Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2017 - 4 StR 221/17
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 31. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allgemein auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg ; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 2002 an einer schizoaffektiven Störung erkrankt. Während er bis 2005 eine Phase hoher Krankheitsaktivität mit wiederholten manischen und depressiven Phasen erlebte , war er seither bei fortgesetzter ambulanter medizinischer Betreuung psychisch stabil. Seit 2009 ging er einer Beschäftigung in den L. Werkstätten nach. Seine ab dem Jahr 2014 zunehmenden beruflichen Kontakte mit der dort als Abteilungsleiterin tätigen Nebenklägerin interpretierte der Angeklagte dahin, dass die Nebenklägerin an ihm als Mann interessiert sei. Am 9. Mai 2015, einem Sonnabend, suchte er sie in der Hoffnung, mit ihr sexuell verkehren zu können, mehrfach an ihrer Wohnanschrift auf, ohne dass die Nebenklägerin ihm Einlass gewährte. Als er gegen 22 Uhr erneut bei ihr klingelte, war sie über das nochmalige Erscheinen des Angeklagten ungehalten und erklärte ihm mit bestimmten Worten, dass sie genug von ihm habe und er gehen solle. Hierdurch fühlte sich der Angeklagte gekränkt und als Liebhaber zurückgewiesen, woraufhin er in Zorn geriet und den Entschluss fasste, sie zu töten. Er würgte sie mit beiden Händen am Hals und schlug ihren Kopf mehrfach auf den gepflasterten Boden, konnte jedoch schließlich durch ihren Lebensgefährten überwältigt werden.
- 3
- Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht der angehörten psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Danach habe sich der Angeklagte zur Tatzeit in einer akuten manischen Phase seiner schizoaffektiven Störung befunden, wodurch seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. Ohne ärztliche Behandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs gehe von ihm die Gefahr aus, durch ähnliche Handlungen wie die verfahrensgegenständliche Tat für die Allgemeinheit gefährlich zu werden.
- 4
- 2. Die auf die Sachrüge durchgeführte umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
- 5
- 3. Hingegen hält die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 6
- a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Urteile vom 9. Mai 2017 – 1 StR 658/16, NStZ-RR 2017, 272 f.; vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschlüsse vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, StV 2017, 588 f.; vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367). Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt zudem nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB nF begehen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2017 – 2 StR 174/17, Rn. 11; vom 25. April 2017 – 5 StR 78/17, NStZ-RR 2017, 239), wobei die erforderliche Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschlüsse vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f.; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10).
- 7
- b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
- 8
- Durch die bisherigen Feststellungen ist jedenfalls die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht belegt, so dass schon aus diesem Grund die Anordnung der Maßregel keinen Bestand hat. Auf die vorliegend ebenfalls zweifelhafte , vom Landgericht nicht näher erörterte Frage, ob es sich bei der psychischen Verfasstheit des Angeklagten um einen dauerhaften Zustand im Sinne des § 63 StGB handelte, kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.
- 9
- aa) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es bereits, dass das Landgericht bei seiner Gefährlichkeitsprognose die bisherige Unbestraftheit des seit 1994 in Deutschland lebenden und jedenfalls seit dem Jahr 2002 an einer schizoaffektiven Störung leidenden Angeklagten unberücksichtigt gelassen hat. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die bislang fehlende Begehung von Straftaten bei Personen, die bereits über Jahre hinweg an einem psychischen Defekt leiden, ein gewichtiges, gegen erhebliche zukünftige Gefährlichkeit sprechendes Indiz dar (vgl. BGH, Urteile vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15, Rn. 7; vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72 f.; Beschlüsse vom 23. Mai 2017 – 1 StR 164/17, Rn. 8; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.). Hiermit hätte sich das Landgericht bei seiner Annahme , in Freiheit drohe die Begehung von Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten durch den Angeklagten (UA 28), auseinander setzen müssen.
- 10
- bb) Ein ähnlich gelagerter Mangel der Gefährlichkeitsprognose liegt darin begründet, dass sich das Landgericht nicht mit den Angaben der psychiatrischen Sachverständigen befasst hat, ein körperlicher Angriff sei „für den Ange- klagten ungewöhnlich“ (UA 22). Da dieser Umstand – ebenso wie seine bisheri- ge Unbestraftheit – ein gewichtiges Indiz gegen eine vom Angeklagten ausge- hende Gefahr der Begehung von Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten darstellt , wäre das Schwurgericht gehalten gewesen, auch diesen Gesichtspunkt erkennbar in seine Prognoseentscheidung einzubeziehen.
- 11
- cc) Ferner ist zu besorgen, dass das Landgericht bei seiner Prognoseentscheidung jedenfalls zum Teil von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist. Denn soweit es bei der Begründung der Maßregelanordnung ausgeführt hat, der Annahme einer vom Angeklagten ausgehenden Gefährlichkeit stehe „nicht entgegen, dass der Angeklagte in den letzten etwa fünf Jahren vor der Tat eine psychisch stabile Zeit erlebt hat“ (UA 29), steht dies in Widerspruch sowohl zu den Feststellungen zur Person (UA 5) als auch der Beweiswürdigung des Urteils (UA 19 f.), wo jeweils mitgeteilt wird, dass sich der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2005 – und damit über einen signifikant längeren Zeitraum vor Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat im Mai 2015 – im Zustand psychischer Stabilität befunden habe.
- 12
- dd) Schließlich hat das Landgericht bei seiner Prognoseentscheidung nicht in den Blick genommen, dass sich die Anlasstat vor dem Hintergrund einer (vermeintlichen) Liebessituation ereignete, aus der nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf eine allgemeine Gefährlichkeit des Angeklagten gezogen werden dürfen. Denn wenn sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person richten oder in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache haben, bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteile vom 22. April 2015 – 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306 f.; vom 9. November 1989 – 4 StR 342/89, NZV 1990, 77; Beschluss vom 4. Oktober 2006 – 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29); an denen fehlt es hier.
- 13
- Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
Quentin Feilcke
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.