Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2014 - 4 StR 397/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Die Angeklagte A. hat es unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte H. zu einer solchen von drei Jahren verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- Die von der Angeklagten A. erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
II.
- 3
- 1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der von beiden Angeklagten erhobenen Sachrüge hat zu den Schuldsprüchen keinen die Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
- 4
- 2. Die Strafaussprüche halten jedoch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, beide Angeklagte seien zum Zeitpunkt der Tatbegehung voll schuldfähig gewesen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 5
- a) Nach den Feststellungen erörterten die Angeklagten am Nachmittag des 12. Januar 2014 in der Wohnung der Angeklagten H. verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer jeweils prekären finanziellen Situation und tranken dabei mehrere Flaschen Bier. Durch den genossenen Alkohol enthemmt , fassten sie den Plan, in einer nahe gelegenen Spielhalle die Tageskasse an sich zu bringen und begaben sich gegen 20.00 Uhr zum Tatort. Wie abgesprochen , sprühte die Angeklagte H. in der Spielhalle der als Aufsicht tätigen Nebenklägerin aus einer mitgeführten Flasche unvermittelt Reizgas ins Gesicht, um sie außer Gefecht zu setzen und stieß sie zu Boden. Gemeinsam mit der Angeklagten A. , die nach ihr die Spielhalle betreten hatte und die ein Küchenmesser mit sich führte, versetzte sie der laut um Hilfe rufenden Nebenklägerin Schläge und Fußtritte. Als sich ein Besucher der Spielhalle, der Zeuge D. , für die Angeklagten unerwartet aus dem Toilettenbereichdem Geschehen näherte und drohte, er werde die Polizei rufen, waren diese „völlig geschockt“, sahen ihren Plan als gescheitert an und rannten zur Ausgangstür. Da diese klemmte, gelang es den Angeklagten „in ihrer Panik“ nicht, sie zu öffnen ; sie wandten sich zurück in den Gastraum, um einen Hintereingang zu suchen. Letztlich gelang ihnen die Flucht über ein Treppenhaus im vorderen Bereich des Gebäudes.
- 6
- b) Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat ausgeschlossen. Zwar hätten die Angeklagten möglicherweise in der Zeit von 15.30 bis 20.00 Uhr jeweils nahezu dreieinhalb Liter Bier konsumiert. Dies habe bei beiden aber lediglich zu einer alkoholbedingten Enthemmung geführt. Die Angeklagten seien zu planvollem und zielgerichtetem Vorgehen in der Lage gewesen und hätten auf unvorhergesehene Situationsänderungen wie das Auftauchen des Zeugen D. adäquat reagiert. Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen während der Tatausführung hätten sich nicht ergeben. Die von beiden Angeklagten behaupteten Erinnerungslücken könnten für sich allein die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit nicht rechtfertigen.
- 7
- 3. Mit diesen Erwägungen hat die Strafkammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit der Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
- 8
- a) Der Tatrichter muss Angaben eines Angeklagten zum Alkoholgenuss, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen (Senatsurteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; BGH, Beschluss vom 31. Mai 1988 – 3 StR 203/88, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 13). Hält er diese dennoch für glaubhaft oder – wie hier – unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes für nicht widerlegbar, so hat er, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu berechnen und seiner weiteren Beweiswürdigung zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1991 – 3 StR 473/90, BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 12). Daran fehlt es hier.
- 9
- b) Auf Grund der Feststellungen zu Art und Menge des von beiden Angeklagten genossenen Alkohols und infolge fehlender überprüfbarer Berechnungsgrundlagen kann im vorliegenden Fall aber nicht ausgeschlossen werden, dass diese zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2 ‰ oder mehr aufwiesen. Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 ‰ ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109; Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137). Das war hier erörterungsbedürftig.
- 10
- Gewichtige psychodiagnostische Gegenindizien, die geeignet sein könnten , die Indizwirkung der Blutalkoholkonzentration für die Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten zu relativieren, lassen sich dem Urteil entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht entnehmen. Die Wertung der Strafkammer, die Angeklagten hätten sich planvoll und zielgerichtet verhalten und auf das unvorhergesehene Hinzutreten des Zeugen D. adäquat reagiert , steht vielmehr im Widerspruch zu den Feststellungen. Danach trägt bereits das Gesamtbild der Tatausführung deutliche Züge einer spontanen und unüberlegten Handlung in „durch den genossenen Alkohol enthemmter Stimmung“. Das unerwartete Erscheinen des Zeugen D. führte dazu, dass die Angeklagten „völlig geschockt“ innehielten und sich sofort zur Flucht wand- ten. Es gelang ihnen nicht, die klemmende Ausgangstür zu öffnen, da sie sich „in Panik“ befanden, deshalb flüchteten sie in den Gastraum zurück in Richtung eines vermuteten Hinterausgangs und änderten danach nochmals ihre Fluchtrichtung , um dann letztlich über einen Ausgang an einem Treppenhaus zu entkommen.
Franke Quentin
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.