Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Juli 2018 - 8 N 16.2563
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
A.
B.
C.
Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Juli 2018 - 8 N 16.2563
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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Juli 2018 - 8 N 16.2563 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.
(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.
(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
Tatbestand
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I. Das Finanzgericht München entschied im Verfahren 8 K 2633/08 am 24. September 2010 vorab durch Zwischenurteil und ließ die Revision zu. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) am 8. Oktober 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 8. November 2010 legte der Kläger gegen das Urteil Revision ein. Der in den Nachtbriefkasten des Bundesfinanzhofs (BFH) eingeworfene Schriftsatz wurde laut Eingangsstempel am 10. November 2010 entnommen und an diesem Tag mit der Eingangslistennummer 2182/10 erfasst. Der Stempel lautet im Einzelnen wie folgt:
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"Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis V (vor 24 Uhr) - Störungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt.
-
Bundesfinanzhof
-
München, den 10.11.10
-
. . . . . . . . . . . . . ."
-
(Unterschrift) (Unterschrift)
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Unterschrieben ist der Eingangsstempel von den Beamten Erster Justizhauptwachtmeister (E.JHW) A und Erster Hauptwachtmeister (E.HW) B des BFH. Lt. "Protokoll über die Leerung des Nachtbriefkastens des Bundesfinanzhofs" für den Monat November 2010 (Gerichtsakte Bl. 56) waren die genannten Beamten am 10. November 2010 für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständig. Am 9. November 2010 war neben E.JHW A der Beamte E.HW C zuständig. Dies wird durch die eigenhändigen Unterschriften der genannten Personen im Protokoll dokumentiert.
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Mit Schreiben vom 19. November 2010 teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem Kläger mit, dass die Revision "erst am 9. November 2010 beim Bundesfinanzhof - und daher verspätet - eingegangen" sei. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung trägt der Kläger unter entsprechender Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts und Steuerberaters S vor:
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Die Prozessbevollmächtigte habe mit dem Kläger bereits am Freitag, den 5. November 2010, abgestimmt, dass die Revision am 8. November 2010 durch persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Haupteingang des BFH eingelegt werden solle. Der Schriftsatz zur Einlegung der Revision sei an dem genannten Montag gegen 17:00 Uhr unterzeichnet worden. Anschließend sei der Kläger darüber informiert worden, dass die Revisionsschrift am selben Tag dem BFH zugehen werde.
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Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten habe den DIN A4-Umschlag mit der Revisionsschrift am Nachmittag des 8. November 2010 fertig gestellt und S übergeben. S habe es persönlich übernommen, den Umschlag mit dem Schriftsatz auf seinem Heimweg nach Arbeitsschluss vom Büro nach Hause in den Gerichtsbriefkasten des BFH einzuwerfen.
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S sei am Abend des 8. November 2010 noch bis ca. 20:00 Uhr in seinem Büro (…) tätig gewesen. Auf dem Weg nach Hause sei er zwischen 20:00 Uhr und 21.00 Uhr, jedenfalls mehrere Stunden vor Mitternacht, mit seinem Fahrzeug vom Effnerplatz kommend beim Haupteingang des BFH vorgefahren und habe den Briefumschlag in den ihm bestens bekannten Gerichtsbriefkasten rechts vom Haupteingang eingeworfen. S habe an diesem Gerät keine Irregularität feststellen können. Er sei deshalb bis zum Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 19. November 2010 vom fristgerechten Zugang der Revisionsschrift ausgegangen. Es sei unerklärlich, wie es zu der Fristüberschreitung habe kommen können.
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Da dem Kläger die nähere technische Beschaffenheit des Gerichtsbriefkastens des BFH nicht bekannt sei, könne und wolle er auch keine Vermutungen darüber anstellen, ob überhaupt und aufgrund welcher technischer oder eventuell auch menschlicher Vorkommnisse der nach bestem Wissen am 8. November 2010 eingeworfene Umschlag erst am 9. November 2010 beim BFH eingegangen sei.
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In der beim BFH fristgerecht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, unter Änderung des Nachforderungsbescheids vom 20. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2008 die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag 2003 um 17.947,46 € herabzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Die Revision ist verspätet eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
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1. Die gegen das Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO) gerichtete Revision ist verspätet eingelegt worden.
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a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Im Streitfall endete nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 8. Oktober 2010 die Revisionsfrist am 8. November 2010. Die ausweislich des beim BFH angebrachten Eingangsstempels erst am 9. November 2010 eingegangene Revision war daher verspätet.
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b) Soweit der Kläger die sachliche Unrichtigkeit des Eingangsstempels in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden.
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Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss der BFH von der Rechtzeitigkeit einer Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein (BFH-Urteil vom 19. Juli 1995 I R 87, 169/94, BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19). Auch im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung kommt einer öffentlichen Urkunde entsprechend § 418 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein hoher Beweiswert zu, so dass diese nach allgemeinen Erfahrungssätzen im Regelfall vollen Beweis für die in ihr beurkundeten Tatsachen erbringt. So erbringt der Eingangsstempel eines Gerichts grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens (BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BFH-Beschluss vom 7. April 1998 VII R 70/96, BFH/NV 1998, 1115; BFH-Beschluss vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 96 FGO Rz 95). Zwar ist der Gegenbeweis zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Rechtzeitigkeit des Eingangs muss aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis noch nicht erbracht (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 418 Rz 4; s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460). Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Oktober 2004 VII ZR 33/04, Betriebs-Berater 2005, 182).
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c) Im Streitfall hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des BFH unzutreffend ist, nicht geführt. Seine Behauptung, S habe den Schriftsatz selbst am 8. November 2010 vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, kann mit der dem Senat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht bewiesen werden. Denn die eidesstattliche Versicherung ist letztlich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO; BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BGH-Urteil vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2000, 852). Die Glaubhaftmachung, die anders als der Vollbeweis nur eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ist, kommt nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen in Betracht (Zöller/ Greger, a.a.O., § 294 Rz 1; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 42).
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Nach den Feststellungen des Senats funktionierte der Nachtbriefkasten des BFH im fraglichen Zeitraum einwandfrei; zu Störfällen ist es nicht gekommen, wie auch das erwähnte Protokoll dokumentiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Leerung am 9. November 2010 zuständigen Bediensteten versehentlich ein falsches Datum (etwa 10. statt 9. November 2010) gestempelt und zu Protokoll gegeben hätten. Dagegen spricht bereits, dass E.HW B, dessen Unterschrift sich auf dem Eingangsstempel befindet, lt. erwähntem Protokoll am 9. November 2010 an der Leerung des Nachtbriefkastens nicht beteiligt war und deshalb die Unterschrift an diesem Tag weder auf dem Stempel noch im Protokoll leisten konnte. Es kommt hinzu, dass die Revisionsschrift ebenfalls erst am 10. November 2010 von der Gerichtsverwaltung als neues Verfahren "erfasst" worden ist. Regelmäßig wird nämlich die dem Nachtbriefkasten entnommene Post, die keinem Verfahren zugeordnet werden kann, unverzüglich der Erfassungsstelle weitergeleitet.
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Die nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass der nach Angaben des S am 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfene Schriftsatz bei der Entleerung am Morgen des 9. November 2010 versehentlich nicht entnommen worden ist, reicht, wie dargestellt, zur Führung des Gegenbeweises nicht aus.
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2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.
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Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.
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Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Nach der Darstellung des Klägers hat S, einer der beiden Unterzeichner der Revisionsschrift, den Schriftsatz persönlich am Abend des 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten des BFH einwerfen wollen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass der Einwurf durch ein von S nicht zu vertretendes Ereignis verzögert worden wäre. Wenn gleichwohl aus den genannten Gründen ein verspäteter Einwurf als bewiesen anzusehen ist, kann das nur daran liegen, dass der Schriftsatz zu spät aus dem Machtbereich der Prozessbevollmächtigten herausgelangt ist; das wäre nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehensablauf nicht ohne Verschulden des S denkbar (s. BGH-Urteil in HFR 2000, 852).
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
Tenor
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Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in die Verfassungsbeschwerdefrist gewährt.
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Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Oktober 2015 - III -1 Vollz (Ws) 366/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
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Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz die Annahme einer rechtsmittelfähigen Beschwer gebietet, wenn die Strafvollstreckungskammer auf einen Verpflichtungsantrag lediglich eine Neubescheidung des Antragstellers angeordnet hat, und ob ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2011 wegen Verstößen gegen das Waffen-, das Sprengstoff- und das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde gemäß § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die zunächst im Zentrum für Forensische Psychiatrie in L… und seit April 2013 in der Maßregelvollzugsklinik H… vollstreckt wurde. Der Beschwerdeführer hatte einen Amoklauf an seiner ehemaligen Schule geplant.
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2. Er verfügte im Maßregelvollzug über eine Spielekonsole "Xbox", die er mit einer Festplatte nutzte. Nachdem die Spielekonsole im April 2014 von einem externen Unternehmen repariert und an die Maßregelvollzugsanstalt zurückgeschickt worden war, bemerkte diese erstmals die Festplatte an dem Gerät. Dabei ist zwischen der Maßregelvollzugsanstalt und dem Beschwerdeführer streitig, ob es sich um eine interne oder eine externe Festplatte handelt. Unter Berufung auf ihre Medienregelung, wonach der Besitz von Festplatten grundsätzlich untersagt ist, stellte die Maßregelvollzugsanstalt die Festplatte sicher und gab dem Beschwerdeführer die Konsole ohne die Festplatte zurück.
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3. Am 11. Juli 2014 beantragte der Beschwerdeführer die Herausgabe der Festplatte. Er berief sich auf Bestandsschutz, weil er die Festplatte von Anfang an benutzt habe, und machte zudem geltend, dass von dem Gerät keine Gefahr ausgehe. Es ermögliche lediglich das Abspielen von Musik und Spieleinhalten, nicht aber das Speichern von Filmdateien. Mit Schreiben vom 25. August 2014 vertiefte der Beschwerdeführer sein Vorbringen, nachdem die Maßregelvollzugsanstalt es unter dem 5. August 2014 abgelehnt hatte, ihm seine Festplatte herauszugeben. Er trug insbesondere vor, dass die Medienregelung veraltet und interne Festplatten erlaubt seien und dass es sich bei seiner Festplatte um eine solche handele. Ferner verfüge ein anderer Patient ebenfalls über eine Spielekonsole mit einer Festplatte.
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4. Die Maßregelvollzugsanstalt lehnte die Herausgabe der Festplatte zuletzt im Oktober 2014 ab und verwies darauf, dass externe Festplatten nicht erlaubt seien. Der Beschwerdeführer könne als Speichermedium eine SD-Karte nutzen.
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5. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 15. Oktober 2014 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Darin ersuchte er die zuständige Strafvollstreckungskammer um einen "gerichtlichen Entscheid". Es bestehe Bestandsschutz hinsichtlich seiner vollständigen Xbox, und es sei nicht nachvollziehbar, dass er nunmehr darauf verwiesen werde, eine SD-Karte zu nutzen, deren Erwerb nach der aktuellen Medienregelung der Anstalt zudem verboten sei. Die Überprüfung des Sachverhalts durch eine neutrale Instanz sei nunmehr erforderlich.
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6. Die Maßregelvollzugsanstalt führte in ihrer Stellungnahme vom 13. November 2014 aus, die Wegnahme der Festplatte sei rechtmäßig gewesen. Elektronische Geräte zum Speichern und zur Verarbeitung größerer Datenmengen könnten bereits aufgrund ihrer abstrakt-generellen Gefährlichkeit für die Sicherheit in (Maßregel-) Vollzugseinrichtungen untersagt werden. Aufgrund der anstaltsinternen Medienregelung, die dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sei, sei der Besitz von Geräten zum Speichern größerer Datenmengen untersagt. Besondere Ausnahmegründe lägen in der Person des Beschwerdeführers nicht vor. Der Besitz einer externen Festplatte sei zu keinem Zeitpunkt genehmigt worden. Bei der Verlegung müsse die neue Anstalt zudem nicht alle bestehenden Erlaubnisse der vorherigen Einrichtung ungeprüft übernehmen.
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7. Der Beschwerdeführer ergänzte seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit einem Schreiben vom 8. Dezember 2014. Im Wesentlichen führte er aus, die Argumentation der Maßregelvollzugsanstalt gehe fehl, wonach aus Sicherheitsgründen bereits vorhandene Gegenstände nachträglich eingezogen werden dürften. Dies sei nur im Falle eines verletzten Vertrauensverhältnisses aufgrund missbräuchlicher Anwendung des Geräts möglich. Zudem habe die Anstalt insoweit die besondere Situation der Unterbringung im Vergleich zum Strafvollzug nicht hinreichend berücksichtigt. Es handele sich vorliegend um eine interne und keine externe Festplatte, was anhand einer Fotodokumentation nachgewiesen werden könne. In weiteren Schreiben vom 4. April und 5. Juni 2015 wiederholte er im Wesentlichen seinen Vortrag.
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8. Mit Beschluss vom 12. Juni 2015 wurde die Maßregelvollzugsanstalt durch das Landgericht Bochum verpflichtet, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu bescheiden.
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Der Antrag, mit dem "sinngemäß die Herausgabe der Festplatte" begehrt werde, sei begründet. Zwar ergebe sich aus von der Maßregelvollzugsanstalt vorgelegten Lichtbildern, dass es sich bei der Festplatte um ein externes Gerät handele, das nach der Medienregelung unzulässig sei. Die Anstalt könne den Besitz jedoch nicht unter pauschaler Berufung auf die Medienregelung verbieten, weil es sich dabei um eine interne Verwaltungsvorschrift handele. Entscheidend sei vielmehr, ob von der Festplatte eine Gefährdung im Sinne von § 7 Abs. 3 und Abs. 4 des Nordrhein-Westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes (MRVG NRW) ausgehe. Dies habe die Anstalt jedoch nicht dargelegt. Insbesondere habe sie nicht aufgezeigt, welche Art von konkretem Missbrauch bei einer Nutzung der Festplatte zu befürchten sei und welche Gefahren dies mit sich bringe. Darüber hinaus sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil anderen Patienten die Nutzung einer Spielekonsole mit Festplatte gestattet worden sei.
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9. Gegen den landgerichtlichen Beschluss legte der Beschwerdeführer am 20. Juli 2015 Rechtsbeschwerde ein. Er rügte insbesondere, dass auf den von der Maßregelvollzugsanstalt vorgelegten Lichtbildern nicht seine, sondern eine andere Konsole abgebildet sei. Diese Lichtbilder und das dazugehörige Schreiben der Maßregelvollzugsanstalt seien ihm vor der Entscheidung nicht zugestellt worden, so dass er hierzu nicht habe Stellung nehmen können. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handele es sich bei der sichergestellten Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne. Dies ergebe sich daraus, dass sie nicht über einen USB-Anschluss verfüge, sondern über einen speziellen Xbox-Anschluss mit der Spielekonsole verbunden werde. Die Kammer habe nicht aufgeklärt, inwieweit eine SD-Karte weniger gefährlich sein solle als seine Xbox-Festplatte.
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10. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Oktober 2015 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Der Beschwerdeführer sei durch den angegriffenen Beschluss vom 12. Juni 2015 nicht beschwert, weil das Landgericht seinem Antrag vollumfänglich entsprochen habe, indem es die Maßregelvollzugsanstalt verpflichtet habe, den Beschwerdeführer unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden.
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11. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 eine Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts sei er durch den landgerichtlichen Beschluss beschwert, weil er eine Verpflichtungsklage erhoben, das Landgericht die Maßregelvollzugsanstalt aber nicht zur Herausgabe der Festplatte verpflichtet habe. Seinem Begehren sei somit nicht entsprochen worden und ein neues Verfahren werde notwendig. Außerdem beruhe die landgerichtliche Entscheidung wie auch die des Oberlandesgerichts auf einer falschen Tatsachengrundlage, weil es sich bei seiner Festplatte um eine interne Festplatte handele. Darauf habe er mehrfach hingewiesen. Das Oberlandesgericht habe sich damit nicht auseinandergesetzt.
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12. Das Oberlandesgericht wies die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellungen mit Beschluss vom 1. Dezember 2015 zurück. Das Gericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Ergänzend wies der Senat darauf hin, dass für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, allein der Tenor der angegriffenen Entscheidung maßgeblich sei und nicht deren Begründung. Die Gegenvorstellungen seien zurückzuweisen, weil der Senat weder von unzutreffenden tatsächlichen oder prozessualen Voraussetzungen ausgegangen sei noch sonst Anlass bestehe, den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss aufzuheben oder abzuändern.
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Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt.
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13. Bereits mit Bescheid vom 14. September 2015 war die Maßregelvollzugsanstalt der Verpflichtung zur Neubescheidung nachgekommen und hatte die Herausgabe der Festplatte - mit ausführlicherer Begründung - erneut abgelehnt. Darin führte sie im Wesentlichen aus, die externe Festplatte des Beschwerdeführers ermögliche einen nicht mehr kontrollierbaren Daten- und Informationsaustausch. So könnten therapiekritische Daten eingebracht oder Informationen über Sicherheitsvorkehrungen weitergegeben werden. Darüber hinaus lägen in der Person des Beschwerdeführers Gründe für die Annahme einer Gefahr für die Sicherheit der Einrichtung vor. So habe dieser bereits mehrfach versucht, mobile Speichergeräte zu bekommen, und bei der Einbringung der Spielekonsole und der Festplatte falsche Tatsachen vorgetäuscht. Darüber hinaus hätten Besucher versucht, dem Beschwerdeführer Zugang zu rechtsradikalen und gewaltverherrlichenden Darstellungen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Nutzung der Festplatte versuchen würde, unerlaubte Dateien weiterzugeben, um die Empfänger zu die Sicherheit und Ordnung gefährdenden Handlungen anzustiften. Demgegenüber könne sich der Beschwerdeführer nicht auf Bestandsschutz berufen, weil der Besitz der Spielekonsole von der vorherigen Maßregelvollzugsanstalt nicht genehmigt worden sei. Im Übrigen treffe der Vortrag des Beschwerdeführers nicht zu, wonach interne Festplatten genehmigungsfähig seien.
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II.
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1. Mit seiner am 9. Januar 2016 nach Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur gegen "die abschließende Entscheidung des OLG-Hamm […] vom 04.12.2015". Gemeint ist die letzte Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Der Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt sich jedoch entnehmen, dass der Beschwerdeführer auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 angreifen will, mit der die Rechtsbeschwerde verworfen worden ist. Er macht nicht geltend, dass sich aus der Behandlung der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer ergebe, sondern dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.
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Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Rechts auf ein faires Verfahren. Außerdem seien Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er macht geltend, dass er - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - durch den Beschluss des Landgerichts beschwert sei. Er habe vor dem Landgericht die Aushändigung der Festplatte beantragt. Da es sich hierbei um einen Verpflichtungsantrag gehandelt habe, habe das Landgericht seinem Antrag nicht vollumfänglich entsprochen, indem es die Maßregelvollzugsanstalt lediglich zur Neubescheidung verpflichtet habe. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft keine Herausgabe angeordnet. Insbesondere habe es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es verkannt habe, dass es sich bei der Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne Festplatte handele. Das Landgericht habe ihn unter anderem in seinen Rechten aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und ihm durch die Verpflichtung zur Neubescheidung keine Abhilfe verschafft, sondern der Maßregelvollzugsanstalt ermöglicht, Gründe zur Ablehnung der Herausgabe nachzuschieben. Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Landgericht dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben habe, zu den von der Maßregelvollzugsanstalt übersandten Lichtbildern Stellung zu nehmen, auf die in dem landgerichtlichen Beschluss verwiesen worden sei und die eine andere Konsole als die des Beschwerdeführers zeigten. Dass die sich aus dem Beschluss ergebende Beschwer fortwirke, manifestiere sich auch in der daraufhin erfolgten Neubescheidung vom 14. September 2015, mit der die Herausgabe der Festplatte erneut abgelehnt worden sei.
- 19
-
2. Mit am 19. Januar 2016 eingegangenem Schreiben hat der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG beantragt. Dass die - am 8. Januar 2016 abgelaufene - Monatsfrist nicht eingehalten worden sei, beruhe nicht auf seinem Verschulden. Bereits am 3. Januar 2016 habe er die Postsendung mit der Verfassungsbeschwerde dem Klinikpersonal übergeben. Sie sei jedoch erst am 5. Januar 2016 versandt worden. Sodann habe es vier Tage bis zur Zustellung gedauert, weshalb die Verfassungsbeschwerde einen Tag zu spät beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sei.
- 20
-
Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags hat der Beschwerdeführer eine "Postkontrollliste" vorgelegt. Darin finden sich die Eintragung "Bundesverfassungsgericht" mit Ausgangsdatum 3. Januar 2016 sowie eine Unterschrift des Beschwerdeführers und eine Paraphe. Außerdem hat der Beschwerdeführer eine Rechnung der Maßregelvollzugsanstalt für den Versand eines Einschreibens an das Bundesverfassungsgericht am 5. Januar 2016 vorgelegt. Der Umschlag, mit dem die Verfassungsbeschwerde eingegangen ist, trägt einen Barcode des Postdienstleisters Postcon vom 6. Januar 2016 und eine Frankierung der Deutschen Post vom 7. Januar 2016.
- 21
-
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat sich nicht geäußert. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.
-
III.
- 22
-
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an. Dies ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 zulässig und offensichtlich begründet. Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), denn das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
- 23
-
1. a) Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge richtet. Der Beschluss über eine Gehörsrüge kann allenfalls dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn er eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer bewirkt (vgl. BVerfGK 13, 496 <498> m.w.N.). Weder trägt der Beschwerdeführer eine solche Beschwer vor, noch ist sie ersichtlich. Er macht ausschließlich geltend, dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.
- 24
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Eine eigenständige Beschwer ergibt sich auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht in dem Beschluss vom 1. Dezember 2015 ergänzend angemerkt hat, für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, sei der Tenor der angefochtenen Entscheidung maßgebend, nicht dagegen deren Begründung. Dabei handelt es sich um eine Erwägung, die bereits den Gründen des Beschlusses vom 8. Oktober 2015 zugrunde liegt.
- 25
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b) Hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, obwohl der Beschwerdeführer sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt hat. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die (nicht offensichtlich unzulässige) Anhörungsrüge ist dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt worden, die Verfassungsbeschwerde ist am 9. Januar 2016, einem Samstag, eingegangen. Dem Beschwerdeführer ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG zu gewähren.
- 26
-
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. April 2008 - 2 BvR 454/08 -, juris, Rn. 3 und vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 751/11 -, juris, Rn. 4 f.). Die von dem Beschwerdeführer vorgelegte "Postkontrollliste" lässt erkennen, dass er am 3. Januar 2016 ein Schreiben an das Bundesverfassungsgericht zur Post gegeben hat. Die Maßregelvollzugsanstalt versandte das Schreiben offenbar erst am 5. Januar 2016 und es dauerte weitere vier Tage, bis dieses beim Bundesverfassungsgericht einging. Bei der Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. BVerfGE 50, 1 <3>; 51, 146 <149>; 51, 352 <354>; 53, 25 <28>; 98, 169 <196 f.>). Der Bürger kann darauf vertrauen, dass die nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BVerfGE 40, 42 <45>; 41, 23 <27>; 53, 25 <29>; 62, 334 <337>; stRspr). Im Verantwortungsbereich des Absenders liegt es danach allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. BVerfGE 62, 334 <337>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er musste nicht damit rechnen, dass die von ihm bereits am 3. Januar 2016 zur Post gegebene Sendung das Bundesverfassungsgericht erst nach Ablauf des 8. Januar 2016 erreichen würde.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot und verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in dem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.
- 28
-
a) aa) Ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>).
- 29
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bb) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Garantie wirksamen Rechtsschutzes schließt gewisse Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten durch sachgerechte prozessrechtliche Anforderungen - vor allem solche, die einer geordneten Rechtspflege und damit ebenfalls der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen - nicht aus (vgl. BVerfGE 10, 264 <267 f.>; 88, 118 <123 f.>; BVerfGK 10, 509 <513>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel jedoch nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
- 30
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b) Das Oberlandesgericht hat die von § 116 StVollzG vorausgesetzte Beschwer in einer mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt.
- 31
-
aa) Das Rechtsschutzsystem des Strafvollzugsgesetzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen an den Verwaltungsprozess angelehnt (vgl. BTDrucks 17/9874, S. 29). Dort - und dementsprechend im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht - wird für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels eine formelle Beschwer des Rechtsmittelführers vorausgesetzt, die vorliegt, wenn die Wirkungen der ergangenen Entscheidung ungünstiger sind als die der beantragten Entscheidung oder - anders ausgedrückt - die angefochtene Entscheidung, soweit sie verbindlich werden kann, hinter dem Begehren des Rechtsmittelführers zurückbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1981 - 7 C 30, 31/80 -, NJW 1983, S. 407 m.w.N.). Es ist allgemein anerkannt, dass eine solche Beschwer bei Verpflichtungsanträgen vorliegt, wenn die ergangene Entscheidung zwar aufgehoben, die Behörde jedoch nur zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt wird (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor § 124 Rn. 25; Kautz/Schäfer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 124 Rn. 26; zum Tenor
in diesem Fall vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 451; Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 185; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 75 ; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 8. Februar 1990 - 1 Ws 423/89 (StrVollz) -, juris, Rn. 3; HOLG Hamburg, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 3 Ws 104/15 Vollz -, juris, Rn. 29).
- 32
-
bb) Mit Blick auf die für die Beurteilung der Beschwer auch im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz zu beachtenden Maßstäbe hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts die in § 116 StVollzG normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise ausgelegt und dadurch zugleich Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
- 33
-
Es ist offensichtlich, dass das Landgericht dem Antrag des Beschwerdeführers, den es zu Recht als Verpflichtungsantrag ausgelegt hat, nur teilweise und - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nicht vollständig entsprochen hat. Der Beschwerdeführer begehrte die Herausgabe seiner Festplatte und bekam durch das Landgericht lediglich einen Anspruch auf neue Bescheidung seines Antrags zuerkannt. Damit bleibt die ergangene Entscheidung hinter derjenigen zurück, die der Beschwerdeführer beantragt hatte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, es liege keine Beschwer vor, weicht von der bisherigen Rechtsprechung und der einhelligen Ansicht in der Literatur (siehe dazu III.2.b)aa), Rn. 31) ab, ohne dies sachlich zu begründen.
- 34
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3. Ob weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts der festgestellten Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen.
-
IV.
- 35
-
1. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 - III-1 Vollz (Ws) 366/15 - in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist. Der Beschluss ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
- 36
-
2. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG; der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Rechtsbeschwerdeführer ist Schuldner des im Rubrum näher bezeichneten Zwangsversteigerungsverfahrens. Die in dem Versteigerungstermin am 6. Januar 2009 tätig gewordene Rechtspflegerin hat er wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, diese habe sich nach Übergabe eines Einstellungsantrages nach § 765a ZPO wie folgt geäußert: "Ich werde das noch prüfen und während der Bieterstunde entscheiden, aus welchen Gründen ich den Antrag ablehne.“
- 2
- Zur Glaubhaftmachung stützt sich der Schuldner auf eine diesen Vortrag bestätigende eidesstattliche Versicherung von T. S. , der in dem Termin "im Auftrag" des Schuldners anwesend war. In der dienstlichen Äußerung der Rechtspflegerin hierzu heißt es: "Nach dem Termin wurde über den Antrag gem. § 765a ZPO entschieden. Die Äußerung, dass der Antrag noch geprüft werden muss und ich während der Bietstunde entscheide, aus welchen Gründen ich den Antrag ablehne, konnte und wurde von mir auch nicht ausgesprochen. Eine anderweitige Entscheidung als über Gebote kann in der Bietstunde gar nicht getroffen werden."
- 3
- Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Auf die zunächst von dem Landgericht durch die Einzelrichterin zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Senat die Beschwerdeentscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Dieses hat die Beschwerde erneut - nunmehr in voller Kammerbesetzung - zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Ablehnungsgesuch weiter.
II.
- 4
- Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dem Schuldner sei es nicht gelungen, die behauptete Äußerung der Rechtspflegerin glaubhaft zu machen. Der eidesstattlichen Versicherung von T. S. stehe die dienstliche Äußerung der Rechtspflegerin entgegen. Da nicht festgestellt werden könne, welche Darstellung zutreffe, sei von einem "non liquid" auszugehen, das zu Lasten des das Ablehnungsgesuch stellenden Verfahrensbeteiligten gehe. http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE300952002&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE300952002&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE302252002&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE302252002&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE302252002&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/## [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE310932005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/## [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE068103301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/xvs/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=11&numberofresults=19&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE065903301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 4 -
III.
- 5
- 1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
- 6
- a) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg, das Rechtsbeschwerdegericht sei auf der Grundlage der Beschwerdeentscheidung nicht zu einer rechtlichen Überprüfung in der Lage. Zwar sind ausreichende tatsächliche Angaben erforderlich (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. Mai 2009 - V ZB 180/08, JurBüro 2009, 442 f.; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648, 2649; Beschluss vom 5. August 2002 - IX ZB 51/02, NJW-RR 2002, 1571; Beschluss vom 12. Juli 2004 - II ZB 3/02, NJW-RR 2005, 78; Beschluss vom 7. April 2005 - IX ZB 63/03, NJW-RR 2005, 916), weil das Rechtsbeschwerdegericht nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen solche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne. Sie begründen einen Verfahrensmangel, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht (Senat, Beschluss vom 11. Mai 2006 - V ZB 70/05, FamRZ 2006, 1030). So liegt es hier jedoch nicht. Die tatsächlichen Ausführungen des Beschwerdegerichts ermöglichen infolge der darin enthaltenen Bezugnahmen in (noch) ausreichender Weise die auf Rechtsfehler beschränkte Überprüfung durch den Senat.
- 7
- b) Dieser Rechtskontrolle hält die Beschwerdeentscheidung jedoch nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt im Ergebnis zu Recht, dass die Erwägung, mit der das Beschwerdegericht eine Glaubhaftmachung verneint hat, von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Denn entgegen der Auffas- sung des Beschwerdegerichts scheitert eine Glaubhaftmachung nicht schon dann, wenn nicht festgestellt werden kann, ob die Darstellung des Ablehnenden oder die des Abgelehnten zutrifft. Anders als in Konstellationen, in denen eine Partei den (vollen) Beweis für eine Behauptung zu erbringen hat, ist eine Glaubhaftmachung selbst bei Vorliegen vernünftiger Zweifel nicht ausgeschlossen. Nach den zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätzen genügt zur Glaubhaftmachung ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist schon dann glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 60/06, NJW-RR 2007, 776, 777; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 294 Rn. 7; jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 143). Diese Würdigung vorzunehmen, ist - ebenso wie die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO - grundsätzlich Sache des Tatrichters.
- 8
- c) Der Rechtsfehler des Beschwerdegerichts führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht , damit dieses die erforderliche Würdigung nachholen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Beschwerdegericht hat daher im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen, ob für die von dem Schuldner behauptete Äußerung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Würdigung ist zu begründen. Die angestellten Erwägungen müssen zumindest deutlich machen, dass auf der Grundlage des zutreffenden Maßstabes die wesentlichen Umstände abgewogen worden sind (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 294 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 294 Rn. 9; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 143).
- 9
- 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
- 10
- a) Sollte die von dem Beschwerdegericht nachzuholende Würdigung dazu führen, dass sich das Beschwerdegericht weder zur Bejahung noch zur Verneinung einer überwiegenden Wahrscheinlichkei t in der Lage sieht (non liquet), führte dies nicht dazu, dass gleichwohl von einer Glaubhaftmachung der die Besorgnis der Befangenheit begründenden Behauptung des Ablehnenden auszugehen wäre (wie hier etwa OLG Düsseldorf, MDR 2009, 404, 405; Baumbach /Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 44 Rn. 5; MünchKommZPO /Gehrlein, 3. Aufl., § 44 Rn. 8; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 - XI ZR 322/01, juris Rn. 19; Beschluss vom 13. Januar 2003 - XI ZR 357/01, WM 2003, 848, 850; OLG Düsseldorf, MDR 2009, 221, 222; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl., § 294 Rn. 3; aA BayOblGZ 1974, 131, 137; OLG Braunschweig, OLGR 2000, 122 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 10; Schneider, MDR 2000, 1304, 1305 mwN).
- 11
- aa) Dass § 42 Abs. 2 ZPO nicht an die Befangenheit des Richters bzw. des Rechtspflegers (§ 10 Satz 1 RPflG) anknüpft, sondern bereits an ein Verhalten , das die Annahme der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, bedeutet nicht, dass das dieser Bewertung zugrunde liegende Verhalten nicht mit den Mitteln der Glaubhaftmachung festgestellt werden müsste. Die Last der Glaubhaftmachung trägt nach der klaren und unzweideutigen Regelung des § 44 Abs. 2 ZPO der Ablehnende. Erweist sich der von ihm behauptete Geschehensablauf nicht als überwiegend wahrscheinlich, ist das Ablehnungsgesuch zurückzuweisen. Gerade eine solche Konstellation liegt jedoch vor, wenn das Gericht den widerstreitenden Mitteln der Glaubhaftmachung exakt den gleichen Beweiswert beimisst (vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO).
- 12
- bb) Die Zulassung einer Ausnahme für den Sachbereich der Ablehnung von Gerichtspersonen findet im Gesetz keine Stütze. Bei der Beweiswürdigung ist der Richter grundsätzlich frei. Nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ist http://www.juris.de/jportal/portal/t/17z7/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE013200314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 7 - er an Beweisregeln gebunden (§ 286 Abs. 2 ZPO). Bei der Würdigung der Frage , ob eine Behauptung glaubhaft gemacht ist, gilt nichts anderes. Da auch diese Würdigung einen Akt wertender Erkenntnis darstellt, die sich jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern von der Beweiswürdigung nur hinsichtlich des Beweismaßes , also von dem Grad der Überzeugungsbildung unterscheidet, kommt auch insofern der Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung zum Tragen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 60/06, NJW-RR 2007, 776, 777 mwN). Einen Rechtssatz dahin, dass bei divergierenden Äußerungen mit gleichem Beweiswert ausnahmsweise der dienstlichen Stellungnahme des Richters bzw. des Rechtspflegers ein geringerer Beweiswert zukommt, kennt das Gesetz nicht.
- 13
- cc) Dass der Ablehnende nach der klaren Gesetzeslage generell die Last der Glaubhaftmachung trägt (§ 44 Abs. 2 ZPO), ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; der gesetzlich im Voraus bestimmte Richter darf nicht verdrängt werden. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos, weil das Grundgesetz von einem Richterbild ausgeht, das von der Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten geprägt ist (vgl. BVerfGE 21, 139, 145 f.; BVerfG, NJW 2007, 3771, 3772 mwN). Daher ist ein Richter von einem Verfahren auszuschließen, wenn er diesen Anforderungen nicht genügt oder durch sein Verhalten zumindest begründeten Anlass zu der Besorgnis gibt, er stehe der Sache nicht (mehr) unvoreingenommen gegenüber. Vor dem Hintergrund dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses ist es naheliegend, zumindest aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Last der Glaubhaftmachung demjenigen Verfahrensbeteiligten auferlegt , der den Richter ablehnt. Das gilt auch dann, wenn sich bei miteinander unvereinbaren Schilderungen auch bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände nicht sagen lässt, welche Version die wahrscheinlichere ist.
- 14
- Nicht anders verhält es sich, wenn es - wie hier - um die Ablehnung einer Rechtspflegerin geht. Zwar unterfällt die Tätigkeit eines Rechtspflegers nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Rechtspfleger sind keine Richter (vgl. nur BVerfGE 101, 397, 405; Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 111/09, WM 2010, 910, 911 mwN). Jedoch hat der Gesetzgeber in Ausübung des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraumes die Ablehnung von Rechtspflegern denselben Anforderungen unterworfen, unter denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 10 Satz 1 RPflG).
- 15
- b) Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Senat hat bereits entschieden, dass sich die Beteiligten in einem bereits eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren in der Regel nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen, und deshalb § 97 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht anwendbar ist (vgl. dazu insbesondere Senat, Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 26/06, BGHZ 170, 378, 381 mwN). Für Beschwerdeverfahren, die sich an ein in einem eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren gestelltes Ableh- nungsgesuch anschließen, gilt nichts anderes (vgl. Senat, BGH, Beschluss vom 21. Juni 2007 - V ZB 3/07, NJW-RR 2008, 216, 217).
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Harburg, Entscheidung vom 10.03.2009 - 616 K 39/07 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 18.11.2009 - 304 T 14/09 -
Tenor
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Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in die Verfassungsbeschwerdefrist gewährt.
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Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Oktober 2015 - III -1 Vollz (Ws) 366/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
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Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz die Annahme einer rechtsmittelfähigen Beschwer gebietet, wenn die Strafvollstreckungskammer auf einen Verpflichtungsantrag lediglich eine Neubescheidung des Antragstellers angeordnet hat, und ob ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2011 wegen Verstößen gegen das Waffen-, das Sprengstoff- und das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde gemäß § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die zunächst im Zentrum für Forensische Psychiatrie in L… und seit April 2013 in der Maßregelvollzugsklinik H… vollstreckt wurde. Der Beschwerdeführer hatte einen Amoklauf an seiner ehemaligen Schule geplant.
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2. Er verfügte im Maßregelvollzug über eine Spielekonsole "Xbox", die er mit einer Festplatte nutzte. Nachdem die Spielekonsole im April 2014 von einem externen Unternehmen repariert und an die Maßregelvollzugsanstalt zurückgeschickt worden war, bemerkte diese erstmals die Festplatte an dem Gerät. Dabei ist zwischen der Maßregelvollzugsanstalt und dem Beschwerdeführer streitig, ob es sich um eine interne oder eine externe Festplatte handelt. Unter Berufung auf ihre Medienregelung, wonach der Besitz von Festplatten grundsätzlich untersagt ist, stellte die Maßregelvollzugsanstalt die Festplatte sicher und gab dem Beschwerdeführer die Konsole ohne die Festplatte zurück.
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3. Am 11. Juli 2014 beantragte der Beschwerdeführer die Herausgabe der Festplatte. Er berief sich auf Bestandsschutz, weil er die Festplatte von Anfang an benutzt habe, und machte zudem geltend, dass von dem Gerät keine Gefahr ausgehe. Es ermögliche lediglich das Abspielen von Musik und Spieleinhalten, nicht aber das Speichern von Filmdateien. Mit Schreiben vom 25. August 2014 vertiefte der Beschwerdeführer sein Vorbringen, nachdem die Maßregelvollzugsanstalt es unter dem 5. August 2014 abgelehnt hatte, ihm seine Festplatte herauszugeben. Er trug insbesondere vor, dass die Medienregelung veraltet und interne Festplatten erlaubt seien und dass es sich bei seiner Festplatte um eine solche handele. Ferner verfüge ein anderer Patient ebenfalls über eine Spielekonsole mit einer Festplatte.
- 5
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4. Die Maßregelvollzugsanstalt lehnte die Herausgabe der Festplatte zuletzt im Oktober 2014 ab und verwies darauf, dass externe Festplatten nicht erlaubt seien. Der Beschwerdeführer könne als Speichermedium eine SD-Karte nutzen.
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5. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 15. Oktober 2014 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Darin ersuchte er die zuständige Strafvollstreckungskammer um einen "gerichtlichen Entscheid". Es bestehe Bestandsschutz hinsichtlich seiner vollständigen Xbox, und es sei nicht nachvollziehbar, dass er nunmehr darauf verwiesen werde, eine SD-Karte zu nutzen, deren Erwerb nach der aktuellen Medienregelung der Anstalt zudem verboten sei. Die Überprüfung des Sachverhalts durch eine neutrale Instanz sei nunmehr erforderlich.
- 7
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6. Die Maßregelvollzugsanstalt führte in ihrer Stellungnahme vom 13. November 2014 aus, die Wegnahme der Festplatte sei rechtmäßig gewesen. Elektronische Geräte zum Speichern und zur Verarbeitung größerer Datenmengen könnten bereits aufgrund ihrer abstrakt-generellen Gefährlichkeit für die Sicherheit in (Maßregel-) Vollzugseinrichtungen untersagt werden. Aufgrund der anstaltsinternen Medienregelung, die dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sei, sei der Besitz von Geräten zum Speichern größerer Datenmengen untersagt. Besondere Ausnahmegründe lägen in der Person des Beschwerdeführers nicht vor. Der Besitz einer externen Festplatte sei zu keinem Zeitpunkt genehmigt worden. Bei der Verlegung müsse die neue Anstalt zudem nicht alle bestehenden Erlaubnisse der vorherigen Einrichtung ungeprüft übernehmen.
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7. Der Beschwerdeführer ergänzte seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit einem Schreiben vom 8. Dezember 2014. Im Wesentlichen führte er aus, die Argumentation der Maßregelvollzugsanstalt gehe fehl, wonach aus Sicherheitsgründen bereits vorhandene Gegenstände nachträglich eingezogen werden dürften. Dies sei nur im Falle eines verletzten Vertrauensverhältnisses aufgrund missbräuchlicher Anwendung des Geräts möglich. Zudem habe die Anstalt insoweit die besondere Situation der Unterbringung im Vergleich zum Strafvollzug nicht hinreichend berücksichtigt. Es handele sich vorliegend um eine interne und keine externe Festplatte, was anhand einer Fotodokumentation nachgewiesen werden könne. In weiteren Schreiben vom 4. April und 5. Juni 2015 wiederholte er im Wesentlichen seinen Vortrag.
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8. Mit Beschluss vom 12. Juni 2015 wurde die Maßregelvollzugsanstalt durch das Landgericht Bochum verpflichtet, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu bescheiden.
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Der Antrag, mit dem "sinngemäß die Herausgabe der Festplatte" begehrt werde, sei begründet. Zwar ergebe sich aus von der Maßregelvollzugsanstalt vorgelegten Lichtbildern, dass es sich bei der Festplatte um ein externes Gerät handele, das nach der Medienregelung unzulässig sei. Die Anstalt könne den Besitz jedoch nicht unter pauschaler Berufung auf die Medienregelung verbieten, weil es sich dabei um eine interne Verwaltungsvorschrift handele. Entscheidend sei vielmehr, ob von der Festplatte eine Gefährdung im Sinne von § 7 Abs. 3 und Abs. 4 des Nordrhein-Westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes (MRVG NRW) ausgehe. Dies habe die Anstalt jedoch nicht dargelegt. Insbesondere habe sie nicht aufgezeigt, welche Art von konkretem Missbrauch bei einer Nutzung der Festplatte zu befürchten sei und welche Gefahren dies mit sich bringe. Darüber hinaus sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil anderen Patienten die Nutzung einer Spielekonsole mit Festplatte gestattet worden sei.
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9. Gegen den landgerichtlichen Beschluss legte der Beschwerdeführer am 20. Juli 2015 Rechtsbeschwerde ein. Er rügte insbesondere, dass auf den von der Maßregelvollzugsanstalt vorgelegten Lichtbildern nicht seine, sondern eine andere Konsole abgebildet sei. Diese Lichtbilder und das dazugehörige Schreiben der Maßregelvollzugsanstalt seien ihm vor der Entscheidung nicht zugestellt worden, so dass er hierzu nicht habe Stellung nehmen können. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handele es sich bei der sichergestellten Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne. Dies ergebe sich daraus, dass sie nicht über einen USB-Anschluss verfüge, sondern über einen speziellen Xbox-Anschluss mit der Spielekonsole verbunden werde. Die Kammer habe nicht aufgeklärt, inwieweit eine SD-Karte weniger gefährlich sein solle als seine Xbox-Festplatte.
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10. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Oktober 2015 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Der Beschwerdeführer sei durch den angegriffenen Beschluss vom 12. Juni 2015 nicht beschwert, weil das Landgericht seinem Antrag vollumfänglich entsprochen habe, indem es die Maßregelvollzugsanstalt verpflichtet habe, den Beschwerdeführer unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden.
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11. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 eine Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts sei er durch den landgerichtlichen Beschluss beschwert, weil er eine Verpflichtungsklage erhoben, das Landgericht die Maßregelvollzugsanstalt aber nicht zur Herausgabe der Festplatte verpflichtet habe. Seinem Begehren sei somit nicht entsprochen worden und ein neues Verfahren werde notwendig. Außerdem beruhe die landgerichtliche Entscheidung wie auch die des Oberlandesgerichts auf einer falschen Tatsachengrundlage, weil es sich bei seiner Festplatte um eine interne Festplatte handele. Darauf habe er mehrfach hingewiesen. Das Oberlandesgericht habe sich damit nicht auseinandergesetzt.
- 14
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12. Das Oberlandesgericht wies die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellungen mit Beschluss vom 1. Dezember 2015 zurück. Das Gericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Ergänzend wies der Senat darauf hin, dass für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, allein der Tenor der angegriffenen Entscheidung maßgeblich sei und nicht deren Begründung. Die Gegenvorstellungen seien zurückzuweisen, weil der Senat weder von unzutreffenden tatsächlichen oder prozessualen Voraussetzungen ausgegangen sei noch sonst Anlass bestehe, den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss aufzuheben oder abzuändern.
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Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt.
- 16
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13. Bereits mit Bescheid vom 14. September 2015 war die Maßregelvollzugsanstalt der Verpflichtung zur Neubescheidung nachgekommen und hatte die Herausgabe der Festplatte - mit ausführlicherer Begründung - erneut abgelehnt. Darin führte sie im Wesentlichen aus, die externe Festplatte des Beschwerdeführers ermögliche einen nicht mehr kontrollierbaren Daten- und Informationsaustausch. So könnten therapiekritische Daten eingebracht oder Informationen über Sicherheitsvorkehrungen weitergegeben werden. Darüber hinaus lägen in der Person des Beschwerdeführers Gründe für die Annahme einer Gefahr für die Sicherheit der Einrichtung vor. So habe dieser bereits mehrfach versucht, mobile Speichergeräte zu bekommen, und bei der Einbringung der Spielekonsole und der Festplatte falsche Tatsachen vorgetäuscht. Darüber hinaus hätten Besucher versucht, dem Beschwerdeführer Zugang zu rechtsradikalen und gewaltverherrlichenden Darstellungen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Nutzung der Festplatte versuchen würde, unerlaubte Dateien weiterzugeben, um die Empfänger zu die Sicherheit und Ordnung gefährdenden Handlungen anzustiften. Demgegenüber könne sich der Beschwerdeführer nicht auf Bestandsschutz berufen, weil der Besitz der Spielekonsole von der vorherigen Maßregelvollzugsanstalt nicht genehmigt worden sei. Im Übrigen treffe der Vortrag des Beschwerdeführers nicht zu, wonach interne Festplatten genehmigungsfähig seien.
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II.
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1. Mit seiner am 9. Januar 2016 nach Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur gegen "die abschließende Entscheidung des OLG-Hamm […] vom 04.12.2015". Gemeint ist die letzte Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Der Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt sich jedoch entnehmen, dass der Beschwerdeführer auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 angreifen will, mit der die Rechtsbeschwerde verworfen worden ist. Er macht nicht geltend, dass sich aus der Behandlung der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer ergebe, sondern dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.
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Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Rechts auf ein faires Verfahren. Außerdem seien Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er macht geltend, dass er - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - durch den Beschluss des Landgerichts beschwert sei. Er habe vor dem Landgericht die Aushändigung der Festplatte beantragt. Da es sich hierbei um einen Verpflichtungsantrag gehandelt habe, habe das Landgericht seinem Antrag nicht vollumfänglich entsprochen, indem es die Maßregelvollzugsanstalt lediglich zur Neubescheidung verpflichtet habe. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft keine Herausgabe angeordnet. Insbesondere habe es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es verkannt habe, dass es sich bei der Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne Festplatte handele. Das Landgericht habe ihn unter anderem in seinen Rechten aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und ihm durch die Verpflichtung zur Neubescheidung keine Abhilfe verschafft, sondern der Maßregelvollzugsanstalt ermöglicht, Gründe zur Ablehnung der Herausgabe nachzuschieben. Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Landgericht dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben habe, zu den von der Maßregelvollzugsanstalt übersandten Lichtbildern Stellung zu nehmen, auf die in dem landgerichtlichen Beschluss verwiesen worden sei und die eine andere Konsole als die des Beschwerdeführers zeigten. Dass die sich aus dem Beschluss ergebende Beschwer fortwirke, manifestiere sich auch in der daraufhin erfolgten Neubescheidung vom 14. September 2015, mit der die Herausgabe der Festplatte erneut abgelehnt worden sei.
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2. Mit am 19. Januar 2016 eingegangenem Schreiben hat der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG beantragt. Dass die - am 8. Januar 2016 abgelaufene - Monatsfrist nicht eingehalten worden sei, beruhe nicht auf seinem Verschulden. Bereits am 3. Januar 2016 habe er die Postsendung mit der Verfassungsbeschwerde dem Klinikpersonal übergeben. Sie sei jedoch erst am 5. Januar 2016 versandt worden. Sodann habe es vier Tage bis zur Zustellung gedauert, weshalb die Verfassungsbeschwerde einen Tag zu spät beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sei.
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Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags hat der Beschwerdeführer eine "Postkontrollliste" vorgelegt. Darin finden sich die Eintragung "Bundesverfassungsgericht" mit Ausgangsdatum 3. Januar 2016 sowie eine Unterschrift des Beschwerdeführers und eine Paraphe. Außerdem hat der Beschwerdeführer eine Rechnung der Maßregelvollzugsanstalt für den Versand eines Einschreibens an das Bundesverfassungsgericht am 5. Januar 2016 vorgelegt. Der Umschlag, mit dem die Verfassungsbeschwerde eingegangen ist, trägt einen Barcode des Postdienstleisters Postcon vom 6. Januar 2016 und eine Frankierung der Deutschen Post vom 7. Januar 2016.
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3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat sich nicht geäußert. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.
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III.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an. Dies ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 zulässig und offensichtlich begründet. Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), denn das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
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1. a) Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge richtet. Der Beschluss über eine Gehörsrüge kann allenfalls dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn er eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer bewirkt (vgl. BVerfGK 13, 496 <498> m.w.N.). Weder trägt der Beschwerdeführer eine solche Beschwer vor, noch ist sie ersichtlich. Er macht ausschließlich geltend, dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.
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Eine eigenständige Beschwer ergibt sich auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht in dem Beschluss vom 1. Dezember 2015 ergänzend angemerkt hat, für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, sei der Tenor der angefochtenen Entscheidung maßgebend, nicht dagegen deren Begründung. Dabei handelt es sich um eine Erwägung, die bereits den Gründen des Beschlusses vom 8. Oktober 2015 zugrunde liegt.
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b) Hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, obwohl der Beschwerdeführer sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt hat. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die (nicht offensichtlich unzulässige) Anhörungsrüge ist dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt worden, die Verfassungsbeschwerde ist am 9. Januar 2016, einem Samstag, eingegangen. Dem Beschwerdeführer ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG zu gewähren.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. April 2008 - 2 BvR 454/08 -, juris, Rn. 3 und vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 751/11 -, juris, Rn. 4 f.). Die von dem Beschwerdeführer vorgelegte "Postkontrollliste" lässt erkennen, dass er am 3. Januar 2016 ein Schreiben an das Bundesverfassungsgericht zur Post gegeben hat. Die Maßregelvollzugsanstalt versandte das Schreiben offenbar erst am 5. Januar 2016 und es dauerte weitere vier Tage, bis dieses beim Bundesverfassungsgericht einging. Bei der Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. BVerfGE 50, 1 <3>; 51, 146 <149>; 51, 352 <354>; 53, 25 <28>; 98, 169 <196 f.>). Der Bürger kann darauf vertrauen, dass die nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BVerfGE 40, 42 <45>; 41, 23 <27>; 53, 25 <29>; 62, 334 <337>; stRspr). Im Verantwortungsbereich des Absenders liegt es danach allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. BVerfGE 62, 334 <337>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er musste nicht damit rechnen, dass die von ihm bereits am 3. Januar 2016 zur Post gegebene Sendung das Bundesverfassungsgericht erst nach Ablauf des 8. Januar 2016 erreichen würde.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot und verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in dem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.
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a) aa) Ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>).
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bb) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Garantie wirksamen Rechtsschutzes schließt gewisse Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten durch sachgerechte prozessrechtliche Anforderungen - vor allem solche, die einer geordneten Rechtspflege und damit ebenfalls der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen - nicht aus (vgl. BVerfGE 10, 264 <267 f.>; 88, 118 <123 f.>; BVerfGK 10, 509 <513>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel jedoch nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
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b) Das Oberlandesgericht hat die von § 116 StVollzG vorausgesetzte Beschwer in einer mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt.
