Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2008 - 4 StR 507/07
published on 22/01/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2008 - 4 StR 507/07
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Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 507/07
vom
22. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Kreditbetruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 22. Januar 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Angeklagten Dieter und Johannes L. wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. März 2007, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Kreditbetruges in zehn Fällen und wegen Betruges zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Zwar sind die Sachrügen unbegründet, da weder die Schuldnoch die (maßvollen) Rechtsfolgenaussprüche Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufweisen. Die Revisionen haben aber mit einer Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie nach § 338 Nr. 2 StPO beanstanden, dass ein gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossener Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat.
- 2
- 1. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Bereits während des Ermittlungsverfahrens war von der Verteidigung des Angeklagten Dieter L. dessen Verhandlungsunfähigkeit behauptet worden. Unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung am 15. Januar 2004 wurde ein Schreiben von Prof. Dr. W. vom 13. Januar 2004 vorgelegt, in dem dieser dem Verteidiger mitteilte, der Angeklagte sei seit dem 9. Januar 2004 "wegen einer depressiv-ängstlichen Belastungsreaktion verbunden mit schweren kognitiven Ausfällen vom Ausmaß einer Demenz" in stationärer Behandlung und - nach Einschätzung des Arztes - nicht verhandlungsfähig; allerdings sei seine Anwesenheit bei der Verhandlung vor dem Landgericht Münster unter der Voraussetzung einer ständigen Begleitung durch einen erfahrenen Fachkrankenpfleger für Psychiatrie vertretbar. In der Hauptverhandlung vom 5. und 10. Februar 2004 wurde Prof. Dr. W. als sachverständiger Zeuge zum Gesundheitszustand des Angeklagten Dieter L. vernommen. Dabei äußerte er sich auch zu einer von ihm ausgestellten ärztlichen Bescheinigung zur Vorlage beim Gericht vom 25. September 2002, in der er dem Angeklagten "schwere kognitive Störungen und Wesensänderungen auf dem Boden eines hirnorganischen Prozesses" und eine hieraus folgende dauerhafte Vernehmungs- und Verhandlungsunfähigkeit attestiert hatte. Er gab an, dieses Attest auf Veranlassung der Eheleute L. und der damaligen Verteidiger verfasst zu haben; erstere hätten ihn sinngemäß gefragt, ob er nicht helfen und Dieter L. das Strafverfahren ersparen könne. Am 13. Februar 2004 leitete die Staatsanwaltschaft gegen Prof. Dr. W. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse und der versuchten Strafvereitelung ein. In diesem Ermittlungsverfahren wurde der Berichterstatter des vorliegenden Verfahrens am 26. Juli 2004 von der Staatsanwaltschaft förmlich als Zeuge dazu vernommen, welche Angaben Prof. Dr. W. in der Hauptverhandlung gemacht habe. Dabei verglich er die ihm vorgelesenen Mitschriften der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mit seinen eigenen; er bestätigte, dass diese nahezu identisch seien, und gab geringfügige Abweichungen an. Abschließend sagte er - nach einer Wertung befragt - aus, dass Prof. Dr. W. nicht alle als Anknüpfungstatsachen zu berücksichtigenden Verhaltensweisen angegeben habe. Auch nach dieser Vernehmung übte der Berichterstatter bis zur Urteilsverkündung am 16. April 2007 sein Richteramt in dieser Sache aus.
- 3
- 2. Die von beiden Revisionsführern zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Der Berichterstatter war seit seiner zeugenschaftlichen Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft für das vorliegende Verfahren nach § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist. Durch diese Regelung soll mit Rücksicht auf das Ansehen der Strafrechtspflege bereits der Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit vermieden werden. Davon ausgehend ist es ohne Bedeutung, dass die zeugenschaftliche Vernehmung des Richters in einem anderen Verfahren erfolgt ist, da auch in einem solchen Fall der Anschein einer Voreingenommenheit allgemein gegeben sein kann. Der Bundesgerichtshof hat daher bereits mehrfach entschieden, dass Sachgleichheit nicht Verfahrensidentität bedeutet und auch dann vorliegt, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren als Zeuge zu demselben Geschehen vernommen worden ist, das er für die Beurteilung des ihm vorliegenden Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewerten muss (vgl. BGHSt 31, 358, 359; BGH NStZ 2006, 113, 114; StraFo 2007, 415).
- 4
- Weiterhin ist der Berichterstatter durch die Staatsanwaltschaft förmlich als Zeuge vernommen worden. Hierin unterscheidet sich der Fall von anderen Sachverhalten, bei denen ein Richter lediglich eine dienstliche Erklärung über Vorgänge abgibt, die den Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens betreffen und die er im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit in dieser Sache wahrgenommen hat (vgl. hierzu BGHSt 44, 4, 9 f.; 45, 354 f.).
- 5
- Schließlich ist der Berichterstatter auch zum Tatgeschehen vernommen worden. Darunter ist nicht nur die Wiedergabe eigener Wahrnehmungen zum Tatgeschehen zu verstehen, vielmehr wird jede Äußerung des Zeugen zu solchen Fragen erfasst, die im Hinblick auf die Schuld- und Straffrage richterlicher Würdigung bedürfen (vgl. BGHSt 31, 358, 359 f.; BGH NStZ 2006, 113, 114; StraFo 2007, 415). Vorliegend hat der Richter in dem Ermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. W. Angaben dazu gemacht, was dieser als sachverständiger Zeuge in dem vorliegenden Verfahren zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Dieter L. , der Erteilung zweier ärztlicher Bescheinigungen und deren Zustandekommen ausgesagt hat. In diesem Zusammenhang hat der Richter, nach seiner Wertung befragt, angegeben, dass Prof. Dr. W. nicht sämtliche, als Anknüpfungspunkte bedeutsame Verhaltensweisen des Angeklagten mitgeteilt habe.
- 6
- Der Inhalt der Aussage des sachverständigen Zeugen war vorliegend nicht nur für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Dieter L. von Bedeutung ungeachtet dessen, dass das Landgericht dazu einen Sachverständigen hinzugezogen hatte. Die Frage, ob es sich bei den ärztlichen Bescheinigungen um falsche Gesundheitszeugnisse ("Gefälligkeitsatteste") handelte, war vielmehr auch für die Beweiswürdigung und die Strafzumessung bedeutsam. Das Landgericht hat die Glaubhaftigkeit der Angaben des die Angeklagten bezüglich ihrer Kreditbetrügereien belastenden Zeugen Wa. unter anderem damit begründet, dass dessen Bekundungen zu der von ihm geschilderten Verteidigungsstrategie (Vorschieben von Verhandlungsunfähigkeit), die ihm der Angeklagte Dieter L. für den Fall der Entdeckung seiner strafbaren Machenschaften angekündigt hatte, durch den Prozessverlauf bestätigt worden seien; der Angeklagte Dieter L. habe in der Tat "durch eine Vielzahl von Anträgen und Vorlage von Gutachten versucht, eine vorgebliche Verhandlungsunfähigkeit zu belegen" (UA 856). Weiterhin hat das Landgericht hinsichtlich der Beschwerdeführer die strafmildernde Wirkung der langen Verhandlungsdauer unter anderem deswegen relativiert, weil diese Dauer - neben weiteren Verzögerungsstrategien - auf der Vorlage diverser Gutachten und darauf gestützter Anträge zur Frage des Gesundheitszustandes des Angeklagten Dieter L. beruhe (UA 968). Die Frage, ob es sich bei den ärztlichen Bescheinigungen um auf Veranlassung des Angeklagten Dieter L. erstellte unrichtige Gesundheitszeugnisse handelte, ist demnach von dem dazu als Zeugen vernommenen Richter in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewertet worden. Dies bedingt gemäß § 22 Nr. 5 StPO seinen Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes im vorliegenden Verfahren und hat die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge.
- 7
- 3. Diese Rechtsfolge wird zu bedenken sein, wenn ein Gerichtspräsident über die Erteilung einer Aussagegenehmigung für einen während einer laufenden Hauptverhandlung als Zeugen benannten Richter zu befinden hat. Der Strafrechtspflege erwächst durch die Versagung der Aussagegenehmigung in derartigen Fällen kein Nachteil, da die Staatsanwaltschaft vorzugsweise andere Personen, die an der Verhandlung teilgenommen haben, als Zeugen zu den in Frage stehenden Tatsachen hören kann (vgl. BGHSt 31, 354, 361 f.; BGH StraFo 2007, 415).
Solin-Stojanović Ernemann
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Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid
Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, 1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist;2. wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist;3.
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Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid
Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, 1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist;2. wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist;3.
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published on 22/05/2014 00:00
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 430/13 vom 22. Mai 2014 Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja _______________________________ StGB § 263 Abs. 1; StPO § 267 Abs. 1, § 261 Zu den Anforderungen a
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Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
- 1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn - a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder - b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und - aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, - bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder - cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
- 2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; - 4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; - 5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; - 6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; - 7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind; - 8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen,
- 1.
wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist; - 2.
wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist; - 3.
wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war; - 4.
wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist; - 5.
wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.