Bundesgerichtshof Beschluss, 16. März 2011 - 5 StR 585/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, beim Angeklagten M. R. mit der Klarstellung, dass er wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten C. R. und S. wegen Betruges in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung letzterer wurde zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten M. R. hat es wegen „Beihilfe zum Betrug in elf Fällen“ zu der Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.
- 2
- Die Angeklagten wenden sich gegen die Verurteilung und machen die Verletzung sachlichen Rechts geltend. Die Angeklagten R. rügen daneben auch die Verletzung formellen Rechts, wobei sie insbesondere eine rechtsstaatswidrige Verfahrenverzögerung bemängeln. Die Revisionen erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
- 3
- 1. Die Angriffe auf den Schuldspruch sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Zutreffend hat die Strafkammer die fortlaufende Förderung der Taten durch den Angeklagten M. R. als nur eine Beihilfehandlung angesehen; dies veranlasst eine Klarstellung des Tenors. Dagegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch aus sachlichrechtlichen Gründen nicht bestehen bleiben.
- 4
- 2. Die Strafzumessungsgründe gehen nur unzureichend darauf ein, dass zwischen der letzten Provisionsauszahlung und der Aburteilung der Taten beträchtliche Zeit verstrichen ist. Zwar hat die Jugendkammer im Rahmen der Strafzumessung bei allen Angeklagten „das lange Zurückliegen der Taten“ berücksichtigt; daneben hätte das Tatgericht hier jedoch weitergehend strafmildernd zu bedenken gehabt, dass bereits einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142). Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu legt nahe, dass das Tatgericht den hier bestimmenden Milderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat.
- 5
- Parallel dazu hat es das Tatgericht auch unterlassen zu prüfen, ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantierte Recht der Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit verletzt ist. Vor dem Hintergrund der im Urteil mitgeteilten Eckdaten zum Verfahrensablauf und der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen ist dieser Mangel hier bereits auf Sachrüge beachtlich (BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 376/03, BGHSt 49, 342). Die markanten Anzeichen für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und damit einher- gehend für eine beträchtliche Belastung der Angeklagten infolge der überlangen Verfahrensdauer ergeben sich hier – unter anderem – namentlich vor dem Hintergrund des mit der Anklage zu prüfenden keineswegs ungewöhnlich großen Gesamtschadens und der nahezu fehlenden Vorbelastungen der Angeklagten aus dem hiernach offensichtlich verfehlten, an Willkür grenzenden Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Plauen nach § 270 StPO, durch den sich jedenfalls die beiden erwachsenen Angeklagten einer sachlichrechtlich ersichtlich unberechtigten hohen Straferwartung und drohendem lange währenden Strafvollzug ausgesetzt sahen.
- 6
- Bei dem Angeklagten M. R. hat es das Landgericht zudem durch rechtsfehlerhafte Verwertung nach BZRG tilgungsreifer Vorverurteilungen versäumt, diesem Angeklagten den gewichtigen Strafmilderungsgrund gänzlicher Unbestraftheit zugute zu bringen.
- 7
- 3. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Das neue Tatgericht wird zu Ausmaß und Folgen der Verfahrensverzögerung für jeden der Angeklagten ergänzende Feststellungen zu treffen und eine neue Strafzumessung , darüber hinaus nahe liegend einen bezifferten Abschlag auf die neu verhängte Strafe wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK vorzunehmen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52,
124).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
(1) Hält ein Gericht nach Beginn einer Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluß an das zuständige Gericht; § 209a Nr. 2 Buchstabe a gilt entsprechend. Ebenso ist zu verfahren, wenn das Gericht einen rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten nach § 6a für begründet hält.
(2) In dem Beschluß bezeichnet das Gericht den Angeklagten und die Tat gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1.
(3) Der Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses. Seine Anfechtbarkeit bestimmt sich nach § 210.
(4) Ist der Verweisungsbeschluß von einem Strafrichter oder einem Schöffengericht ergangen, so kann der Angeklagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist.