Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2002 - 5 StR 203/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) im Schuldspruch dahin abgeändert , daß die Verurteilungen wegen tateinheitlicher Vergewaltigung und wegen tateinheitlicher sexueller Nötigung entfallen; der Angeklagte ist schuldig des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in sechs Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen, in zwei Fällen ferner in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sowie des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 18 Fällen , davon in 13 Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten;
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Miûbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Beischlaf zwischen Verwandten in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit sexuellem Miûbrauch eines Kindes, wegen sexuellen Miûbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Miûbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit sexueller Nötigung, sowie wegen sexuellen Miûbrauchs einer Schutzbefohlenen in 15 Fällen, davon in zehn Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, zu sechs Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt in sieben Fällen zur Schuldspruchänderung – Wegfall des jeweils tateinheitlich abgeurteilten sexuellen Gewaltverbrechens – und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung hat sich das Landgericht davon überzeugt, daû der Angeklagte in der Zeit von 1994 bis 1997 die Nebenklägerin , seine leibliche Tochter, 24mal sexuell miûbraucht hat: 15mal vollzog der Angeklagte den Beischlaf mit der Nebenklägerin, davon zweimal vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres, neunmal nahm er sexuelle Manipulationen an seiner Tochter vor, davon viermal vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres.
In den beiden ersten auch als tateinheitliche sexuelle Nötigung abgeurteilten Fällen manuellen Miûbrauchs und in den fünf auch als tateinheitliche Vergewaltigung abgeurteilten Fällen des Beischlafs hat das Landgericht aufgrund der Zeugenaussage der Nebenklägerin jeweils rechtsfehlerfrei festgestellt, daû das Mädchen, das mit den sexuellen Handlungen des An- geklagten nicht einverstanden war, weglaufen wollte oder Gegenwehr auszuüben suchte, indem es den Angeklagten wegzuschieben oder wegzustoûen versuchte. Soweit der Angeklagte ihre Gegenwehr durch Festhalten oder den Einsatz überlegener Körperkraft im Rahmen der von ihm vorgenommenen Sexualhandlungen überwand, ist ± jedenfalls in der Mehrzahl der sieben Fälle ± der Einsatz körperlichen Zwanges in Form von Gewaltanwendung “in einem unterdurchschnittlichen Bereich” zur Überwindung “nur geringer Gegenwehr” (UA S. 29) bei Durchsetzung der sexuellen Handlungen objektiv noch ausreichend festgestellt. Angesichts des sonst ausgesprochen guten Verhältnisses des Angeklagten zu seiner miûbrauchten Tochter, des vom Landgericht selbst hervorgehobenen durchweg geringen Ausmaûes des eingesetzten Kraftaufwandes, der alsbald und insgesamt bei der Mehrzahl der Fälle gänzlich ausgebliebenen Gegenwehr und hier festgestellter Bemerkungen des Angeklagten während der Tatausführung (UA S. 7, 10) kann der Senat letztlich in sämtlichen auch als tateinheitliche sexuelle Gewaltverbrechen abgeurteilten Fällen durchgreifende Bedenken dagegen nicht überwinden, ob die bewuûte Ausübung von Gewalt zur Durchsetzung der unerlaubten Sexualhandlungen durch den sämtliche Taten umfassend bestreitenden Angeklagten ausreichend belegt ist. Eine weitergehende hinreichende Aufklärung vorsätzlicher Gewaltausübung erscheint wenig aussichtsreich ; sie ist insbesondere der Nebenklägerin, die zu Details nochmals eingehend zu befragen wäre, nicht zuzumuten. Mithin entscheidet der Senat zum Schuldspruch abschlieûend in der Weise, daû er die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Gewaltverbrechen entfallen läût.
Dies führt, da jeweils die Verurteilung wegen des strafrahmenbestimmenden Strafgesetzes (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB) betroffen ist, unmittelbar zur Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen und zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich; da die höchsten Einzelstrafen betroffen sind, müssen aber auch die übrigen, bei ihrer Bemessung möglicherweise von der insgesamt etwas zu schweren Gewichtung der gesamten Tatserie mitbestimmten Einzelstrafen mitaufgehoben werden.
Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es nicht. Der neue Tatrichter wird über die Bestrafung des Angeklagten unter Berücksichtigung des reduzierten Schuldumfanges und im übrigen auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, die lediglich durch widerspruchsfreie Feststellungen ergänzt werden dürfen, zu entscheiden haben. Dabei wird er allerdings den auûergewöhnlich groûen Abstand von über vier Jahren von der Anzeigeerstattung und Verhaftung und Haftverschonung des Angeklagten bis zu seiner erstinstanzlichen Aburteilung sowie von etwa drei Jahren zwischen Anklage bzw. Eröffnungsbeschluû und erstinstanzlicher Aburteilung besonders zu beachten, die Ursachen hierfür zu prüfen und hierüber Feststellungen zu treffen haben. Bislang ist den gegebenen zeitlichen Besonderheiten mit einer eher beiläufigen strafmildernden Erwähnung (UA S. 28) kaum hinreichend Rechnung getragen worden. Da für die immense Verfahrensdauer kein sachlich vertretbarer Grund erkennbar ist, wird der neue Tatrichter insbesondere zu prüfen haben, ob es im vorliegenden Fall zu einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoûenden Verfahrensverzögerung gekommen ist. Diese wird gegebenenfalls genau festzustellen sein; ihr müûte dann insbesondere durch eine ± regelmäûig unerläûliche ± spezielle Strafzumessung Rechnung getragen werden, in der das Maû der hierfür zu- gebilligten Kompensation genau bestimmt wird (vgl. BGHSt 45, 308, 309; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13; jeweils m. w. N.; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2002 ± 5 StR 201/02 und 5 StR 237/02).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.