Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2012 - 4 StR 345/12

published on 26/09/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2012 - 4 StR 345/12
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 345/12
vom
26. September 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu Ziff. 1. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
zu Ziff. 2. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 26. September 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Mai 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen. 3. Die Revision des Angeklagten B. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte B. hat die Kosten seinesRechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, den Angeklagten D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verur- teilt. Ferner hat es bezüglich des Angeklagten B. den Verfall von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 41.450 €, bezüglich des Angeklagten D. in Höhe eines Betrages von 2.010 € angeordnet. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Während die Revision des Angeklagten B. keinen Erfolg hat, führt das Rechtsmittel des Angeklagten D. zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.


2
Die Revision des Angeklagten B. ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


3
Hingegen hat das Rechtsmittel des Angeklagten D. Erfolg. Die Annahme des Landgerichts von 17 Bewertungseinheiten mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1, 3 Nr. 1 BtMG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine einheitliche Tat des unerlaubten Handeltreibens anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28, 31; Senatsurteil vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4; BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, NJW 2002, 1810). Alle Be- tätigungen, die sich auf den Vertrieb desselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittels richten, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zwecke gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, bereits den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen (BGH, jeweils aaO).
5
2. Gemessen daran hat die Strafkammer zwar, im Ansatz zutreffend, die Bildung von Bewertungseinheiten für die vom Angeklagten durchgeführten Einzelverkäufe in Betracht gezogen, soweit die gehandelten Betäubungsmittel einer einheitlichen, größeren Erwerbsmenge entstammten; die Bildung von 17 Bewertungseinheiten beruht indes auf widersprüchlichen und damit rechtsfehlerhaften Erwägungen.
6
a) Das Landgericht hat seine Feststellungen zu den von dem Angeklagten D. durchgeführten Einzelverkäufen auf dessen "vollumfängliche geständige Einlassung" gestützt. Danach erhielt der Angeklagte von dem Mitangeklagten B. jeweils eine Gesamtmenge von bis zu 50 Bubbles in Größen von 0,1 bis 0,3 Gramm Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf und wurde für diese Tätigkeit von B. mit 50 bis 60 € pro Tag entlohnt. Eine neue, ähnlich große Teilmenge Kokain erhielt der Angeklagte erst, wenn er die zuvor in Empfang genommene Menge verkauft hatte. Im Regelfall suchte D. den B. zu diesem Zweck täglich auf, die einer Teilmenge zugehörigen Bubbles reichten indes in einigen Fällen auch mehrere Tage aus, weshalb der Angeklagte in seiner Wohnung ein Lager mit einem kleinen Kokainvorrat unterhielt. Dementsprechend trafen sich die beiden Angeklagten zwar in der Regel täglich, mitunter aber auch erst nach zwei bis drei Tagen, um die Verkäufe abzurechnen. Bei der rechtlichen Würdigung ist die Strafkammer hingegen für den Tatzeitraum vom 11. bis zum 27. September 2011 von insgesamt 17, jeweils an einem Tag verkauften Teilmengen ausgegangen. Der Angeklagte D. sei nach seiner eigenen geständigen Einlassung jeweils an vielen Tagen "vollständig ausverkauft" gewesen. Die Bildung mehrere Tage umfassender Bewertungseinheiten sei nicht in Betracht gekommen, da keine Feststellungen zu den Zeitpunkten und dem Umfang der Betäubungsmittel-Auffüllungen mit kleinen Mengen über einen längeren Zeitraum hinaus hätten getroffen werden können, die eine sichere Grundlage für die Bildung von anderen Handlungsabschnitten hätten ergeben können (UA 52).
7
b) Mit dieser Begründung durfte das Landgericht die Bildung von Bewertungseinheiten , welche die Verkäufe des Angeklagten an mehr als einem Tag umfassten, nicht ablehnen. Zwar gebietet es der Zweifelssatz nicht, von einer Tat im Sinne einer Bewertungseinheit auszugehen, wenn lediglich eine nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass mehrere veräußerte Kleinmengen aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren; auch eine willkürliche Zusammenfassung kommt nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. März 2002 aaO). Vor dem Hintergrund der ausdrücklich als glaubhaft bewerteten geständigen Einlassung des Angeklagten D. , die das Landgericht seinen Feststellungen in vollem Umfang zugrunde gelegt hat, bestanden im vorliegenden Fall jedoch konkrete Anhaltspunkte, die Anlass boten, der Frage nachzugehen, ob in einigen der festgestellten Fälle das vom Angeklagten an mehreren Tagen gewinnbringend weiterveräußerte Kokain aus einer vom Mitangeklagten B. angelieferten Gesamtmenge stammte. Lassen sich, wie die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nahe legen, insoweit genauere Feststellungen mit angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen, hat der Tatrichter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung vorzunehmen. Die von der Recht- sprechung insoweit für die vergleichbare Konstellation von Serientaten entwickelten Grundsätze müssen auch bei der hier gegebenen Situation Anwendung finden, bei der der Gesamtschuldumfang durch die Zahl und die jeweilige Menge der Einzelverkäufe innerhalb eines bestimmten Zeitraums feststeht, ferner konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einzelverkäufe jeweils größeren Einkaufsmengen entstammen und deshalb aus Rechtsgründen zu Bewertungseinheiten zusammengefasst werden müssen, die genaue Zuordnung bestimmter Verkäufe zu bestimmten Erwerbsmengen jedoch Schwierigkeiten bereitet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. März 2002 aaO mwN). Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 636/98, NStZRR 1999, 218) besagt nichts anderes: Im damaligen Fall war der Tatrichter jedoch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte jeweils täglich nur die Mengen verkaufte, die er auf Grund einer vorherigen Absprache mit seinem Mittäter von diesem als Gesamtmenge zum Zwecke des Weiterverkaufs an diesem Tag erhalten hatte. So liegt der Fall jedoch hier, wie ausgeführt, gerade nicht.
8
3. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Annahme einer geringeren Zahl von Bewertungseinheiten eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt worden wäre.

III.


9
Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird nicht nur die erforderliche Schätzung vor dem Hintergrund der geständigen Angaben des Angeklagten vornehmen, sondern auch über die Frage der Anordnung von Wertersatzverfall neu befinden müssen.
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.