Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2009 - 3 StR 168/09

published on 13/08/2009 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2009 - 3 StR 168/09
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 168/09
vom
13. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. August 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 12. November 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
2
Das Urteil muss wegen eines Rechtsfehlers in der Beweiswürdigung aufgehoben werden.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts übergab der Angeklagte in Tarragona (Spanien) am 1. Dezember 2006 dem gesondert Verfolgten G. ca. zwei Kilogramm Kokain zum Transport nach Deutschland, wo er es gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Der Kurier wurde nach dem Grenzübertritt in Frankreich gestellt. Er machte vor der französischen Polizei Angaben zu seinem Auftraggeber, die zur Identifizierung des Angeklagten führten. Der Angeklagte wurde daraufhin am 3. April 2008 festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Am 29. Oktober 2008 wurde aufgrund eines Beweisantrags der Verteidigung die Verlobte des Angeklagten in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommen. Sie bestätigte die Einlassung des den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und bekundete, dieser habe sich von Mitte November bis Mitte Dezember 2006 bei ihr in Deutschland aufgehalten.
4
Das Landgericht hat die Alibibekundung nicht für glaubhaft erachtet und hierzu ausgeführt: "In entscheidendem Maße spricht gegen die Glaubhaftigkeit dieser entlastenden Angaben und die Glaubwürdigkeit der Zeugin So. , dass sie diese Angaben nicht zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt gemacht hat. Der Angeklagte befindet sich seit dem 3. April 2008, also bereits mehrere Monate, in Untersuchungshaft. Er ist in ihrer Wohnung verhaftet worden. … Erst am 29.10.2008, dem 9. Verhandlungstag, kam es … zur Vernehmung der Zeugin So. , die zuvor an jedem Sitzungstag als Zuschauerin im Zuschauerraum der Verhandlung beiwohnte. Es ist nicht erklärlich, warum sie sich nicht zu sehr viel früherer Zeit an die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder - am naheliegendsten - an die beiden Verteidiger ihres Verlobten gewandt hat, um dafür Sorge zu tragen, dass ihre entlastenden Angaben gerichtskundig werden."
5
Diese Beweiswürdigung ist rechtfehlerhaft. Sie verstößt gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz, dem zufolge die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden kann, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen und erst in der Hauptverhandlung seine entlastenden Angaben gemacht hat; denn selbst die Verweige- rung des Zeugnisses hätte nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden dürfen (BGH NStZ 1987, 182 unter Hinweis auf BGHSt 22, 113). Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später nachteilige Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (BGHSt 34, 324, 327; BGH StV 2002, 4; NStZ 2003, 443; Beschl. vom 27. Januar 2009 - 3 StR 1/09).
6
Eine Ausnahme, wie sie in der Entscheidung BGHSt 34, 324, 327 f. für solche Fälle anerkannt worden ist, in denen der Angehörige bereits zuvor gegenüber den Ermittlungsbehörden Angaben als Zeuge gemacht hatte, ohne die ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten, den Angeklagten entlastenden Umstände vorzubringen, liegt hier nicht vor, da die Zeugin, wie das Landgericht ausdrücklich hervorhebt, erstmals in der Hauptverhandlung vernommen worden ist.
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Dies folgt bereits aus der Formulierung des Landgerichts, der Zeitpunkt der Aussage spreche "in entscheidendem Maße" gegen deren Glaubhaftigkeit. Hinzu kommt die übrige Beweissituation. Zwar enthält die Beweiswürdigung , von der beanstandeten Wertung abgesehen, keinen Rechtsfehler; die Angriffe der Revision gegen die Verwertung der Aussagen des Drogenkuriers , die dieser in dem in Frankreich gegen ihn geführten Strafverfahren gemacht hat, gehen ebenso fehl wie die Behauptung, es sei zu einer Verletzung des Konfrontationsrechts gekommen; indes ist die Beweislage jedenfalls nicht von einer solchen Zahl belastender Indizien geprägt, die es dem Revisionsgericht erlauben würde, davon auszugehen, der Tatrichter wäre auch ohne ein bestimmtes, von ihm rechtsfehlerhaft behandeltes Element seiner Beweiswürdigung zur selben Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangt. Die Sache muss deshalb erneut verhandelt werden.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.
5 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 27/01/2009 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 1/09 vom 27. Januar 2009 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführe
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 29/05/2012 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 162/12 vom 29. Mai 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 29. Mai 2012 einst
published on 08/12/2015 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 298/15 vom 8. Dezember 2015 in der Strafsache gegen wegen schweren Raubes u.a. ECLI:DE:BGH:2015:081215B3STR298.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Gen
published on 29/10/2015 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 288/15 vom 29. Oktober 2015 in der Strafsache gegen wegen Raubes ECLI:DE:BGH:2015:291015B3STR288.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführer
published on 21/05/2015 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 S t R 5 7 5 / 1 4 vom 21. Mai 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Völkermord Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 30. April 2015 in der Sitzung vom 21.
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.