Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2015 - 1 StR 564/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2015 beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23. Juni 2015, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Rechtsmittel hat aber Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), soweit das Land- gericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen (§ 64 StGB).
- 2
- Die Kammer ist zunächst ohne Rechtsfehler von einem Hang des Angeklagten zum Konsum von Marihuana und Kokain im Übermaß ausgegangen. Dieser Betäubungsmittelkonsum führte nach den Feststellungen auch zu den Taten, derentwegen der Angeklagte schuldig gesprochen wurde (UA S. 53).
- 3
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB gleichwohl abgelehnt, weil keine Gefahr bestehe, dass der Angeklagte aufgrund seines Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen werde. Der Angeklagte habe in der Haft vom Drogenkonsum Abstand genommen und Bemühungen unternommen, seine Rauschmittelabhängigkeit zu bekämpfen (UA S. 53).
- 4
- Diese Begründung trägt das Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht, da die Kammer für die anzustellende Gefährlichkeitsprognose auf einen Zeitpunkt im Laufe oder nach Abschluss der in Aussicht genommenen freiwilligen Therapie abgestellt hat. Möglichkeiten, Chancen und Maßnahmen einer therapeutischen Behandlung haben dabei aber außer Betracht zu bleiben. Die Gefahr künftiger suchtbedingter Straftaten darf daher nicht deshalb verneint werden, weil der Angeklagte die Behandlungsbedürftigkeit seiner Sucht selbst einsieht und sich therapiewillig zeigt. Die Bereitschaft des Angeklagten, sich freiwillig einer stationären Therapie zu unterziehen , ist für sich genommen kein Grund, von der Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung abzusehen (BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 1997 – 2 StR 504/97 und vom 5. März 2003 – 2 StR 5/03 mwN). Angesichts der Therapiebereitschaft des Angeklagten und des Umstandes, dass eine Therapie bislang noch nicht durchgeführt worden ist (vgl. UA S. 17), sprechen die bisherigen Urteilsfeststellungen auch für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB.
- 5
- Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Wegen der grundsätzlich nicht bestehenden Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregel nach § 64 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 mwN) ist auszuschließen, dass die Strafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
- 6
- Um dem neuen Tatrichter wertungsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen , hebt der Senat die bisherigen Feststellungen insoweit mit auf.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.