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aa) Das Rechtsschutzsystem des Strafvollzugsgesetzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen an den Verwaltungsprozess angelehnt (vgl. BTDrucks 17/9874, S. 29). Dort - und dementsprechend im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht - wird für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels eine formelle Beschwer des Rechtsmittelführers vorausgesetzt, die vorliegt, wenn die Wirkungen der ergangenen Entscheidung ungünstiger sind als die der beantragten Entscheidung oder - anders ausgedrückt - die angefochtene Entscheidung, soweit sie verbindlich werden kann, hinter dem Begehren des Rechtsmittelführers zurückbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1981 - 7 C 30, 31/80 -, NJW 1983, S. 407 m.w.N.). Es ist allgemein anerkannt, dass eine solche Beschwer bei Verpflichtungsanträgen vorliegt, wenn die ergangene Entscheidung zwar aufgehoben, die Behörde jedoch nur zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt wird (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor § 124 Rn. 25; Kautz/Schäfer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 124 Rn. 26; zum Tenor
in diesem Fall vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 451; Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 185; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 75 ; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 8. Februar 1990 - 1 Ws 423/89 (StrVollz) -, juris, Rn. 3; HOLG Hamburg, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 3 Ws 104/15 Vollz -, juris, Rn. 29).
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bb) Mit Blick auf die für die Beurteilung der Beschwer auch im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz zu beachtenden Maßstäbe hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts die in § 116 StVollzG normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise ausgelegt und dadurch zugleich Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
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Es ist offensichtlich, dass das Landgericht dem Antrag des Beschwerdeführers, den es zu Recht als Verpflichtungsantrag ausgelegt hat, nur teilweise und - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nicht vollständig entsprochen hat. Der Beschwerdeführer begehrte die Herausgabe seiner Festplatte und bekam durch das Landgericht lediglich einen Anspruch auf neue Bescheidung seines Antrags zuerkannt. Damit bleibt die ergangene Entscheidung hinter derjenigen zurück, die der Beschwerdeführer beantragt hatte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, es liege keine Beschwer vor, weicht von der bisherigen Rechtsprechung und der einhelligen Ansicht in der Literatur (siehe dazu III.2.b)aa), Rn. 31) ab, ohne dies sachlich zu begründen.
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3. Ob weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts der festgestellten Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen.
-
IV.
- 35
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1. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2015 - III-1 Vollz (Ws) 366/15 - in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist. Der Beschluss ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
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2. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG; der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht.
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 19.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt. Das Urteil ist dem Kläger, der Rechtsanwalt ist und sich selbst vertreten hat, am 15. Mai 2015 zugestellt worden. Nach dem Hinweis, dass die Berufungsschrift vom 11. Juni 2015 am 16. Juni 2015 bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei, hat er mit Schriftsatz vom 21. Juli 2015 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, seine Kanzleiangestellte, die die Berufungsschrift am 11. Juni 2015 zunächst per Telefax übersandt habe, habe versäumt, die Telefaxübermittlung anhand des Telefaxprotokolls auf einen ordnungsgemäßen Zugang zu überprüfen. Er habe darauf vertrauen können, dass die zusätzlich am selben Tag zur Post aufgegebene Berufungsschrift fristgerecht eingehen werde. Eine Ausdehnung des Poststreiks für den Raum Düsseldorf sei zu diesem Zeitpunkt nicht angekündigt gewesen.
- 2
- Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb der am 1. Dezember 2015 abgelaufenen Begründungsfrist begründet.
- 3
- Mit einem am 9. Dezember 2015 bei dem Bundesgerichtshof eingegangenen Schreiben hat der Kläger selbst sich an den Senat gewandt und mitgeteilt , seine Berufungsschrift sei bereits am 15. Juni 2015 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen. Der für die Zuteilung der Neueingangssachen zuständige Geschäftsstellenbeamte des Berufungsgerichts habe ihn am 16. Mai 2015 telefonisch darauf hingewiesen, dass die erste Seite der Berufungsschrift sich auf die Wirksamkeit der Berufung nicht auswirkende peinliche Worte enthalten habe, die, wie er richtig vermutet habe, auf der Verwendung eines Spracherkennungssystems beruhten. Auf seine Anregung hin habe er, der Kläger, am 16. Juni 2015 per E-Mail eine korrigierte erste Seite an das Berufungsgericht übersandt. Der Geschäftsstellenbeamte habe die ursprüngliche erste Seite aus der Gerichtsakte entfernt und durch die korrigierte Seite ersetzt. Dabei habe er darauf versehentlich statt des ursprünglichen Datums des Posteingangs (15. Juni 2015) das Datum des Austauschs (16. Juni 2015) vermerkt. Diesen Vorgang habe der Geschäftsstellenbeamte ihm gegenüber per E-Mail vom 28. November 2015 bestätigt.
- 4
- Am 16. Februar 2016 hat der Kläger einen Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 vorgelegt. Aus diesem geht hervor, dass seine Berufung tatsächlich fristgerecht eingegangen ist, sich das Berufungsgericht aber außer Stande gesehen hat, den mit der Rechtsbeschwerde angefochtenen Beschluss aufzuheben.
- 5
- Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2016 hat der Prozessbevollmächtige des Klägers auf den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift hingewiesen. Er ist der Ansicht, der Umstand, dass die Berufungsfrist tatsächlich nicht versäumt sei, sei zumindest in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 7b ZPO zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hätte bei sorgfältiger Prüfung den Fehler des Geschäftsstellenbeamten bemerken müssen.
II.
- 6
- Das Berufungsgericht meint, die beantragte Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden. Der Kläger trage die Verantwortung für die Versäumung der Berufungsfrist. Er habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er seine Mitarbeiter angewiesen habe, nach einer Übermittelung fristwahrender Schriftsätze per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung korrekt erfolgt sei. Er habe auch nicht darauf vertrauen können, dass die in Düsseldorf am 11. Juni 2015 als Brief in den Postkasten eingeworfene Berufungsschrift rechtzeitig bei dem Oberlandesgericht eingehen werde. Das an sich berechtigte Vertrauen in die fristgemäße Briefbeförderung sei aufgrund des Poststreiks nicht gerechtfertigt gewesen.
III.
- 7
- Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
- 8
- 1. Sie ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Senat, Beschluss vom 29. Januar 2015 - V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
- 9
- 2. Allerdings ist nach dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 davon auszugehen, dass die Berufung des Klägers fristgerecht innerhalb der am 15. Juni 2015 abgelaufenen Berufungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen ist. Diesen Umstand kann der Senat jedoch aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht berücksichtigen.
- 10
- a) Der Senat ist an die Feststellung des Berufungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss gebunden, dass die Berufungsschrift des Klägers nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) eingegangen ist (§ 559 Abs. 1, 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Tatsache, dass die Berufungsschrift fristgerecht eingegangen ist, hat der Kläger erst im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgetragen. Damit handelt es sich um einen neuen Tatsachenvortrag in der Rechtsbeschwerdeinstanz, auf den die Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht gestützt werden kann (BGH, Beschluss vom 18. September 2003 - IX ZB 40/03, BGHZ 156, 165, 167). Die Rechtzeitigkeit der Berufung ist hier auch nicht von Amts wegen zu prüfen. Wird eine Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts mit einem Rechtsmittel angegriffen, ist die Zulässigkeit der Berufung weder eine Sachentscheidungsvoraussetzung noch findet eine Prüfung von Amts wegen statt (BGH, Beschluss vom 18. September 2003 - IX ZB 40/03, aaO, S. 167 f.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZR 164/15, juris Rn. 16).
- 11
- b) Eine Rechtsbeschwerde gegen eine die Berufung verwerfende Entscheidung kann zwar auch darauf gestützt werden, diese leide an einem Verfahrensmangel. Diese Rüge hat der Kläger jedoch nicht wirksam erhoben.
- 12
- aa) Allerdings war die von Amts wegen gebotene Prüfung der Zulässigkeit der Berufung durch das Berufungsgericht (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO) fehlerhaft. Die auf der unzutreffenden Annahme einer verspäteten Einreichung der Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, NJW 1989, 1147; NJW-RR 2002, 1004). Dass dem für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung zuständigen Senat des Berufungsgerichts der rechtzeitige Eingang der Berufungsschrift nicht bekannt war, ist unerheblich. Das Wissen des Geschäftsstellenbeamten, der den Eingang der Berufung erfasst hat, ist ihm zuzurechnen. Das Berufungsgericht ist das Gericht als organisatorische Einheit und nicht nur das erkennende Gericht als Spruchkörper.
- 13
- bb) Von dem Verfahrensmangel hat der Kläger aufgrund der E-Mail des Geschäftsstellenbeamten vom 28. November 2015 Kenntnis erlangt. Er konnte zwar nicht mehr eine Abänderung des Verwerfungsbeschlusses bei dem Berufungsgericht erreichen. Denn das Berufungsgericht ist grundsätzlich an diesen gebunden und darf ihn, auch wenn er angefochten wird, nicht wieder aufheben (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995 - IV ZB 22/94, NJW-RR 1995, 765). Der Kläger hätte den Verfahrensmangel jedoch innerhalb der am 1. Dezember 2015 abgelaufenen Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bzw. innerhalb einer zweiwöchigen Frist (entsprechend § 234 ZPO) vor dem Bundesgerichtshof rügen können. Das hat er nicht getan. Sein Vorbringen vom 9. Dezember 2015 ist unbeachtlich, weil der Kläger selbst nicht postulationsfähig ist (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Sein Prozessbevollmächtigter hat im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals mit Schriftsatz vom 17. Februar 2016 mitgeteilt, dass die Berufung des Klägers fristgerecht eingegangen war. Dieser Vortrag ist so spät gehalten, dass darauf die Verfahrensrüge nicht mehr gestützt werden kann. Es kann deshalb offenbleiben, ob eine Ergänzung der Rechtsbeschwerdebegründung im Sinne einer teilweise “Nachholung” derselben, der Sache nach verbunden mit dem Begehren auf (teilweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen (teilweiser ) Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§ 233 ZPO), hätte Beachtung finden müssen (ablehnend BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 - III ZR 285/95, NJW 1997, 1309, 1310; MüKo/Krüger, ZPO, 5. Aufl., § 551 Rn. 20), was allerdings dann naheliegt, wenn - wie hier - die inhaltliche Unvollständigkeit einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung auf einem Fehler im gerichtsinternen Bereich beruht.
- 14
- c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann der Umstand, dass die Berufungsfrist nicht versäumt ist, nicht in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 7b ZPO in der Rechtsbeschwerdeinstanz berücksichtigt werden.
- 15
- aa) Allerdings kann das Vorbringen eines Restitutionsgrundes trotz der sich aus § 559 ZPO ergebenden Beschränkungen in der Rechtsbeschwerdeinstanz bzw. Revisionsinstanz zulässig sein, auch wenn es sich dabei um Tatsachen handelt, die noch nicht Gegenstand des Berufungsurteils sein konnten. Diese Ausnahme ist durch die Erwägung gerechtfertigt, dass es im Sinne einer vernünftigen Prozessökonomie liegt, Wiederaufnahmegründe noch in einem anhängigen Rechtsstreit zu erledigen, anstatt die Partei, die sie geltend macht, damit auf ein nach rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Rechtsstreits einzuleitendes Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen. Das ist anerkannt für die in § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO angeführten Restitutionsgründe, wenn deswegen eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist (§ 581 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1951 - IV ZR 3/50, BGHZ 3, 65, 67 f.; Urteil vom 6. März 1952 - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 247; Beschluss vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1), sowie für die Restitutionsgründe nach § 580 Nr. 6 und 7a ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1951 - IV ZR 3/50, BGHZ 3, 65, 67; Urteil vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04, ZIP 2007, 697 Rn. 14; insgesamt ablehnend MüKo/Braun, ZPO, 5. Aufl., § 582 Rn. 6). Auch ein neues tatsächliches Vorbringen, das den Tatbestand des § 580 Nr. 7b ZPO erfüllt, kann grundsätzlich berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1952 - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 248; Urteil vom 29. Juni 1955 - IV ZR 55/55, BGHZ 18, 59, 60; Beschluss vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - IX ZB 148/11, WM 2011, 2158 Rn. 7).
- 16
- bb) Die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7b ZPO liegen jedoch nicht vor.
- 17
- (1) Der Geschäftsstellenbeamte des Berufungsgerichts hat mit E-Mail vom 28. November 2015 den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift des Klägers bestätigt. Die E-Mail kann nicht als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO angesehen werden. Es handelt sich um eine schriftliche Zeugenaussage des Geschäftsstellenbeamten. Die Restitutionsklage kann nicht auf eine Privaturkunde gestützt werden, mit der durch die schriftliche Erklärung einer als Zeuge in Betracht kommenden Person der Beweis für die Richtigkeit der in der Erklärung bekundeten Tatsachen geführt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 395; Beschluss vom 29. Februar 1984 - IVb ZB 28/83, NJW 1984, 1543, 1544 mwN; Beschluss vom 24. April 2013 - XII ZB 242/09, NJW-RR 2013, 833 Rn. 17).
- 18
- (2) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde erfüllt auch der Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016, der auf der Erklärung des Geschäftsstellenbeamten vom 28. November 2015 beruht, nicht den Tatbestand des § 580 Nr. 7b ZPO. Es handelt sich nicht um eine Urkunde, die der Kläger im Sinne dieser Vorschrift aufgefunden hat.
- 19
- (a) Aufgefunden im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO wird eine Urkunde, wenn ihre Existenz oder ihr Verbleib der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses bzw. bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist in diesem Verfahren unbekannt war (BGH, Beschluss vom 24. April 2013 - XII ZB 242/09, NJW-RR 2013, 833 Rn. 19 mwN). Die Urkunde muss deshalb grundsätzlich bereits zu einem Zeitpunkt errichtet worden sein, zu dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1959 - IV ZR 311/58, BGHZ 30, 60, 64; siehe auch RGZ 123, 304, 305; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 580 Rn. 16a). Das ist bei dem erst am 19. Januar 2016 erlassenen Beschluss des Berufungsgerichts nicht der Fall.
- 20
- (b) Von diesem Grundsatz werden Ausnahmen nur zugelassen für Urkunden wie beispielsweise Geburtsurkunden oder einen die Schwerbehinderung feststellenden Verwaltungsakt, die ihrer Natur nach nicht im zeitlichen Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden und deshalb zwangsläufig zurückliegende Tatsachen beweisen (vgl. BAGE 122, 190 Rn. 18 mwN auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Diese Voraussetzungen erfüllt der Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 offensichtlich nicht.
- 21
- 3. Auf der Grundlage der Annahme, dass die Berufungsschrift verspätet eingegangen ist, hat das Berufungsgericht dem Kläger durch die Zurückweisung der form- und fristgerecht beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§ 233 ZPO) nicht den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in einer unzumutbaren , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Das Berufungsgericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Kläger die Fristversäumung verschuldet hat.
- 22
- a) Der Kläger hat die ihn als Rechtsanwalt bei der Versendung fristgebundener Schriftsätze auf dem Postweg in Zeiten eines Poststreiks treffenden Sorgfaltspflichten verletzt.
- 23
- aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden (BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211; 2001, 1566; 2003, 1516; Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; jeweils mwN). Er darf vielmehr grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 226/12, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - V ZB 187/12, juris Rn. 9, jeweils mwN).
- 24
- bb) Anders liegt es, wenn dem Postkunden besondere Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können. Eine solche Ausnahmesituation, in der das Vertrauen in die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten erschüttert sein kann, ist der Poststreik. Hat ein Prozessbevollmächtigter Kenntnis davon, dass sein fristgebundener Schriftsatz von dem Poststreik betroffen sein kann, und wählt er für die Beförderung gleichwohl den Postweg, obwohl sichere Übermittlungswege (Einwurf in den Gerichtsbriefkasten am Ort; Benutzung eines Telefaxgeräts) zumutbar sind, treffen ihn gesteigerte Sorgfaltsanforderungen (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1992 - VIII ZR 30/92, NJW 1993, 1332, 1333; Beschluss vom 25. Januar 1993 - II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334; Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 126/15, NJW 2016, 2750 Rn. 9 ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211). Von einem Rechtsanwalt, der Kenntnis von dem Beginn eines bundesweiten Poststreiks erlangt hat, ist deshalb zu verlangen, dass er sich über den Streikverlauf so weit wie möglich informiert. Dazu gehört es, die Berichterstattung über den Streik in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen oder auf den Internetportalen der Nachrichtenanbieter zu beobachten sowie die Informationsangebote der Gewerkschaft Verdi oder der Deutschen Post AG zu nutzen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Öffentlichkeit unverzüglich und regelmäßig über Streikaktionen der Gewerkschaft informiert wird.
- 25
- cc) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger die ihm obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Das Berufungsgericht stellt rechtsfehlerfrei fest, dass er zum Zeitpunkt des Einwurfs der Berufungsschrift in den Briefkasten am 11. Juni 2015 bei Anstellen der gebotenen Nachforschungen Kenntnis davon erlangt hätte, dass sie von dem Poststreik betroffen sein kann.
- 26
- Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Gewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung vom 9. Juni 2015 über den schrittweisen Beginn des unbefristeten Poststreiks in den bundesweit 83 Briefverteilzentren informiert ; hierüber wurde seinerzeit in den Medien ausführlich berichtet. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass ein Rechtsanwalt unter diesen Umständen von einer Ausdehnung des Poststreiks auf das Stadtgebiet hätte Kenntnis erlangen müssen, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger geltend macht, ein Anwalt könne nicht gehalten sein, die Online-Mitteilungen eines jeden Nachrichtenanbieters zu verfolgen, ergibt sich daraus nichts anderes. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Internetseite des WDR ist nur beispielhaft gemeint und in rückschauender Betrachtung als Beleg dafür gedacht, dass der Poststreik (auch) in Düsseldorf schon vor dem 11. Juni 2015 Gegenstand öffentlicher Berichterstattung war. Entscheidend ist, dass in den Medien ausführlich über den Streik berichtet wurde.
- 27
- b) Der Kläger ist auch bei der Übersendung der Berufungsschrift am 11. Juni 2015 per Telefax seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht nimmt rechtsfehlerfrei an, dass sich seinen Darlegungen in dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen lässt, dass in seiner Kanzlei eine hinreichende Ausgangskontrolle per Telefax versandter fristgebundener Schriftsätze gewährleistet war.
- 28
- aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist (Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 86/15, NJW-RR 2016, 636 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - III ZB 51/12, juris Rn. 6; Beschluss vom 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 13. Juni1996 - VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).
- 29
- bb) Gemessen daran hat der Kläger nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er seine Kanzleiangestellte angewiesen hat, die erforderliche Ausgangskontrolle vorzunehmen.
- 30
- (1) Das Berufungsgericht hat die eidesstattlichen Versicherungen rechtsfehlerfrei gewürdigt. Es vermisst zu Recht eine Darstellung des Klägers zur Organisation der Ausgangskontrolle gesendeter Faxe in seiner Kanzlei. Dass es eine solche Anweisung gegeben hat, lässt sich auch nicht den eidesstattlichen Versicherungen entnehmen. Der Kläger beruft sich ohne Erfolg auf die eidesstattliche Versicherung seiner Kanzleiangestellten, in der diese erklärt, sie habe es „wohl versäumt, das Faxprotokoll daraufhin zu überprüfen, ob das Fax durchgegangen ist.“ Diese Formulierung impliziert entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass sie zur Überprüfung angewiesen gewesen sei. Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch des Wortes „versäumt“ lässt sich ein Verstoß ge- gen eine Anweisung nicht ableiten. Ein Versäumnis kann sich z.B. auch auf eine unausgesprochene Übung beziehen. Eine solche Übung steht einer Anweisung nicht gleich.
- 31
- (2) Entgegen der Ansicht des Klägers war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen (§ 139 ZPO). Eine Hinweispflicht besteht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 mwN).
IV.
- 32
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den Beschwerdewert folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 07.05.2015 - 10 O 191/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.08.2015 - I-24 U 104/15 -
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2018 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber
beschlossen:
Gründe:
- 1
- 1. Die Gegenvorstellung der Beklagten zu 1) gegen die Festsetzung des Streitwerts in dem Beschluss vom 19. Dezember 2017, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger zu 1., 3., 7.-11., 13.-16., 18., 20., 23., 29., 32., 33., 36., 37., 40., 43.- 46., 55., 57., 58., 60., 63., 66., 68., 71.-73., 75., 76., 79.84. , 87., 89., 94., 95., 99., 104., 108.-110., 112., 114., 118., 120., 123., 124., 126., 127., 129., 136., 140., 141., 151., 152., 155., 159., 163., 164. und der Beklagten zu 2) zurückgewiesen worden sind und die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zu 144. verworfen worden ist, ist in entsprechender Anwendung von § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG statthaft und innerhalb der entsprechend geltenden Frist von § 68 Abs. 1 Satz 3, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG eingelegt worden (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 16. April 2014 - XI ZR 38/13, juris Rn. 1 mwN).
- 2
- Die Gegenvorstellung hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beträgt bis zu 10.750.000 €.
- 3
- Neben der Summe der mit der Nichtzulassungsbeschwerde weiter verfolgten Zahlungsanträge, soweit über diese entschieden worden ist, waren die von der Beklagten zu 2) im Beschwerdeverfahren angegriffenen Verurteilungen zur Zahlung zu berücksichtigen.
- 4
- Die von den Klägern im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren weiterhin begehrte Feststellung, die Beklagte zu 1) habe sie von Verbindlichkeiten freizustellen , die durch ihre Beteiligung an der "G GbR" begründet worden sind, künftig entstehen oder hiermit in Zusammenhang stehen , sowie die entsprechende Verurteilung der Beklagten zu 2) erhöhen den Streitwert. Ein solcher Feststellungsantrag ist im Allgemeinen mit 10% des Nominalwertes der jeweils gezeichneten Beteiligungen anzusetzen (Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2013 - XI ZR 370/11, juris und vom 9. Mai 2017 - XI ZR 484/15, juris Rn. 3). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass während des Berufungsverfahrens eine wirtschaftliche Sanierung des Fonds durchgeführt wurde, wofür die weit überwiegende Anzahl der Kläger zusätzliche Zahlungen leistete. Diese Beträge sind weitgehend als Klageerweiterungen im Berufungsverfahren zusätzlich geltend gemacht worden und haben damit den Wert der Zahlungsanträge erhöht. Die damit einhergehende Reduzierung der wirtschaftlichen Bedeutung des mit den Feststellungsanträgen verfolgten Freistellungsbegehrens ist im Rahmen der von § 3 ZPO geforderten Ermessensausübung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - III ZR 23/11, ZIP 2011, 1686 Rn. 2 mwN). Das rechtfertigt es, die vorliegenden Feststellungsanträge mit 5% des Nominalwertes der gezeichneten Beteiligungen anzusetzen. Daraus ergibt sich aufgerundet der festgesetzte Gesamtwert.
- 5
- 2. Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 2), den dieser nach § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG aus eigenem Recht stellen durfte, ist der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hinsichtlich dieses Prozessbevollmächtigten mit bis zu 900.000 € festzusetzen. Dieser Betrag setzt sich aus dem Wert der im Beschwerdeverfahren angegriffenen Verurteilung der Beklagten zu 2) zur Zahlung sowie der ebenfalls angegriffenen Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zu 2) zur entsprechenden Freistellung von Verbindlichkeiten zusammen, die - wie oben ausgeführt - mit 5% des Nennwertes der betroffenen Beteiligungen anzusetzen sind.
LG Berlin, Entscheidung vom 11.09.2008 - 37 O 6/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 27.05.2015 - 26 U 221/08 -
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 19.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt. Das Urteil ist dem Kläger, der Rechtsanwalt ist und sich selbst vertreten hat, am 15. Mai 2015 zugestellt worden. Nach dem Hinweis, dass die Berufungsschrift vom 11. Juni 2015 am 16. Juni 2015 bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei, hat er mit Schriftsatz vom 21. Juli 2015 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, seine Kanzleiangestellte, die die Berufungsschrift am 11. Juni 2015 zunächst per Telefax übersandt habe, habe versäumt, die Telefaxübermittlung anhand des Telefaxprotokolls auf einen ordnungsgemäßen Zugang zu überprüfen. Er habe darauf vertrauen können, dass die zusätzlich am selben Tag zur Post aufgegebene Berufungsschrift fristgerecht eingehen werde. Eine Ausdehnung des Poststreiks für den Raum Düsseldorf sei zu diesem Zeitpunkt nicht angekündigt gewesen.
- 2
- Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb der am 1. Dezember 2015 abgelaufenen Begründungsfrist begründet.
- 3
- Mit einem am 9. Dezember 2015 bei dem Bundesgerichtshof eingegangenen Schreiben hat der Kläger selbst sich an den Senat gewandt und mitgeteilt , seine Berufungsschrift sei bereits am 15. Juni 2015 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen. Der für die Zuteilung der Neueingangssachen zuständige Geschäftsstellenbeamte des Berufungsgerichts habe ihn am 16. Mai 2015 telefonisch darauf hingewiesen, dass die erste Seite der Berufungsschrift sich auf die Wirksamkeit der Berufung nicht auswirkende peinliche Worte enthalten habe, die, wie er richtig vermutet habe, auf der Verwendung eines Spracherkennungssystems beruhten. Auf seine Anregung hin habe er, der Kläger, am 16. Juni 2015 per E-Mail eine korrigierte erste Seite an das Berufungsgericht übersandt. Der Geschäftsstellenbeamte habe die ursprüngliche erste Seite aus der Gerichtsakte entfernt und durch die korrigierte Seite ersetzt. Dabei habe er darauf versehentlich statt des ursprünglichen Datums des Posteingangs (15. Juni 2015) das Datum des Austauschs (16. Juni 2015) vermerkt. Diesen Vorgang habe der Geschäftsstellenbeamte ihm gegenüber per E-Mail vom 28. November 2015 bestätigt.
- 4
- Am 16. Februar 2016 hat der Kläger einen Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 vorgelegt. Aus diesem geht hervor, dass seine Berufung tatsächlich fristgerecht eingegangen ist, sich das Berufungsgericht aber außer Stande gesehen hat, den mit der Rechtsbeschwerde angefochtenen Beschluss aufzuheben.
