Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2019 - 1 StR 448/18

published on 23/01/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2019 - 1 StR 448/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 448/18
vom
23. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:230119B1STR448.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 23. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 11. April 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, 120 Tage der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt sowie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Begründung der Strafkammer, mit der sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
1. Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten abgelehnt, obgleich es festgestellt hat, dass dieser – wie auch die weiteren nicht revidierenden Mitangeklagten – bei der Tat ganz erheblich alkoholisiert gewesen sei, zum Tatzeitpunkt täglich durchschnittlich zehn bis 15 Flaschen Bier sowie Wodka in erheblichem Umfang getrunken habe und eine ausgeprägte Alkoholproblematik im Sinne eines Missbrauchs bzw. ein chronisch exzessiver Alkoholkonsum vorliege. Die Strafkammer hat ausgeführt, der psychiatrische Sachverständige habe auf der Grundlage der Angaben des Ange- klagten in der Hauptverhandlung, der eine „ziemlich genaue Erinnerung“ an das Geschehen vom 6. Juli 2017 habe, eine krankhafte seelische Störung aufgrund einer schweren Alkoholintoxikation zur Tatzeit ausgeschlossen. Nach den eigenen Schilderungen des Angeklagten sei aus psychiatrischer Sicht nicht einmal von einer alkoholbedingten Enthemmung auszugehen, da er sich selbst als emotional unbeteiligt und sein Handeln als durchaus überlegt beschreibe. Das Landgericht ist im Anschluss an die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen von erhaltener Steuerungsfähigkeit ausgegangen und hat ergänzend darauf abgehoben, dass der Angeklagte motorisch noch in der Lage gewesen sei, über Stiegen in den 2. Stock eines Holzlagers zu gelangen.
4
2. Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die vom Landgericht vorgenommene Würdigung psychodiagnostischer Faktoren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das vom Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen herangezogene Kriterium des angeblich genauen und detaillierten Erinnerungsvermögens ist angesichts des Umstandes, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten zum unmittelbaren Tatgeschehen – in rechtlich nicht zu beanstandender Weise – nicht für glaubhaft hält, schon deshalb nicht tragfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137, 138). Zudem ist der indizielle Beweiswert eines intakten Erinnerungsvermögens für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit ganz generell problematisch (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 20 Rn. 24a f.). Auch der zweite vom Landgericht herangezogene Gesichtspunkt , dass der Angeklagte über Stiegen in den 2. Stock des Holzlagers gelangte , erweist sich als nicht rechtsfehlerfrei. Abgesehen davon, dass die äußere Beschaffenheit der Stiegen schon nicht so hinreichend beschrieben ist, dass sich das Leistungsvermögen des Angeklagten hieraus ersehen ließe, ist der Gesichtspunkt für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das Landgericht hat dabei nämlich nicht bedacht und erörtert, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus weit auseinander fallen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2018 – 4 StR 530/17, NStZ-RR 2018, 136; vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109 und vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696). Bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmo- torischer Auffälligkeiten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2018 – 4 StR 530/17, aaO und vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, aaO; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 20 Rn. 23a).
6
b) Das Landgericht hat zudem die Einlassung des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum am Tattag nicht mitgeteilt, sondern lediglich darauf verwiesen , dass seine Angaben keine Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zuließen (UA S. 87). Von einer entsprechenden Berechnung ist ein Tat- gericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258 und vom 20. November 1990 – 2 StR 424/90, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, aaO und vom 17. März 1994 – 4 StR 54/94, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29; Urteil vom 13. Mai 1993 – 4 StR 183/93, StV 1993, 519).
7
3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung des psychischen Zustands des Angeklagten zur Tatzeit zur Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre, von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht und auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkannt hätte. Eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten liegt auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen sicher nicht vor. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen zum Strafausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung der Alkoholisierung des Angeklagten und damit zu den Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen.
8
4. Die für sich genommen rechtsfehlerfreie Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann bestehen bleiben. Das neue Tatgericht wird allerdings, sollte es zu der Verhängung einer zeitigen Freiheits- strafe gelangen, eine Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zu treffen haben.
Raum Bär Hohoff
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.