Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2018 - 4 StR 530/17
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. Februar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte im Fall 2 des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (Fall 1) sowie wegen „Verkehrsunfallflucht“ in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßen- verkehrs (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es Fahrerlaubnismaßnahmen angeordnet; die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils führt im Fall 2 zu einer Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs. Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen , dass der Angeklagte insoweit vorsätzlich handelte.
- 3
- Das Landgericht hat weder festgestellt noch belegt, dass der Angeklagte nach dem von ihm bemerkten Entlangschrammen an der Bordsteinkante der Straßenbahnhaltestelle seine Fahrt nunmehr im Wissen und zumindest unter billigender Inkaufnahme seiner alkoholbedingten Fahruntauglichkeit fortsetzte. Vielmehr ergeben auch die Urteilsgründe im Übrigen, dass das Landgericht im Fall 2 – Auffahren des Angeklagten auf das Gebäude der Hauptpost mit Verursachung eines Sachschadens in Höhe von 20.000 Euro – in Bezug auf den Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs – wie im Fall 1 – nur von einer Fahrlässigkeitstat des Angeklagten gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1. a), Abs. 3 Nr. 2 StGB ausgegangen ist. Der Schuldspruch ist deshalb entsprechend zu ändern.
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- Im Übrigen weist der Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
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- 2. Der Strafausspruch hält indes sachlich-rechtlicher Prüfung insgesamt nicht stand, weil das Landgericht die Ablehnung einer erheblichen Verminde- rung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht tragfähig begründet hat.
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- a) Die Ausführungen des Landgerichts weisen insoweit bereits durchgreifende Widersprüche auf, die eine Überprüfung der Annahme, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen, nicht zulassen.
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- Die Strafkammer hat zur Begründung der Ablehnung der Voraussetzungen des § 21 StGB darauf verwiesen, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt durch ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ beeindruckt und seinen LKW über die gesamte Fahrt „vollumfänglich im Griff“ gehabt; er sei über einen Groß- teil der Fahrt den Anforderungen an ein situationsadäquates Verhalten gerecht geworden. Damit nicht in Einklang zu bringen sind die festgestellten und vom Landgericht ausdrücklich als alkoholbedingt bezeichneten Wahrnehmungsbeeinträchtigungen , die beim Angeklagten während der Fahrt zu Tage traten und zu erheblichen Fahrfehlern führten. So ist das Landgericht davon ausgegangen, der Angeklagte habe die der Verurteilung im Fall 1 zugrunde liegende Kollision mit dem Fahrradfahrer aufgrund seiner Alkoholisierung zu spät oder möglicherweise gar nicht wahrgenommen, denn gerade bei dieser Kollision hätten sich die typischen Alkoholauswirkungen „in Form der Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit“ ausgewirkt. Auch der vom Landgericht festgestellte weitere Fahrtverlauf, neben dem Missachten von Rotlicht zeigenden Ampeln insbesondere die längere, von (Beinahe-)Kollisionen begleitete Fahrt über eine von der Fahrbahn abgesetzte Straßenbahntrasse, weist, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, auf das Vorliegen von erheblichen Wahrnehmungsstörungen beim Angeklagten hin. Mit der Annahme, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ gezeigt und die Fahrt „vollumfäng- lich im Griff“ gehabt, lassen sich diese auf alkoholbedingte Wahrnehmungsdefi- zite zurückzuführenden Fahrfehler nicht vereinbaren.
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- b) Von diesen Widersprüchen abgesehen lassen die Ausführungen des Landgerichts zudem besorgen, dass es dem Fehlen wesentlicher Ausfallerscheinungen bei Feststellung des Angeklagten am Unfallort eine zu große Bedeutung bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung beigemessen hat.
- 9
- Soweit die Strafkammer – der Sachverständigen folgend – gemeint hat, die für die Schuldfähigkeitsbeurteilung maßgebliche hohe Blutalkoholkonzentration des Angeklagten (3,05 ‰) könne deswegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht begründen, weil der alkoholabhängige Angeklagte alkoholgewöhnt gewesen sei und (auch) bei seiner Feststellung nach dem Unfall keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe – er habe auf Fragen „im Kontext“ geantwortet , er sei weder getorkelt noch habe er gelallt oder Denkstörungen aufgewiesen –, hat es nicht bedacht, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus auseinanderfallen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696; vom 17. August 2011 – 5 StR 255/11, StV 2012, 281 f.; und vom 2. Juli 2015 – 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525 ff.; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 23a). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene Kompensationsfähigkeit insbesondere im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten. Dem Verhalten nach der Tat kommt in diesem Zusammenhang nur geringe Aussagekraft zu, weil, was das Landgericht ebenfalls nicht erkennbar bedacht hat, bei dem Angeklagten durch den Unfall eine Ernüchterung eingetreten sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 – 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 311; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109; Schönke/Schröder/Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 20 Rn. 16d mwN).
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- 3. Die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Form der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann hingegen bestehen bleiben. Die zwar knappe Begründung, es bestehe beim Angeklagten keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, trägt die ablehnende Entscheidung des Landgerichts mit Blick darauf, dass der Angeklagte zum einen der deutschen Sprache nicht mächtig ist und zum anderen eine Verweigerungshaltung in Bezug auf die Durchführung einer Alkoholentwöhnungsbehandlung zum Ausdruck gebracht hat.
Feilcke Paul
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.