- 5
- Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2016 hat der Prozessbevollmächtige des Klägers auf den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift hingewiesen. Er ist der Ansicht, der Umstand, dass die Berufungsfrist tatsächlich nicht versäumt sei, sei zumindest in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 7b ZPO zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hätte bei sorgfältiger Prüfung den Fehler des Geschäftsstellenbeamten bemerken müssen.
II.
- 6
- Das Berufungsgericht meint, die beantragte Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden. Der Kläger trage die Verantwortung für die Versäumung der Berufungsfrist. Er habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er seine Mitarbeiter angewiesen habe, nach einer Übermittelung fristwahrender Schriftsätze per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung korrekt erfolgt sei. Er habe auch nicht darauf vertrauen können, dass die in Düsseldorf am 11. Juni 2015 als Brief in den Postkasten eingeworfene Berufungsschrift rechtzeitig bei dem Oberlandesgericht eingehen werde. Das an sich berechtigte Vertrauen in die fristgemäße Briefbeförderung sei aufgrund des Poststreiks nicht gerechtfertigt gewesen.
III.
- 7
- Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
- 8
- 1. Sie ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Senat, Beschluss vom 29. Januar 2015 - V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
- 9
- 2. Allerdings ist nach dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 davon auszugehen, dass die Berufung des Klägers fristgerecht innerhalb der am 15. Juni 2015 abgelaufenen Berufungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen ist. Diesen Umstand kann der Senat jedoch aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht berücksichtigen.
- 10
- a) Der Senat ist an die Feststellung des Berufungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss gebunden, dass die Berufungsschrift des Klägers nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) eingegangen ist (§ 559 Abs. 1, 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Tatsache, dass die Berufungsschrift fristgerecht eingegangen ist, hat der Kläger erst im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgetragen. Damit handelt es sich um einen neuen Tatsachenvortrag in der Rechtsbeschwerdeinstanz, auf den die Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht gestützt werden kann (BGH, Beschluss vom 18. September 2003 - IX ZB 40/03, BGHZ 156, 165, 167). Die Rechtzeitigkeit der Berufung ist hier auch nicht von Amts wegen zu prüfen. Wird eine Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts mit einem Rechtsmittel angegriffen, ist die Zulässigkeit der Berufung weder eine Sachentscheidungsvoraussetzung noch findet eine Prüfung von Amts wegen statt (BGH, Beschluss vom 18. September 2003 - IX ZB 40/03, aaO, S. 167 f.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZR 164/15, juris Rn. 16).
- 11
- b) Eine Rechtsbeschwerde gegen eine die Berufung verwerfende Entscheidung kann zwar auch darauf gestützt werden, diese leide an einem Verfahrensmangel. Diese Rüge hat der Kläger jedoch nicht wirksam erhoben.
- 12
- aa) Allerdings war die von Amts wegen gebotene Prüfung der Zulässigkeit der Berufung durch das Berufungsgericht (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO) fehlerhaft. Die auf der unzutreffenden Annahme einer verspäteten Einreichung der Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, NJW 1989, 1147; NJW-RR 2002, 1004). Dass dem für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung zuständigen Senat des Berufungsgerichts der rechtzeitige Eingang der Berufungsschrift nicht bekannt war, ist unerheblich. Das Wissen des Geschäftsstellenbeamten, der den Eingang der Berufung erfasst hat, ist ihm zuzurechnen. Das Berufungsgericht ist das Gericht als organisatorische Einheit und nicht nur das erkennende Gericht als Spruchkörper.
- 13
- bb) Von dem Verfahrensmangel hat der Kläger aufgrund der E-Mail des Geschäftsstellenbeamten vom 28. November 2015 Kenntnis erlangt. Er konnte zwar nicht mehr eine Abänderung des Verwerfungsbeschlusses bei dem Berufungsgericht erreichen. Denn das Berufungsgericht ist grundsätzlich an diesen gebunden und darf ihn, auch wenn er angefochten wird, nicht wieder aufheben (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995 - IV ZB 22/94, NJW-RR 1995, 765). Der Kläger hätte den Verfahrensmangel jedoch innerhalb der am 1. Dezember 2015 abgelaufenen Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bzw. innerhalb einer zweiwöchigen Frist (entsprechend § 234 ZPO) vor dem Bundesgerichtshof rügen können. Das hat er nicht getan. Sein Vorbringen vom 9. Dezember 2015 ist unbeachtlich, weil der Kläger selbst nicht postulationsfähig ist (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Sein Prozessbevollmächtigter hat im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals mit Schriftsatz vom 17. Februar 2016 mitgeteilt, dass die Berufung des Klägers fristgerecht eingegangen war. Dieser Vortrag ist so spät gehalten, dass darauf die Verfahrensrüge nicht mehr gestützt werden kann. Es kann deshalb offenbleiben, ob eine Ergänzung der Rechtsbeschwerdebegründung im Sinne einer teilweise “Nachholung” derselben, der Sache nach verbunden mit dem Begehren auf (teilweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen (teilweiser ) Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§ 233 ZPO), hätte Beachtung finden müssen (ablehnend BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 - III ZR 285/95, NJW 1997, 1309, 1310; MüKo/Krüger, ZPO, 5. Aufl., § 551 Rn. 20), was allerdings dann naheliegt, wenn - wie hier - die inhaltliche Unvollständigkeit einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung auf einem Fehler im gerichtsinternen Bereich beruht.
- 14
- c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann der Umstand, dass die Berufungsfrist nicht versäumt ist, nicht in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 7b ZPO in der Rechtsbeschwerdeinstanz berücksichtigt werden.
- 15
- aa) Allerdings kann das Vorbringen eines Restitutionsgrundes trotz der sich aus § 559 ZPO ergebenden Beschränkungen in der Rechtsbeschwerdeinstanz bzw. Revisionsinstanz zulässig sein, auch wenn es sich dabei um Tatsachen handelt, die noch nicht Gegenstand des Berufungsurteils sein konnten. Diese Ausnahme ist durch die Erwägung gerechtfertigt, dass es im Sinne einer vernünftigen Prozessökonomie liegt, Wiederaufnahmegründe noch in einem anhängigen Rechtsstreit zu erledigen, anstatt die Partei, die sie geltend macht, damit auf ein nach rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Rechtsstreits einzuleitendes Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen. Das ist anerkannt für die in § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO angeführten Restitutionsgründe, wenn deswegen eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist (§ 581 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1951 - IV ZR 3/50, BGHZ 3, 65, 67 f.; Urteil vom 6. März 1952 - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 247; Beschluss vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1), sowie für die Restitutionsgründe nach § 580 Nr. 6 und 7a ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1951 - IV ZR 3/50, BGHZ 3, 65, 67; Urteil vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04, ZIP 2007, 697 Rn. 14; insgesamt ablehnend MüKo/Braun, ZPO, 5. Aufl., § 582 Rn. 6). Auch ein neues tatsächliches Vorbringen, das den Tatbestand des § 580 Nr. 7b ZPO erfüllt, kann grundsätzlich berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1952 - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 248; Urteil vom 29. Juni 1955 - IV ZR 55/55, BGHZ 18, 59, 60; Beschluss vom 13. Januar 2000 - IX ZB 3/99, LM ÜberlG Nr. 1; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - IX ZB 148/11, WM 2011, 2158 Rn. 7).
- 16
- bb) Die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7b ZPO liegen jedoch nicht vor.
- 17
- (1) Der Geschäftsstellenbeamte des Berufungsgerichts hat mit E-Mail vom 28. November 2015 den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift des Klägers bestätigt. Die E-Mail kann nicht als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO angesehen werden. Es handelt sich um eine schriftliche Zeugenaussage des Geschäftsstellenbeamten. Die Restitutionsklage kann nicht auf eine Privaturkunde gestützt werden, mit der durch die schriftliche Erklärung einer als Zeuge in Betracht kommenden Person der Beweis für die Richtigkeit der in der Erklärung bekundeten Tatsachen geführt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 395; Beschluss vom 29. Februar 1984 - IVb ZB 28/83, NJW 1984, 1543, 1544 mwN; Beschluss vom 24. April 2013 - XII ZB 242/09, NJW-RR 2013, 833 Rn. 17).
- 18
- (2) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde erfüllt auch der Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016, der auf der Erklärung des Geschäftsstellenbeamten vom 28. November 2015 beruht, nicht den Tatbestand des § 580 Nr. 7b ZPO. Es handelt sich nicht um eine Urkunde, die der Kläger im Sinne dieser Vorschrift aufgefunden hat.
- 19
- (a) Aufgefunden im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO wird eine Urkunde, wenn ihre Existenz oder ihr Verbleib der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses bzw. bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist in diesem Verfahren unbekannt war (BGH, Beschluss vom 24. April 2013 - XII ZB 242/09, NJW-RR 2013, 833 Rn. 19 mwN). Die Urkunde muss deshalb grundsätzlich bereits zu einem Zeitpunkt errichtet worden sein, zu dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1959 - IV ZR 311/58, BGHZ 30, 60, 64; siehe auch RGZ 123, 304, 305; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 580 Rn. 16a). Das ist bei dem erst am 19. Januar 2016 erlassenen Beschluss des Berufungsgerichts nicht der Fall.
- 20
- (b) Von diesem Grundsatz werden Ausnahmen nur zugelassen für Urkunden wie beispielsweise Geburtsurkunden oder einen die Schwerbehinderung feststellenden Verwaltungsakt, die ihrer Natur nach nicht im zeitlichen Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden und deshalb zwangsläufig zurückliegende Tatsachen beweisen (vgl. BAGE 122, 190 Rn. 18 mwN auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Diese Voraussetzungen erfüllt der Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. Januar 2016 offensichtlich nicht.
- 21
- 3. Auf der Grundlage der Annahme, dass die Berufungsschrift verspätet eingegangen ist, hat das Berufungsgericht dem Kläger durch die Zurückweisung der form- und fristgerecht beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§ 233 ZPO) nicht den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in einer unzumutbaren , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Das Berufungsgericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Kläger die Fristversäumung verschuldet hat.
- 22
- a) Der Kläger hat die ihn als Rechtsanwalt bei der Versendung fristgebundener Schriftsätze auf dem Postweg in Zeiten eines Poststreiks treffenden Sorgfaltspflichten verletzt.
- 23
- aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden (BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211; 2001, 1566; 2003, 1516; Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; jeweils mwN). Er darf vielmehr grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 226/12, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - V ZB 187/12, juris Rn. 9, jeweils mwN).
- 24
- bb) Anders liegt es, wenn dem Postkunden besondere Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können. Eine solche Ausnahmesituation, in der das Vertrauen in die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten erschüttert sein kann, ist der Poststreik. Hat ein Prozessbevollmächtigter Kenntnis davon, dass sein fristgebundener Schriftsatz von dem Poststreik betroffen sein kann, und wählt er für die Beförderung gleichwohl den Postweg, obwohl sichere Übermittlungswege (Einwurf in den Gerichtsbriefkasten am Ort; Benutzung eines Telefaxgeräts) zumutbar sind, treffen ihn gesteigerte Sorgfaltsanforderungen (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1992 - VIII ZR 30/92, NJW 1993, 1332, 1333; Beschluss vom 25. Januar 1993 - II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334; Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 126/15, NJW 2016, 2750 Rn. 9 ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211). Von einem Rechtsanwalt, der Kenntnis von dem Beginn eines bundesweiten Poststreiks erlangt hat, ist deshalb zu verlangen, dass er sich über den Streikverlauf so weit wie möglich informiert. Dazu gehört es, die Berichterstattung über den Streik in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen oder auf den Internetportalen der Nachrichtenanbieter zu beobachten sowie die Informationsangebote der Gewerkschaft Verdi oder der Deutschen Post AG zu nutzen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Öffentlichkeit unverzüglich und regelmäßig über Streikaktionen der Gewerkschaft informiert wird.
- 25
- cc) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger die ihm obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten nicht erfüllt. Das Berufungsgericht stellt rechtsfehlerfrei fest, dass er zum Zeitpunkt des Einwurfs der Berufungsschrift in den Briefkasten am 11. Juni 2015 bei Anstellen der gebotenen Nachforschungen Kenntnis davon erlangt hätte, dass sie von dem Poststreik betroffen sein kann.
- 26
- Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Gewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung vom 9. Juni 2015 über den schrittweisen Beginn des unbefristeten Poststreiks in den bundesweit 83 Briefverteilzentren informiert ; hierüber wurde seinerzeit in den Medien ausführlich berichtet. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass ein Rechtsanwalt unter diesen Umständen von einer Ausdehnung des Poststreiks auf das Stadtgebiet hätte Kenntnis erlangen müssen, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger geltend macht, ein Anwalt könne nicht gehalten sein, die Online-Mitteilungen eines jeden Nachrichtenanbieters zu verfolgen, ergibt sich daraus nichts anderes. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Internetseite des WDR ist nur beispielhaft gemeint und in rückschauender Betrachtung als Beleg dafür gedacht, dass der Poststreik (auch) in Düsseldorf schon vor dem 11. Juni 2015 Gegenstand öffentlicher Berichterstattung war. Entscheidend ist, dass in den Medien ausführlich über den Streik berichtet wurde.
- 27
- b) Der Kläger ist auch bei der Übersendung der Berufungsschrift am 11. Juni 2015 per Telefax seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht nimmt rechtsfehlerfrei an, dass sich seinen Darlegungen in dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen lässt, dass in seiner Kanzlei eine hinreichende Ausgangskontrolle per Telefax versandter fristgebundener Schriftsätze gewährleistet war.
- 28
- aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist (Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 86/15, NJW-RR 2016, 636 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - III ZB 51/12, juris Rn. 6; Beschluss vom 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 13. Juni1996 - VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).
- 29
- bb) Gemessen daran hat der Kläger nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er seine Kanzleiangestellte angewiesen hat, die erforderliche Ausgangskontrolle vorzunehmen.
- 30
- (1) Das Berufungsgericht hat die eidesstattlichen Versicherungen rechtsfehlerfrei gewürdigt. Es vermisst zu Recht eine Darstellung des Klägers zur Organisation der Ausgangskontrolle gesendeter Faxe in seiner Kanzlei. Dass es eine solche Anweisung gegeben hat, lässt sich auch nicht den eidesstattlichen Versicherungen entnehmen. Der Kläger beruft sich ohne Erfolg auf die eidesstattliche Versicherung seiner Kanzleiangestellten, in der diese erklärt, sie habe es „wohl versäumt, das Faxprotokoll daraufhin zu überprüfen, ob das Fax durchgegangen ist.“ Diese Formulierung impliziert entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass sie zur Überprüfung angewiesen gewesen sei. Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch des Wortes „versäumt“ lässt sich ein Verstoß ge- gen eine Anweisung nicht ableiten. Ein Versäumnis kann sich z.B. auch auf eine unausgesprochene Übung beziehen. Eine solche Übung steht einer Anweisung nicht gleich.
- 31
- (2) Entgegen der Ansicht des Klägers war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen (§ 139 ZPO). Eine Hinweispflicht besteht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 mwN).
IV.
- 32
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den Beschwerdewert folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 07.05.2015 - 10 O 191/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.08.2015 - I-24 U 104/15 -
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Mit Telefaxschreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 12. März 2009 legte der Beklagte Berufung gegen das ihm am 12. Februar 2009 zugestellte Urteil des Landgerichts ein, mit dem er zur Zahlung von 11.534,61 € nebst Zinsen verurteilt wurde. Als Empfänger wies der Schriftsatz das Oberlandesgericht aus. Die Berufungsschrift ging am 12. März 2009 zwischen 14.54 Uhr und 15.15 Uhr auf dem Telefaxgerät der Generalstaatsanwaltschaft ein und wurde am 13. März 2009 an die Posteingangsstelle des Oberlandesgerichts weitergeleitet. Mit einem am 14. April 2009 (Dienstag nach Ostern) eingegangenen Schriftsatz begründete der Beklagte seine Berufung.
- 2
- Mit einem dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 23. Juni 2009 zugestellten Schreiben wies das Oberlandesgericht auf die versäumte Berufungsfrist hin und räumte dem Prozessbevollmächtigten eine Stellungnah- mefrist hierzu von zwei Wochen ein. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2009 beantragte der Prozessbevollmächtigte eine Verlängerung dieser Frist bis zum 17. Juli 2009. Auf den Hinweis des Oberlandesgerichts vom 26. Juni 2009, dass die Frist für die Wiedereinsetzung nicht verlängert werden könne, stellte ein Vertreter des Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. Juni 2009, eingegangen beim Oberlandesgericht am 1. Juli 2009, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die von der Kanzleimitarbeiterin verwendete Telefaxnummer im Telefonverzeichnis der Anwaltskanzlei als die Nummer des Oberlandesgerichts eingetragen sei. Eine Ausgangskontrolle durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten habe nicht erfolgen können, weil dieser aufgrund einer an diesem Tag bei ihm durchgeführten Darmspiegelung gesundheitliche Beschwerden gehabt habe. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2009 legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erneut Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts ein und wiederholte seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung wurde nunmehr vorgetragen, dass eine bislang zuverlässige Kanzleiangestellte bei der Übermittlung des Schriftsatzes versehentlich die Telefaxnummer der im gleichen Haus befindlichen Generalstaatsanwaltschaft in das Gerät eingegeben habe, weil sie in dem in der Kanzlei vorgehaltenen Telefon- und Faxnummernverzeichnis sowohl bei der Eingabe als auch bei der Kontrolle der Nummer in die falsche Zeile gerutscht sei. Die Eingangsbestätigung des Berufungsgerichts sei dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten erst am 10. Juli 2009 anlässlich einer Besprechung mit seinen Mitarbeitern vorlegt worden. Aufgrund eines Kanzleiversehens sei das Schreiben falsch abgeheftet worden.
- 3
- Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten vom 30. Juni 2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und den Antrag des Beklagten vom 13. Juli 2009 auf Wiedereinset- zung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt und die Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung erreichen will.
II.
- 4
- Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Senats ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG i.V.m. § 139 ZPO), noch verletzt sie den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281).
- 5
- 1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung verworfen, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe, welches sich der Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft seien nicht verpflichtet gewesen, die am 12. März 2009 per Telefax eingegangene Berufungsschrift noch an diesem Tag an das Oberlandesgericht weiterzuleiten. Dem Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die ebenfalls versäumte Wiedereinsetzungsfrist könne ebenfalls nicht entsprochen werden, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedenfalls nach Eingang der Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts am 23. Juni 2009 Anlass zur Überprüfung gehabt hätte, wie es zu dem fehlerhaften Faxversand gekommen sei. Deshalb könne das weitere Vorbringen , wonach eine Kanzleimitarbeiterin sowohl bei der Eingabe als auch bei der Kontrolle der Telefaxnummer versehentlich in eine falsche Zeile des Telefonverzeichnisses gerutscht sei, nicht berücksichtigt werden.
- 6
- 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
- 7
- Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Berufungsschrift nicht innerhalb der am 12. März 2009 abgelaufenen Frist beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Der Umstand, dass bei der Generalstaatsanwaltschaft ein Eingangsfach für an das Oberlandesgericht gerichtete Schriftstücke vorhanden war, ändert nichts daran, dass die an das Telefaxgerät der Generalstaatsanwaltschaft gesendete Berufungsschrift erst am 13. März 2009 und somit nach Ablauf der Berufungsfrist in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Oberlandesgerichts gelangte (BGH Beschluss vom 4. April 2007 - III ZB 109/06 - NJW-RR 2007, 1429, 1430).
- 8
- 3. Dem Beklagten ist die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt worden, weil nach seinem Vortrag ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt ist.
- 9
- a) Die Rechtsbeschwerde geht zwar zutreffend davon aus, dass eine Partei sich das einmalige Versehen einer als zuverlässig bekannten, hinreichend unterrichteten und bewährten Kanzleimitarbeiterin ihres Prozessbevoll- mächtigten grundsätzlich nicht zurechnen lassen muss (Senatsbeschluss vom 28. März 2001 - XII ZR 32/01 - NJW-RR 2001, 1071 für den vergleichbaren Fall einer zweimaligen Falscheingabe einer Faxnummer durch eine bislang zuverlässige Kanzleikraft; BGH Beschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - NJWRR 2001, 779, 780). Denn die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO führt lediglich zur Zurechnung eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten selbst. Ein Eigenverschulden des Prozessbevollmächtigten liegt jedoch dann vor, wenn für die Fristversäumnis eine mangelhafte Büroorganisation ursächlich war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsanwalt, der unter Einschaltung seines Büropersonals fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht , verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413; vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508, 2509 und vom 11. November 2009 - XII ZB 117/09 - juris, Tz. 6; BGH Beschlüsse vom 26. September 2006 - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996, 997; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - NJW 2007, 1690, 1691; vom 20. November 2007 - XI ZB 30/06 - juris, Tz. 5 und vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGH-Report 2004, 978). Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle der Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder deren Übertragung in den Schriftsatz feststellen zu können (Senatsbeschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413; BGH Beschluss vom 4. April 2007 - III ZB 109/06 - NJW-RR 2007, 1429, Tz. 8). Erst nach der Überprüfung , ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Adressaten erfolgt ist, darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508, Tz. 11 m.w.N.).
- 10
- b) Eine diesen Anforderungen genügende Ausgangskontrolle im Büro des Beklagtenvertreters ist nicht dargetan worden. Im Schriftsatz vom 30. Juni 2009 wurde das Wiedereinsetzungsgesuch zunächst nur damit begründet, dass die von der Kanzleimitarbeiterin benutzte Telefaxnummer im Telefonverzeichnis der Kanzlei als Nummer des Oberlandesgerichts eingetragen sei. Weiteren Vortrag , insbesondere zur Organisation der Ausgangskontrolle bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax, enthält dieser Schriftsatz nicht. Die fehlerhafte Zuordnung der Telefaxnummer im Telefonverzeichnis der Anwaltskanzlei würde ein Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten darstellen, das sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.
- 11
- c) Die Behauptung, eine Kanzleimitarbeiterin sei sowohl bei der Eingabe als auch bei der Kontrolle der verwendeten Telefaxnummer im Telefonverzeichnis versehentlich in die falsche Zeile geraten, hat der Beklagte erstmals im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13. Juli 2009 aufgestellt, also nach Ablauf der am 7. Juli 2009 endenden Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht deshalb zu Recht nicht berücksichtigt.
- 12
- (1) Grundsätzlich müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen , die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212). Jedoch dürfen nach der Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - BGH-Report 2006, 119 m.w.N. und vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212) erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden. http://www.juris.de/jportal/portal/t/o4j/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=118&numberofresults=964&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE027604160&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 8 -
- 13
- (2) Das Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13. Juli 2009 zu dem behaupteten zweimaligen Versehen der Kanzleikraft bei der Eingabe der Telefaxnummer stellt jedoch einen völlig neuen Sachvortrag dar, der in dem Wiedereinsetzungsantrag vom 30. Juni 2009 nicht einmal im Ansatz erwähnt wurde. Der Beklagte kann daher mit diesem Vorbringen nur dann gehört werden, wenn ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu gewähren ist (Zöller /Greger ZPO 28. Aufl. § 234 Rdn. 4). Das Berufungsgericht hat jedoch zu Recht insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt.
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- (3) Dabei kann offen bleiben, ob dem Schriftsatz vom 13. Juli 2009 überhaupt ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO entnommen werden kann. Denn ausdrücklich hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Wiedereinsetzung in die abgelaufene Frist gemäß § 234 Abs. 1 ZPO dort nicht beantragt. Aber selbst wenn der gestellte Antrag unter Einbeziehung der Antragsbegründung, des Zeitpunkts der Antragstellung und des Rechtsschutzzieles dahingehend auszulegen wäre, dass hiermit auch die grundsätzlich mögliche Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO beantragt werden sollte, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, weil das Versäumnis auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
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- (4) Nach allgemeiner Ansicht muss bei der Prüfung des Verschuldens auf die für eine Prozessführung erforderliche, übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts abgestellt werden (BGH Beschluss vom 22. November 1984 - VII ZR 160/84 - NJW 1985, 1710 m.w.N.; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 30. Aufl. § 233 Rdn. 13; Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 233 Rdn. 13). Erkennt ein Rechtsanwalt, dass er eine gesetzliche oder richterlich gesetzte Frist nicht einhalten kann, muss er durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristver- längerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird (Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 233 Rdn. 23 "Fristverlängerung"). Kommt eine Verlängerung der einzuhaltenden Frist etwa aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht, gebietet es die anwaltliche Sorgfalt, die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung der Frist zu ergreifen (Zöller/Greger, aaO; in diesem Sinne auch BGH Beschluss vom 24. November 2009 - VI ZB 69/08 - FamRZ 2010, 370).
- 16
- (5) Diesen Anforderungen ist der Prozessbevollmächtigte des Beklagten im vorliegenden Fall nicht gerecht geworden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts , die von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen werden, erhielt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 23. Juni 2009 Kenntnis von dem gerichtlichen Hinweis auf die Nichteinhaltung der Berufungsfrist. Obwohl der Prozessbevollmächtigte des Beklagten wusste, dass er am 26. Juni 2009 eine Auslandsreise antreten werde, beschränkte er sich darauf, mit Schriftsatz vom 24. Juni 2009 eine Verlängerung der vom Berufungsgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme um zwei Wochen zu beantragen. Bei Anwendung der erforderlichen und ihm zumutbaren anwaltlichen Sorgfalt hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bereits am 23. Juni 2009 erkennen können, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Berufungsfrist hätte stellen müssen und ihm hierzu nur eine Frist von zwei Wochen zur Verfügung stand, die mit der Kenntnis von dem gerichtlichen Hinweis am 23. Juni 2009 zu laufen begann (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte sich daher in dem Zeitraum bis zum Antritt seiner Auslandsreise um Aufklärung bemühen müssen, welche Umstände zu der Versäumung der Berufungsfrist geführt haben. Dies wäre ihm auch zumutbar gewesen. Zwar hat er im Berufungsverfahren dargelegt, in welchem Umfang er in der Zeit vom 23. Juni 2009 bis 26. Juni 2009 terminlich gebunden war. Dadurch kann er sich jedoch nicht entlasten. Aufgrund der Dringlichkeit im vorliegenden Verfahren hätte er organisatorische Maßnahmen ergreifen müssen , um einen fristgerechten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorbereiten und stellen zu können. Dabei ist von einem Rechtsanwalt auch die Kenntnis zu verlangen, dass eine richterliche Verlängerung der Wiedereinsetzungsfrist gem. § 224 Abs. 2 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen ist (OLG Zweibrücken MDR 2007, 294 m.w.N.; Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 233, Rdn. 23 "Rechtsanwalt"). Hierzu findet sich jedoch weder in dem Berufungsvorbringen noch in der Rechtsbeschwerde ein ausreichender Sachvortrag. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte sich lediglich die Akten vorlegen lassen und bei seinen Kanzleimitarbeitern nachfragen müssen, weshalb die Berufungsschrift an eine falsche Telefaxnummer übermittelt worden ist. Dies wäre ihm trotz der verschiedenen Auswärtstermine, die er zwischen dem 23. Juni 2009 und 26. Juni 2009 wahrnehmen musste, zumutbar gewesen. Schließlich hatte er auch die Zeit gefunden, sich mit der Sache zu befassen und mit Schriftsatz vom 24. Juni 2009 beim Berufungsgericht eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu beantragen.
