Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Dez. 2007 - 5 StR 478/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen sowie der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Zu neuer Rechtsfolgenbestimmung und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teil- erfolg und ist im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Im ersten Fallkomplex liegt Tateinheit vor (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 3). Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend um. Dies hat der Senat zum Anlass genommen, die Qualifikation der besonders schweren Vergewaltigung wie geboten zu tenorieren.
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- 2. Die Strafzumessung des Landgerichts begegnet im Blick auf die fehlende Berücksichtigung einer Verletzung der Rechte des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durchgreifenden Bedenken.
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- Hierzu ist festgestellt, dass wegen der 1998 und 2002 begangenen Taten am 11. August 2003 Anklage erhoben worden ist, die Hauptverhandlung jedoch erst am 16. August 2005 begonnen hat. Der Angeklagte ist seit dem 29. März 2003 ununterbrochen inhaftiert, wobei Untersuchungshaft auch für das hiesige Verfahren und Strafhaft in anderer Sache unter Untersuchungshaftbedingungen (Überhaft) – bis zur Vollverbüßung, in deren Folge ihm die Möglichkeit einheitlicher Gesamtstrafbildung nach § 55 StGB entgangen ist – vollstreckt worden ist. Im Rahmen der Strafzumessung führt das Landgericht aus, dass die durch den späten Beginn der Hauptverhandlung eingetretene Verfahrensverzögerung strafmildernd zu berücksichtigen sei.
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- Damit ergeben sich bereits aus den Urteilsgründen gravierende Anhaltspunkte für eine vom Angeklagten nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung. Dies hat das Revisionsgericht bereits allein auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen. Darin, dass das Landgericht nicht erörtert hat, ob durch den Zeitablauf von zwei Jahren zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und damit eine Verletzung des Rechts des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK eingetreten ist, liegt ein sachlichrechtlich zu beanstandender Erörterungsmangel (BGHSt 49, 342). Eine allgemeine strafmildernde Wirkung ge- nügt den Anforderungen an die Berücksichtigung einer sich aufdrängenden rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht. Dieser Mangel führt zur Aufhebung der Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen.
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- Sollte eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angenommen werden – was angesichts der im Urteil dargelegten Umstände nahe liegt – so bedarf es einer konkreten Feststellung von Art, Ausmaß und Ursache der Verzögerung (BVerfG – Kammer – StV 1993, 352; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7; vgl. auch EGMR EuGRZ 1983, 371). In einem zweiten Schritt ist das Maß der zu gewährenden Kompensation zu bestimmen. Nach der bisherigen Spruchpraxis aller Senate des Bundesgerichtshofs hatte dies durch die Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK angemessenen Strafe zu geschehen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 11 und 12; BGH NStZ 2003, 601). Die Frage, ob hieran in dieser Form festzuhalten sein wird oder ob die Kompensation künftig durch Anrechung eines bestimmten Teils der Strafe als vollstreckt zu gewähren ist (vgl. BGH – Vorlagebeschluss – NJW 2007, 3294 und Beschluss vom 25. September 2007 – 5 StR 116/01 und 475/02, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ), liegt dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor.
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- Der neue Tatrichter wird zudem bei der Strafzumessung bereits ohne Berücksichtigung einer möglicherweise rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung stärker als bisher den Zeitablauf insbesondere seit Begehung der ersten Tat in den Blick zu nehmen haben (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13). In diesem Fall wird die Anwendung des § 21 StGB mit sachverständiger Hilfe neu zu klären sein; die ablehnende Begründung im angefochtenen Urteil ist bedenklich. Das konkret festgestellte Leistungsverhalten weist keine Besonderheiten auf, die im Hinblick auf eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit aussagekräftige Rückschlüsse zulassen (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 35); zudem ist eine von der Tat im Sommer 2002 abweichende Beurteilung nicht nachvollziehbar.
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- 3. Die Aufhebung des Strafausspruchs zieht die Aufhebung der vom Landgericht auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung nach sich, da damit die formellen Voraussetzungen für die Maßregel entfallen sind. Bei der Prüfung, ob die Sicherungsverwahrung erneut anzuordnen sein wird, wird eine aktualisierte Sachverständigenbeurteilung heranzuziehen sein. Im Hinblick auf die Verurteilung vom 1. Juli 2003 sind auch die Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB in den Blick zu nehmen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.