Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2013 - 1 StR 602/12

published on 08/01/2013 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2013 - 1 StR 602/12
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 602/12
vom
8. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2013 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Juni 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht wegen des Unterbleibens der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. bleibt ohne Erfolg.
1. Sie genügt bereits nicht in jeder Hinsicht den gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift - entgegen der Erwiderung der Revision vom 27. Dezember 2012 - zutreffend aufgezeigt hat, bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die gesetzlich nicht geregelte Untersuchung von Zeugen auf ihre Glaubwürdigkeit einer Einwilligung der Betroffenen (BGH, Urteil vom 29. Juni 1989 - 4 StR 201/89, BGHSt 36, 217, 219; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., § 81c Rn. 9 mwN). Das Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung der zu begutachtenden Person muss von der Revision dargetan werden (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04). Daran fehlt es vorliegend.
Die Revision teilt, worauf der Generalbundesanwalt ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, zudem nicht sämtliche von der Verteidigung während des Strafverfahrens gestellten Anträge auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens und die daraufhin ergangenen Entscheidungen der Strafkammer mit. Dessen hätte es aber vorliegend bedurft, um den gesetzlichen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu entsprechen. Danach müssen die notwendigen Angaben zum Verfahrensgeschehen so umfassend sein, dass dem Revisionsgericht im Sinne einer vorweggenommenen Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Akten die Beurteilung ermöglicht wird, festzustellen, ob der behauptete Verfahrensverstoß vorliegt (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 25. März 1998 - 3 StR 686/97, NJW 1998, 2229; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 344 Rn. 21 mwN). Um dem zu entsprechen, muss bei einer auf die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO gestützten Rüge regelmäßig angegeben werden, welche Umstände das Tatgericht zu weiterer Aufklärung hätten drängen müssen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03, NStZ 2004, 690, 691; Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 52 mwN). Damit das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, zu überprüfen, ob sich der Tatrichter zu der begehrten Aufklärung hätte gedrängt sehen müssen, bedarf es grundsätzlich auch der Mitteilung des Inhalts darauf gerichteter Beweisanträge und der Entscheidungen des Tatgerichts über diese Anträge. Denn gerade aus dem Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ergeben sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage, ob die Amtsaufklärungspflicht eine weitergehende Beweiserhebung erforderte oder nicht. Angesichts dessen hätte die Revision die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft ausgeführte (erneute ) Stellung eines Beweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens im Termin zur Hauptverhandlung vom 19. Juni 2012 und den Inhalt des Ablehnungsbeschlusses der Strafkammer vom selben Tage mitteilen müssen.
2. Die Rüge wäre auch in der Sache unbegründet. Der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens über die Zeugin S. bedurfte es nicht. Die Jugendkammer konnte die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage aufgrund eigener Sachkunde beurteilen und hat daher nicht gegen die Amtsaufklärungspflicht verstoßen.
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie auch hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 155/09, NStZ 2010, 51, 52). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist , die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 12. November 1993 - 2 StR 594/93, StV 1994, 173; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Solche Umstände können gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinnerungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen - die auch im verfahrensgegenständlichen Geschehen selbst ihre Ursache haben können - die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen könnten, und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer möglichen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich fundierte Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt (BGH, Urteil vom 26. April 2006 - 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241 mwN).
Nach diesen Maßstäben bedurfte es vorliegend keiner Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, um der Amtsaufklärungspflicht zu entsprechen. Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des der Zeugin Aussagetüchtigkeit zuschreibenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit der Persönlichkeit der Zeugin und möglichen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aspekten, wie ihrer zeitweiligen psychiatrischen Behandlung, den Berichten von Déjà-vu-Erlebnissen sowie einer denkbaren Übertragung einer möglicherweise während ihres Aufenthaltes in Pakistan erlebten Vergewaltigung auf das Verhalten des Angeklagten, umfassend und sorgfältig auseinandergesetzt sowie erkennen lassen, warum sie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit aufgrund eigener Sachkunde in der Lage war. Angesichts der mit sachverständiger Hilfe rechtsfehlerfrei ausgeschlossenen Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit und dem Fehlen von Wahrnehmungsstörungen lagen in der Person der Zeugin keine solchen Besonderheiten vor, die eine in Jugendschutzsachen erfahrene Jugendkammer außer Stande gesetzt hätte, die Zuverlässigkeit der Angaben zu beurteilen. Erst recht bestanden keine Besonderheiten im genannten Sinn darin, dass Gegenstand der Aussage Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin waren und dass diese zur Zeit der geschilderten Vorfälle in kindlichem bzw. jugendlichem Alter war (vgl. BGH, aaO, NStZ-RR 2006, 241).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.