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- Das Berufungsgericht hat daher dem Beklagten zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewährt.
- 18
- 4. Schließlich wird die Versäumung der Berufungsfrist auch nicht dadurch entschuldigt, dass die Generalstaatsanwaltschaft die per Telefax eingegangene Berufungsschrift nicht noch am 12. März 2009 an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat.
- 19
- a) Die Rechtsbeschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Rechtsuchender grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass ein einmal mit der Sache befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (BVerfGE 93, 99, 115 f.; BVerfG NJW 2001, 1343). Eine weitergehende Verpflichtung, etwa eine beschleunigte Weiterleitung an das zuständige Gericht oder eine Verpflichtung , die Partei oder deren Prozessbevollmächtigten durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung der Berufung bei einem unzuständigen Gericht zu unterrichten, ergibt sich von Verfassungs wegen jedoch nicht (BVerfG NJW 2001, 1343). Denn sonst würde der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und dem unzuständigen Gericht übertragen (BVerfG aaO). Offen gelassen hat das Bundesverfassungsgericht bislang die Frage, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn die Berufung bei einem Gericht eingereicht wurde, das bislang mit der Sache nicht befasst war (BVerfG aaO). Der Bundesgerichtshof wendet die gleichen Grundsätze an und sieht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen und vorher mit der Sache noch nicht befassten Gerichts, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (statt vieler BGH Beschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03 - NJW-RR 2004, 1655, 1656 m.w.N.).
- 20
- b) Auf dieser rechtlichen Grundlage ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die Berufungsschrift ist am 12. März 2009 bei der Generalstaatsanwaltschaft, mithin einer völlig unzuständigen Behörde eingegangen. Da selbst ein Gericht, das mit dem Verfahren vorbefasst war, nur verpflichtet ist, für eine Weiterleitung der Berufungsschrift im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs zu sorgen, können sich für die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft keine weitergehenden Pflichten ergeben. Da die Berufung am 12. März 2009 zwischen 14.54 Uhr und 15.15 Uhr bei der Generalstaatsanwaltschaft einging, war eine Weiterleitung des Schriftsatzes an diesem Tag im ordentlichen Geschäftsgang nicht mehr möglich. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass nicht als besonders eilig gekennzeichnete Faxeingänge nur einmal täglich nach Eingang der Post (regelmäßig zwischen 09.30 Uhr und 10.00 Uhr) abgetragen werden und daher im Rahmen des ordentlichen Geschäftsverkehrs ein Zutrag an das Berufungsgericht erst am nächsten Tag erfolgen konnte. Das Berufungsgericht hat zudem festgestellt, dass der Schriftsatz vom 12. März 2009 nicht als besonders eilbedürftig gekennzeichnet war. Der baldige Ablauf der Berufungsfrist wäre daher nur durch eine konkrete Fristberechnung anhand des Inhalts des Schriftsatzes möglich gewesen. Dazu waren die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft jedoch nicht verpflichtet. Dose Vézina Klinkhammer Schilling Günter
LG Siegen, Entscheidung vom 22.01.2009 - 5 O 187/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 12.08.2009 - I-30 U 41/09 -
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. April 2016 9 K 178/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt sind.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte bis einschließlich Februar 2008 Einkünfte aus der Vermietung eines Grundstücks in X, das er am 1. März 2008 veräußerte. Im Jahr 2009 erhielt er von der Stadt X einen Festsetzungsbescheid über einen Ausgleichsbetrag nach § 154 des Baugesetzbuches in Höhe von 179.682 €. Der Kläger ging gegen diesen Bescheid gerichtlich vor. Das Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht endete im Jahr 2012 mit einem Vergleich, wonach der Kläger nunmehr einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 80.938 €, zahlbar in monatlichen Raten, zu leisten hatte. Im Jahr 2012 leistete der Kläger Zahlungen in Höhe von 29.171,64 €. Zudem zahlte er Rechtsanwaltskosten in Höhe von 8.685,48 €. Den Gesamtbetrag in Höhe von 37.857,12 € erklärte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2012 zunächst nicht.
- 3
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Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Angaben des Klägers im Einkommensteuerbescheid 2012 vom 31. Januar 2014 größtenteils gefolgt war, legte die Bevollmächtigte des Klägers --Steuerberaterin S-- mit Schreiben vom 26. Februar 2014 Einspruch ein und machte die Aufwendungen in Höhe von 37.857,12 € als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung geltend.
- 4
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Ausweislich des Eingangsstempels des FA ging das Einspruchsschreiben erst am 6. März 2014 beim FA ein. Mit Schreiben vom 31. März 2014 wies das FA den Kläger darauf hin, dass der Einspruch verspätet eingegangen und damit unzulässig sei.
- 5
-
Mit Schreiben vom 9. April 2014 teilte S mit, das Einspruchsschreiben sei am 26. Februar 2014 mit der Deutschen Post AG verschickt worden. Dieser Tatbestand sei ihrem Postausgangsbuch zu entnehmen. Es sei ihr nicht erklärlich, warum das Schreiben mit einer derartigen Zeitverzögerung zugestellt worden sei. Die Deutsche Post AG gelte als zuverlässiger Bote. Sie vermute, dass es sich um ein fahrlässiges Verhalten der Post gehandelt habe, da ihr ein derartiger Zustand noch nicht vorgekommen sei. Sie habe auch mit der zuständigen Bearbeiterin in ihrer Kanzlei gesprochen, um ein fahrlässiges Verhalten ihrerseits zu prüfen. Hierbei habe sie die Antwort erhalten, dass das Schreiben am 26. Februar 2014 im Postausgangsbuch eingetragen und mit dem restlichen Schriftwechsel am Abend in den Briefkasten gesteckt worden sei. Sie beantrage aufgrund dessen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO).
- 6
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Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Es sah die Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht ausreichend an.
- 7
-
Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, seine Steuerberaterin S habe ihre Mitarbeiter angewiesen, Post über das Postausgangsbuch auszutragen. Werde die Post über das Postausgangsbuch ausgetragen, so werde sie am selben Tage in den Briefkasten eingeworfen. Am 26. Februar 2014 sei die Post von Frau B, einer Mitarbeiterin der Steuerberaterin, über das Postausgangsbuch ausgetragen worden. Eine weitere Mitarbeiterin der Steuerberaterin, Frau C, habe die über das Postausgangsbuch ausgetragene Post am selben Tage in den Briefkasten der Postfiliale "A" geworfen. Die letzte Leerung dieses Briefkastens am 26. Februar 2014 sei gegen 17:00 Uhr erfolgt. Zur Glaubhaftmachung legte die Steuerberaterin des Klägers einen Auszug aus dem Postausgangsbuch vom 26. Februar 2014 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau C vom 20. Juni 2014 in Kopie vor. Seine Steuerberaterin habe auf die regelmäßigen Postlaufzeiten vertrauen dürfen. Der Einspruch sei vier Werktage vor Ablauf der Frist zum Versand gebracht worden. Eine ernsthafte Gefahr der Versäumung der Einspruchsfrist habe nicht bestanden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen dürfe im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, da sie auf die Postbeförderung keinen Einfluss habe. Auch auf die auf dem Briefkasten angegebenen Entleerungszeiten habe die Steuerberaterin vertrauen können.
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Im Rahmen des Klageverfahrens verständigten sich der Kläger und das FA in materiell-rechtlicher Hinsicht auf einen steuermindernden Abzug in Höhe von 50 % des Betrags von 37.857,12 €.
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Mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1049 veröffentlichten Entscheidung vom 20. April 2016 gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es sei unter Berücksichtigung der im Einspruchs- und Klageverfahren gegebenen Begründung und Glaubhaftmachung des Absendungsvorgangs von einer unverschuldeten Fristversäumnis auszugehen. Der Kläger habe im Einzelnen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, wann (26. Februar 2014), von wem (Frau C) und in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) das verspätet eingegangene Schriftstück zur Post aufgegeben worden sei. Die Darlegungen seien ausreichend durch eine eidesstattliche Versicherung der Frau C und die Vorlage der Kopie des Postausgangsbuches glaubhaft gemacht worden. Zwar habe die Bevollmächtigte innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO nur mitgeteilt, das Einspruchsschreiben sei am 26. Februar 2014 mit der Deutschen Post AG verschickt worden. Aus diesem Vortrag sei jedoch der Kern des Wiedereinsetzungsgrundes "Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" eindeutig zu entnehmen. Es werde dargelegt, an welchem Tag (26. Februar 2014) das streitbefangene Schriftstück in welcher Weise (Versendung mit der Post) auf den Weg zum Finanzamt gebracht worden sei. Zudem werde mitgeteilt, dass eine weitere Mitarbeiterin und nicht die Steuerberaterin selbst den Vorgang umgesetzt habe. Diese Darlegung werde durch eine Kopie des Postausgangsbuches glaubhaft gemacht. Im Klageverfahren sei dann lediglich eine Ergänzung des Vortrags zum Absendevorgang in Form der Benennung der Personen erfolgt, die die Austragung aus dem Postausgangsbuch und den Einwurf in den nunmehr genau benannten Briefkasten "A" vorgenommen haben. Hierin sei kein weiterer Wiedereinsetzungsgrund und kein substantiell neuer Vortrag zu sehen, sondern lediglich eine ergänzende Darlegung des bereits im Kern dargelegten Absendevorgangs. Dass die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten, die den Briefeinwurf vorgenommen hat, erst im Klageverfahren erfolgt sei, sei für die Wiedereinsetzung unschädlich.
- 10
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Mit seiner unter Beifügung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung eingelegten Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 110 AO). Dem Kläger sei keine Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er nicht alle erforderlichen Unterlagen und Angaben innerhalb der Antragsfrist eingereicht habe. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO sei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert sei. Dies setze in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, seien innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Es sei nicht ausreichend, innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Vielmehr müssten innerhalb dieser Frist auch die für eine Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen schlüssig vorgetragen werden. Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe könne auch noch im Verfahren über den Antrag erfolgen. Daher gehöre nicht nur die Bezeichnung der Versendungsart, sondern auch die Darlegung zu welchem Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) der Briefumschlag mit dem betreffenden Schriftsatz von welcher Person und auf welche Weise (Abgabe bei einer Postfiliale oder Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) zur Post aufgegeben worden sei, zu den Begründungserfordernissen innerhalb der Antragsfrist. Danach reiche zur Glaubhaftmachung der Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung begründen sollen, die bloße Vorlage einer Kopie des Postausgangsbuchs nicht aus. Im Streitfall enthalte der Wiedereinsetzungsantrag lediglich die Darstellung, dass eine nicht namentlich benannte Mitarbeiterin der Steuerberaterin das in Rede stehende Schreiben im Postausgangsbuch eingetragen und am Abend in einen nicht näher bezeichneten Briefkasten gesteckt habe. Weitere Angaben und Unterlagen seien erst nach Ablauf der Antragsfrist nachgereicht worden. Daher sei dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entsprechen gewesen.
- 11
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Das FA beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil vom 20. April 2016 9 K 178/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 12
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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In der Revisionseinlegungsschrift werde die Revision gegen ein Urteil des Niedersächsischen FG vom 2. Mai 2016 eingelegt und kein Aktenzeichen angegeben. Ein Urteil vom 2. Mai 2016 existiere aber nicht. Daher sei die Revision nicht wirksam eingelegt. Im Übrigen habe das FG zutreffend Wiedereinsetzung gewährt. Unklare oder unvollständige Angaben könnten noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen worden sei.
Entscheidungsgründe
- 14
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II. Die zulässige Revision des FA ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.
- 15
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Die Revision ist zulässig (dazu unter 1.). Sie ist aber nicht begründet. Das FG hat zutreffend die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO als gegeben angesehen (dazu unter 2.). Die vom FA angeführte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) steht dem nicht entgegen (dazu unter 3.). Daher hat das FG zu Recht der Klage in dem beantragten Umfang stattgegeben (dazu unter 4.).
- 16
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1. Die Revision ist zulässig.
- 17
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Nach § 120 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muss die Revisionseinlegungsschrift das angefochtene Urteil so genau angeben, dass jeglicher Irrtum ausgeschlossen ist. Fehlen diese Angaben, so ist die Revision unzulässig. Innerhalb der Revisionsfrist ist das angefochtene Urteil daher durch Angabe des Gerichts, das es erlassen hat, des Urteilsdatums, des Aktenzeichens und der Sache, in der die Vorentscheidung ergangen ist, ferner mit Angabe der Beteiligten zu bezeichnen (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juli 1996 VII R 103/95, BFH/NV 1996, 922; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120 Rz 13). Es reicht aber aus, dass die fehlenden Angaben aus den sonstigen Unterlagen, etwa der Anlage zur Revisionseinlegungsschrift, zu entnehmen sind. Denn Mängel bei der Bezeichnung des Urteils in der Revisionseinlegungsschrift sind unschädlich, wenn --wie im Streitfall-- die fehlenden Angaben bis zum Ende der Revisionsfrist aus sonstigen Umständen festgestellt werden können, etwa dem in der Anlage beigefügten Urteil (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 3 FGO), aus der die fehlenden Angaben entnommen werden können (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1980 VII R 94/74, BFHE 130, 480, BStBl II 1980, 588; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Rz 13 f.).
- 18
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2. Die Revision ist nicht begründet.
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Das FG hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO zutreffend bejaht. Der Vortrag des Klägers, das Einspruchsschreiben rechtzeitig abgesandt zu haben, genügt den Anforderungen, die an einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO zu stellen sind.
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a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag --ggf. auch von Amts wegen, wie aus § 110 Abs. 2 Satz 4 AO folgt-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 AO). Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).
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Der Antragsteller muss innerhalb der Antragsfrist von einem Monat (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO) diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass ihn hinsichtlich der Versäumung der gesetzlichen Frist ein Verschulden nicht trifft. Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO können (selbständige) Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Jedoch können unklare oder unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen ist. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Monatsfrist (vgl. BFH-Urteile vom 24. August 1990 VI R 178/85, BFH/NV 1991, 140; vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989; vom 13. Dezember 2007 VI R 75/04, BFHE 220, 18, BStBl II 2009, 577, unter II.1.a; vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, unter II.2.b aa; BFH-Beschlüsse vom 9. November 1999 XI R 17/99, BFH/NV 2000, 583; vom 15. Mai 2003 VII B 246/02, BFH/NV 2003, 1206; vom 26. April 2005 I B 248/04, BFH/NV 2005, 1591; vom 17. Juni 2010 IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655; Klein/Rätke, AO, 13. Aufl., § 110 Rz 102; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 AO Rz 32; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 110 AO Rz 507, 510; Kuczynski in Beermann/Gosch, AO, § 110 Rz 81; Wagner in Kühn/v. Wedelstädt, 21. Aufl., AO § 110 Rz 36). Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 110 Abs. 2 Satz 2 AO. Danach sind die "Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen". Das Ergebnis folgt aber auch aus dem Sinn und dem systematischen Zusammenhang der Sätze 1 und 2 in § 110 Abs. 2 AO. Zweck dieser Befristung ist die Sicherung einer zügigen und sachgemäßen Behandlung eines Wiedereinsetzungsbegehrens, um die Unsicherheit, ob es bei den Folgen einer Fristversäumnis bleibt, in engen Grenzen zu halten. Der Antragsteller soll nicht neue, möglicherweise wechselnde Gründe vortragen können, für deren Glaubhaftmachung er sich bessere Erfolgsaussichten verspricht. Das spätere Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen ist daher nicht zulässig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, unter II.2.b aa; BFH-Beschluss vom 6. Dezember 2011 XI B 3/11, BFH/NV 2012, 707, unter II.2.c bb). Sollen wesentliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung nachträglich nach Fristablauf geschlossen werden, stellt dies ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 AO Rz 32; Söhn in HHSp, § 110 AO Rz 510; Kuczynski in Beermann/Gosch, a.a.O., § 110 Rz 81).
- 22
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Wer die Gewährung von Wiedereinsetzung wegen des Nichteingangs eines angeblich rechtzeitig abgesandten fristgebundenen Schreibens begehrt, muss genau darlegen, welche Person zu welcher Zeit (Tag, Uhrzeit) in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale) den Brief, in dem sich das fristgebundene Schreiben befunden haben soll, zur Post gegeben hat. Die Angaben sind durch die Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1995, 989; in BFHE 220, 18, BStBl II 2009, 577, unter II.1.b; vom 9. Juni 2015 X R 38/14, BFH/NV 2015, 1376, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 112/00, BFH/NV 2002, 798; vom 16. Dezember 2002 VII B 99/02, BFHE 200, 491, BStBl II 2003, 316; vom 3. August 2005 IX B 26/05, BFH/NV 2006, 307, unter a; Klein/Rätke, a.a.O., § 110 Rz 105; Söhn in HHSp, § 110 AO Rz 496 a.E.).
- 23
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b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht bejaht.
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aa) Die Bevollmächtigte des Klägers hat den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund überlanger Postlaufzeit im Kern innerhalb der Antragsfrist und damit rechtzeitig vorgebracht. Die Bevollmächtigte des Klägers hat nach den Feststellungen des FG im Schreiben vom 9. April 2014 auf die überlange Beförderungsdauer hingewiesen. Sie hat mitgeteilt, dass das Einspruchsschreiben am 26. Februar 2014 mit der Post versandt worden ist. Zudem hat sie dargelegt, dass eine --von ihr nicht namentlich genannte-- Mitarbeiterin ihrer Kanzlei am 26. Februar 2014 den Versand im Postausgangsbuch eingetragen und das Schreiben noch am gleichen Tag mit dem restlichen Schriftwechsel in den Briefkasten geworfen worden war.
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Damit hat die Bevollmächtigte des Klägers den Kern des Wiedereinsetzungsgrundes "Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" eindeutig innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 1 Satz 1 AO mitgeteilt. Sie hat dargelegt, an welchem Tag (26. Februar 2014) das Einspruchsschreiben in welcher Weise (Versendung mit der Post) auf den Weg gebracht wurde. Ebenfalls hat sie mitgeteilt, dass eine --zu diesem Zeitpunkt von ihr nicht benannte Mitarbeiterin-- das Schreiben auf den Weg (durch Einwurf in den Briefkasten) gebracht hat.
- 26
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bb) Diese Angaben hat die Bevollmächtigte des Klägers im Klageverfahren weiter konkretisiert. Mit ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2014 hat sie dargelegt, welche Person genau (Frau C) zu welcher Zeit konkret (26. Februar 2014 nachmittags) in welcher Weise genau (Einwurf in den Briefkasten der Postfiliale "A") das fristgebundene Einspruchsschreiben zur Post gegeben hat. Ebenfalls im Klageverfahren hat die Bevollmächtigte den Auszug aus dem Postausgangsbuch vom 26. Februar 2014 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau C vorgelegt. Damit hat die Bevollmächtigte des Klägers nicht --wie das FA meint-- einen neuen Wiedereinsetzungsgrund nachgeschoben, sondern nur den bisher geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund "Rechtzeitige Absendung/Postlaufverzögerung" erläutert und ergänzt.
- 27
-
3. Entgegen der Auffassung des FA steht diesem Ergebnis die Rechtsprechung des BFH nicht entgegen.
- 28
-
Soweit sich das FA auf den BFH-Beschluss vom 13. Januar 2004 VII B 127/03 (BFH/NV 2004, 655) beruft, greift dieses Vorbringen nicht durch. In dieser Entscheidung war maßgebend, dass der Beschwerdeführer dem Begründungserfordernis nicht vollständig nachgekommen war. Er hatte dort ohne Angabe der damit verbundenen näheren Umstände behauptet, das streitige Schriftstück sei zur Post aufgegeben worden und lediglich eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt. Insoweit fehlte eine lückenlose und schlüssige Darlegung des Absendevorgangs, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise das Schriftstück zur Post gegeben hatte.
- 29
-
In den BFH-Beschlüssen in BFHE 200, 491, BStBl II 2003, 316 und in BFH/NV 2003, 1206 fehlte eine lückenlose und schlüssige Darlegung des Absendevorgangs, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise das Schriftstück zur Post gegeben hatte, gänzlich. Gleiches gilt für den BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 798. In allen drei Fällen war lediglich eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt worden.
- 30
-
Auch der BFH-Beschluss vom 26. November 1993 VIII R 53/93 (BFH/NV 1994, 645) steht nicht entgegen. Dort fehlte es an einer lückenlosen und schlüssigen Darlegung des Absendevorgangs sowie an einem Nachweis über Vorkehrungen zur Fristeinhaltung. Zudem fehlte es an einer eidesstattlichen Versicherung der Person, die den Absendevorgang durchgeführt hatte.
- 31
-
4. Das FG hat daher zu Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO gewährt und der Klage in dem beantragten Umfang stattgegeben. Dass die geltend gemachten nachträglichen Werbungskosten in Höhe von 18.928,56 € zu berücksichtigen sind, steht zwischen den Beteiligten außer Streit.
- 32
-
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Februar 2014 - 2 K 2957/12 - wird, soweit hierin der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2012 teilweise aufgehoben wurde, geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert,
- 1.
Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, - 2.
das Grundwasser anzureichern oder - 3.
das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln in Gewässer zu vermeiden,
(2) Trinkwasserschutzgebiete sollen nach Maßgabe der allgemein anerkannten Regeln der Technik in Zonen mit unterschiedlichen Schutzbestimmungen unterteilt werden.
(1) Dieses Gesetz gilt für folgende Gewässer:
Es gilt auch für Teile dieser Gewässer.(1a) Für Meeresgewässer gelten die Vorschriften des § 23, des Kapitels 2 Abschnitt 3a und des § 90. Die für die Bewirtschaftung der Küstengewässer geltenden Vorschriften bleiben unberührt.
(2) Die Länder können kleine Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung, insbesondere Straßenseitengräben als Bestandteil von Straßen, Be- und Entwässerungsgräben, sowie Heilquellen von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausnehmen. Dies gilt nicht für die Haftung für Gewässerveränderungen nach den §§ 89 und 90.
(1) In der Rechtsverordnung nach § 51 Absatz 1 oder durch behördliche Entscheidung können in Wasserschutzgebieten, soweit der Schutzzweck dies erfordert,
- 1.
bestimmte Handlungen verboten oder für nur eingeschränkt zulässig erklärt werden, - 2.
die Eigentümer und Nutzungsberechtigten von Grundstücken verpflichtet werden, - a)
bestimmte auf das Grundstück bezogene Handlungen vorzunehmen, insbesondere die Grundstücke nur in bestimmter Weise zu nutzen, - b)
Aufzeichnungen über die Bewirtschaftung der Grundstücke anzufertigen, aufzubewahren und der zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen, - c)
bestimmte Maßnahmen zu dulden, insbesondere die Beobachtung des Gewässers und des Bodens, die Überwachung von Schutzbestimmungen, die Errichtung von Zäunen sowie Kennzeichnungen, Bepflanzungen und Aufforstungen,
- 3.
Begünstigte verpflichtet werden, die nach Nummer 2 Buchstabe c zu duldenden Maßnahmen vorzunehmen.
(2) In einem als Wasserschutzgebiet vorgesehenen Gebiet können vorläufige Anordnungen nach Absatz 1 getroffen werden, wenn andernfalls der mit der Festsetzung des Wasserschutzgebiets verfolgte Zweck gefährdet wäre. Die vorläufige Anordnung tritt mit dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung nach § 51 Absatz 1 außer Kraft, spätestens nach Ablauf von drei Jahren. Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Frist um höchstens ein weiteres Jahr verlängert werden. Die vorläufige Anordnung ist vor Ablauf der Frist nach Satz 2 oder Satz 3 außer Kraft zu setzen, sobald und soweit die Voraussetzungen für ihren Erlass weggefallen sind.
(3) Behördliche Entscheidungen nach Absatz 1 können auch außerhalb eines Wasserschutzgebiets getroffen werden, wenn andernfalls der mit der Festsetzung des Wasserschutzgebiets verfolgte Zweck gefährdet wäre.
(4) Soweit eine Anordnung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 2 oder Absatz 3, das Eigentum unzumutbar beschränkt und diese Beschränkung nicht durch eine Befreiung nach Absatz 1 Satz 3 oder andere Maßnahmen vermieden oder ausgeglichen werden kann, ist eine Entschädigung zu leisten.
(5) Setzt eine Anordnung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 2 oder Absatz 3, erhöhte Anforderungen fest, die die ordnungsgemäße land- oder forstwirtschaftliche Nutzung eines Grundstücks einschränken, so ist für die dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteile ein angemessener Ausgleich zu leisten, soweit nicht eine Entschädigungspflicht nach Absatz 4 besteht.
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tenor
Der Antrag, die Rechtsverordnung der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord über die Festsetzung eines Wasserschutzgebietes in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Verbandsgemeinde Bad Breisig), Kreis Ahrweiler vom 9. November 2011 zugunsten der beigeladenen Stadt Sinzig für unwirksam zu erklären, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung seitens des Antragsgegners und der Beigeladenen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn diese nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Rechtsverordnung der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord über die Festsetzung des Wasserschutzgebiets „Goldene Meile“ zugunsten der beigeladenen Stadt Sinzig in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Stadt Bad Breisig).
