Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 308/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
- 2
- Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 18. Juni 2018 Folgendes ausgeführt: „Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Hierbei kann dahinstehen, ob die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten ausnahmsweise sowohl auf die fehlende Einsichts- als auch die nicht vorhandene Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (UA S. 12, 22). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (Senat, Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht bei der Prüfung, ob von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes erhebliche weitere Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, nicht in den Blick genommen hat, dass alle Taten im Rahmen der Strafhaft begangen wurden (UA S. 9 ff.). Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rdnr. 13 m.w.N.). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken , ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. Senat a.a.O. Rdnr. 15). Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Es hat lediglich dürftige Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen getroffen (UA S. 4 ff.). Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche nähere Angaben erfolgten Auflistung wiederholt auch mit Freiheitsstrafen ge- ahndete Gewalttaten in den Niederlanden und in Deutschland (BZR Nr. 3, 4). Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, dass auf Grund fehlender Krankheitseinsicht des Beschuldigten (UA S. 28) wahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu rechnen sei (UA S. 23 ff.). Die Strafkammer verhält sich jedoch nicht dazu, dass solche Verhaltensweisen, die der Beschuldigte während des Strafvollzugs gezeigt hat, innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Bewachungspersonal nicht ohne Weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen sind, die ein Täter außerhalb einer Justizvollzugsanstalt begeht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2002 - 5 StR 399/02, NStZ-RR 2002, 331; Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 25. April 2012 - 4 StR 81/12, NStZ-RR 2012, 271). Auf dieser Grundlage allein vermag die Gefahr, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleichgelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Insgesamt lässt das Urteil die für eine derart einschneidende Maßregel wie die nach § 63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint unerlässlich. Deshalb sind auch die zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen.“
- 3
- Dem tritt der Senat bei.
- 4
- Der neue Tatrichter wird das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie bei dem Beschuldigten bereits seit 2001 genauer zu prüfen sowie – für die Gefährlichkeitsprognose – die in den Niederlanden und Deutschland begangenen Vortaten näher in den Blick zu nehmen und darzustellen haben. Raum Fischer Bär Hohoff Pernice
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.