Bundesfinanzhof Beschluss, 16. Dez. 2014 - X K 5/14

published on 16/12/2014 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 16. Dez. 2014 - X K 5/14
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Gericht

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Tatbestand

1

I. Der Beklagte, Beschwerdegegner und Wiederaufnahmebeklagte (das Finanzamt --FA--) hatte gegen die Klägerin, Beschwerdeführerin und Wiederaufnahmeklägerin (Klägerin) im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung Bescheide über Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 1997 bis 2006 erlassen, in denen die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb geschätzt worden war. Nachdem der erkennende Senat ein erstes klageabweisendes Urteil des Finanzgerichts (FG) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hatte (Beschlüsse vom 29. Juni 2011 X B 242-244/10, BFH/NV 2011, 1715), minderte das FG die Schätzungsbeträge im zweiten Rechtsgang, setzte die Festsetzungen entsprechend herab und wies die Klagen im Übrigen ab. Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerin gegen diese Entscheidungen blieben beim erkennenden Senat ohne Erfolg (Beschluss vom 14. Mai 2013 X B 123-125/12, BFH/NV 2013, 1253).

2

Mit einem am 23. Juni 2014 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schreiben begehrt die Klägerin die Wiederaufnahme der Verfahren X B 123-125/12. Sie bringt vor, erst am 6. Juni 2014 im Wege der erneuten Einsichtnahme in die Akten des parallel geführten Steuerstrafverfahrens Kenntnis von dem Video-Observationsbericht und dessen Auswertung erhalten zu haben. Diese Unterlagen habe die Steuerfahndung erst mit Schreiben vom 20. März 2014 zu den Strafakten gereicht; zuvor seien sie der Klägerin nicht zugänglich gewesen. Aus diesen Unterlagen ergebe sich die Notwendigkeit der Vernehmung des Fahndungsprüfers.

3

Die Klägerin beantragt,
die abgeschlossenen Verfahren X B 123-125/12 wieder aufzunehmen und die Revisionen zuzulassen,
hilfsweise, die Wiederaufnahmeklage an das FG zu verweisen.

4

Das FA hält den BFH für nicht zuständig und beantragt,
die Wiederaufnahmeklage an das FG zu verweisen,
hilfsweise, die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Wiederaufnahmeklage ist an das FG zu verweisen.

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1. Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien (Beteiligten) von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges (§ 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG--). Diese Vorschrift ist im finanzgerichtlichen Verfahren in Fällen der Anrufung eines sachlich oder örtlich unzuständigen Gerichts entsprechend anzuwenden (§ 70 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

7

a) Die sachliche Zuständigkeit --hier: instanzielle Zuständigkeit als Unterfall der sachlichen Zuständigkeit-- für Wiederaufnahmeklagen richtet sich nach § 584 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 134 FGO. Danach ist für Wiederaufnahmeklagen --abgesehen von der im finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufungsinstanz-- ausschließlich zuständig das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat; jedoch das Revisionsgericht, wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil auf Grund der §§ 579, 580 Nrn. 4, 5 ZPO angefochten wird.

8

Danach liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts nicht vor. Zwar ist "Revisionsgericht" im Sinne dieser Vorschrift auch das Rechtsmittelgericht, das über eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision entschieden hat (BFH-Beschlüsse vom 25. November 1999 I K 1/98, BFH/NV 2000, 730, und vom 26. Juni 2003 III K 1/03, BFH/NV 2003, 1436). Jedoch hat die Klägerin ihre Wiederaufnahmeklage nicht auf die §§ 579, 580 Nrn. 4, 5 ZPO gestützt. Ausdrücklich bezeichnet sie keinen der gesetzlichen Nichtigkeits- oder Restitutionsgründe. Ihr Begehren ist aber sinngemäß dahingehend auszulegen, dass sie den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO geltend machen will, da sie vorbringt, erst nach der Rechtskraft der vorangehenden Entscheidungen den Observationsbericht und dessen Auswertung zu benutzen in den Stand gesetzt worden sei. Damit ist das FG als das Gericht, welches das angefochtene Urteil in erster Instanz erlassen hat (vgl. § 584 ZPO), grundsätzlich für die Entscheidung über die Restitutionsklage ausschließlich zuständig. Dies ist nach der Systematik des § 584 ZPO auch in der Sache gerechtfertigt, weil die von der Klägerin vorgebrachten Restitutionsgründe nicht die eigene Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, sondern die tatsächlichen Feststellungen des Instanzgerichts betreffen (vgl. auch hierzu BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 730).