- 2
Im nördlichen Bereich der Rheinaue zwischen Sinzig und Bad Breisig lag das 1977 festgesetzte Wasserschutzgebiet „Goldene Meile (alt)“, dessen Regelungen 2007 außer Kraft traten. Durch eine vorläufige Anordnung des Antragsgegners wurde das Trinkwasseraufkommen auch für die Zeit danach geschützt. Unmittelbar südlich schloss sich das 1984 festgesetzte und von seiner Geltungsdauer bis 2014 befristete Wasserschutzgebiet „Am Maar“ zugunsten der Verbandsgemeinde Bad Breisig an. Die Vorplanungen für eine Neuausweisung begannen 2006. Dabei stellte sich insbesondere heraus, dass die bestehenden Anlagen in Bad Breisig umfangreich saniert werden mussten. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde entschieden, zukünftig eine gemeinsame Trinkwassergewinnung sowohl für Sinzig als auch für Bad Breisig und die übrigen Orte der vorgenannten Verbandsgemeide aus den im Gemarkungsgebiet der Beigeladenen gelegenen Brunnen „Niederau“ der Stadtwerke Sinzig vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde neben den bereits vorhandenen drei Wasserquellen ein weiterer Brunnen gebohrt. Im Juni 2009 schloss die Beigeladene mit der Verbandsgemeinde Bad Breisig einen Wasser-lieferungsvertrag. Seit Februar 2011 wird Bad Breisig durch die Stadtwerke Sinzig aus den neuen Brunnen versorgt. Insgesamt hatte man zu diesem Zeitpunkt laut einer Presseinformation der rheinland-pfälzischen Landesregierung rund 3,3 Millionen Euro in die erforderlichen Anlagen investiert, wobei Fördermittel in Form eines zinslosen Darlehens in Höhe von 1,65 Millionen Euro gewährt worden waren.
- 3
Die am 21. November 2011 durch Veröffentlichung im Staatsanzeiger Rheinland-Pfalz in Kraft getretene Rechtsverordnung vom 9. November 2011 führte zu einer erheblichen räumlichen Erweiterung des unter Schutz gestellten Gebiets, das nunmehr erstmals auch das gesamte Stadtgebiet von Niederbreisig umfasst und eine Größe von 1023,33 ha hat. Es ist in die Schutzzonen I (Fassungsbereich), II (engere Schutzzone), III A, III B und III S (weitere Schutzzone) gegliedert und wird im Osten durch das Rheinufer begrenzt.
- 4
Der Festsetzung des Wasserschutzgebiets liegt maßgeblich die Grundwasser-modelluntersuchung der Firma H... Ingenieurgesellschaft mbH (H...) vom Februar 2010 sowie die „Fachtechnische Begründung der Wasserschutzzonen II und III und Beschreibung der Zone I“ des Büros W… und B… GmbH vom März 2010 zugrunde. Weiterhin holte der Antragsgegner mehrere Stellungnahmen des Landesamts für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz ein und erläuterte im Juni 2011 bzw. Oktober 2011 in einem „Verbotskatalog“ die einzelnen Schutz-anordnungen
- 5
Dem Erlass der angegriffenen Rechtsverordnung ging ferner ein Verfahren gemäß § 122 Landeswassergesetz – LWG – in der hier maßgebenden Fassung vom 22. Januar 2004 voraus: Die Beigeladene und die Verbandsgemeinde Bad Breisig legten den Entwurf der Rechtsverordnung mit den dazu gehörenden Plänen vom 4. April bis zum 3. Mai 2011 aus. Bei der ortsüblichen Bekanntmachung und Auslegung wurde auf die am 17. Mai 2011 ablaufende Einwendungsfrist und auf den damit verbundenen Einwendungsausschluss hingewiesen. Außerdem erfolgte ein gesondertes Behördenbeteiligungsverfahren. Die Antragstellerin erhob vor Ablauf der Frist Anregungen und Bedenken. Am 6. September 2011 fand in Sinzig ein Erörterungstermin statt, den die Antragstellerin durch ihren Stadtbürgermeister und ihre Verfahrensbevollmächtigten wahrnahm. Die Einwendungen konnten dort nicht ausgeräumt werden. Unter dem 7. November 2011 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihre vorgetragenen Anregungen und Bedenken der Ausweisung des Wasserschutzgebiets nicht entgegenstünden.
- 6
Ihren am 19. November 2012 gestellten Antrag auf gerichtliche Normenkontrolle begründet die Antragstellerin wie folgt:
- 7
Vorliegend könne nicht von einer Schutzfähigkeit des Grundwasservorkommens ausgegangen werden. Der Antragsgegner verkenne bereits den Prüfungsrahmen, weil er den Gesichtspunkt einer verhältnismäßigen Belastung Dritter von vorn-herein ausgeblendet habe. Darüber hinaus sei das Wasserschutzgebiet fehlerhaft abgegrenzt worden. Dies gelte zunächst im Hinblick auf die Zone II. Gerügt werde, dass der Antragsgegner zu hohe Entnahmemengen zugrunde gelegt habe. Sein Vorgehen und die von ihm getroffenen Feststellungen seien zudem konstruiert, um auf diese Weise zu einem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Weiterhin habe das Rheinufer – ebenso wie bei der Begrenzung der Zone III − nicht als östliche Abgrenzung gewählt werden dürfen, da dies den Mindestanforderungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101 widerspreche. Sowohl eine Verlegung der Gewinnungsanlagen als auch eine mögliche Versorgung des Gebiets der Verbands-gemeinde Bad Breisig durch Anschluss an den benachbarten Wasserversor-gungszweckverband Maifeld-Eifel sei zu Unrecht nicht geprüft worden, obwohl so unverhältnismäßige Belastungen hätten vermieden werden können. Auch die Vergrößerung der südlichen Abgrenzung über 260 Meter hinaus widerspreche den einschlägigen Richtlinien. Vor allem habe der Antragsgegner die Schutzzone III durch die Einbeziehung des gesamten Stadtgebiets von Niederbreisig zu weit in südlicher Richtung ausgedehnt. Die hierzu gegebene fachtechnische Begründung des Büros Wasser und Boden halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu beanstanden seien des Weiteren die in der Rechtsverordnung enthaltenen Schutzanordnungen. Belastbare Gefahrenanalysen und vertretbare Risikobewertungen seien nicht vorgenommen worden. Hier hätte insbesondere näher untersucht werden müssen, ob sich das abstrakte Gefährdungspotenzial zu einer „mehr oder weniger“ konkreten Gefahr verdichtet habe und eine Beschränkung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig sei. Einzelne Verbote seien zudem nicht hinreichend bestimmt, nicht nachvollziehbar und willkürlich. Insgesamt würden die Regelungen in unangemessener Weise in das Eigentum und die Berufsfreiheit der im Wasserschutzgebiet ansässigen Betriebe und Privatpersonen sowie in ihr Selbstverwaltungsrecht und in ihre Planungshoheit eingreifen. So falle ins Gewicht, dass die drei größten Gewerbebetriebe in der Zone III A faktisch mit einem Bauverbot belegt würden und keine neuen Gewerbegebiete mehr ausgewiesen werden könnten. Aus den Schutzanordnungen des Wasserschutzgebiets „Koblenz-Urmitz“ (Rechtsverordnung vom 12. Dezember 2013) folge, dass differenzierte Verbote auch für diese Zone ausreichend seien. Schließlich habe der Antragsgegner Vorgaben des Regionalen Raumordnungsplans Mittelrhein-Westerwald ignoriert.
- 8
Die Antragstellerin beantragt,
- 9
die Rechtsverordnung über die Festsetzung eines Wasserschutz-gebietes in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Verbandsgemeinde Bad Breisig), Kreis Ahrweiler, für die Brunnen I – IV Niederau, Sinzig, Wasserschutz-gebiet „Goldene Meile“, zugunsten der Stadt Sinzig, Kirchplatz 5, 53489 Sinzig, für unwirksam zu erklären.
- 10
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
- 11
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
- 12
Sie treten den Darlegungen der Antragstellerin mit eigenen Ausführungen ent-gegen.
- 13
Der Antragsgegner verweist darauf, dass das Wasserschutzgebiet ein bedeutendes und ergiebiges Grundwasservorkommen im nördlichen Bereich des Landes Rheinland-Pfalz schütze. Ausgehend von der Annahme, dass die Antragstellerin im Normenkontrollverfahren nur diejenigen Verbote zur Überprüfung stellen dürfe, von denen sie auch tatsächlich betroffen sei, könne sie sich hier nur auf eine Beschränkung ihrer kommunalen Planungshoheit berufen. Dabei sei der Umfang der gerichtlichen Kontrolle auf diejenigen Teile beschränkt, von denen der jeweilige Antragsteller auch tatsächlich betroffen und in eigenen Rechten verletzt werde. Der Vorwurf, er – der Antragsgegner − habe eine alternative Versorgungsmöglichkeit nicht hinreichend in Betracht gezogen, gehe schon deshalb ins Leere, weil durch die geschützten Brunnen auch das Stadtgebiet der Beigeladenen versorgt werde. Die Abgrenzung der einzelnen Schutzzone sei fehlerfrei erfolgt und entspreche den Regelungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101. Eine Einbeziehung von Teilen des Einzugsgebiets des Rheins sei weder praktikabel noch geboten. Die Ausdehnung der Schutzzone III im Zustrombereich beruhe darauf, dass es sich bei der Niederterrasse um einen zusammenhängenden Grundwasserleiter handele, der bis südlich von Bad Breisig reiche und instationäre Verhältnisse aufweise. Unterlegt werde diese Annahme durch einen Schadensfall innerhalb der Ortslage von Bad Breisig, der wahrscheinlich ursächlich für die Ausbreitung von Schadstoffen bis in die Fassungsanlagen „Niederau“ gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei für die Rechtmäßigkeit der in die Rechtsverordnung aufgenommenen Verbote ausschließlich das Vorliegen eines abstrakten Gefährdungspotenzials maßgebend. Die einzelnen Verbotstatbestände enthielten zwar Eingriffe in Grundrechte und in die kommunale Planungshoheit, sie seien jedoch zum Schutz des Trinkwasservorkommens zulässig und insbesondere nicht unverhältnismäßig.
- 14
Die Beigeladene teilt die Ansicht des Antragsgegners und trägt vor, die fest-gesetzte Gebietsabgrenzung sei rechtlich nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar müsse ein Normgeber unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie sowie weiterer rechtlicher Interessen möglicherweise Betroffener die örtlichen Gegebenheiten in Rechnung stellen und sich hierbei auf wasserwirtschaftliche und hydrogeologische Erkenntnisse stützen, dies sei vorliegend jedoch geschehen. Gerade die Ausdehnung des Einzugsgebiets eines Trinkwasservorkommens zeichne sich in der Regel nicht auf der Erdoberfläche ab. Deshalb begegne es keinen Bedenken, dass sich der Antragsgegner mit wissenschaftlich fundierten, in sich schlüssigen Schätzungen begnügt habe.
- 15
Der Senat hat mit Beschluss vom 10. April 2014 Beweis erhoben zu der Frage, ob der Antragsgegner die Schutzzone III des Wasserschutzgebiets im Hinblick auf den südlich der Brunnen I bis IV Niederau gelegenen Bereich der Niederterrasse unter Beachtung der hydrogeologischen Gegebenheiten und der fachlichen Grundsätze für die Ausweisung von Wasserschutzgebieten zutreffend festgelegt hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C… T…, B…. und P…, Beratende Ingenieure GmbH, vom 14. Januar 2015, die ergänzende Stellungnahme vom 16. April 2015 sowie die mündlichen Erläuterungen des Gutachters im Verhandlungstermin vom 8. Oktober 2015.
- 16
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus dem Inhalt der Gerichtsakte mit den zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen, aus den Akten des Antragsgegners (3 Hefte und 14 Ordner) betreffend den Erlass der angegriffenen Wassergebietsschutzverordnung sowie aus der Gerichtsakte des Verfahrens 1 C 10845/13.OVG. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
- 18
Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Normenkontrolle hat keinen Erfolg.
- 19
I. Gegen seine Zulässigkeit bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
- 20
Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 4 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung − AGVwGO – ist der Normenkontrollantrag statthaft; die angegriffene Rechts-verordnung unterfällt nicht der Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO. Ins-besondere kann die Antragstellerin geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit als Teilaspekt des der Antragstellerin zustehenden Rechts auf kommunale Selbstverwaltung im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG – erscheint jedenfalls mit Rücksicht auf die beträchtliche Ausdehnung des festgesetzten Wasserschutzgebiets nicht von vornherein ausgeschlossen; dieses umfasst überschlägig betrachtet zwischen 40 und 50 Prozent des Gemeindegebiets und die Hälfte der bebauten Ortslage von Niederbreisig, sodass negative Auswirkungen auf planerische Gesichtspunkte nicht von der Hand zu weisen sind. Vor allem berühren das Verbot, in den Schutzzonen – zum Teil beschränkt auf bestimmte Nutzungsarten – neue Baugebiete im Rahmen der Bauleitplanung auszuweisen, sowie die Beschränkungen für die Errichtung und Erweiterung baulicher Anlagen die Belange der Antragstellerin negativ, weil sie für die ortsplanerische und bauliche Entwicklung einschränkende Vorgaben beinhalten (zur Ableitung der Antragsbefugnis aus der gemeindlichen Planungshoheit vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 − 1 C 12087/98.OVG –, ESOVGRP).
- 21
II. In der Sache ist das Begehren der Antragstellerin jedoch unbegründet. Hinsichtlich des Prüfungsumfangs ist dabei dem Charakter eines Normenkontrollantrages als objektives Beanstandungsverfahren Rechnung zu tragen. Anders als bei sogenannten Individualklagen in Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO genügt bereits das Bestehen einer Antragsbefugnis gegenüber einer in der Norm getroffenen Regelung unter einem bestimmten Aspekt, wie hier, um – im Rahmen des Streitgegenstandes − eine umfassende Überprüfung der Rechtmäßigkeit auch in Bezug auf solche Bestimmungen herbeizuführen, bezüglich derer subjektive Rechte des jeweiligen Antragstellers nicht beeinträchtigt sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 50).
- 22
Allerdings sind von der Rechtskontrolle solche Aspekte auszuklammern, die einer Präklusion gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 2 Landeswassergesetz – LWG – in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 2004 (GVBl. 2004, S. 54) unterliegen. Das bedeutet, dass wegen Umständen, für die der Einwendungsausschluss zur Anwendung kommt, nicht mehr im Wege der gerichtlichen Normenkontrolle die Unwirksamkeit der Verordnung festgestellt werden kann. Das Landesrecht schränkt insoweit den Prüfungsmaßstab des Oberverwaltungsgerichts ein (vgl. hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2005 – 1 C 10258/04.OVG –, ESOVGRP). Hieran hält der Senat auch weiterhin fest.
- 23
Zwar ist im Zeitpunkt der Verkündung des vorliegenden Urteils noch nicht abschließend geklärt, welche Auswirkungen das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Vertragsverletzungsverfahren C-137/14 auf die Beibehaltung von Präklusionsvorschriften hat (vgl. hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 21. Mai 2015). Für den vorliegenden Fall ist sein Ausgang jedoch nicht relevant. Gegenstand des von der Europäischen Kommission eingeleiteten Verfahrens ist die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung einer Präklusion nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten – UmwRG – und § 73 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – UVP-Richtlinie −) sowie gegen Art. 25 der Richtlinie 2010/75/EU vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) – IED-Richtlinie – verstoßen hat. Die UVP-Pflicht gilt jedoch nur für Projekte (vgl. hierzu die Legaldefinition in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a UVP-RL: Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen, sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen). Im Übrigen beinhaltet die Ausweisung eines Wasserschutzgebiets wegen des damit verbundenen Schutzzwecks keinen Eingriff in Natur- und Landschaft. Darüber hinaus ist vorliegend auch keine industrielle Tätigkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 IED-Richtlinie gegeben.
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Dies vorausgeschickt hält die Verordnung einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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Formelle Fehler sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die von der Antragstellerin erhobenen materiell-rechtlichen Einwendungen unterfallen teilweise einem Einwendungsausschluss und liegen darüber hinaus insgesamt nicht vor.
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Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) – WHG – i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2585) können Wasserschutzgebiete unter anderem festgesetzt werden, soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, ein Gewässer – wozu gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG auch das Grundwasser gehört – im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen. Das Wohl der Allgemeinheit erfordert die Festsetzung dann, wenn das Wasservorkommen schutzbedürftig, schutzwürdig und schutzfähig ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2005 – 1 C 10358/04. OVG – m.w.N., ESOVGRP). Wasserschutzgebiete werden von der oberen Wasserbehörde festgesetzt, wobei nach Schutzzonen gestaffelte Verbote, Beschränkungen und Duldungspflichten angeordnet werden können (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 LWG).
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Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze sind hier erhebliche Rechtsfehler des Antragsgegners bei der Festsetzung des Wasserschutzgebiets „Goldene Meile“ nicht ersichtlich.
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1. Die Schutzbedürftigkeit des in Rede stehenden Grundwasservorkommens zum Zweck der Trinkwasserversorgung ist gegeben. Hierfür reicht es aus, dass das Wasservorkommen aus qualitativen Gründen für die Trinkwasserversorgung überhaupt brauchbar ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 –1 C 12087/98.OVG –, ESOVGRP). Davon ist auszugehen, da drei der Brunnen schon seit Jahrzehnten Teil der öffentlichen Wasserversorgung der Beigeladenen gewesen sind und Wasser geliefert haben, das nach seiner Menge und Qualität für die öffentliche Trinkwasserversorgung geeignet ist (siehe hierzu Stellungnahme des Landesamts für Geologie und Bergbau vom 20. April 2010). Da auch die Antragstellerin selbst die Schutzwürdigkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ bejaht, sieht der Senat von weiteren Darlegungen ab.
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2. Auch die Schutzbedürftigkeit steht nicht in Frage. Es ist vernünftigerweise geboten, abstrakte Gefährdungen für das Trinkwasser vorsorglich auszuschließen. Ein konkreter Nachweis eines unmittelbar drohenden Schadenseintritts ist nicht notwendig. Vielmehr genügt ein Anlass, um typischerweise gefährdende Situationen zu begegnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1980 − 4 C 89.77 –, BayVBl. 1980, 759). Das unter Schutz gestellte Gebiet liegt in einem Areal mit teilweise intensiven Nutzungen und lediglich sehr gering bis gering ausgebildeten Deckschichten in der Niederterrasse des Rheins. Es bedarf daher grundsätzlich der Inschutznahme des quellennahen Teils des Einzugsgebiets, um abstrakte Gefährdungen vorsorglich auszuschließen, wie sie etwa durch die Neuerrichtung baulicher Anlagen oder durch die großräumige Verletzung der schützenden Deckschichten entstünden. Die Antragstellerin zieht die Schutzbedürftigkeit ebenfalls nicht in Zweifel.
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3. Ferner ist die Schutzfähigkeit des festgesetzten Wasserschutzgebiets gegeben. Davon ist auszugehen, wenn das Grundwasservorkommen ohne unverhältnismäßige Belastungen Dritter vor störenden Einwirkungen geschützt werden kann. Eingriffe in der Form von Schutzgebietsverordnungen müssen demnach geeignet sein, das angestrebte Schutzziel zu erreichen, sie müssen erforderlich im Sinne des geringsten Eingriffs sein, und sie müssen dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit im engeren Sinn entsprechen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. März 2000, a.a.O.; siehe auch Kerkmann in Jeromin/Prinz, Kommentar zum LWG/WHG, § 13 LWG/§ 19 WHG Rn. 42).
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a) Soweit die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner habe den Prüfungsumfang verkannt, weil er den einschränkenden Zusatz „ohne verhältnismäßige Belastung Dritter“ ausgeblendet habe, trifft dies nicht zu, weil dieser sich mit den zahlreichen Einwendungen inhaltlich auseinandergesetzt und in eine konkrete Güterabwägung eintreten ist. Namentlich erfolgte eine ausführliche Würdigung der Anregungen und Bedenken der Betroffenen, wie sich den an sie ergangenen Mitteilungen vom 7. November 2011 entnehmen lässt.
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b) Anders als die Antragstellerin meint, steht der Erforderlichkeit der Schutzgebietsausweisung nicht entgegen, dass eine Verlegung der Gewinnungsanlagen sowie ein Anschluss an den Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel nicht in Erwägung gezogen worden sei. Ungeachtet dessen, dass dieser Vortrag dem Einwendungsausschluss unterliegt, durfte der Antragsgegner bei der Festsetzung des Wasserschutzgebiets von den vorhandenen, in Betrieb befindlichen Brunnen Niederau ausgehen. Dies ergibt sich schon aus der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 WHG enthaltenen Formulierung, wonach gerade auch die „bestehende“ öffentliche Wasserversorgung zu schützen ist. Die bei einer Ausweisung vorgefundene und in Kenntnis der Wasserbehörde genutzte Anlage der öffentlichen Wasserversorgung kann deshalb im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in der Regel nicht in Frage gestellt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Dezember 2009 – 3 S 170/07 –, NuR 2010, 659).
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Selbst wenn man aber der Auffassung ist, dass wegen des Eigentumsschutzes Betroffener nach Art. 14 GG nicht ohne weiteres von den vorhandenen Brunnenstandorten ausgegangen und auf eine alternative Prüfung nicht verzichtet werden kann, gilt dies nur dann, wenn eine sich aufdrängende alternative Trinkwassererschließung mit zumutbarem Aufwand hätte ernsthaft in Betracht gezogen werden müssen (vgl. BayVGH, Urteil vom 29. Dezember 2011 – 22 N 08.190 –, BayVBl. 2012, 500). Das ist hier nicht der Fall.
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Eine räumliche Verlegung der Brunnen innerhalb des nunmehr bestehenden Erschließungsgebiets scheitert daran, dass eine solche Verschiebung zum einen die Gefahr einer deutlichen Reduzierung der Zuflussmengen entsprechend der in Bad Breisig zwischenzeitlich aufgegebenen Brunnen „Am Maar“, zum anderen den Zufluss verstärkt nitrat- und sulfatbelasteter Grundwässer aus den Festgesteinsbereichen mit sich gebracht hätte (vgl. Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Aber auch die Prüfung eines Zusammengehens mit dem Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel musste sich dem Antragsgegner angesichts von drei funktionsfähigen Brunnen mit einem ausgebauten Leitungsnetz nicht aufdrängen. Ungeachtet dessen fällt insoweit entscheidend ins Gewicht, dass die Beigeladene und die Verbandsgemeinde Bad Breisig 2009 einen Wasserlieferungsvertrag geschlossen haben und der Antragsgegner laut unwidersprochen gebliebener Angabe des Bürgermeisters der vorgenannten Verbandsgemeinde im Termin zur mündlichen Verhandlung die Leistung von Zuwendungen in Millionenhöhe von einem gemeinsamen Versorgungssystem zwischen seiner Gebietskörperschaft und der Beigeladenen abhängig gemacht hat. Ohne diese Zuschüsse wäre die Sicherung der Trinkwasserversorgung für die beteiligten Träger dieser Aufgabe aber kaum finanzierbar gewesen. Die der Ausweisung zugrunde liegende Standortfrage sowie das Versorgungskonzept waren damit vor Erlass der Rechtsverordnung bereits abschließend geklärt, ohne dass vonseiten der Antragstellerin oder der Verbandsgemeinde Bad Breisig auch nur geltend gemacht wurde, dagegen rechtzeitig Bedenken erhoben zu haben.
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c) Die Festlegung der Grenzen der einzelnen Schutzzonen genügt den an die Erforderlichkeit zu stellenden Anforderungen. Der hierzu erfolgte Vortrag der Antragstellerin ist deshalb – unbeschadet eines teilweise gegebenen Rügeverlustes − schon aus sachlichen Erwägungen unbeachtlich. Bezüglich dieser Bewertung geht der Senat von folgenden allgemeinen Kriterien aus:
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Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG die flächenmäßige Ausdehnung eines Wasserschutzgebiets als erforderlich angesehen werden kann, müssen für jede darin einbezogene Teilfläche gegeben sein (BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1984 – 4 B 157/83 und 4 B 158/83 –, BayVBl. 1984, 371). In ein Wasserschutzgebiet dürfen nur solche Grundstücke einbezogen werden, die im Einzugsbereich der zu schützenden Trinkwasserbrunnen und -quellen liegen und von denen nach den gegebenen Erkenntnismöglichkeiten aufgrund eingehender Prüfung der örtlichen Verhältnisse Einwirkungen auf das zu schützende Grundwasser ausgehen können. Der örtliche Normgeber muss die örtlichen Gegebenheiten prüfen und sich hierbei auf wasserwirtschaftliche und hydrogeologische Erkenntnisse stützen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die genauen Grenzen des erforderlichen Wasserschutzgebiets bzw. der einzelnen Schutzzonen oft selbst bei größter Sorgfalt und genauer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse nur annähernd umreißen lassen. Solche Erkenntnislücken betreffen die Verhältnisse im Untergrund und sind mit verhältnismäßigen, dem konkreten Konflikt angemessenen, zumutbaren Aufwand nicht zu schließen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn sich die zuständige Behörde bzw. der Verordnungsgeber bei einer näheren Abgrenzung des Schutzgebiets und seiner Zonen mit wissenschaftlich fundierten, in sich schlüssigen Schätzungen begnügt, soweit diese auf wasserwirtschaftlichen und hydrogeologischen Fakten beruhen, und sich bei der Grenzziehung an in der Natur äußerlich erkennbaren Linien und an topografischen Gegebenheiten orientiert (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Mai 2008 − 1 C 10511/06.OVG –, juris).
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Bei der Abgrenzung kommen den durch Runderlass des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten vom 12. Juni 1963 (MinBl., S. 657) für verbindlich erklärten „Richtlinien für die Einrichtung von Schutzgebieten für Trinkwassergewinnungsanlagen (Trinkwasserschutzgebieten)“ von 1953 (jetzt: die als Arbeitsblatt W 101 veröffentlichten „Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete“ von 2006) des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) e.V. – DVGW-Arbeitsblatt W 101 – eine wesentliche Bedeutung zu. Diese Richtlinien weisen keine Rechtsnormqualität auf. Sie stellen lediglich technische Regeln dar, die jedoch kraft eines qualifizierten Erfahrungsschatzes als „antizipierte Sachverständigengutachten“ bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zugrunde gelegt werden können (siehe OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 1989 − 10 C 42/88.OVG –, NVwZ-RR 1990, 126 m.w.N.). Danach sind Wasserschutzgebiete grundsätzlich in drei Zonen einzuteilen: den Fassungsbereich zum unmittelbaren Schutz der Fassungsanlage (Zone I), die engere Schutzzone (Zone II) zur Abhaltung vor allem von Verunreinigungen durch pathogene Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Viren, Parasiten und Wurmeier) und die weitere Schutzzone (Zone III) zur Vermeidung weitreichender Beeinträchtigungen, insbesondere von nicht oder nur schwer abbaubaren chemischen oder radioaktiven Verunreinigungen. Vor diesem Hintergrund wird der mit der Ausweisung eines Wasserschutzgebiets verfolgte Zweck grundsätzlich dann in geeigneter Weise erreicht, wenn die Maßnahme den Richtlinien entspricht oder aber eine Abweichung durch erkennbare, sachlich gebotene Gründe angezeigt erscheint.
