Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2002 - 1 StR 194/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde erhebt. Das Rechtsmittel ist lediglich zum Maßregelausspruch begründet. 1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Insoweit verweist der Senat auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Mai 2002 (§ 349 Abs. 2 StPO).2. Die Anordnung der Unterbringung des - bis dahin nicht vorbestraften - Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand. Eine derartige Maûregel beschwert den Betroffenen auûerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit neuerlicher schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäûigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, daû von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. nur BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8). Die vom Landgericht hierzu angestellten Erwägungen erweisen sich teils als nicht tragfähig, teils leiden sie unter Erörterungsmängeln.
a) Den getroffenen Feststellungen zufolge leidet der im Jahr 1974 geborene Angeklagte seit seiner Geburt an einem Hirnschaden mit cerebralem Anfallsleiden. Damit einher gehen Störungen im Sozialverhalten, die mit verbaler und tätlicher Aggressivität, mit Störungen im Anpassungsverhalten, mit sexuellen Auffälligkeiten im Sinne eines Exhibitionismus sowie einer Oligophrenie vom Grade der Debilität (IQ 57) verbunden sind. Eine Psychose oder eine Neurose liegt beim Angeklagten nicht vor. Der vom Landgericht vernommene Sachverständige hat ausgeführt, daû die abgeurteilte Tat sich auch nicht als blindwütiges Ausagieren mit Eigengesetzlichkeiten darstelle. Nachdem der Angeklagte 1990 zunächst in ein Heim des Diakoniewerkes aufgenommen und für ihn seit dem 18. Lebensjahr eine Betreuung angeordnet worden war, befand er sich seit Oktober des Jahres 2000 wiederholt wegen "aggressiver Agitationszustände" im Bezirkskrankenhaus Regensburg.
Zuvor war er in einer sog. beschützenden Einrichtung "nicht führbar gewesen", weil er verschiedene Male gegen Mitpatienten und Personal aggressiv vorging, namentlich biû und kratzte. In einem Falle war er mit einer Schere auf das Pflegepersonal losgegangen. Im Bezirkskrankenhaus Regensburg kam es zur verfahrensgegenständlichen Tat: Zwei Pflegekräfte wollten den Angeklagten in ein anderes Zimmer bringen. Im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit aufgrund seines beschriebenen Zustandes beschimpfte dieser eine weibliche Pflegekraft als "Hure, Nutte und Schlampe" und trat ihr mit dem Fuû in die rechte Magengegend sowie in die rechte Brustkorbseite. Dadurch erlitt diese eine Rippenprellung und hatte Bauchschmerzen.
b) Zur Begründung der Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte könne sich aufgrund der angeborenen Intelligenzminderung jederzeit in aggressive Erregungszustände hineinsteigern. In diesem Zustand seien weitere erhebliche rechtswidrige Straftaten zu erwarten. Obwohl er bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei, sei es in den zurückliegenden Jahren immer wieder zu aggressiven Durchbrüchen gekommen. So sei er gegen Mitpatienten und Pflegepersonal "in Form von Beiûen und Kratzen" aggressiv geworden und bei einer Gelegenheit habe er dem Pflegepersonal mit einer Schere gedroht. Er sei für die Allgemeinheit gefährlich, da jede Person, die mit ihm in räumliche Berührung komme, bei einem Aggressionsdurchbruch gefährdet sein könne. Der Verhältnismäûigkeitsgrundsatz stehe der Unterbringung nicht entgegen. Die bestehende zivilrechtliche Unterbringung könne durch den Betreuer jederzeit beendet werden. Die Sicherung der Allgemeinheit gebiete es, daû nicht allein der Betreuer über die Beendigung der Unterbringung entscheiden
könne. Eine Aussetzung der Anordnung zur Bewährung (§ 67 b StGB) komme nicht in Betracht. Die Unterbringung in einer geeigneten beschützenden Einrichtung sei aufgrund der Aggressivität des Angeklagten nicht möglich.
c) Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts unter Würdigung der Person, des Vorlebens und der Tat des Angeklagten bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäûigkeit wird den von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Der Angeklagte ist bisher unbestraft und war zur Tatzeit fast 27 Jahre alt. In die zu stellende Prognose wäre daher der bisherige Lebensweg weitergehend als geschehen einzubeziehen gewesen. Besonderer Erörterung hätten seine Lebensbedingungen und etwaige zurückliegende relevante Ausfallerscheinungen - wie auch deren etwaiges Fehlen - bedurft. Darüber hinaus wäre es erforderlich gewesen, die Ursachen für das vom Landgericht nur ganz allgemein gekennzeichnete frühere Aggressionsverhalten des Angeklagten darzustellen und darauf näher einzugehen. Dies gilt zumal im Blick darauf, daû zustandsbedingte Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen das Pflegepersonal und unter Umständen gegen Mitpatienten begangen werden, nur eingeschränkt Anlaû für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein können. Es bedarf dann der Erörterung, ob und inwieweit solche Taten oder Verhaltensweisen ihre Ursache auch in der durch die Unterbringung für den Betreffenden gegebenen Situation haben können (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26 = NStZ 1999, 611). Darüber hinaus ist die vom Landgericht sowohl im Zusammenhang mit der Verhältnismäûigkeitsprüfung als auch mit den Erwägungen zu einer etwaigen Aussetzung der Maûregel zur Bewährung angestellte Überlegung, eine bestehende zivilrechtliche Unterbringung sei nicht ausreichend, da sie vom
Willen des Betreuers abhänge, in dieser Allgemeinheit nicht tragfähig. Auf der Grundlage des Bayerischen Unterbringungsgesetzes hängt die Unterbringung unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG) von einem Antrag der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde und einer Entscheidung des nach § 70 Abs. 5 FGG zuständigen Gerichts ab (Art. 7 Abs. 3 BayUnterbrG). Nach allem wird der neue Tatrichter den bisherigen Lebensweg und das Verhalten des Angeklagten sowie seine im Urteil eher allgemein beschriebenen Aggressionen einschlieûlich deren Ursachen konkreter zu erörtern und auf dieser Grundlage eine tragfähige Prognose unter Berücksichtigung des Verhältnismäûigkeitsgrundsatzes abzugeben haben. Dabei - wie auch bei der Frage einer etwaigen Aussetzung der Maûregel zur Bewährung - wird schlieûlich die
Möglichkeit einer Unterbringung nach Landesunterbringungsrecht mit zu bedenken sein, wenngleich diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Aussetzung der strafrechtlichen Unterbringung nur dann rechtfertigen kann, wenn die landesrechtliche Unterbringung sich für die Pflege des Betroffenen und für die angestrebten Zwecke als günstiger erweist (vgl. nur BGHR StGB § 67 b Abs. 1 besondere Umstände 1, 3, 5). Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.
(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.
(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.
(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.
(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.
(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.