Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Sept. 2015 - 5 StR 311/15
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Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten des Totschlags schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Von der Verhängung einer Jugendstrafe hat es nach § 5 Abs. 3 JGG abgesehen. Das mit der Sachrüge geführte Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- 1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen kam es im Mai/Juni 2014 zu einem Streit zwischen dem 19-jährigen Angeklagten und dem später getöteten M. N. , in dessen Folge N. Anzeige bei der Polizei erstattete. Nachdem der hierüber wütende Angeklagte am Nachmittag vor dem Tattag gegenüber einem Bekannten geäußert hatte, dass er „M. ficke,wenn er ihn sehe“, kam es in der Nacht zum 18. Juli 2014 zu einem – zufälligen – Auf- einandertreffen des Angeklagten mit N. . Nach einer zunächst verbal und im Anschluss mit Fäusten geführten Auseinandersetzung ging der Angeklagte mit einem Klappmesser auf N. zu und stach mindestens vier Mal auf ihn ein, wobei er mit der Möglichkeit dessen Todes rechnete und sich damit abfand. N. verstarb infolge des hohen Blutverlusts.
- 3
- Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer „kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 61) auf der Basis einer Lernbehinderung bzw. einer leichten Intelligenzminderung“ im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit leidet und infolge dessen seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert war. Es hat dem Angeklagten eine Gefährlichkeitsprognose gestellt.
- 4
- 2. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt hat. Dadurch verliert auch die auf § 5 Abs. 3 JGG gestützte Entscheidung zum Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe ihre Grundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 seelische Abartigkeit 6).
- 5
- a) Schon die Annahme einer gravierenden Persönlichkeitsstörung ist nicht hinreichend belegt. Angesichts des unspezifischen Störungsbildes (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 9. Aufl., S. 284) hätte es näherer Darlegungen bedurft, um eine Nachvollziehbarkeit und Beurteilung der Schlüssigkeit des Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen zu ermöglichen.
- 6
- Soweit das Landgericht im Rahmen der zusammenfassenden Darstellung der Angaben der psychiatrischen Sachverständigen etwa darauf abstellt, der Angeklagte „habe eine dissoziale Verhaltensbereitschaft, die sich insbesondere in nahezu extremer Schuldexternalisierung sowie einer sehr geringen Frustrationstoleranz ausdrücke“, zudem spreche sein „impuIsives‚ aufschie- ßendes und unkontrolliertes Verhalten auch außerhalb des Delinquenzbe- reichs“ für das Vorliegen einer entsprechenden Störung (UA S. 19), so findet dies in den Urteilsgründen keine hinreichende Stütze. Das Landgericht teilt die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen der Sachverständigen nicht mit. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, sind sie nicht zu entnehmen. Insofern wäre insbesondere zu erörtern gewesen, ob und gegebenenfalls wie die bisherige Kriminalität des Angeklagten, die Taten aus unterschiedlichen Deliktsbereichen betrifft, mit der angenommenen Persönlichkeitsstörung in Bezug steht.
- 7
- b) Darüber hinaus begegnet die Einordnung der Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Abartigkeit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es ist zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10: F 61 führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB. Das Urteil nimmt insoweit keine eigene wertende Betrachtung des Schweregrades der Störung und ihrer Tatrelevanz vor (vgl. nur BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 5 StR 168/14 mwN). Dieser hätte es im Hinblick auf das Alter des Angeklagten in besonderem Maße bedurft.
- 8
- 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Werdegang des Angeklagten differenzierter als bislang festzustellen sein wird, um die Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB tragfähig vornehmen zu können. Auch die Hintergründe der noch offenen Ermittlungsverfahren zum Nachteil der Eheleute W. , zum Nachteil des J. sowie die Anträge des R. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Angeklagten werden in den Blick zu nehmen sein. Das Verschlechterungsverbot stünde der Verhängung einer Jugendstrafe nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen
3).
Sander Ri’inBGH Dr. Schneider König ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Sander
Bellay Feilcke
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.