Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2017 - 4 StR 306/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. November 2017 gemäß § 206a Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 3 und II. 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; aa) im Fall II. 3 der Urteilsgründe – Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 27. Dezember 2016 – wird das Verfahren eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last; bb) im Fall II. 4 der Urteilsgründe wird die Sache an das Amtsgericht – Schöffengericht – Arnsberg zurückgegeben; in diesem Umfang fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) im Ausspruch über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung;
c) im Gesamtstrafenausspruch; 2. im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb, schuldig ist; die Einzelstrafen für die Taten II. 3 und II. 4 der Urteilsgründe und der Ausspruch über eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung entfallen. II. Die weiter gehende Revision wird verworfen. III. In dem verbleibenden Umfang der Aufhebung nach Einstellung und Rückgabe an das Amtsgericht – Schöffengericht – wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in vier Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, von der zwei Monate wegen überlanger Verfahrensdauer im Fall II. 4 der Urteilsgründe als vollstreckt gelten. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Soweit der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil es hinsichtlich der Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 27. Dezember 2016, die dieser Verurteilung zugrunde liegt, an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt. Der in der Hauptverhandlung am 7. Februar 2017 ergangene Einbeziehungsbeschluss der Strafkammer „§ 266 StPO analog“ ist unwirksam.
- 3
- Der im Anschluss an die Verlesung des Anklagesatzes und der Zustimmung des Angeklagten und seines Verteidigers zur Einbeziehung ergangene Einbeziehungsbeschluss entfaltet keine Wirkungen. Der Einbeziehungsbeschluss nach § 266 Abs. 1 StPO, der von der Strafkammer in der Besetzung der Hauptverhandlung getroffen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2011 – 5 StR 327/11, BGHR StPO § 266 Einbeziehungsbeschluss 4), tritt zwar bei einer Nachtragsanklage an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. August 2011 – 5 StR 327/11 aaO; vom 8. Februar 2011 – 4 StR 612/10 Rn. 4). Für einen solchen Einbeziehungsbeschluss war hier jedoch von vornherein kein Raum, weil es an einer Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO fehlte. Denn die Anklage vom 27. Dezember 2016 ist nicht mündlich in der Hauptverhandlung, sondern entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 170 Abs. 1, § 199 Abs. 2 StPO durch Einreichung einer Anklageschrift bei Gericht erhoben worden. Eine Nachtragsanklage hinsichtlich des Tatvorwurfs vom 22. Juli 2016 zum Nachteil der Familie R. hätte in der Hauptverhandlung nur nach Rücknahme der Anklage vom 27. Dezember 2016 erhoben werden können.
- 4
- 2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls im Fall II. 4 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht insoweit für die Entscheidung nicht zuständig war. Dieser Mangel ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2005 – 4 StR 426/05, NStZ-RR 2006, 85 und vom 16. April 1996 – 4 StR 80/95, NStZ-RR 1996, 232 mwN).
- 5
- Das Landgericht Dortmund hat das beim Amtsgericht – Schöffengericht – Arnsberg gegen den Angeklagten wegen eines Wohnungseinbruchdiebstahls anhängige Verfahren nach Vorlage durch dieses Gericht durch Beschluss vom 14. August 2015 übernommen und das übernommene Verfahren zu dem bereits rechtshängigen Verfahren wegen unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet und unerlaubten Aufenthalts darin, wegen schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen, wovon es in zwei Fällen beim Versuch blieb, wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und wegen Diebstahls in drei Fällen, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb, hinzuverbunden. Durch Beschluss vom 13. Januar 2017 hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet. Der Verbindungsbeschluss ist jedoch rechtsunwirksam, weil er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Die Verbindung, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betraf, konnte nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte (§ 13 Abs. 2 StPO), sondern nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts (§ 4 Abs. 2 StPO) herbeigeführt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 13 Rn. 5a mwN). Gemeinschaftliches oberes Gericht für das zum Landgerichtsbezirk Arnsberg gehörende Amtsgericht Arnsberg und das Landgericht Dortmund ist das Oberlandesgericht Hamm. Da es mithin an einer Entscheidung des für die Verbindung zuständigen Gerichts fehlt, ist das zum Amtsgericht Arnsberg angeklagte Verfahren dort rechtshängig geblieben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000 – 4 StR 105/00); an dieses verweist der Senat die Sache in entsprechender Anwendung des § 355 StPO zurück.
- 6
- Da der Ausspruch über die Kompensation allein wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Fall II. 4 der Urteilsgründe erfolgt ist, hat der Senat den Rechtsfolgenausspruch auch insoweit aufgehoben.
- 7
- 3. Der Wegfall der Verurteilungen in den vorgenannten Fällen führt zur Aufhebung auch der Gesamtstrafe. Insoweit ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen :
- 8
- Nach den landgerichtlichen Feststellungen wurde der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Werl vom 13. Mai 2016 zu einer (wohl: Gesamt-)Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, ob die Geldstrafe zum Zeitpunkt des Urteilserlasses erledigt war. Weil der Angeklagte die beiden noch verfahrensgegenständlichen Straftaten vor dem 13. Mai 2016 begangen hat, wird der neue Tatrichter prüfen müssen, ob aus den mit dem amtsgerichtlichen Urteil verhängten (Einzel-)Strafen und den Einzelfreiheitsstrafen für die noch verfahrensgegenständlichen Taten gemäß § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden ist, wobei insoweit der Vollstreckungsstand im Zeitpunkt des Erlasses des Ersturteils maßgebend ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 5 StR 170/16 Rn. 5 mwN).
- 9
- Da lediglich Wertungsfehler vorliegen, können die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten werden. Das Landgericht kann weitere Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
- 10
- 4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Bender Paul
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Erstreckt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage auf weitere Straftaten des Angeklagten, so kann das Gericht sie durch Beschluß in das Verfahren einbeziehen, wenn es für sie zuständig ist und der Angeklagte zustimmt.
(2) Die Nachtragsanklage kann mündlich erhoben werden. Ihr Inhalt entspricht dem § 200 Abs. 1. Sie wird in das Sitzungsprotokoll aufgenommen. Der Vorsitzende gibt dem Angeklagten Gelegenheit, sich zu verteidigen.
(3) Die Verhandlung wird unterbrochen, wenn es der Vorsitzende für erforderlich hält oder wenn der Angeklagte es beantragt und sein Antrag nicht offenbar mutwillig oder nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt ist. Auf das Recht, die Unterbrechung zu beantragen, wird der Angeklagte hingewiesen.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist.
(2) Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem Gericht die Verbindung einzutreten hat.
(3) In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden.
(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.
(2) Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.
Wird ein Urteil aufgehoben, weil das Gericht des vorangehenden Rechtszuges sich mit Unrecht für zuständig erachtet hat, so verweist das Revisionsgericht gleichzeitig die Sache an das zuständige Gericht.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.