Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2003 - 4 StR 159/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 24 Fällen und wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit er in den Fällen 1 bis 13 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insbesondere belegen die Urteilsgründe, daß der Angeklagte , der zu den Tatzeiten Konrektor an der Schule des Tatopfers und gleichzeitig ihr Klassenlehrer war, die Taten – wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert – im Rahmen eines Obhutsverhältnisses und unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs- und Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Schutzbefohlenen begangen hat. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts Bezug genommen werden. Allerdings hat das Landgericht im Fall 3 der Urteilsgründe, in welchem es zwar nicht zu dem vom Angeklagten angestrebten Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer, wohl aber zu anderen sexuellen Handlungen an diesem kam, zu Unrecht („versehentlich“, vgl. UA 11) lediglich eine Versuchstat angenommen. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. Die insoweit verhängte Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe kann jedoch bestehen bleiben , da ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung als vollendete Tat auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
2. Keinen Bestand kann hingegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe haben.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es in den Monaten Mai bis August 2001 in weiteren zwölf Fällen zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer zum Geschlechtsverkehr. Die einzelnen Tattage konnten nicht näher konkretisiert werden. Der letzte Geschlechtsverkehr fand in den Sommerferien 2001, die vom 5. Juli bis 18. August 2001 dauerten, „vor der Urlaubsreise des Angeklagten“ statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Geschädigte die Schule, an der der Angeklagte tätig war, bereits verlassen, um an einer anderen Schule ihre Schulausbildung fortzusetzen.
Mit Ausscheiden des Tatopfers aus der Schule des Angeklagten und mit der damit verbundenen Beendigung des bis dahin bestehenden LehrerSchüler -Verhältnisses ist bereits das Vorhandensein eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht belegt. Zwar war der Angeklagte , worauf das Landgericht ergänzend ebenfalls abgestellt hat, auch Tennistrainer der Geschädigten. Voraussetzung für das Vorliegen eines Obhutsverhältnisses ist jedoch, daß ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (std. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1 und 2). Dies versteht sich bei einer Tätigkeit als Tennistrainer nicht von selbst (zum Fußballtrainer vgl. BGHSt 17, 191, 192/193), sondern hätte vielmehr näherer Darlegung bedurft. Gleiches gilt für die vom Angeklagten weiterhin wahrgenommene Tätigkeit als Nachhilfelehrer, zumal den Urteilsfeststellungen nicht entnommen
werden kann, ob der Angeklagte der Geschädigten auch nach ihrem Ausscheiden aus der Schule, an der er unterrichtete, noch Nachhilfeunterricht erteilt hat.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 14 bis 25, da die Urteilsgründe weder den genauen Zeitpunkt des Ausscheidens der Geschädigten aus der Schule mitteilen noch mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lassen, welche der der Verurteilung zugrunde liegenden einzelnen sexuellen Handlungen davor oder danach begangen worden sind. Bei Anwendung des Zweifelssatzes kann daher auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß die für den Tatzeitraum „Mai bis August 2001“ ausgeurteilten Taten zu einem Zeitpunkt begangen worden sind, in welchem die Geschädigte die Schule des Angeklagten schon verlassen hatte und das aufgrund des Lehrer-SchülerVerhältnisses bestehende Obhutsverhältnis bereits beendet war. Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, - 2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder - 3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2
- 1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder - 2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.