9

b) Die in § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG vorgesehene Anhörung der Beteiligten ist im vorliegenden Verfahren entbehrlich. Das FA hat in seiner Klageerwiderung auf die Unzuständigkeit des BFH hingewiesen und die Verweisung an das FG beantragt. In seiner Replik ist die Klägerin dem nicht entgegengetreten und hat selbst --jedenfalls hilfsweise-- die Verweisung beantragt.

10

2. Wird mit einer Restitutionsklage ein unzuständiges Gericht angerufen, ist die Entscheidung über die Verweisung an das zuständige Gericht nicht durch formlose Abgabe, sondern durch bindenden Beschluss zu treffen (Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29. November 1990 AR 2 Z 85/90, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1991, 133). Aus diesem Grund wahrt die Klageerhebung beim unzuständigen Gericht die in § 586 Abs. 1 ZPO für Wiederaufnahmeklagen vorgesehene Frist von einem Monat seit Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund (vgl. auch § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG; Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. November 1969  4 RJ 117/69, BSGE 30, 126).

11

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (§ 17b Abs. 2 GVG i.V.m. § 70 Satz 1 FGO).

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(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden. (2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Am
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(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden. (2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Am
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published on 21/03/2018 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZR 196/17 vom 21. März 2018 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2018:210318BIVZR196.17.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann, di
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(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.

(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.

(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.

(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.

Für das Revisionsverfahren gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug und die Vorschriften über Urteile und andere Entscheidungen entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften über die Revision nichts anderes ergibt. § 79a über die Entscheidung durch den vorbereitenden Richter und § 94a über das Verfahren nach billigem Ermessen sind nicht anzuwenden. Erklärungen und Beweismittel, die das Finanzgericht nach § 79b zu Recht zurückgewiesen hat, bleiben auch im Revisionsverfahren ausgeschlossen.

(1) Für die Klagen ist ausschließlich zuständig: das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat; wenn das angefochtene Urteil oder auch nur eines von mehreren angefochtenen Urteilen von dem Berufungsgericht erlassen wurde oder wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil auf Grund des § 580 Nr. 1 bis 3, 6, 7 angefochten wird, das Berufungsgericht; wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil auf Grund der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 angefochten wird, das Revisionsgericht.

(2) Sind die Klagen gegen einen Vollstreckungsbescheid gerichtet, so gehören sie ausschließlich vor das Gericht, das für eine Entscheidung im Streitverfahren zuständig gewesen wäre.

Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann nach den Vorschriften des Vierten Buchs der Zivilprozessordnung wiederaufgenommen werden.

(1) Für die Klagen ist ausschließlich zuständig: das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat; wenn das angefochtene Urteil oder auch nur eines von mehreren angefochtenen Urteilen von dem Berufungsgericht erlassen wurde oder wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil auf Grund des § 580 Nr. 1 bis 3, 6, 7 angefochten wird, das Berufungsgericht; wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil auf Grund der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 angefochten wird, das Revisionsgericht.

(2) Sind die Klagen gegen einen Vollstreckungsbescheid gerichtet, so gehören sie ausschließlich vor das Gericht, das für eine Entscheidung im Streitverfahren zuständig gewesen wäre.

(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.

(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.

(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.

(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.

(1) Die Klagen sind vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tag der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, sind die Klagen unstatthaft.

(3) Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes sind auf die Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung nicht anzuwenden; die Frist für die Erhebung der Klage läuft von dem Tag, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter das Urteil zugestellt ist.

(4) Die Vorschrift des Absatzes 2 Satz 2 ist auf die Restitutionsklage nach § 580 Nummer 8 nicht anzuwenden.

(1) Nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses wird der Rechtsstreit mit Eingang der Akten bei dem im Beschluß bezeichneten Gericht anhängig. Die Wirkungen der Rechtshängigkeit bleiben bestehen.

(2) Wird ein Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen, so werden die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.

(3) Absatz 2 Satz 2 gilt nicht in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.