Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2019 - 1 StR 585/18

published on 22/01/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2019 - 1 StR 585/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 585/18
vom
22. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:220119B1STR585.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 22. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 13. Juli 2018 im Strafausspruch und im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung eines Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


2
1. Nach den Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte am 31. Dezember 2017 gegen 19.00 Uhr zu einer Silvesterfeier in den Keller einer Pension in W. /I. . Dort benahm er sich, unter Alkoholeinfluss stehend , verbal und durch Gesten sexuell ausfällig. So sagte er manchen Frauen, er wolle mit ihnen "ins Bett gehen", und machte dies durch entsprechende Körperbewegungen deutlich. Gegenüber der Zeugin S. äußerte der Angeklagte, sie habe einen blöden Freund, den er am liebsten umbringen wolle, und er würde es ihr dann "ordentlich besorgen". Ein anderes Paar belästigte er mit den Worten, wenn nicht der Mann der Frau in den "Mund ficken" wolle, würde er das tun. Die Aufforderung durch den Zeugen A. U. , sich zu beruhigen, ignorierte er. Als der Angeklagte tanzte, packte der Zeuge I. U. ihn von hinten am Hals. A. U. versetzte dem Angeklagten einen Faustschlag auf das linke Auge. Nunmehr schlugen und traten die beiden Brüder U. sowie das spätere Tatopfer A. auf den zu Boden gegangenen Angeklagten ein. Dadurch erlitt der Angeklagte mehrere Einblutungen am Kopf und Oberkörper.
3
Nachdem die drei Angreifer vom Angeklagten abgelassen hatten, begab dieser sich in sein Zimmer im zweiten Obergeschoss, holte von dort ein Küchenmesser und kam wenige Minuten später gegen 22.00 Uhr in den Flur vor dem Partyraum zurück. Er war wütend, fühlte sich verraten und wegen des "Rauswurfs" gedemütigt; für die Tritte und Schläge wollte er sich rächen. Auf halber Höhe der Kellertreppe stieß er auf I. U. , der ihn aufforderte, das Messer wegzulegen. Als A. zusammen mit seiner schwangeren Lebenspartnerin L. hinzukam, sagte der Angeklagte, er werde der Zeugin nicht wehtun, er ha- be ein Problem mit den beiden Brüdern und mit ihrem Mann. A. trat in Richtung der rechten Hand des Angeklagten, in der dieser das Messer hielt, traf sie jedoch nicht. Unvermittelt trat der Angeklagte auf A. zu und stach diesem sechsmal u.a. in die linke Achselhöhle, in den Oberbauch und in die rechte Brustkorbseite , wobei er den Herzbeutel traf und die Aorta durchtrennte. Dadurch verstarb A. .
4
2. In der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 Alternative 1 StGB mit der Begründung abgelehnt , der Angeklagte habe durch seine "Ausfälligkeiten" die Misshandlungen herausgefordert; auch wenn die Schläge und Tritte nicht erforderlich gewesen seien, um das Fehlverhalten des Angeklagten zu unterbinden, seien diese Körperverletzungen in der Gesamtschau mit den "nicht besonders schwerwiegenden" Verletzungsfolgen "nicht als derart außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses" zur Provokation durch den Angeklagten zu werten, dass sie "als nicht mehr verständliche Reaktionen anzusehen wären". Wegen mehrerer allgemeiner Strafmilderungsgründe wie insbesondere des Geständnisses, der alkoholbedingten Enthemmung und der vorangegangenen Körperverletzung hat das Landgericht dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach einem sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) gewährt.

II.


5
Diese Strafzumessungserwägungen halten der Nachprüfung nicht stand.
6
1. Die Annahme, der Angeklagte habe sich nicht "ohne eigene Schuld" zum Zorn reizen und hierdurch zum Totschlag hinreißen lassen, sodass § 213 Alternative 1 StGB nicht anwendbar sei, begegnet durchgreifenden Bedenken.
7
a) Nicht "ohne eigene Schuld" handelt der Täter, der das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Das ist nicht schon bei jeder Handlung des Täters der Fall, die ursächlich für die ihm zugefügte Misshandlung gewesen ist. Vielmehr muss er dem Opfer genügende Veranlassung gegeben haben; dessen Verhalten muss eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein. Dabei ist die Verständlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 391/18, juris Rn. 7; vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alternative 1 Verschulden 1; vom 2. Oktober 1985 - 3 StR 376/85, StV 1986, 200; vom 26. April 1985 - 2 StR 181/85, StV 1985, 367 und vom 22. Juli 1981 - 3 StR 254/81, juris Rn. 4).
8
b) Die Schläge und Tritte waren nicht verhältnismäßig. Denn sie waren, wie das Landgericht nicht verkannt hat, nicht erforderlich, um den Angeklagten von weiteren Belästigungen abzuhalten. Ein milderer Eingriff wäre es gewesen, wenn die Brüder U. und A. den Angeklagten - gegebenenfalls unter Zerren und Schieben - aus dem Keller gedrängt hätten. Das Einschlagen und Treten auf den am Boden liegenden Angeklagten hatte nichts mehr mit Unterbinden weiterer Ausfälligkeiten zu tun, sondern stellt sich selbst als Rache für die vorangegangene "sexuelle Anmache" dar. Diese nicht mehr verständlichen Misshandlungen sind gar als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu werten. Die drei Angreifer waren nicht aus Nothilfe nach § 32 StGB gerechtfertigt; denn der Angeklagte beleidigte zum Zeitpunkt des Zupackens von hinten nicht mehr.
9
2. Der zeitliche Abstand von wenigen Minuten unterbricht, wie auch das Landgericht zutreffend angenommen hat, den motivationspsychologischen Zusammenhang zwischen der Provokation durch die Tritte und Schläge auf der einen und den Messerstichen auf der anderen Seite nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21 mwN). Neben dem Beweggrund der Rache hatte nach den Urteilsfeststellungen der fortwirkende Zorn in der Form von Wut und Kränkung bestimmenden Einfluss auf die Tatbegehung (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 - 4 StR 48/04, NStZ 2004, 500 f.).
10
3. Die Tritte und Schläge sind von ausreichendem Gewicht, um sie als ausreichend schwere Tatprovokation zu werten. Sie griffen nicht nur unerheblich in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten ein (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582 f. mwN).
11
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler beruht. Denn hätte das Landgericht einen minder schweren Fall nach § 213 Alternative 1 StGB zugrunde gelegt, hätte es die allgemeinen Strafmilderungsgründe nicht zur Annahme des unbenannten vertypten Milderungsgrundes nach § 213 Alternative 2 StGB heranziehen müssen; sie hätten bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten erstmals und damit mit größerem Gewicht berücksichtigt werden können. Der Strafausspruch unterliegt deshalb der Aufhebung. Die Feststellungen können bei diesem Sub- sumtionsfehler aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
12
5. Die Aufhebung des Strafausspruchs zieht die Aufhebung der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs nach sich (§ 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB).
Raum Jäger Cirener
Hohoff Leplow
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.