Bundesgerichtshof Beschluss, 07. März 2018 - 1 StR 83/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 7. März 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vollumfänglich Erfolg hat (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
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- Die Ausführungen des Landgerichts zum Rücktritt vom versuchten Totschlag halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
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- 1. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde und zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierte Ange- klagte dem Geschädigten G. mit einem Teppichmesser eine etwa 15 cm lange, stark blutende Schnittverletzung am linken Halsbereich zufügte. Der abstrakt lebensgefährliche Schnitt durchtrennte die oberen Hautschichten und reichte bis in das Unterhautfettgewebe hinein. Nach diesem Schnitt versuchte der Angeklagte weiter auf den körperlich überlegenen Geschädigten in lebensgefährdender Weise einzustechen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil sich der Geschädigte G. zu diesem Zeitpunkt in einer Hecke befand und Hände sowie Äste schützend vor sich hielt. Der Angeklagte ließ sodann von weiteren Angriffen mit dem Messer ab, nachdem ein auf das Geschehen aufmerksam gewordener Anwohner rief, dass er die Polizei verständigt habe und die am Tatort anwesenden Zeugen E. und L. den Angeklagten verbal und auch durch Wegziehen von weiteren Stichen abhielten. Anschließend entschloss sich der Angeklagte zu fliehen und verließ den Tatort.
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- 2. Im Hinblick auf dieses Geschehen hat das Landgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Totschlag nicht vorlägen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Denn der Angeklagte, der im weiteren Verlauf von dem Geschädigten abgelassen habe, obwohl er noch nicht von dessen sicherem Tod habe ausgehen können, habe die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben. Zum einen sei er von den ZeugenE. und L. daran gehindert worden und zum anderen habe er mitbekommen, dass zwischenzeitlich die Polizei verständigt worden sei, mit deren Eintreffen vor Ort in Kürze zu rechnen gewesen sei. Dem Angeklagten sei deshalb klar gewesen, dass er ohne sofortige Flucht Gefahr laufe, noch am Tatort festgenommen zu werden.
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- 3. Die knappen Ausführungen des Landgerichts zum Rücktritt vom versuchten Totschlag leiden an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Denn das Landgericht, das offensichtlich von einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB ausgeht, setzt sich nicht hinreichend mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung – dem sogenannten Rücktrittshorizont – auseinander. Soweit sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen lässt, kann das Urteil einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standhalten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 2017 – 5 StR 303/17, NStZ-RR 2018, 10; vom 23. November 2016 – 4 StR 471/16, JuS 2017, 550; vom 11. März 2014 – 1 StR 735/13, NStZ 2014,396; vom 29. September 2011 – 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263 und vom 11. Februar 2003 – 4 StR 8/03, StraFo 2003, 206; Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273).
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- 4. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht nicht erörtert, ob der den Tatort verlassende Angeklagte nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen ohne Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs hätte vornehmen können, nachdem ihn die in seinem Lager stehenden Zeugen E. und L. , bei denen es sich um einen Freund und seinen jüngeren Bruder handelte, zunächst verbal und durch Wegziehen von weiteren Stichen abhielten. Auch hat das Landgericht für das Vorstellungsbild des Angeklagten bedeutsame konkrete Feststellungen zum objektiven Geschehen, insbesondere zum Eingreifen der Zeugen, zum Verbleib der Tatwaffe nach deren Eingreifen, zur Position der jeweiligen Beteiligten und zur genauen zeitlichen Abfolge nicht getroffen. Nach den bisherigen Feststellungen ist jedenfalls nicht sicher ausgeschlossen, dass der Angeklagte auch nach Eingreifen der genannten Zeugen nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können, bevor er sich entschloss, den Tatort zu verlassen (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 StR 299/17, NStZRR 2017, 335). In Anbetracht der Gesamtumstände und unter Berücksichtigung der obigen Maßstäbe mussten sich dem Landgericht derartige Erörterungen jedoch aufdrängen. Das Fehlen entsprechender Feststellungen und Erörterungen steht einer abschließenden Prüfung durch das Revisionsgericht entgegen.
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- 5. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672; Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 und vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
II.
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- Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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- 1. Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will und dementsprechend „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17 und vom 3. April 2014 – 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241 mwN).
- 10
- 2. Die Verständigung der Polizei und die Kenntnis des Angeklagten davon rechtfertigen für sich genommen weder die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch stehen sie grundsätzlich einer Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen, da ein Täter in der Zeit bis zum Eintreffen derselben grundsätzlich noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17; zu einer beträchtlichen Risikoerhöhung BGH, Urteil vom 15. September 2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, [169]; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, [266]).
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- 3. In Anbetracht der Versagung der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB durch das Landgericht weist der Senat darauf hin, dass nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände vorzunehmen ist. Dabei kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Milderung im Einzelfall selbst dann tragen, wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, NJW 2018, 1180).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.