Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – am 5. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- 1. Der Schuldspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Oktober 1998 und dem 24. Oktober 2002 abends oder nachts in das Zimmer seiner noch nicht 14 Jahre alten Stieftochter S. , zog die Bettdecke, unter der S. lag, zur Seite und forderte das Kind auf, sich auf den Bauch zu drehen. Nachdem S. dies getan hat- te, „legte er sich auf ihren Rücken, um sich sexuell zuerregen“. Anschließend setzte er sich an das Ende des Bettes und forderte das Kind auf, seine Unterhose herunterzuziehen und die Beine zu spreizen, was S. – „erneut aus Angst vor dem Angeklagten“ auch tat. Anschließend betrachtete er den Intimbereich des Kindes und masturbierte dabei.
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- Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine – zu dem sexuellen Missbrauch eines Kindes hinzutretende – sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. begangen hat, indem er sich auf den Rücken des Kindes legte, um sich hierdurch sexuell zu erregen, „und sie in dieser Posi- tion durch sein eigenes Körpergewicht festhielt“.
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- b) Die Feststellungen belegen nicht die für den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Vornahme der sexuellen Handlung.
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- aa) Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB a.F. in der Variante der Gewaltanwendung erfordert, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2017 – 2 StR 256/17, NStZ-RR 2017, 371; Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17).
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- bb) Die sonach erforderliche finale Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und sexueller Handlung ist weder ausdrücklich festgestellt noch kann sie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zweifelsfrei entnommen werden. Die Feststellungen belegen lediglich, dass der Angeklagte bei Vornahme der sexuellen Handlung physische Kraft entfaltet hat, indem er die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht fixierte. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten, die auf die Duldung des Sexualkontakts zielten, sind nicht festgestellt. Aus der Vornahme der sexuellen Handlung kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan und versteht sich angesichts des Umstands, dass die Geschädigte der Aufforderung des Angeklagten , sich auf den Bauch zu drehen, ohne Weiteres – wenngleich aus Furcht vor dem Angeklagten – entsprach, nicht von selbst.
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- 2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht gegebenenfalls die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB n.F. in den Blick zu nehmen haben; hierfür könnte Anlass bestehen, wenn und soweit der Angeklagte durch schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hingewiesen oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; Senat, Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 463/14, NStZ 2015, 211, 212).
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- 3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.