Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2018 - 1 StR 481/18

published on 07/11/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2018 - 1 StR 481/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 481/18
vom
7. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
ECLI:DE:BGH:2018:071118B1STR481.18.1

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2018 aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützten Revision, die den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg erzielt, im Übrigen aber unbegründet ist.
2
Die Verfahrensrüge erweist sich aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gründen als unbegründet.
3
Während die revisionsrechtliche Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler aufzeigt, kann das Urteil keinen Bestand haben, soweit die Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben ist.
4
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt: „Nach den Feststellungen absolvierte der Angeklagte nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft am 17. Mai 2017 eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie, die er nach sechs Wochen regelgerecht beendete. Bis zu seiner vorläufigen Festnahme am 7. November 2017 und der sich anschließenden Inhaftierung konsumierte der Angeklagte gelegentlich Cannabis und Kokain (UA S. 7, 24). Die Kammer hat das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB mit der Begründung verneint, nach den Ausführungen der Sachverständigen könne bei dem Angeklagten keine Suchtdiagnose gestellt werden, da über das Ergebnis der Haaranalyse, die einen gelegentlichen Konsum von Cannabis und Kokain ergeben habe (UA S. 24), keine weiteren belastbaren Befunde oder Befundberichte über Entzugserscheinungen, Therapien und Folgeerkrankungen vorlägen. Ein Hang könne somit nicht festgestellt werden (UA S. 29 f). Diese Begründung lässt befürchten, dass die Kammer bei ihrer Prüfung von einer zu engen Definition des Hanges ausgegangen ist. Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss (Senat, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 9 mwN). Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (Senat, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 587/16, juris Rn. 9; Urteil vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15, juris Rn. 7; BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienender Beschaffungstaten (Senat, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 587/16; BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2017 – 2 StR 103/17; und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15). Insoweit kann der Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (Senat, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, juris Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15, juris Rn. 6; und vom 1. April 2008 – 4 StR56/08, juris Rn. 6). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18, juris Rn. 12 mwN). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18, juris Rn. 12 mwN). Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte sowohl Marihuana, als auch Kokain konsumierte und einer geregelten Arbeit weder vor, noch nach seiner Inhaftierung nachging, hätte für die Kammer Veranlassung bestanden, die Hintergründe näher zu beleuchten. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte keine Suchtfolgen zeigte, vermag das Vorliegen eines Hangs nicht zu verneinen.“
5
Dem schließt sich der Senat an.
6
Da er das Vorliegen der übrigen Anordnungsvoraussetzungen nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen vermag, muss deshalb – unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – über die Frage, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, neu verhandelt und entschieden werden.
7
Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt. Das neue Tatgericht darf ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.