Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2018 - 3 StR 219/18

published on 27/11/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2018 - 3 StR 219/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 219/18
vom
27. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Nötigung
ECLI:DE:BGH:2018:271118B3STR219.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 27. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 6. September 2017, soweit es ihn betrifft , im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung unter Einbeziehung eines weiteren Urteils zu der Einheitsjugendstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung hat es versagt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Prüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
2. Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat dagegen keinen Bestand. Das Landgericht hat bereits seine Annahme, die Verhängung der Jugendstrafe sei wegen der beim Angeklagten vorhandenen schädlichen Neigungen erforderlich (§ 17 Abs. 2 JGG), nicht rechtsfehlerfrei begründet. Darüber hinaus hält die konkrete Bemessung der Jugendstrafe revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, NStZ 2013, 287).
5
Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt.
6
aa) Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte, der mit der abgeurteilten Nötigung die Freundin des durch Körperverletzungshandlungen seines mitangeklagten Halbbruders Geschädigten davon abgehalten hatte, ihrem Freund zu Hilfe zu kommen, das "sozialethisch vorwerfbare Vorverhalten" seines Halbbruders gebilligt und die körperliche Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Geschädigten gefördert habe, um seinem Halbbruder "eine Machtdemonstration zur Steigerung seines Selbstwertgefühls zu ermöglichen", betrifft dies, auch wenn sich das Landgericht insoweit einer psychologisierenden Wortwahl bedient hat, überwiegend das objektive Tatunrecht und ist deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - 3 StR 78/16, NStZ 2016, 682).
7
bb) Ob das Landgericht - neben der Begehung der Tat als solcher - auch die Vorverurteilungen des Angeklagten herangezogen hat, um das Vorliegen schädlicher Neigungen bereits zum Zeitpunkt der Tat am 13. April 2013 zu belegen , ergeben die Urteilsgründe nicht. Zwar hat das Landgericht angeführt, dass der Angeklagte mit "hoher Rückfallgeschwindigkeit" eine Vielzahl von Straftaten - oftmals mit erheblichem Gewaltpotential - begangen habe. Doch hat es nicht deutlich gemacht, ob die "persönliche Entwicklung" des Angeklagten, "wie sie sich in den Vorverurteilungen ersehen" lasse, zum Beleg des Vorliegens schädlicher Neigungen bereits zum Tatzeitpunkt oder allein dafür dienen soll, dass der Angeklagte "auch heute", also zum Zeitpunkt des Urteils, noch erhebliche Persönlichkeitsmängel aufweist. Für diese nach dem obigen Maßstab geforderte klarstellende Unterscheidung hätte aber umso mehr Anlass bestanden , als der Angeklagte zum Tatzeitpunkt lediglich zweimal mit einer Verwarnung sowie der Verhängung einer Arbeitsauflage bzw. eines Freizeitarrests vorgeahndet war, während er nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat noch dreimal mit jugendrichterlichen Zuchtmitteln, Jugendarrest und zuletzt - mit dem einbezogenen Urteil vom 4. Mai 2016 - mit einem Schuldspruch belegt worden ist.
8
b) Zudem weist die Bemessung der Jugendstrafe einen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat insoweit berücksichtigt, dass der Angeklagte mehrfach vorbestraft sei und "unter laufender Bewährung" stehe. Der Vorbehalt der Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung wurde allerdings erst mehr als drei Jahre nach Begehung der hier abgeurteilten Tat mit der einbezogenen Verurteilung vom 4. Mai 2016 ausgesprochen, so dass die "laufende" Bewährung weder unter erzieherischen Gesichtspunkten noch hinsichtlich der bei der Festsetzung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigenden Belange des Schuldausgleichs zu beachten war. Denn weder bei der hier abgeurteilten noch bei der der Verurteilung vom 4. Mai 2016 zugrundeliegenden Tat war der Angeklagte bewährungsbrüchig.
9
Der Strafausspruch hat somit keinen Bestand. Es kann mithin offenbleiben , ob das Landgericht wegen des Umstandes, dass die an sich gebotene Einbeziehung der amtsgerichtlichen Urteile vom 30. August 2013 und 26. September 2014 nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG wegen der Vollstreckung der darin verhängten jugendstrafrechtlichen Sanktionen nicht mehr möglich war, einen Härteausgleich hätte vornehmen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2006 - 3 StR 136/06, juris Rn. 6; vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtm

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtm

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.