Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2000 - 1 StR 103/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat mit Beschluß vom 7. Dezember 1999 die Revision der Nebenklägerin gegen das landgerichtliche Urteil vom 18. August 1999 mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der in § 345 Abs. 1 StPO bestimmten Frist begründet worden. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit Anträgen auf Entscheidung des Revisionsgerichts und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Anträge haben Erfolg.1. Der Senat hat folgenden Verfahrensgang festgestellt: Rechtsanwalt G. legte als Vertreter der Nebenklägerin am 24. August 1999 gegen das vom Landgericht am 18. August 1999 verkündete Urteil Revision ein. Das Urteil wurde am 24. September 1999 an den Rechtsanwalt zugestellt. Dieser begründete die Revision - gestützt auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde - im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999, eingegangen beim Landgericht am 27. Oktober 1999. Die Strafkammer teilte dem Rechtsanwalt am 28. Oktober 1999 mit, das Rechtsmittel sei verspätet.
Rechtsanwalt G. bestritt im Schriftsatz vom 4. November 1999 die Zustellung des Urteils am 24. September 1999. Ein Umschlag, auf dem die Zustellung vermerkt worden sei, befinde sich nicht bei seinen Akten. Wenn die Zustellungsurkunde das Datum ausweise, handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Schreibfehler. Sein Eingangsstempel auf der ersten Seite der ihm zugestellten landgerichtlichen Urteilskopie trage das Datum des 27. September 1999.
Gleichzeitig beantragte der Rechtsanwalt wegen der Versäumung der Frist zur formgerechten Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu führte er aus, eine eventuelle Fehlstempelung beim Posteingang sei ihm nicht zurechenbar, denn es liege kein von ihm zu vertretenes organisatorisches Verschulden vor. Der Anwalt dürfe den Posteingang durch ausgebildete, erfahrene und zuverlässige Kräfte in eigener Verantwortung erledigen lassen. Bei seinen beiden Angestellten handele es sich um ausgebildete Anwaltsekretärinnen, die langjährige
Praxiserfahrung hätten. Aufgrund seiner Anweisung hätten sie die eingehende Post am Tage des Eingangs zu stempeln. Es sei in der täglichen Praxis noch nie vorgekommen, daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei.
2. Die Anträge haben Erfolg. Die Nebenklägerin hat glaubhaft gemacht , daß sie aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Ihr ist deshalb wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Verwerfungsbeschluß nach § 346 Abs. 1 StPO hat keinen Bestand.
a) Aus der mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten Zustellungsurkunde ergibt sich, daß das landgerichtliche Urteil am 24. September 1999 an Rechtsanwalt G. zugestellt worden ist. Die vom Landgericht veranlaßten Anfragen bei der Post ergeben auch nach Auffassung des Senats nichts anderes.
b) Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihren Prozeßbevollmächtigten daran kein Verschulden trifft. Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschl. v. 12. Februar 1965 – IV ZR 231/63 = BGHZ 43, 148, 153; Beschluß v. 13. Januar 2000 – VII ZB 20/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 44 Rdn. 20). Die Nebenklägerin hat durch ergänzenden
Vortrag ihres Rechtsanwalts im Schriftsatz vom 4. November 1999, durch Vorlage der Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils, das als Eingangsstempel den 27. September 1999 trägt, und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Der Rechtsanwalt hat vorgetragen, daß er die Anweisung erteilt hat, die eingehende Post sei am Tage des Eingangs zu öffnen und mit dem Eingangsstempel zu versehen. In der täglichen Praxis sei es nie vorgekommen , daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei. Er habe sich daher für die Überwachung der Fristen auf die Richtigkeit des Eingangsstempels 27. September 1999 verlassen können. Danach bestehen keine Bedenken, daß der Rechtsanwalt die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung herkömmlicher Fristen den Büroangestellten überlassen konnte. Es liegt kein Fall vor, der ihn veranlassen mußte, selbst eine weitergehende Kontrolle der Zustellung und des Beginns der Frist vorzunehmen. Das Anbringen des falschen Eingangsstempels, der Grundlage für die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist war, beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzelversehen einer Angestellten.
c) Einer Nachholung der versäumten Revisionsbegründung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf es hier nicht, weil die Revision im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999 bereits vorher – wenn auch nicht fristgerecht – begründet und der Anwalt im Wiedereinsetzungsantrag vom 4. November 1999 zumindest stillschweigend darauf Bezug genommen hat (Maul in KK
StPO 4. Aufl. § 45 Rdn. 9 m. w. Nachw.). Das Vorbringen der Nebenklägerin bedarf daher revisionsrechtlicher Überprüfung.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz
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(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.