am Dienstag, dem 18. April 2006, nach dem Eingang des Schriftsatzes beim Landgericht Osnabrück zu erkundigen, hat er mehr als erforderlich getan. Brachte der Versuch, eine Bestätigung des Eingangs der Berufungsbegründung zu erhalten, keine Klärung, kann dies dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.1989 - IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188, 189).
Bergmann Kirchhoff
Vorinstanzen:
AG Lingen (Ems), Entscheidung vom 14.02.2006 - 4 C 1077/05 (V) -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 06.10.2006 - 4 S 167/06 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.