Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2019 - 4 StR 329/19

published on 10/10/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2019 - 4 StR 329/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 329/19
vom
10. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. + 3.: unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
zu 2.: Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2019:101019B4STR329.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 10. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz)
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass der Angeklagte R. des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der Angeklagte P. der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der Angeklagte I. des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen schuldig ist,
b) in den Strafaussprüchen betreffend die Angeklagten R. und P. insgesamt und betreffend den Angeklagten I. in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II. 7. bis 11. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben. 1. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmit- tel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, den Angeklagten P. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in vier Fällen und den Angeklagten I. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz gegen den Angeklagten I. angeordnet. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten jeweils mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils verkaufte der Angeklagte I. von Sommer 2016 bis Oktober 2017 in drei Fällen Marihuana und in weiteren drei Fällen Marihuana in nicht geringer Menge mit Gewinn an den gesondert verfolgten Pi. . Das Marihuana hatte der Angeklagte von einem Freund seines Bruders bezogen (Fälle II. 1. bis 6. der Urteilsgründe).
3
Spätestens in der ersten Jahreshälfte 2017 beschlossen die Angeklagten I. und R. , im Anwesen der Lebensgefährtin des I. in Ö. eine Indoor-Cannabisplantage einzurichten. I. finanzierte den Aufbau und besorgte die notwendigen Gerätschaften, der Aufbau wurde gemeinsam vorgenommen. R. , der im Haus wohnte, übernahm die Anpflanzung , Aufzucht, Pflege und Aberntung der Cannabispflanzen. Am 15. Januar 2018 verkaufte der Angeklagte I. 1.300 g Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 11,3 % THC an den gesondert verfolgten H. . Das für H. vorgesehene, aus der Plantage in Ö. stammende Marihuana vergaß er im Fahrzeug des Angeklagten P. . Auf seine Bitte brachte ihmP. das Marihuana in Kenntnis des geplanten Betäubungsmittelgeschäfts. Weil die Cannabispflanzen mit Pflanzenschutzmitteln behandelt worden waren, spürten die Konsumenten ein unangenehmes Kratzen im Hals, so dass H. dem Angeklagten I. 1.277,4 g des unverkäuflichen Marihuanas mit 144,3 g THC zurückbrachte (Fall II. 7. der Urteilsgründe). Mitte Januar 2018 erkrankte der Angeklagte R. schwer. Auf Bitten des Angeklagten I. unterstützte der Angeklagte P. in Kenntnis des Betriebs der Indoorplantage den erkrankten R. , indem er ihn an 58 Tagen aufsuchte, um ihn zu pflegen und mit Lebensmitteln zu versorgen. Bei einer Durchsuchung des Anwesens in Ö. am 17. April 2018 fanden sich dort insgesamt 841 Cannabispflanzen in verschiedenen Reifestadien aus drei unterschiedlichen Anbauvorgängen (Fälle II. 8. bis 10. der Urteilsgründe) und aus mindestens einer früheren Anbauphase stammend insgesamt 16.557,29 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 1.079,24 g THC sowie 188,27 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 62,5 g THC, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren (Fall II. 11. der Urteilsgründe).
4
Das Landgericht hat die Fälle II. 7. bis 11. der Urteilsgründe dahin rechtlich gewürdigt, dass sich die Angeklagten R. und I. des unerlaub- ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf tatmehrheitlichen Fällen schuldig gemacht haben. Beide hätten an allen Einzeltaten mitgewirkt. Der Angeklagte P. habe sich durch seinen Tatbeitrag am 15. Januar 2018 und die Pflege und Versorgung von R. zwischen dem 21. Januar 2018 und dem 16. April 2018 der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Fälle II. 7. bis 10. der Urteilsgründe) schuldig gemacht. Hinsichtlich des bereits abgeernteten Materials (Fall II. 11. der Urteilsgründe) sei davon auszugehen, dass die Ernte vor der Erkrankung des Angeklagten R. und den damit einsetzenden Unterstützungsleistungen des Angeklagten P. erfolgt sei.
