Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Sept. 2002 - 5 StR 399/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zu- stand der Schuldunfähigkeit begangenen vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Beschuldigte während der Strafverbüßung in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel einem Mitgefangenen , den er für den Urheber ihn ärgernder Gerüchte hielt, in dessen Zelle mit den Fäusten gegen den Kopf geschlagen und ihm einen Jochbeinbruch zugefügt hat. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei Begehung der vorsätzlichen Körperverletzung „wegen einer erheblichen, krankhaften, paranoid -halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“ (gemeint: aus dem Formenkreis der Schizophrenie) ausgeschlossen. Die Feststellungen zum Zustand des Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit beruhen auf dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, das im Einklang mit der Stellungnahme eines Psychiaters steht, der den Beschul- digten während zweier Aufnahmen in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover im Laufe des Jahres 2001 behandelte. Der Sachverständige erachtet den krankheitsuneinsichtigen und daher therapieresistenten Beschuldigten wegen zu erwartender entsprechender Taten während eines erneuten „unausweislichen“ Krankheitsschubs als für die Allgemeinheit gefährlich. Daß der geständige, in der Hauptverhandlung nicht akut von einem Schub seiner Erkrankung betroffene Beschuldigte seinen Zustand bei der Begutachtung simuliert hätte, wie er in der Hauptverhandlung behauptet hat, hält das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen für widerlegt.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts zum Zustand des Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit sind unzureichend. Das Landgericht hat lediglich dürftige Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen getroffen. Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche nähere Angabe erfolgten Auflistung wiederholt auch mit Freiheitsstrafen geahndete Gewalttaten. Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Krankheit ist nichts festgestellt. Abgesehen von den beiden Aufnahmen des Beschuldigten in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover werden Erkenntnisse über seinen Zustand und zu seinem Verhalten während des weiteren Strafvollzugs in der Zeit von mehr als einem Jahr zwischen Tatbegehung und Hauptverhandlung nicht mitgeteilt. Daß die Tat auf einen Krankheitsschub des Beschuldigten zurückging, ist zwar vom Sachverständigen einigermaßen plausibel erläutert worden. Danach wäre aber auch eine Klärung wesentlich, ob frühere, insbesondere nicht besonders lange zurückliegende Gewalttaten des Beschuldigten ebenfalls auf seine Krankheit zurückgingen. War dies nicht so, wäre dies auch bei der vorliegenden Tat kritisch zu hinterfragen gewesen.
Andernfalls wäre im Verfahren zu prüfen gewesen, ob eine Wiederaufnahme jener Altverfahren wegen neuer Zweifel an der damaligen Schuldfähigkeit des Beschuldigten in Betracht zu ziehen ist. Jedenfalls war eine Unterbrechung der Strafvollstreckung gemäß § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 StPO in Betracht zu ziehen, an deren Stelle gegebenenfalls zunächst eine einstweilige Unterbringung in dieser Sache (§ 126a StPO) oder eine Unterbringung aufgrund einer zivilrechtlichen Betreuung bzw. nach landesrechtlichen Unterbringungsregelungen treten könnte. Letzteres gilt vor dem Hintergrund , daß eine Straftat während des Strafvollzuges – wie die vorliegende, zudem nicht überaus gewichtige Anlaßtat – kaum anders als eine Straftat während der Unterbringung (vgl. BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 4 und 5; § 63 Gefährlichkeit 26; BGH, Beschl. vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01 – und vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02) nur mit besonderer Zurückhaltung als Grundlage für eine Anordnung nach § 63 StGB heranzuziehen ist. Insbesondere wäre so das vom Landgericht gegen eine Aussetzung der Maßregel (§ 67b StGB) herangezogene Argument nicht zu gewährleistender vollständiger ärztlicher Behandlung während der Strafhaft zu entkräften (vgl. auch BGH NStZ 2002, 367).
Insgesamt läßt das bisherige Urteil die für eine derart einschneidende Maßregel wie die nach § 63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint unerläßlich.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ist aufzuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt.
(2) Dasselbe gilt bei anderen Krankheiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist.
(3) Die Strafvollstreckung kann auch dann aufgeschoben werden, wenn sich der Verurteilte in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist.
(4) Die Vollstreckungsbehörde kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrechen, wenn
- 1.
der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt, - 2.
wegen einer Krankheit von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist oder - 3.
der Verurteilte sonst schwer erkrankt und die Krankheit in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden kann
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.
(2) Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115a, 116 Abs. 3 und 4, §§ 117 bis 119a, 123, 125 und 126 entsprechend. Die §§ 121, 122 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen.
(3) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht anordnet. Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung nicht aufgehalten werden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Hat der Untergebrachte einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten im Sinne des § 1831 Absatz 5 und des § 1820 Absatz 2 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, so sind Entscheidungen nach Absatz 1 bis 3 auch diesem bekannt zu geben.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.
(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.