Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Ergänzend bemerkt der Senat: Das von der Revisionsbegründung der Angeklagten B. ins Feld geführte Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (NJW 1995, 3194 f.) steht der Entscheidung nicht entgegen. Es erscheint bereits fraglich, ob der im Leitsatz dieses Urteils geäußerten Rechtsauffassung, in den Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todes gefahr geschaffen werde, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann (vgl. zur Kritik Wolters JR 1996, 471 f.; Ingelfinger GA 1997, 573 ff.). Dies bedarf hier keiner Vertiefung, da auch der 4. Strafsenat in seiner Begründung eingeräumt hat, dass die Rechtslage sich anders darstellen könne, wenn durch die Untätigkeit die von der Vorschädigung ausgehende Lebensgefahr erheblich erhöht wird. So liegt es aber hier. Anders als in dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem die Lebensge- fahr nur erkennbar war und der Körperverletzungsvorwurf "lediglich" im Unterlassen von schmerzlindernden Maßnahmen gesehen wurde, hat hier die Angeklagte erkannt, dass sich der Gesundheitszustand ihres am Kopf schwer getroffenen Kindes dermaßen verschlechtert hatte, dass es zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung mit möglicherweise tödlichem Ausgang dringend geboten war, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr war somit bewusst, dass das Kind infolge der Unterlassung versterben könne, wobei das Landgericht ein vorsätzliches Tötungsdelikt nur mit der wenig überzeugenden Begründung verneint hat, die Todesfolge sei nicht billigend in Kauf genommen worden.
Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Straftatbestandes des § 227 StGB nicht zu beanstanden, weil die Angeklagte durch ihre Untätigkeit eine Körperverletzung in Form der Herbeiführung einer wesentlichen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes durch Unterlassen begangen hat, der typischerweise die Gefahr des Todes anhaftete.
Winkler Miebach Pfister RiBGH von Lienen ist infolge Urlaubs Becker gehindert zu unterschreiben. Winkler
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.