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Die Antragstellerin kann weder mit Erfolg geltend machen, der Antragsgegner habe zu Unrecht das östliche Rheinufer als Grenze des Wasserschutzgebiets festgesetzt, noch sich darauf berufen, bei der Abgrenzung der beiden Schutzzonen II und III seien im Übrigen hier relevante Rechtsfehler begangen worden.
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aa) Der Umstand, dass das Schutzgebiet an den Rhein grenzt, stellt seine Schutzfähigkeit nicht in Frage. Dies folgt zweifelsfrei nicht nur aus den fachbehördlichen Stellungnahmen des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 17. Oktober 2011 und vom 30. April 2013, sondern auch aus den beiden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T... vom 14. Januar und vom 16. April 2015 sowie seinen mündlichen Erläuterungen im Verhandlungstermin vor dem Senat.
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Demzufolge sind die Brunnen im Wasserwerk „Goldene Meile“ in den wasserdurchlässigen, ca. 20 m mächtigen Kiesen und Sanden der Niederterrasse des Rheins verfiltert. Der größte Teil des nutzbaren Dargebotes stammt an diesem Standort südlich der Ahrmündung aus dem Uferfiltrat des Rheins. Die klimatisch und fördertechnisch erzeugten Höhenunterschiede zwischen den Wasserspiegeln im Rhein und im Niederterrassengrundwasserleiter lösen im Fall des Wassergewinnungsgebietes Niederau eine Influenz aus, deren Ausmaß durch die hydraulische Durchlässigkeit der Sohl- und Böschungsschichten des Flusses und der angrenzenden Terrassenablagerungen gesteuert wird. Im Nachgang zu einem Unfall in der Chemieanlage der Firma Sandoz im Jahr 1986 wurde ein Verbund-forschungsvorhaben zur Sicherheit der Trinkwassergewinnung aus Rheinuferfiltrat durchgeführt, dessen Ergebnisse von H. Sontheimer 1991 publiziert wurden. Daraus ergeben sich auch auf die Brunnen im Wasserwerk Niederau übertragbare Resultate:
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Die Infiltration des Rheinwassers erfolgt meist in einem breiten Infiltrationsbereich im Bereich des Hauptstromstriches; der geringste Anteil fließt über die Uferböschung in den Grundwasserleiter. Dadurch wird bei der Vermischung unterschiedlich alter Infiltratanteile bereits in unmittelbarer Flussnähe ein Konzentrations-ausgleich ausgelöst. Durch die geologisch bedingten Schichtungsunterschiede in einem pleistozänen Terrassenaquifer kommt es darüber hinaus zu unterschied-lichen Fließzeiten zu den Brunnen. Die Ankunft verschiedener alter und beschaffener Wässer am Brunnen erhöht die Effizienz des Konzentrationsausgleichs. Aufgrund der unterschiedlichen standörtlichen und räumlichen Durchlässigkeiten der geologischen Schichten unterstützt die Dispersion außerdem diesen Ausgleich. Ferner wirken in der Bodenpassage Adsorptions- und Assimilationsvor-gänge auf den Prozess des biologischen Abbaus von gut eliminierbaren Stoffen ein. Die unmittelbare Infiltrationszone im Flussland stellt sich insgesamt als laufend selbstreinigender „Langsamfilter“ dar, in dem Feststoffe und Kolloide sowie Mikroorganismen festgehalten, organische Wasserinhaltsstoffe mikrobiell oxidiert und schließlich eliminiert werden. Diese Abbauprozesse sind nach wenigen Metern Fließstrecke für die überwiegende Anzahl der organischen Stoffe abgeschlossen. Ein weiterer Faktor für den Konzentrationsausgleich ist die Mischung von Uferfiltrat und landseitigem Grundwasser, das aus der Grundwasserneubildung und aus Zuflüssen tributärer Einzugsgebiete stammt. Hierbei ist häufig die Belastung des landseitigen Grundwassers mit bestimmten Wasserinhaltsstoffen, wie z. B. Nitrat oder Sulfat (Härte), aufgrund vielfältiger Einflüsse durch die Landnutzung und Besiedlung größer als im Uferfiltrat.
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Belegt wurden diese Ergebnisse durch Untersuchungen an Grundwasser-messstellen und Brunnen rheinnaher Wasserwerke in Nordrhein-Westfalen, im Labor des DVGW-Technologiezentrums Wasser in Karlsruhe sowie durch Modellrechnungen der dortigen Universität. Hinzu kommen noch Langzeitmessungen des Chloridgehalts im Rhein, der durch den werktäglichen Rhythmus der Ein-leitung kalisalzhaltiger Wässer hervorgerufen wird. In diesem Kontext stellte Sontheimer fest, dass in rheinnahen Grundwassermessstellen der typische FünfTagewoche-Gang der Chloridgehalte, der im Rhein noch eindeutig identifizierbar ist, im Uferfiltrat nicht mehr nachgewiesen werden kann. Da Chlorid als konservativer Tracer nicht abgebaut, sondern nur verdünnt werden kann, eignet sich dieser Wasserinhaltsstoff typischerweise für eine verallgemeinerungsfähige Betrachtung von Konzentrationsausgleichsprozessen.
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Die starke Dämpfung dieser Konzentrationssignale bestätigt auch die Beobachtungen, die bei der Stoßbelastung in Folge des Chemieunfalls bei der Firma Sandoz gemacht wurden. Es wurde, unterstützt durch Modellrechnungen mit Worst-Case-Szenarien, abgeleitet, dass bei zeitlich begrenzten Stoßbelastungen, wie Chemieunfällen oder Tankerunglücken auf dem Rhein, die Misch- und Ausgleichsvorgänge nicht nachhaltig gestört oder ausgesetzt werden. Zum Durchbruch von Anteilen einer Störstoffkonzentration aus dem Fluss in den brunnennahen Grundwasserleiter kann es nur bei Dauerbelastungen und bei Belastungen mit Chemikalien kommen, die in der Bodenpassage nicht vollständig abgebaut werden (z. B. organische Sporenstoffe, sog. Xenobiotika, wie Arzneimittelrückstände etc., etwa aus undichten Kanälen oder Kläranlagenabläufen). Daher liegt das Hauptaugenmerk beim Wasserschutz von Uferfiltratwasserwerken und bei der Wasseraufbereitung dort auf den schwer oder langsam abbaubaren organischen Stoffen.
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Für den Wasserschutz am Wasserwerk Niederau bedeutet dies nach den einleuchtenden und vom Senat geteilten Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass hier durch die Nähe zum Rhein und den damit verbundenen Prozess der Uferfiltration keine besonderen Gefährdungen des Trinkwassers zu besorgen sind, was durch die vorliegenden Wasseranalysen aus den Brunnen bestätigt wird.
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Die gegen diese fachliche Bewertung gerichteten Rügen greifen nicht durch.
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Soweit die Antragstellerin im Hinblick auf die östliche Abgrenzung der Zone II beanstandet, es werde die nach Nr. 4.3.1 DGVW-Arbeitsblatt W 101 als äußeres Bemessungskriterium zugrunde zu legende 50-Tages-Linie nicht eingehalten, ist sie mit diesem Vorbringen bereits präkludiert.
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Davon abgesehen wird insoweit nicht hinreichend in Rechnung gestellt, dass bei komplexen hydrogeologischen Verhältnissen Ersatzkriterien herangezogen werden können (vgl. Nr. 4.1 DVGW-Arbeitsblatt W 101). Solche Ersatzkriterien sind zum Beispiel mächtige Überdeckungen oder geologische Schichten mit einem bestimmten Retentionspotential für mikrobiologische Partikel. Im vorliegenden Fall der Wassergewinnungsanlage Niederau ist dies gerade – wie der gerichtliche Sachverständige plausibel dargelegt hat − die Uferfiltratzone des Rheins, in der nach Sontheimer der wesentliche Abbau von Stoffen und die Zurückhaltung von Partikeln stattfinden. Die Grenzziehung der Zone II bis an den Rhein widerspricht deshalb in keiner Weise den Vorgaben des technischen Regelwerks und ist dementsprechend als regelkonform zu bezeichnen. Schon aus diesen Gründen überzeugt die Argumentation der Antragstellerin mithin nicht. Jedenfalls rechtfertigen die im Gutachten angeführten Erwägungen eine Abweichung von den Grundsätzen des Arbeitsblatts.
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Der vorstehenden Einschätzung steht weiterhin nicht entgegen, dass die das Grundwasser überdeckenden Schichten der Niederterrasse eine geringe Mächtigkeit und eine hohe Durchlässigkeit haben. Insofern hat der Sachverständige überzeugend erläutert, dass die sog. Deckschichten – als geologische Ablagerungen über dem Terrassengrundwasserleiter – nur dann als Abgrenzungskriterium für die Zonen II und III herangezogen werden können, wenn sie eine reduzierte Durchlässigkeit gegenüber dem Grundwasserleiter aufweisen, wovon hier aber nicht auszugehen ist. Insofern besteht ein Unterschied zwischen dem Prozess der Uferfiltration und der Schutzwirkung der Kolmationsschicht auf der einen und der Funktion der Deckschichten auf der anderen Seite. Beim erstgenannten Fall handelt es sich, wie angesprochen, um einen langsamen Filterprozess, der stetig abläuft, während der zuletzt genannte Tatbestand durch eine periodische Sickerwasserbildung gekennzeichnet ist, die durch den Niederschlag und die Durchlässigkeit der Böden gesteuert wird (unstetiger Prozess). Ein Wasseraustausch findet primär über die Gewässersohle in der Fahrrinne bzw. über die Uferpassage statt. Die Filtrationswirkung der Kolmationsschicht am Flussufer darf deshalb nicht verwechselt werden mit der Barrierewirkung grundwasserüberdeckender Schichten oberhalb des Terrassengrundwasserleiters.
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Vor allem musste die Schutzgebietsgrenze aus fachlicher Sicht nicht auf der rechten Uferseite angesetzt werden. Allerdings existiert nach den Erläuterungen des Gutachters Prof. Dr. T… am Niederrhein eine Praxis, auch die Uferbereiche oder Teile des Flusses mit in eine Schutzzone einzubeziehen. Hierbei gehe es in der Regel um eine 50 m breite Zone bezogen auf die Mittelwasserlinie, die mit Ankerverboten belegt sei. Begründet werde dies mit der Vorsorge zur Vermeidung einer Beschädigung der Kolmationsschicht durch Schiffsschrauben oder Schiffsbewegungen (Wellengang). Die Ausweisung einer solchen „Sonderzone Rhein“ basiere auf den besonderen schifffahrtstechnischen Randbedingungen und den Mäanderschleifen in der Industriezone Rhein-Ruhr (Warteposition von Schiffen). Eine vergleichbare Situation besteht im vorliegend zu beurteilenden Rheinuferbereich mangels möglicher Ankerplätze indes nicht.
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bb) Die mit der Antragsbegründung gegen die räumliche Abgrenzung der Schutzzonen II und III weiterhin vorgebrachten Argumente sind ebenfalls nicht stichhaltig.
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(1) Soweit die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren die Ausdehnung der Schutzzone II in Frage stellt, ist sie mit ihrem Vortrag präkludiert. Aber auch in der Sache sind ihre Rügen unberechtigt.
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Dass der Antragsgegner bei der Modellierung der Schutzzone und der Errechnung des Wasserbedarfs mit mehr als 7 Millionen m³ pro Jahr eine zu hohe Ent-nahmemenge angenommen haben soll, ist nicht richtig. Interne Berechnungen im Vorfeld weisen lediglich im Hinblick auf eine nachhaltige wasserwirtschaftliche Vorsorge für die gesamte umliegende Region unter Einbeziehung der Bedürfnisse der umliegenden Gebietskörperschaften Remagen, Grafschaft, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Zweckverband Eifel-Ahr und Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel einen derartigen Bedarf aus (vgl. E-Mail des Referenten für Grundwasser und Wasserversorgung bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord vom 26. Februar 2008). Die Bedürfnisse der benachbarten Körperschaften wurden jedoch nicht realisiert und flossen damit auch nicht in die Überlegungen des Antragsgegners ein (vgl. dazu auch die negativen Antworten der zuletzt genannten Träger der Wasserversorgung auf die Abfrage eines möglichen Bedarfs aus der zweiten Jahreshälfte 2008). In Ansatz gebracht wurde tatsächlich ein zukünftiger Wasserbedarf für das geplante Versorgungsgebiet in Höhe von maximal 2,3 Millionen m³ pro Jahr. Dieser errechnet sich im Wesentlichen aus einer angestrebten Entnahme von 1,92 Millionen m³ pro Jahr und einem Zuschlag von 20 Prozent, um höhere Spitzenentnahmen im Sommer zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen die fachtechnische Begründung vom März 2010 in Anlehnung an die Grundlagendaten des Modells der Firma H... (H...); siehe auch die Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Dass der Antragsgegner versucht haben könnte, unter Anwendung von Worst-Case-Annahmen eine zu groß bemessene Schutzzone II zu rechtfertigen, lässt sich nicht feststellen. Die Abbildung verschiedener, auch ungünstiger hydraulischer Zustände wurde nicht zur Herleitung einer überdimensionierten Ausdehnung dieser Zone verwandt, sondern diente vielmehr der notwendigen Abbildung und vollständigen Erfassung der wechselhaften Strömungszustände. Zu diesem Zweck mussten namentlich auch die Pegelstände des Rheins und der Ahr mitbetrachtet werden, da sie als Modellränder benötigt wurden. Vor allem sind die Einflüsse der Wasserstände des Rheins auf die hydraulischen Zustände prägend und durften daher nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich lagen aus dem Untersuchungsgebiet Porösitätswerte anhand ungestörter Bodenproben kaum vor und konnten deshalb, wie die sog. Leakage-Werte, vielfach lediglich abgeschätzt werden (vgl. zu allem Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Im Einzelnen plausibel und nach den Vorgaben des DVGW-Arbeitsblatt W 101 begründet ist auch die südliche Ausdehnung der Zone II. Ausgangspunkt der Grenzziehung war insoweit eine geohydrauliche Betrachtung, die eine berechnete theoretische Abstandsgeschwindigkeit von 260 m pro 50 Tage ergab. Nach der sog. Zylinderformel wurde die 50-Tages-Linie sodann in einem mittleren Abstand von 224 m angesetzt (vgl. fachtechnische Begründung, S. 33, 35). Jedoch waren neben den theoretischen Bemessungen durch die Modellsimulation (Einhüllende) und der überschlägigen Plausibilitätsprüfung mit der Zylinderformel die geologischen Verhältnisse mit Rinnenstrukturen und ähnlichen Heterogenitäten des Untergrundes zu berücksichtigen. Allen vorangegangenen rechnerischen Ermittlungen des Antragsgegners lag nämlich denknotwendig die Annahme zugrunde, dass flächendeckend gleichmäßige Untergrundverhältnisse vorherrschen. Die Auswertung von ca. 80 vorhandenen Bohraufschlüssen hat jedoch eindeutig belegt, dass im Untersuchungsgebiet eine Rinnenstruktur im Untergrund besteht, die den früher direkt nach Norden gerichteten Flussverlauf nachzeichnet (vgl. S. 13 der fachtechnischen Begründung).
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Weiter ist davon auszugehen, dass diese Rinnen, die nicht genau lokalisierbar sind, erhöhte Durchlässigkeiten aufweisen (vgl. Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013 und des Antragsgegners vom 17. Juli 2013). Gemäß Nr. 4.3.1 Abs. 6 DVGW-Arbeitsblatt W 101 ist eine Vergrößerung der Zone II zur Erreichung des hygienischen Schutzschilds bei Hinweisen auf heterogene Strukturen im Grundwasserleiter mit besonders hochduchlässigen Fließwegen, wie hier, indes notwendig. Dass eine Vergrößerung der Zone II nur bei einer Bestimmung der 50-Tage-Linie durch Markierungsversuche in Betracht kommt, ist den Richtlinien nicht zu entnehmen. Die Vergrößerung einer abgeschätzten bzw. errechneten oder nummerisch modellierten 50-Tage-Linie ist, wenn erforderlich, nicht allein auf der Grundlage von Tracer-Versuchen möglich. Das technische Regelwerk bestimmt nur für den Fall einer solchen Ermittlung die weitere Vorgehensweise (vgl. Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013). Andere Methoden, wie wissenschaftlich begründete Modellsimulationen, werden dadurch nicht ausgeschlossen.
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Entscheidend ist regelmäßig die Erreichung des Schutzziels. Weist der Untergrund aufgrund in sich stimmiger fachbehördlicher Aussagen eine erhöhte Durchlässigkeit auf, so ist es sachlich geboten, diesem Umstand durch eine größere Ausdehnung der Zone II Rechnung zu tragen. Nach allem ist die Annahme der Antragstellerin, die Schutzzone reiche über die 50-Tage-Linie hinaus, irrig, da nicht die Schutzzone II über diese Linie vergrößert wurde, sondern die lediglich modelltechnisch ermittelte 50-Tage-Linie selbst aufgrund der hydrogeologischen Gegebenheiten (modelltechnisch nicht abbildbare Heterogenitäten) vergrößert werden musste (vgl. Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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(2) Die Bestimmung der weiteren Grenzen der Zone III des Wasserschutzgebiets genügt ebenfalls den fachlichen Anforderungen. Dies gilt namentlich für die Erweiterung nach Süden.
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Nach dem technischen Regelwerk (DVGW-Arbeitsblatt W 101 Nr. 4.4) reicht die Zone III in der Regel bis zur Grenze des unterirdischen Einzugsgebiets der Wassergewinnungsanlage. Oberirdisch dort hinein entwässernde Flächen können zusätzlich einbezogen werden. Der Abgrenzung sind grundsätzlich die wasserrechtlich genehmigte Jahresentnahme und die langfristig mittleren hydrologischen Ver-hältnisse zugrunde zu legen. Kann das unterirdische Einzugsgebiet bei komplexen hydrogeologischen und hydraulischen Verhältnissen nicht sicher abgegrenzt werden, sind bei der Abgrenzung des Einzugsgebiets der Fassungsanlage begründete Näherungslösungen heranzuziehen. Bei stark schwankenden Grundwasserständen ist zur Bemessung des Grundwasserschutzgebiets zu untersuchen, ob statistische Werte für niedrige und hohe Grundwasserstände Berücksichtigung finden müssen. Dabei sind hydrologisch extreme Verhältnisse nur dann bei der Einzugsgebietsabgrenzung in Ansatz zu bringen, wenn das Grundwasser aus zum Beispiel nur temporär in das Einzugsgebiet entwässernden Bereichen die Fassungsanlage tatsächlich erreicht.
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In der Regel nimmt die Gefährdung des zu fördernden Grundwassers bei zu-nehmender Verweilzeit ab, weshalb je nach Standortbedingungen eine Unter-teilung der Schutzzone III in die Zonen III A und III B vorgenommen werden kann. Ggf. kommen auch weitere Unterteilungen in Betracht. Nach dem technischen Regelwerk ist die Unterteilung der Zone III in einer bestimmten Entfernung von der Fassungsanlage vor allem für Fassungen mit einem schmalen, langestreckten Einzugsgebiet mit gut bestimmbarer Einströmrichtung geeignet. Bei einer starken Variation der Fließzeiten von Punkten mit gleichem Abstand zur Fassung kann die Orientierung der Grenze der Zone III A/B anhand von Isochronen (Linien gleicher Fließgeschwindigkeit des Grundwassers im Untergrund; vgl. auch die vorgenannten 50-Tage-Linien) erfolgen. Welche Isochrone der Abgrenzung der Zone III A zugrunde gelegt wird, ist hier allerdings – anders als bei der Abgrenzung der Zone II – nicht durch das Regelwerk vorgegeben, sondern muss im Einzelfall begründet entschieden werden (so zusammenfassend Gutachten Prof. Dr. T… vom 14. Januar 2015).
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Davon ausgehend ist vorliegend in Rechnung zu stellen, dass das unterirdische Einzugsgebiet der Wassergewinnungsanlage Niederau durch den zusammen-hängenden und flächig verbreiteten Porengrundwasserleiter der Niederterrasse dominiert wird. Nach Norden erfolgte die Abgrenzung anhand der 10-Jahres-Isochronen für mittlere und hydraulisch trockene Verhältnisse, da hier gemäß den Modellrechnungen keine räumliche Varianz der Isochronen auftrat (Ausbildung einer quasi-stationären Trennstromlinie). Nach Westen erweiterte man die Zone um das oberirdische Einzugsgebiet, soweit es durch kanalisierte Ableitungen in den Rhein hydraulisch nicht von der Niederterrasse entkoppelt ist. Nach Süden dehnte der Antragsgegner die Zone schließlich bis zum Südrand der Nieder-terrasse südlich von Bad Breisig über die im Norden angesetzte 10-Jahres-Isochrone des instationären Modells der Firma H… aus (siehe Gutachten Prof. Dr. T… vom 14. Januar 2015).
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Die zwischen den Beteiligten umstrittene Vergrößerung des unterirdischen Einzugsgebiets in südlicher Richtung ist nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme von fachlichen Grundsätzen gedeckt und hält sich daher ebenfalls im Rahmen des dem Antragsgegner zustehenden Gestaltungsspielraums.
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Dass der Antragsgegner nicht alle einschlägigen Regelungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101 konsequent umgesetzt und zutreffend angewendet hat, ist unschädlich.
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Der gerichtliche Sachverständige weist insofern darauf hin, dass die Verwendung einer angenommenen 10-Jahres-Isochrone, die eine zeitlich definierte Abfolge extremer Trockenwettersituationen, wie im Jahr 2003 real gemessen, simulieren sollte, als Grundlage für die Abgrenzung des unterirdischen Einzugsgebiets aus wissenschaftlicher Sicht nicht konsistent sei. Denn die Wahl eines 10-Jahres-Zeitraums sei wissenschaftlich weder durch die Daten der vergangenen Niederschlagsjahre noch durch die Modellprognosen der aktuellen Klimaforschung abgesichert. Hinzu komme, dass die in der fachtechnischen Begründung der Firma W… und B… und im Schreiben des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013 angeführten LHKW- und Chloridnachweise im inzwischen aufgelassenen Wasserwerk „Am Maar“ keine wissenschaftlich verwertbaren Datengrundlagen für eine tatsachenorientierte Abgrenzung der südlichen Schutzzone III darstellten. Es handle sich um qualitative Hinweise, die lediglich eine Süd-Nord-Verlagerung im sich nach Norden erweiternden Talaquifer indizierten. Eine tatsächliche Ankunft dieser Stoffe in den Brunnen Niederau sei damit nicht vorhersehbar oder ableitbar.
- 65
Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Ausweisung der Schutzzone III im Ergebnis keine Rechtsverletzung beinhaltet. Denn es besteht gleichwohl eine empirische, hydrogeologisch begründbare Möglichkeit, dass das Grundwasser bei bestimmten Rheinwasserständen und Neubildungsverhältnissen, die nicht vorhersehbar sind, die Fassung der Wassergewinnungsanlage erreicht. Wegen der angesprochenen großmächtigen Überdeckung des Einzugsgebiets der Brunnen Niederau mit gering durchlässigen, retardierend wirkenden Deckschichten dringt bei einem Hochwasserereignis nämlich breitflächig Uferfiltrat in den Terrassenkörper von Süden nach Norden ein, das je nach Ereignis den gesamten Terrassenkörper des Rheins bis zum Festgebirgsrand im Westen ausfüllen kann. In den dadurch bedingten instationären Verhältnissen ist es unmöglich, dass sich ein stabiler Trennstromfaden im Terrassenkörper ausbildet. Dies hat zur Folge, dass der gesamte Terrassenkörper potentiell als Einzugsgebiet fungiert. Die Uferfiltratschicht wird im Hochwasserfall indes durch die Überflutung der Rheinaue problemlos überwunden. Da dadurch die Schutzfunktion der Uferfiltratschicht unwirksam wird, muss der Grundwasserschutz in der Fläche des Terrassenkörpers realisiert werden. Der Hochwasserfall stellt somit für den Terrassenaquifer diejenige Randbedingung dar, die für die Abgrenzung der Zone III maßgeblich ist. Da der Rheinhochwasserfall statistisch gesehen häufiger vorkommt als extreme Trockenperioden, ist eine Wahrscheinlichkeit gegeben, dass ein einmal in den Aquifer eingespeistes Wasserteilchen aus dem Süden im Norden an den Brunnen der Wassergewinnungsanlage Niederau ankommen kann. Ein Rückfluss in den Rhein ist vor allem aus den talrandparallelen Strömungen in den rheinferneren Rinnenstrukturen innerhalb der Terrassenablagerungen im Gegensatz zu den rheinnahen Aquiferbereichen nicht zwangsläufig zu erwarten (so im Einzelnen überzeugend Gutachten Prof. Dr. T… vom 15. Januar und 16. April 2015).
- 66
Der Vorwurf der Antragstellerin, der Sachverständige habe in der Stellungnahme vom 16. April 2015 einen kompletten Begründungsaustausch vorgenommen, wenn er nunmehr im Gegensatz zu seinen Ausführungen im Gutachten vom Januar 2015 behaupte, dass nicht Trockenperioden, sondern Hochwasserfälle das eigentliche Problem seien, ist unzutreffend (vgl. Gutachten vom 15. Januar 2015, S. 41, 42).
- 67
Auch bedurfte es keiner näheren Untersuchung des Gutachters zum Vorliegen eines Hochwasserfalls, da dieser über eine ausreichendes Erfahrungswissen verfügt, um zum Beispiel die Zahl der Hochwasserereignisse abzuschätzen. Weshalb hier eine Überarbeitung der Grundwassermodelluntersuchung notwendig gewesen sein soll, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht. Davon abgesehen würde der von weitergehenden Untersuchungen ausgehende Erkenntnisgewinn in keinem angemessenen Verhältnis zu den anfallenden Kosten stehen.
