Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2018 - 1 StR 355/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 23. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und unerlaubtem Besitz von Patronenmunition sowie wegen Urkundenfälschung schuldig ist;
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.9.-12. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Waffe und Munition und wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.9.-12. der Urteilsgründe nicht (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
- 3
- Der Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt in der hier maßgeblichen Variante unter anderem voraus, dass der Täter eine Schusswaffe beim Handeltreiben mit sich führt. Ein Mitsichführen einer Schusswaffe liegt vor, wenn der Täter eine derartige Waffe bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Hierfür genügt es, dass die Schusswaffe dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung steht, d.h. diese sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Ein Tragen der Waffe oder des Gegenstandes am Körper ist nicht erforderlich; es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16 Rn. 7, NStZ 2017, 714 f. mwN).
- 4
- Nach den Urteilsfeststellungen veräußerte der Angeklagte im Fall II. 9.-12. der Urteilsgründe, in dem das Landgericht eine Bewertungseinheit angenommen hat, aus einer einheitlichen Betäubungsmittelmenge in vier unselbständigen Teilakten Haschisch und Marihuana an den – nicht revidierenden – Mitangeklagten Al. . Der Angeklagte verwahrte zeitgleich in einer von ihm als Bunkerörtlichkeit genutzten Wohnung einen Verkaufsvorrat von unter anderem etwa 1 kg Haschisch und 1,3 kg Marihuana sowie in dem dazugehörigen Kellerraum in einem Koffer 984,5 g (netto) Marihuana. Unmittelbar neben dem Koffer bewahrte er in einer offenen Plastiktüte eine in Frischhaltefolie, ein Geschirrtuch und einen handelsüblichen Gefrierbeutel verpackte, halbautomatische Kurzwaffe Remington Colt, Kaliber 45 sowie 36 ebenfalls in Frischhaltefolie verpackte Patronen. Dabei waren sowohl die Waffe als auch die Munition jeweils drei- bis viermal mit Frischhaltefolie umwickelt. In die Waffe war das leere Magazin eingeführt , der Abzugshahn war gespannt. Der Angeklagte hätte – so das Landgericht – die Waffe innerhalb von 30 Sekunden einsatzbereit machen können.
- 5
- Von einem Mitsichführen im Sinne des Tatbestandes kann bei der gegebenen Fallgestaltung nicht ausgegangen werden. Ist allein für das Auspacken der – nicht geladenen – Waffe und der Munition zunächst aus der Plastiktüte, sodann aus dem Geschirrtuch und schließlich jeweils aus der Frischhaltefolie eine größere Zeitspanne erforderlich, kann von einer jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit und einer (dem Angeklagten bewussten) Gebrauchsbereitschaft und Verfügbarkeit der Schusswaffe im Sinne des Tatbestandes nicht mehr die Rede sein.
- 6
- Der Senat hat den Schuldspruch selbst geändert, weil ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 7
- Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der im Fall II. 9.-12. der Urteilsgründe verhängten Einsatzstrafe. Zusammen mit der Einzelstrafe entfällt auch die Gesamtfreiheitsstrafe. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Bär Hohoff
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.
(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.