5
2. Die Bewertung des konkurrenzrechtlichen Verhältnisses der Fälle II. 7. bis 11. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat in seinen Antragsschriften vom 15. Juli 2019 u.a. ausgeführt:
6
„…Das Landgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass gesonderte Anbauvorgänge grundsätzlich als für sich selbständige, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten des Handeltreibens zu bewerten sind (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 StR 212/18, BeckRS 2019, 5128, Rn. 14 mwN). Allein der gleichzeitige Besitz bereits abgeernteten Pflanzenmaterials mit noch im Wachstum befindlichen Pflanzen führt nicht zu Annahme einer Bewer- tungseinheit, denn dies setzt voraus, dass die verschiedenen Tätigkeiten des Handeltreibens sich im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes auf den Vertrieb einer einheitlichen Rauschgiftmenge beziehen (BGH, aaO, Rn. 15). Anders läge es nur dann, wenn – was vorliegend nicht der Fall war – die verschiedenen Handelsmengen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat zusammengeführt werden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2018 – 3 StR 95/18, BeckRS 2018, 22775, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 – 3 StR 485/10, BeckRS 2011, 19180, Rn. 5).
7
Indessen hat das Landgericht nicht bedacht, dass der gleichzeitige Besitz verschiedener Betäubungsmittelmengen bei Vorliegen besonderer Umstände mehrere an sich selbständige Fälle des Handeltreibens zur Tateinheit verknüpfen kann. Zwar hat grundsätzlich der gleichzeitige Besitz bereits abgeernteten Blütenmaterials und noch im Wachstum befindlicher Cannabispflanzen allein nicht die Kraft, getrennte Handelstätigkeiten zur Tateinheit zu verbinden (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 StR 212/18, BeckRS 2019, 5128, Rn. 14; BGH, Urteil vom 19. Februar 2015 – 3 StR 546/14, BeckRS 2015, 8389, Rn. 10). Jedoch liegt Tateinheit dann vor, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und – etwa aufgrund eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs – die Wertung rechtfertigt, dass die Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die tatsächliche Verfügungsgewalt über die andere darstellt (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2018 – 3 StR 95/18, BeckRS 2018, 22775, Rn. 6). Diese Wertung ist auch im vorliegenden Fall veranlasst, denn das bereits abgeerntete Pflanzenmaterial (Fall II. 11.) befand sich nach den Feststellungen des Urteils teilweise in denselben Räumen, in denen die weiteren Cannabispflanzen heranwuchsen (UA S.17 – 19), also in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zu den Betäubungsmitteln der Fälle II. 8.-11. Das gesamte Material stammte aus dem fortlaufenden Betrieb einer Cannabisplantage. Die Pflanzen der drei verschiedenen Wachstumsphasen (Fälle II. 8.-10.) befanden sich zudem zumindest teilweise in denselben Stockwerken und sogar in denselben Räumen des Anwesens (vgl. UA S. 18 f.). Vor diesem Hintergrund geht die Art und Weise der Besitzausübung über die bloße Gleichzeitigkeit hinaus, so dass die festgestellten Fälle II. 8.-11. zur Tateinheit gemäß § 52 verknüpft werden. …“
8
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist jedoch auch der Fall II. 7. der Urteilsgründe keine eigenständige Tat. Das an H. verkaufte Marihuana stammte aus der Plantage (UA S. 8), die Wirkstoffkonzentration passte zu Teilmengen des in der Indoorplantage sichergestellten Marihuanas (UA 27). Es ist deshalb davon auszugehen , dass das Marihuana im Fall II. 7. aus dem Verkaufsvorrat im Fall II. 11. der Urteilsgründe stammte und beide Mengen eine Bewertungseinheit bildeten.
9
Der Senat hat die Schuldsprüche in den Fällen II. 7. bis 11. der Urteilsgründe daher entsprechend geändert. Zwar hat der Angeklagte P. keine Beihilfehandlung zu der Tat im Fall II. 11. der Urteilsgründe geleistet; wegen der Akzessorietät der Teilnahme führt das Vorliegen einer einheitlichen Haupttat bei den Angeklagten R. und I. aber auch bei ihm zu nur einer Beihilfetat. § 265 StPO steht den Schuldspruchänderungen nicht entgegen, weil sich die Angeklagten bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Entsprechend können die in den Einzelfällen II. 7. bis 11. jeweils verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafen keinen Bestand haben.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.