Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2017 - 2 StR 359/17

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:101017B2STR359.17.0
published on 10/10/2017 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2017 - 2 StR 359/17
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 359/17
vom
10. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:101017B2STR359.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , des Angeklagten und des Nebenklägers am 10. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 17. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Nebenklägers gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch verursachten notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg, die Revision des Nebenklägers ist unbegründet.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte beschuldigte seine Lebensgefährtin S. H. an einem nicht mehr genau bestimmbaren Tag im Zeitraum vom 13. Juni 2016 bis zum 9. August 2016, ihm seine Brillen und Schlüssel entwendet zu haben. Ferner behauptete er, sie sei vom Bundesnachrichtendienst damit beauftragt worden , ihn auszuspionieren. Deshalb fesselte er sie unbekleidet ans Bett und schlug sie mit einer Peitsche. Er wollte sie nicht töten, ihr aber Schmerzen zufügen , um ihr Informationen darüber abzupressen, was der Bundesnachrichtendienst gegen ihn in der Hand habe. Er schlug sie zwei Stunden lang und reagierte nicht auf ihre Äußerung, dass ihr schlecht sei und er sie losmachen solle.
4
Als die Geschädigte das Bewusstsein verlor, löste der Angeklagte ihre Fesseln, kontrollierte Atmung und Puls und stellte fest, dass sie nicht mehr atmete. Deshalb begann er mit Reanimationsversuchen. Dabei kam die Geschädigte nur kurz zu Bewusstsein. Der Angeklagte setzte deshalb seine Reanimationsversuche fort, bis er feststellte, dass die Geschädigte tot war. Die Todesfolge seiner Verletzungshandlungen hätte der Angeklagte vorhersehen können.
5
Nachdem die Geschädigte verstorben war, legte er die Leiche in die Badewanne und säuberte sie. Dann fuhr er sie mit einer Sackkarre zu der im Haus befindlichen „Kleiderkammer“,wo er sie mit mehreren Lagen Stoff, Malervlies, Müllsäcken und Alufolie verpackte und mit Schnüren und Draht verschnürte. Den so eingehüllten Leichnam stellte er auf der Sackkarre im Badezimmer ab.
6
„Nicht auszuschließenist, dass die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bei Begehung der Tat auf Grund einer krankhaften seelischen Störung erheblich vermindert war.“
7
Am 9. August 2016 wurde der Angeklagte von der Polizei wegen ruhestörenden Lärms aufgesucht und dabei in psychisch auffälligem Zustand angetroffen. Bei diesem Polizeieinsatz wurde die Leiche entdeckt.
8
2. Nach Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen Dr. G. leidet der schon früher psychisch auffällig gewesene Angeklagte wahrscheinlich an einem paranoid halluzinatorischen Syndrom. Dies komme in der Behauptung des Angeklagten zum Ausdruck, die Geschädigte sei vom Bundesnachrichtendienst auf ihn angesetzt worden. Ob bei der Begehung der Tat eine wahnhafte Störung vorgelegen habe, könne sie nicht beurteilen. Das Landgericht hat dazu ausgeführt:
9
„Da nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. G. nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte zur Tatzeit an einem paranoid halluzinatorischen Syndrom gelitten hat, hat die Kammer § 21 StGB nach dem Grund- satz `in dubio pro reo´ in Anwendung gebracht.“

II.

