Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2016 - 4 StR 210/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeschwerde und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsausführungen das Vorliegen eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht hinreichend belegen.
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- a) Nach den Feststellungen wurde bei dem zur Tatzeit 17 Jahre und 11 Monate alten Angeklagten im Sommer 2014 eine akute möglicherweise drogenindizierte psychotische Entwicklung diagnostiziert, die sich in akustischen Halluzinationen in Gestalt kommentierender Stimmen zeigte und in der Folgezeit zu "stark beschleunigten psychopathologischen Symptomen" führte. Sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Öffentlichkeit reagierte der Angeklagte zunehmend aggressiv. Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 0,87 Promille aufwies , infolge der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit der alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle erheblich beeinträchtigt.
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- Die Strafkammer hat - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend - als Eingangsmerkmal des § 20 StGB neben einer krankhaften seelischen Störung auch eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung bejaht. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit hat sie damit begründet, dass aufgrund der drogenassoziierten primär psychotischen Störung die psychische Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit durch eine hohe affektive Aufladung , Expansivität und fehlendes Krankheitsgefühl geprägt gewesen sei. Des Weiteren hätte ein psychotisches Erleben in Form von akustischen Halluzinationen sowie Beeinflussungserleben und Gedankenentzug bestanden.
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- b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 - 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, insoweit in NStZ 2013, 424 nicht abgedruckt). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
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- c) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht gerecht. Nach den Feststellungen beruhte die erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit auf der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit einer alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle, mithin nicht auf einem dauerhaften Zustand des Angeklagten. Vor dem Hintergrund der von der Strafkammer neben einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal des § 20 StGB angenommenen affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sind auch die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu der auf die psychotische Störung zurückzuführenden affektiven Anspannung des Angeklagten zur Tatzeit nicht geeignet, tragfähig darzutun, dass die verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB allein durch die psychotische Störung des Angeklagten bewirkt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht für die Bejahung eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzu- stands zwar aus, dass der Täter an einer länger dauernden, unter § 20 StGB zu subsumierenden psychischen Störung leidet, bei der bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374 f.; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 StR 426/07, NStZ-RR 2008, 141; vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42; vom 23. September 2015 - 4 StR 371/15 Rn. 9; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 63 Rn. 6a; Kaspar in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 29). Zu diesen Voraussetzungen verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht. Soweit das Landgericht schließlich ergänzend auf das psychotische Erleben des Angeklagten verweist, lassen die Urteilsausführungen schon nicht erkennen, ob und in welcher Weise sich diese psychotische Symptomatik auf die konkrete Tatbegehung ausgewirkt hat.
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- 2. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den nicht tragfähigen Erwägungen zur Unterbringungsanordnung und der von der Strafkammer vorgenommenen Beurteilung der Schuldfähigkeit hebt der Senat auch den Schuldspruch auf. Ein Fall, in welchem eine vollständige Aufhebung der Schuldfähig- keit durch das Revisionsgericht sicher ausgeschlossen werden kann, ist nicht gegeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben; neue ergänzende Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen. Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer Bender Paul
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.