Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2019 - 2 StR 378/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
- 2
- Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 StPO).
II.
- 3
- Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der ausgeführten Sachrüge hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; hinsichtlich des Schuldspruchs haben sich Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.
- 4
- 1. Das Landgericht hat einen „minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB“ mit der Begründung verneint, es lägen keine Gründe objektiver oder sub- jektiver Art vor, die die Anwendung des Regelstrafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB als unangemessen erscheinen lassen würden. Es hat im Folgenden der konkreten Strafzumessung den gemäß den §§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB zweifach gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren und fünf Monaten vorsieht, zugrunde gelegt. Diese Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 5
- 2. Das Landgericht hat zwar ‒ wie sich aus der Begründung der Verneinung des § 213 StGB entnehmen lässt ‒ einen minder schweren Fall nach § 213 2. Alt. StGB verneint, hat es aber rechtsfehlerhaft versäumt zu erörtern, ob die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB vorliegen. Aus diesem Grund kann auch dahin stehen, ob auch die Prüfung des § 213 2. Alt. StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt, weil dabei die beiden gesetzlich vertypten Milderungsgründe (§ 21 StGB bzw. § 23 StGB) unberücksichtigt geblieben sind.
- 6
- a) Nach den Feststellungen des Landgerichts begann der Geschädigte im Vorfeld der Tat eine anfangs verbal geführte Auseinandersetzung mit dem aus Somalia stammenden Angeklagten, indem er ihm am 26. August 2018 gegen 1.45 Uhr beim Verlassen des Festzeltes auf einem Musikfest inB. abfällig zurief: „Geht doch dorthin, wo ihr herkommt“. Sodann „schnipste“ er ihm mit dem Finger die Kappe von dessen Kopf, um ihn weiter zu provozieren. Der Angeklagte geriet in Rage und rief mehrfach „Don‘t touch me, I kill you!“. Im Rahmen der nun folgenden körperlichen Auseinandersetzung schubste der Geschädigte den Angeklagten. Es kam zudem zu gegenseitigen Faustschlägen ins Gesicht. Dabei platzte die Oberlippe des Angeklagten auf. Nachdem die Ehefrau des Geschädigten ihren Ehemann weggezogen hatte, rief der Angeklagte hinterher: „I kill you!“. Er war sehr wütend und wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Deshalb suchte er auf dem Gelände vor dem Festzelt nach Gegenständen, um sich zu bewaffnen. Dabei fand er eine Glasflasche, die er so abschlug, dass eine scharfe Schnittkante entstand. Der Angeklagte sammelte seine Begleiter ein und forderte sie auf, ihm zu folgen, um sich moralische Unterstützung zu sichern. Daraufhin rannte er ‒ mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung vor dem Zelt ‒ dem Geschädigten hinterher. Als der Angeklagte mit seinen Begleitern den Geschädigten erreicht hatte, umstellten sie diesen. Dessen Frau warnte ihren Ehemann noch mit den Worten „Pass auf, er hat eine Flasche“. Ungeachtet dessen und obwohl einer der Begleiter des Angeklagten diesen noch abzuhalten versuchte, ging der Angeklagte wutentbrannt auf den Geschädigten in der Absicht zu, diesen zu töten. Er schlug ihm mit der rechten Faust ins Gesicht und stach zweimal mit dem abgebrochenen Flaschenhals direkt hintereinander in den Oberkörper seines Opfers.
- 7
- b) Bei diesem Geschehensablauf wäre das Landgericht gehalten gewesen , sich mit den Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB auseinanderzusetzen.
- 8
- aa) Dabei mag dahinstehen, ob die Provokationen zu Beginn der Auseinandersetzung bereits als schwere Beleidigung gemäß § 213 1. Alt. StGB angesehen werden können. Jedenfalls stellt der zum Aufplatzen der Oberlippe führende Faustschlag gegen den Angeklagten eine (erhebliche) Misshandlung im Sinne der Vorschrift dar.
- 9
- bb) Dadurch ist der Angeklagte auch ‒ wie es § 213 1. Alt. StGB voraussetzt ‒ zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. Der Angeklagte war nach den Feststellungen aufgrund der Provokationen des Geschädigten in Rage geraten, war sehr wütend und wollte die Sache auch nicht auf sich beruhen lassen, nachdem die Ehefrau des Geschädigten diesen weg- gezogen hatte. Zur Tat entschlossen suchte er nach einer „Waffe“ und rannte schließlich ‒ mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung ‒ dem Geschädigten hinterher, um ihn zu töten. Dieser Geschehensablauf belegt zwar einen gewissen zeitlichen Abstand zwischen der den Zorn des Angeklagten auslösenden Auseinandersetzung und dem eigentlichen Tatgeschehen. Er unterbricht aber nicht den erforderlichen Zusammenhang, der insoweit bestehen muss, als der durch die Provokation und die Misshandlung hervorgerufene Zorn im Zeitpunkt der Tatbegehung noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 ‒ 1 StR 585/18, NStZ 2019, 471). Davon ist hier auszugehen , wenn der Angeklagte ‒ „weiter wutentbrannt“ und auch nicht von seinem zuvor gefassten Tötungsentschluss abzuhalten ‒ auf den Geschädigten zustürmte , ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und schließlich mit dem Flaschenhals auf ihn einstach. Dass dies mehrere Minuten nach dem Beginn der Auseinandersetzung geschehen ist, stellt insoweit keine relevante Zäsur dar.
- 10
- cc) Schließlich ist es nach den getroffenen Feststellungen zu den Provokationen und der Misshandlung des Angeklagten auch ohne dessen eigene Schuld gekommen. Der Angeklagte hat dem Geschädigten hierzu keine genügende Veranlassung gegeben (vgl. hierzu BGH aaO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Verhalten des Geschädigten seinerseits eine verständliche und verhältnismäßige Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen wäre. So liegt es hier aber nicht, auch wenn der Angeklagte den Geschädigten im Zuge der Auseinandersetzung seinerseits mit dem Tode bedroht und ihn ebenfalls mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Denn aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass der Geschädigte die Auseinandersetzung begonnen und den Angeklagten verbal und körperlich angegriffen hatte (UA S. 31). In Anbetracht dessen kann der Faustschlag gegen den Angeklagten nicht als angemessene Reaktion auf das Verhalten des Angeklagten angesehen werden.
- 11
- dd) Der Strafausspruch beruht auf diesem Rechtsfehler. Es ist nicht auszuschließen , dass das Landgericht bei Annahme der Voraussetzungen des § 213 1. Alt StGB den damit eröffneten, milderen Strafrahmen wiederum zweifach gemäß den §§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert und auch hinsichtlich des tateinheitlich verwirkten Straftatbestands des § 224 StGB einen minder schweren Fall angenommen hätte und innerhalb des neu bestimmten Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt wäre.
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.