10
Die Revision des Angeklagten ist mit der Sachrüge begründet, sodass es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
11
Das Landgericht hat die Möglichkeit von Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht angesprochen, obwohl eine solche nahe lag. Das ist rechtsfehlerhaft.
12
Das Landgericht hätte unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen eigenverantwortlich entscheiden müssen, ob zur Tatzeit ein psychopathologischer Befund beim Angeklagten vorgelegen und wie dieser sich gegebenenfalls auf die konkrete Tat ausgewirkt hat. Dazu bot neben den von der gerichtlichen Sachverständigen erläuterten früheren Diagnosen vor allem das behauptete Motiv des Angeklagten, die Geschädigte zu foltern, um ihr Informationen über eine Ausforschung durch den Bundesnachrichtendienst abzupressen , Anlass; dem lag ersichtlich eine Wahnvorstellung zu Grunde.
13
Zu prüfen war für den Fall der Feststellung einer Wahnerkrankung zuerst , ob Unrechtseinsicht des Angeklagten zur Tatzeit vorhanden war. Unrechtseinsicht ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden; auf eine erhebliche Verminderung der Fähigkeit dazu kommt es für sich genommen nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273). Nimmt der Tatrichter erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters zur Tatzeit an, muss er auch darüber befinden, ob dies tatsächlich zum Fehlen von Unrechtseinsicht hinsichtlich der konkreten Tat geführt oder ob der Täter gleichwohl zur Tatzeit das Unrecht eingesehen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2016 – 4 StR 215/16).
14
Eine Wahnerkrankung schließt Unrechtseinsicht zwar nicht generell, bei einem akuten Schub aber in aller Regel aus. Einem Wahnkranken stehen in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung. Wenn das Tatgericht gleichwohl bei einem Wahnkranken von lediglich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit ausgeht, hat es dies nachvollziehbar darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 24. September 2014 – 2 StR 235/14, BGHR StGB § 20 Psychose 3).Daran fehlt es hier, weshalb das Urteil auf die Revision des Angeklagten der Aufhebung unterliegt.

III.

15
1. Die Revision des Nebenklägers ist unbegründet.
16
Sie zielt mit der Sachrüge darauf, dass ein Totschlag durch Unterlassen vorgelegen habe, weil der Angeklagte keine Rettungskräfte herbeigerufen habe. Die Strafkammer hat aber rechtsfehlerfrei einen Tötungsvorsatz des Angeklagten ausgeschlossen, was auch für das den Verletzungshandlungen nachfolgende Unterlassen eines Notrufs gilt. Die Strafkammer hat dies damit begründet, dass der Angeklagte der Geschädigten zwar Schmerzen habe zufügen wollen, um Informationen über die Bespitzelung durch den Bundesnachrichtendienst zu erlangen; die Informationsbeschaffung wäre aber im Fall einer Tötung nicht möglich gewesen. Gegen einen auch nur bedingten Tötungsvorsatz spreche ferner seine Bemühung, die Geschädigte nach Eintritt von Bewusstlosigkeit zu reanimieren. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
17
Weitergehende Ausführungen zur Frage eines Tötungsvorsatzes waren nicht geboten, zumal die genaue Todesursache nicht festzustellen war.
18
2. Die Revision des Nebenklägers war daher zu verwerfen. Darauf, dass sie im Hinblick auf den Schuldspruch auch zugunsten des Angeklagten wirkt (§§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. Senat, Beschluss vom 23. August 1995 – 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130 f.), kommt es nicht an, weil die Gründe, die das angefochtene Urteil in Frage stellen (vgl. oben II.), bereits auf die Revision des Angeklagten zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. April1989 – 4 StR 87/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9). Appl Krehl Eschelbach Grube Schmidt
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginnt mit Ablauf der für die Staatsanwaltschaft laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn das Urteil dem Nebenkläger noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung des Urteils an ihn auch dann, wenn eine Entscheidung über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß noch nicht ergangen ist.

(2) War der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend oder durch einen Anwalt vertreten, so beginnt für ihn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auch dann mit der Verkündung des Urteils, wenn er bei dieser nicht mehr zugegen oder vertreten war; er kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nicht wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung beanspruchen. Ist der Nebenkläger in der Hauptverhandlung überhaupt nicht anwesend oder vertreten gewesen, so beginnt die Frist mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn.

(3) Hat allein der Nebenkläger Berufung eingelegt, so ist diese, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch für ihn ein Rechtsanwalt erschienen ist, unbeschadet der Vorschrift des § 301 sofort zu verwerfen. Der Nebenkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung unter den Voraussetzungen der §§ 44 und 45 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen.

(4) Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.