Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2016 - 2 StR 574/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. August 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, Raubes, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und exhibitionistischer Handlung, wegen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, versuchten Diebstahls und wegen exhibitionistischer Handlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an- geordnet. Vom Vorwurf der fahrlässigen Brandstiftung hat die Strafkammer den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- 1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. März 2016 ohne Erfolg.
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- 2. Die Schuldfähigkeitsprüfung ist nicht rechtsfehlerfrei.
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- a) Das sachverständig beratene Landgericht hat zum Zustand des Angeklagten festgestellt, dass er an einer paranoiden Schizophrenie, an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und an einer Alkoholabhängigkeit leide. Insbesondere aufgrund der Schizophrenie des Angeklagten sei dessen Schuldfähigkeit in den Fällen II. 2 bis 5 der Urteilsgründe „zweifelsfrei“ erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB gewesen, „in den übrigen Fällen“ (Fälle II. 1, 6 bis 8 der Urteilsgründe) könne eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe könne zudem der Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden.
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- b) Diese Wertungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
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- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB schon regelmäßig nicht offen bleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB gegeben ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Der Tatrichter ist gehalten, konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zu treffen (vgl. § 20 StGB). Deswegen darf auch nicht offen bleiben, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war (vgl. Senat, aaO, BGHSt 49, 347, 356 ff.). Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2002 - 2 StR 198/02, NStZ-RR 2002, 328; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6) während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273; Senat, Urteil vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4 mwN). Im Gegensatz dazu führt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des § 21 StGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich deshalb Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273, 274; Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6). Das hat das Landgericht versäumt.
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- Es ist durchgängig von „zweifelsfrei“ feststehender oder nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit bzw. nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit ausgegangen, ohne sich festzulegen, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vermindert oder aufgehoben war.
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- Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten erheblich vermindert war oder er das Unrecht tatsächlich eingesehen hatte, aber auch nicht, dass er keine Einsichtsfähigkeit hatte und ob ihm das vorzuwerfen ist. Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB beim Angeklagten in sämtlichen Fällen vorlagen, wenn dies auch nicht naheliegt.
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- c) Dies führt zur Aufhebung des gesamten Urteils. Angesichts der gegen die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts bestehenden Bedenken sind auch die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt. Dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert deshalb nicht, auch den Freispruch im Fall II. 5 der Urteilsgründe aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
- 10
- Von der Aufhebung ausgenommen sind allerdings die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf in den Fällen II. 1 bis 4, 6 bis 8 der Urteilsgründe. Lediglich im Fall II. 5 der Urteilsgründe sind auch die getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufzuheben. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe nicht festzustellen vermocht, durch welches Verhalten der Angeklagte das Feuer verursacht hat.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.