Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2000 - VII ZB 20/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
1. Die Beklagten zu 2 bis 4 (im folgenden: Beklagte) sind durch Urteil des Landgerichts L. gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 101.456,86 DM nebst Zinsen verurteilt worden. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 31. März 1999 zugestellt worden. Dieser hat es an die jetzigen Prozeßbevollmächtigten weitergeleitet, die in erster Instanz als Korrespondenzanwälte tätig waren. Die Berufung wurde nach Ablauf der Berufungsfrist am 3. Mai 1999 eingelegt. Die Beklagten haben Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie haben vorgetragen, die Eingangspost werde von einer ausgebil-deten und erfahrenen Büroangestellten auf Fristensachen kontrolliert. Die Frist würde im Hauptterminkalender notiert. Dabei sei irrtümlich die Berufungsfrist auf den 3. Mai 1999 eingetragen worden. Die Büroangestellte würde durch die Bürovorsteherin kontrolliert. Beiden sei der Irrtum nicht aufgefallen. 2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dazu hat es ausgeführt, der Anwalt dürfe zwar die Berechnung einfacher Fristen geschulten und zuverlässigen Mitarbeitern seines Büros übertragen. Um eine derartige Angelegenheit handele es sich jedoch nicht. Das Zustellungsdatum sei ausweislich des Deckblatts des erstinstanzlichen Urteils weder durch den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt worden noch habe es dieser auf dem Urteil vermerkt. Auf Seite 1 des Urteils befinde sich lediglich der Eingangsstempel mit dem Datum: "31. März 1999". Die Büroangestellten hätten nicht nur die Berufungsfrist berechnen und notieren, sondern auch erkennen müssen, daß die Frist durch den Korrespondenzanwalt, den späteren zweitinstanzlichen Anwalt, zu wahren sei; zudem hätten sie das Datum der Zustellung ermitteln müssen. Es sei nicht vorgetragen , daß organisatorisch die differenzierte Behandlung von einfachen und nicht einfachen Fristen sicher gestellt sei. 3. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der sofortigen Beschwerde. Darin machen sie geltend, es habe sich um eine einfache Frist gehandelt. Denn der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte habe das Zustellungsdatum in dem Schreiben vom 1. April 1999 vermerkt, mit dem er das Urteil übersandt habe. 4. Die Beschwerde hat Erfolg.
Die Beklagten haben glaubhaft gemacht, daß sie ohne ihr Verschulden gehindert waren, die Berufungsfrist einzuhalten. Ihnen ist deshalb wegen Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 233 ZPO. Aus dem mit der Beschwerde vorgelegten Schreiben des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 1. April 1994 ergibt sich, daß das landgerichtliche Urteil am 31. März 1999 zugestellt worden ist. Nach diesem ergänzten und glaubhaften Vortrag trifft den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden an der Fristversäumung.
a) Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschluß vom 12. Februar 1965 - IV ZR 231/63 = BGHZ 43, 148, 153; Beschluß vom 30. Oktober 1979 - VI ZB 10/79 = VersR 1980, 192). Die Beklagten haben durch Vorlage des Schreibens vom 1. April 1994 und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorlag. Die Berechnung der Berufungsfrist war einfach. Aus dem Schreiben des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten ergab sich zweifelsfrei, wann das landgerichtliche Urteil zugestellt worden ist. Es bestehen keine Bedenken, die Feststellung des Fristbeginns in einem solchen Fall den gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten zu überlassen. Insofern liegt der Fall anders als der vom Berufungsgericht herangezogene Fall (BGH, Beschluß vom 26. September 1996 - V ZB 25/96 = NJW-RR 1997, 55). Denn in diesem Fall war das Zustellungsdatum nicht zweifelsfrei mitgeteilt worden, so daß es dem Kanzleipersonal überlassen blieb, dieses anderweitig zu ermitteln.
b) Der in der Beschwerde nachgeholte Vortrag der Beklagten war zu berücksichtigen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, nach Ablauf der Antragsfrist mit der Beschwerde ergänzt werden können (BGH, Beschluß vom 6. Mai 1999 - VII ZB 6/99 = NJW 1999, 2284). So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat nicht aufgeklärt, ob der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte dem Korrespondenzanwalt das Zustellungsdatum mitgeteilt hat. Es ist vielmehr ohne weiteres davon ausgegangen, daß lediglich das Urteil übersandt worden ist. Mit Rücksicht darauf, daß die Beklagten in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch nichts dazu vorgetragen haben, woraus sich das richtige Zustellungsdatum ergab, hätte das Berufungsgericht zu diesem erkennbar übersehenen Aspekt Gelegenheit zur Ergänzung geben müssen. Ullmann Thode Haß Kniffka Wendt
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.