- 68
Die Behauptung, dass der nördlich des Wasserwerks „Am Maar“ in Ost-West-Richtung verlaufende und im Bereich der Niederterrasse versickernde sog. Simmerbach (andere Bezeichnungen: „Tiefpfad“ bzw. „Im Teufelsteingraben“; vgl. fachtechnische Begründung, S. 51) eine Sperrwirkung auf voller Breite der Niederterrasse entfalten soll, ist zu unsubstantiiert, um diesem Einwand näher nachzugehen. Darüber hinaus hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Bach zwar die Grundwasserfließrichtungen im Terrassengrundwasserleiter beeinflusse, der Einfluss aber gegenüber dem Rhein, der aufgrund seiner größeren Wassermenge und Fließdynamik einen höheren hydrostatischen Druck auf den Grundwasserleiter ausübe, gering sei.
- 69
Soweit die Antragstellerin ferner anführt, der Sachverständige sehe die getroffene Abgrenzung keineswegs als zwingend an, wird übersehen, dass allein maßgebend ist, ob insofern fachliche Grundsätze beachtet worden sind, wovon hier gerade auszugehen ist.
- 70
Die Einbeziehung oberirdischer in das Einzugsgebiet entwässernder Flächen erfolgte ebenfalls rechtfehlerfrei (vgl. fachtechnische Begründung, S. 46 ff.). Für die in diesem Zusammenhang von der Antragstellerin erhobene Rüge, es hätte auch der Rhein nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, da dieser Wechselwirkungen entfalte und von der Niederterrasse hydraulisch nicht abgekoppelt werden könne, besteht kein Raum. Aus den im Einzelnen aufgezeigten Gründen sind solche Wirkungen nicht festzustellen.
- 71
Präkludiert und darüber hinaus unerheblich sind die von der Antragstellerin vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit der Festsetzung der nördlichen Grenze der Schutzzone III, die der Antragsgegner ebenfalls in Übereinstimmung mit fachtechnischen Grundsätzen definiert hat. Dass diese im Vergleich zur bisherigen Ausdehnung des Schutzgebiets nicht mehr bis zur Ahr reicht, beruht auf neueren hydrogeologischen Erkenntnissen, die in der Modellierung der 50-Tages-Linie durch das Abgrenzungsgutachten ihren Niederschlag gefunden haben (siehe S. 32 der fachtechnischen Begründung; vgl. auch die mündlichen Erklärungen des Sachverständigen Prof. Dr. T… in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat).
- 72
c) Des Weiteren sind die in der Rechtsverordnung enthaltenen Schutzanordnungen rechtmäßig.
- 73
aa) Vorweg ist auch insoweit klarzustellen, dass die Ermächtigung zu einer Normsetzung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG keine konkreten, sondern typische Gefährdungssachverhalte erfasst, die erfahrungsgemäß zu Schäden führen können. Beschrieben wird also ausschließlich ein abstrakter Gefährdungstatbestand. Zwar kann nicht pauschal auf die Hinweise im DVGW-Arbeitsblatt. W 101 zurückgegriffen werden, eine Einzelfallprüfung, ob die darin aufgestellten Kriterien auch auf das Untersuchungsgebiet zutreffen, bleibt deshalb notwendig (vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 22. April 1993 – 8 N 2/92 –, juris; gleichlautend Beschluss vom selben Tag – 8 N 3/92 –, ZfW 1994, 297). Diese Prüfung erfolgt aber wiederum nicht unter der Fragestellung, ob eine konkrete Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt anzunehmen ist, sondern anhand des vorbeschriebenen abstrakten Gefahrenbegriffs.
- 74
Überlegungen der Antragstellerin, das Vorliegen eines abstrakten Gefährdungspotentials im Rahmen eines von ihr sogenannten Drei-Stufen-Modells (vgl. Schriftsatz vom 9. Juli 2013) lediglich als Ausgangspunkt anzusehen (1. Stufe) und anschließend zu untersuchen, ob dieses sich zu einer „mehr oder weniger“ konkreten Gefahr verdichtet hat (2. Stufe) bzw. unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Beschränkung notwendig ist (3. Stufe), sind demgegenüber nicht tragfähig. Die Antragstellerin übersieht, dass eine Rechtsverordnung ihrem Rechtscharakter gemäß lediglich generelle Regelungen treffen kann, so dass der Normgeber gezwungen und berechtigt ist, sich verallgemeinernd am Regelfall zu orientieren. Die Verallgemeinerungen müssen in diesem Zusammenhang auf einer möglichst weiten Beobachtung, die alle betroffenen Regelungstatbestände einschließt, aufbauen. Nur auf diese Weise kann ein möglichst lückenloser Schutz des Grundwassers überhaupt gewährleistet werden. Fehlende konkrete Gefährdungspotentiale sind ggf. im Rahmen der Prüfung einer Befreiung nach § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG zu berücksichtigen.
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An die sich daraus ergebenden Voraussetzungen hat sich der Antragsgegner gehalten, da die Festlegung der im Einzelnen untersagten Einrichtungen, Handlungen und Vorgänge auf der Grundlage der fachlichen Beurteilung der örtlichen Verhältnisse vorgenommen wurde (vgl. S. 1 des Verbotskatalogs vom Oktober 2011). Nur diese sind hier maßgebend. Ob die in anderen Wasserschutzgebieten ausgesprochenen Verbote differenzierter oder weniger belastend ausgestaltet sind, ist unerheblich.
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bb) Der Antragsgegner hat ferner nicht dadurch inkonsequent oder sachwidrig gehandelt, dass bestehende und abstrakt gefährliche Anlagen von den Verboten ausgenommen worden sind (vgl. § 4 der Rechtsverordnung – RVO −). Eine bereits vorhandene Ortsbebauung oder Nutzung durch abstrakt gefährdende Anlagen schließt es nicht aus, weitere Gefährdungspotentiale für die Trinkwasserversorgung durch zusätzliche Verbote zu verhüten (vgl. BayVGH, Urteil vom 25. Januar 2008 − 22 N 04.3471 –, juris). So verhält es sich hier.
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In der wasserwirtschaftlichen Stellungnahme vom 31. Oktober 2011 wurde abschließend eine zusammenfassende Bewertung mit dem Ergebnis vorgenommen, dass die bestehenden störenden Anlagen der Festsetzung des Wasserschutzgebiets nicht entgegenstehen. Zu diesem Zweck hat der Antragsgegner namentlich die im Wasserschutzgebiet ansässigen Betriebe nach der Landesverordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe – VAwS-Anlagen − vom 1. Februar 1996, soweit möglich, ermittelt und im Rahmen der Gefährdungsabschätzung nach abstrakt-generellen Kriterien rechtsfehlerfrei bewertet (vgl. Ordner I, Texte, IU.7).
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Deswegen ist es nicht willkürlich, wenn die Rechtsverordnung etwa die Errichtung von neuen Abwassersammelgruben selbst in der Schutzzone III verbietet (vgl. Nr. III.21 RVO), für die vorhandene Grube eines Wassersportvereins in der Schutzzone II aber zumindest bis auf weiteres einen Bestandsschutz (vgl. § 4 RVO) vorsieht. Die in Nr. II.7 RVO aufgenommene Ausnahme von der Untersagung des Transports und der Lagerung wassergefährdender Stoffe im Fall der Andienung rechtmäßig bestehender Anlagen, darunter vor allem solche zum Zweck der Heizöllagerung (vgl. die Begründung im Verbotskatalog vom Oktober 2011), enthält nach allem ebenfalls keinen Rechtsverstoß. Darüber hinaus bewegt sich der Antragsgegner im Bereich einer zulässigen typisierenden Betrachtung, wenn er vom Verbot des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen im Sinne der Nr. III.22 RVO unter anderem eine Ausnahme im Hinblick auf Dieselkraftstoffe für land- und forstwirtschaftliche Betriebe macht und von einer gleichgelagerten Vergünstigung für (jegliche) gewerbliche Unternehmen absieht. Der Grad einer abstrakten Gefährdung des Grundwassers durch die in den Schutzzonen tätigen Betriebsinhaber von landwirtschaftlichen Hofstellen ist aufgrund ihrer überschaubaren Anzahl wesentlich geringer als sie wäre, wenn man generell sämtliche Gewerbebetriebe einbeziehen würde.
- 79
cc) Das gegen die rechtliche Wirksamkeit einzelner Schutzanordnungen gerichtete sonstige Vorbringen der Antragstellerin führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Namentlich ist auch keine Teilunwirksamkeit der betreffenden Regelungen gegeben.
- 80
(1) Die Planungshoheit der Antragstellerin aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch die in der angefochtenen Verordnung getroffenen Regelungen des § 3 RVO, darunter vor allem die Verbote zur Ausweisung und Erweiterung von Baugebieten (vgl. z. B. Nrn. III.2, III.16, III.35, die über Nrn. I.1 und II.1 auch in den Zonen I und II Anwendung finden), nicht unverhältnismäßig betroffen.
- 81
Die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets beschränkt die Möglichkeiten der Gemeinde, für dieses nach eigenen Vorstellungen Nutzungen bauplanungsrechtlich vorzusehen. Jedoch ist die gemeindliche Planungshoheit nicht schlechthin dagegen geschützt, dass andere Träger hoheitlicher Aufgaben Teile des Gemeindegebiets für insbesondere überörtliche Zwecke in Anspruch nehmen und dadurch einer Planung der Gemeinde entziehen. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Planungshoheit liegt nur dann vor, wenn durch das zugelassene Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte eigene Planung der Gemeinde nachhaltig gestört wird oder wenn das Vorhaben wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren kommunalen Planung entzieht; das ist nicht schon der Fall, wenn die Gemeinde lediglich bestimmte Nutzungsarten und Baugebiete nicht mehr festsetzen kann. Das Vorhaben darf ferner von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötig verbauen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2001 –4 A 12.99 –, NVwZ 2001, 1160; Beschluss vom 15. April 2003 – 7 BN 4.02 –, NVwZ 2003, 1116; Urteil vom 9. Februar 2005 − 9 A 62.03 –, NVwZ 2005, 813; Urteil vom 15. Dezember 2006 – 7 C 1.06 –, BVerwGE 127, 259; Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 7 BN 4.08 –, UPR 2009, 236).
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Auch bei der Ausweisung von mehr als der Hälfte der Fläche des Gebiets einer Gemeinde als Wasserschutzgebiet kann deshalb die kommunale Planungshoheit noch zutreffend in die bei der Festsetzung vorangegangene Abwägung der Festsetzungsbehörde eingestellt sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 – 1 C 12087/98.OVG –, ZfW 2000, 243). Im Übrigen sind kommunale Planungsentscheidungen und Vorstellungen der Gemeinde über die künftige Entwicklung ihres Gemeindegebiets nicht losgelöst von den natürlichen Gegebenheiten möglich, sondern haben ihnen zu folgen (BVerwG, Urteil vom 22. Juli 2004 − 7 CN 1.04 –, BVerwGE 121, 283). Zu diesen natürlichen Gegebenheiten kann auch das Vorhandensein eines Grundwasservorrats gehören, der für die öffentliche Trinkwasserversorgung nutzbar ist. Trinkwasservorkommen zählen zu den natürlichen Lebensgrundlagen, deren Schutz ebenfalls Verfassungsrang genießt (Art. 20a GG; vgl. zur Trinkwasserversorgung: BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981 – 1 BvL 77/78 –, BVerfGE 58, 300). Die Gemeinde kann insoweit einer Situationsgebundenheit unterliegen, mit der Folge, dass ihr Eingriffe, die an dieses Merkmal anknüpfen, zumutbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2003 – 4 CN 9.01 –, BVerwGE 118, 181; siehe VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2014 − 3 S 280/10 –, juris).
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Davon ausgehend ist zunächst festzuhalten, dass der Antragstellerin in dem außerhalb des Wasserschutzgebiets gelegenen Teil ihres 19,94 km² großen Gemeindegebiets die ortsplanerischen Möglichkeiten erhalten bleiben. Unabhängig davon wird ihr aber auch innerhalb des Geltungsbereichs der Rechtsverordnung nicht jede Planungsmöglichkeit genommen. So gilt ein Verbot der Ausweisung und Erweiterung von jeglichen Baugebieten nur in den Zonen I, II und III A, während in der weiträumigen Zone III B nur eine auf Gewerbegebiete bezogene Untersagung gilt. Dort können also bei Beachtung der sonstigen Vorgaben der Rechtsverordnung durchaus Wohn- und Mischgebiete entstehen und hierzu erforderliche Planungen stattfinden. In diesem Zusammenhang ist weiterhin, ohne dass es allerdings noch darauf ankommt, die Möglichkeit von Bedeutung, nach § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG, § 6 Abs. 1 RVO Befreiungen von den Verboten zuzulassen.
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Der Einwand, es handele sich hierbei um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, dessen Voraussetzungen nie vorliegen würden, weil die konkrete Ungefährlichkeit nichts am abstrakten Gefährdungspotential ändere, überzeugt nicht. Ob eine Befreiung von dem Verbot der Ausweisung neuer Baugebiete hier tatsächlich erfolgen kann, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls und hängt ggf. auch von der konkreten Ausgestaltung eines Bebauungsplans ab. So hat der Antragsgegner in der Vergangenheit etwa seine Zustimmung zum Bebauungsplan „Katharinenhof“ der Antragstellerin erteilt, wie diese an anderer Stelle selbst einräumt.
- 85
(2) Das in Nr. III.29 RVO ausgesprochene Verbot der Gewinnung von Steinen, Erden und anderen oberflächennahen Rohstoffen ist rechtmäßig. Die Formulierung basiert auf Kapitel 7 Tabelle 1 Nrn. 5.1 und 5.2 DVGW-Arbeitsblatt W 101.
- 86
Vor allem Nassauskiesungen, d. h. die Freilegung von Grundwasser, bergen ein typisches Gefährdungspotential in sich, weil Schadstoffe in den Grundwasserkörper gelangen können. Dass von den derzeit vorhandenen Gruben und Abbauten keine erkennbare Gefahr für die Wassergewinnungsanlagen Niederau (vgl. Wasser und Boden, Bewertungsmatrix, Stand Januar 2011, IU.4, Steine und Erden) ausgehen, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Damit ist allein gemeint, dass bei bestandsgeschützten Anlagen derzeit keine konkrete Gefahr besteht, worauf hier jedoch nicht ankommt. Davon abgesehen stellt der Antragsgegner zutreffend fest, dass eine Befreiung denkbar sei, wenn unter anderem ein ausreichender Mindestflurabstand zwischen der Abbausohle und der Druckoberfläche des Grundwassers vorliege sowie der oberen Wasserbehörde die mittlere Schutzfunktion der das Grundwasser überdeckenden Schichten unterhalb der Abbausohle nachgewiesen werde. Auch der „Gemeinsame Standpunkt zur Kies- und Sandgewinnung in Trinkwasserschutzgebieten (Stand: März 2007)“ der Rohstoffindustrie, des DVGW und der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) geht davon aus, dass eine Nassauskiesung allenfalls in der Schutzzone III B im Weg einer Befreiung im Einzelfall zugelassen werden kann.
- 87
(3) Des Weiteren stehen die in Nr. III.44 RVO enthaltenen Untersagungstatbestände, welche die landwirtschaftliche, gartenbauliche und forstwirtschaftliche Betriebsführung und Nutzung einschränken, sofern sie nicht grundwasserschonend unter Vorsorgegesichtspunkten betrieben werden, mit höherrangigem Recht in Einklang.
- 88
Den auf Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6 DVGW-Arbeitsblatt W 101 beruhenden Regelungen vermag die Antragstellerin aus den dargestellten Gründen nicht mit dem Vorhalt zu begegnen, das konkrete Gefahrenpotential sei nicht untersucht worden. Die abstrakte Gefahrensituation vor dem Hintergrund der Deckschichtenverhältnisse in der Niederterrasse wurde vielmehr auch hier genügend begründet. Danach rechtfertigen sich die Verbote in der Hauptsache durch die Abwehr von unsachgemäßem Dünger- und Schadstoffeintrag, insbesondere von Nitrat und Pflanzenbehandlungsmitteln, in den Untergrund und damit letztendlich in das Grundwasser. Ergänzend ist festzustellen, dass ein Zufluss pathogener Organismen aus der Schutzzone III nicht auszuschließen ist, da nicht alle Mikroorganismen (z. B. manche Viren) innerhalb von 50 Tagen abgetötet werden. Die Minimierung solcher Gefahren wird durch die entsprechenden Schutzanordnungen innerhalb der weiteren Schutzzone gleichfalls unterstützt (Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
- 89
Die Schutzanordnungen sind außerdem inhaltlich nicht deshalb zu unbestimmt, weil – so der Vortrag der Antragstellerin − unklar bleibe, wie die Formulierung „grundwasserschonend unter Vorsorgegesichtspunkten“ zu verstehen sei.
- 90
Gesetzliche Tatbestände sind zwar so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können; welche Anforderungen an die Bestimmtheit gestellt werden müssen, lässt sich aber nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt von der Eigenart des Regelungsgegenstandes und dem Zweck der betroffenen Norm sowie davon ab, in welchem Ausmaß Grundrechte betroffen sind. Der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG steht der Verwendung unbestimmter (Rechts-)Begriffe nicht von vornherein entgegen, sondern ist erst dann verletzt, wenn es wegen der Unbestimmtheit nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen (vgl. z. B. zusammenfassend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. August 2012 − OVG 2 B 13.09 –, juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
- 91
Nr. III.44 RVO enthält eine hinreichend klare Generalklausel, die durch die mit der Einleitung „insbesondere“ versehenen Nrn. III.44.1 bis 44.8 RVO näher umschrieben wird. Diese Unterziffern definieren negativ, unter welchen Voraussetzungen jedenfalls keine grundwasserschonende Nutzung betrieben werden darf. Im Wege einer systematischen und an Sinn und Zweck der Norm orientierten Auslegung lassen sich darüber hinausgehende weitere Fälle einer verbotenen Nutzung, die einen vergleichbaren Schweregrad haben müssen, ohne weiteres ermitteln.
- 92
Bei der Festlegung von Nutzungsauflagen für die Land- und Forstwirtschaft ist der Antragsgegner ferner nicht von pauschalen Vorgaben für Anbau- oder Bewirtschaftungsverfahren im Hinblick auf die Erreichung eines bestmöglichen Gewässerschutzes ausgegangen; stattdessen wurden standortbezogene Anforderungen unter Beachtung der Kriterien des DVGW-Arbeitsblattes W 104 (Grundsätze und Maßnahmen einer gewässerschützenden Landbewirtschaftung) zugrunde gelegt. Diese finden gerade in der Tabelle 1 DGVW-Arbeitsblatt W 101 ihren Niederschlag. Weiterhin enthält der Hinweis auf einen „bestmöglichen Gewässerschutz“ ohnehin nur eine Zielbestimmung, deren Ausfüllung auf der Grundlage des zuletzt genannten Regelwerks erfolgt.
- 93
Der Umstand einer fehlenden Kontamination des Erdreichs in den vergangenen Jahren unter Geltung der bisherigen Schutzverordnung verbietet auch keine Verschärfung bestehender Regelungen aufgrund neuer fachlicher Erkenntnisse oder einer neuen fachlichen Bewertung. Eine solche Beurteilung hat der Antragsgegner beanstandungsfrei vorgenommen.
- 94
Soweit die Antragstellerin bemängelt, dass bei der Ermittlung der Schutzfunktion der Deckschicht der erste Meter fehlerhaft nicht berücksichtigt worden sei, ist dieses Vorbringen ebenfalls unbeachtlich. Eine Bewertung des obersten Meters darf nicht erfolgen, da makroskopische Störungen des Bodens, zum Beispiel durch Grabgänge oder Wurzeln, bevorzugte Wasserwegsamkeiten bilden und damit keine Schutzwirkung entfalten. Die Verwendung eines abstrakten Punktebewertungsverfahrens ist gleichfalls keinen Zweifeln ausgesetzt. Eine Erhöhung dieses Punktwerts bis auf eine mittlere Schutzfunktion aufgrund des mächtigkeitsbedingt (1 m) vergleichsweise geringen Einflusses des Schutzfunktionswertes des Bodens ist flächendeckend nicht gegeben. Dies gilt umso mehr, als die Deckschichten der Niederterrasse bereits zum Teil zerstört oder beseitigt worden sind (vgl. die überzeugenden Darlegungen des Landesamtes für Bergbau und Geologie vom 30. April 2013).
- 95
Aus dem Vorhalt der Antragstellerin, dass gemäß Nr. III.44.1 RVO ein Aufbringen von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft nach Maßgabe der Düngeverordnung zulässig, das Lagern dieses Düngers hingegen gemäß Nr. III.44.2 RVO verboten sei und damit ein Aufbringen unmöglich gemacht werde, folgt kein Normwiderspruch. Gegenstand der Nr. III.44.2 RVO ist die Lagerung von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft (Gülle, Jauche, Festmist) sowie von Gärsubstraten, fließfähigen Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln außerhalb dauerhaft dichter Anlagen. Dünger nichttierischer Herkunft kann mithin ohne weiteres im Wasserschutzgebiet gelagert werden, Dünger tierischer Herkunft in dauerhaft dichten Anlagen ebenso. Im Übrigen ist das Aufbringen von tierischem Dünger nicht unmöglich, da dieser ggf. auch außerhalb des Schutzgebiets gelagert werden kann.
- 96
Notwendig ist auch dieses Verbot wegen der hier vorhandenen Bodenverhältnisse und des damit verbundenen abstrakten Gefährdungspotentials (vgl. auch Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6.2 DVGW-Arbeitsblatt W 101). Lagerstellen, die auf Dauer eingerichtet werden, müssen generell als dauerhaft dichte Anlagen gebaut werden, da tierische Ausscheidungen Keime und wasserlösliche Stoffe enthalten, die geeignet sind, die Qualität von Grundwasser zu beeinträchtigen (siehe die Begründung im Verbotskatalog vom Oktober 2011). Dass der Antragsgegner die Verwendung tierischen Düngers in den einzelnen Schutzzonen zudem durchaus differenziert und je nach Gefährdungsgrad abgewogen hat, zeigt die Regelung in Nr. II.8 RVO (Anwendung von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft, Gärsubstrate, Komposte und Silagesickersaft), das nur für die Zonen I und II Geltung beansprucht. Die hier gegebene Begründung (vgl. auch Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6.1 DVGW-Arbeitsblatt W 101), insofern bestehe das Risiko, dass Krankheitserreger aus den tierischen Ausscheidungen bis zur Gewinnungsanlage gelangen können, lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen (vgl. Verbotskatalog vom Oktober 2011).
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Ein über die Untersagungen nach Nr. III.4.4 RVO hinausgehendes Verbot der baulichen Veränderung der Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe in der Zone III A gemäß Nr. III.3 RVO scheitert entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin nicht an der Erforderlichkeit. In der Zone III A besteht zwar ein weniger hohes Gefährdungspotential (vgl. Kapitel 7 Nr. 4.2 DVGW-Ab. W 101), ein Verbot ist jedoch wegen der nicht ausreichenden Schutzfunktion der Deckschichten notwendig, weil auch insoweit weitere Bauten diese Schutzfunktion beeinträchtigen können. Das verständliche Anliegen der landwirtschaftlichen Betriebsinhaber, die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Hofstellen zu sichern, muss demgegenüber zurücktreten.
- 98
Nach allem bedarf es keiner näheren Erläuterung, dass namentlich die Verbotstatbestände aus Nrn. II.2 (Errichten und Erweitern baulicher Anlagen einschließlich deren Nutzungsänderung), II.10 (Lagerung von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln), II.12 (Kompostplätze, auch häusliche Eigenkompostierung), III.6 (Tierbesatz, insbesondere Beweidung, ausgenommen im Zeitpunkt der Hauptvegetation von Mai bis Oktober), III.7 (Biogasanlagen) sowie III.26 (Waldrodung, Kahlschlag, Erstaufforstungen, Grünlandumbruch) RVO rechtlich unbedenklich erscheinen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.
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(4) Schließlich ist für die von den Verbotsregelungen betroffenen Gewerbebetriebe keine günstigere Beurteilung angezeigt. Die vor allem auch insoweit gegen die Bauverbote (vgl. Nrn. II.2, III.3 RVO) vorgebrachten ergänzenden Kritikpunkte zielen im Wesentlichen darauf ab, dem Antragsgegner ein willkürliches und unverhältnismäßiges Handeln zu unterstellen, weil von einzelnen Betrieben oder Betriebssparten keine Gefahren ausgingen und deshalb generelle Errichtungs- bzw. Erweiterungsverbote unstatthaft seien. So sei beispielsweise nicht verständlich, warum Einzelhandelsbetriebe untersagt sein müssten, obwohl von ihnen nach der Liste störender Anlagen auch in der Schutzzone III A keine Gefährdungen befürchtet werden müssten. Anderen Unternehmen würde dagegen ein hohes Gefährdungspotential unterstellt, obwohl nicht nachvollziehbar sei, welche Stoffe überhaupt in welchem Umfang ins Grundwasser gelangen könnten. Dieser Argumentation ist indes zu entgegnen, dass damit erneut ein dem Normzweck von Rechtsverordnungen zuwiderlaufendes Eingehen auf die Gegebenheiten des konkreten Sachverhalts verbunden wäre, welches letztlich zu unübersichtlichen und kaum vollziehbaren Regelungen führen würde. Dass der Antragsgegner die Grenzen einer typisierenden Betrachtung der Verbote überschritten haben könnte, ist nicht ersichtlich.
- 100
Das von der Antragstellerin angegriffene und in Nr. III.10 RVO mitenthaltene Verbot der Aufstellung oder des Parkens von Wohnwagen und Wohnmobilen außerhalb dafür zugelassener oder dafür seitens der Gemeindeverwaltung bestimmter Flächen mit geordneter Schmutzwasser- und Abfallbeseitigung findet seine Rechtfertigung in Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 7.8 DVGW-Arbeitsblatt W 101. Aus der vorerwähnten Zustimmung des Antragsgegners zum Bebauungsplan „Katharinenhof“ können keine Rückschlüsse auf eine fehlende Erforderlichkeit des in Nr. III.10 RVO geregelten Untersagungstatbestandes gezogen werden, da es sich um einen anderen Verfahrensgegenstand handelt. Die Zustimmung wurde überdies nur unter der Maßgabe erteilt, dass die darin enthaltenen Flächen zum Abstellen von Fahrzeugen entsprechend befestigt und entwässert werden.
- 101
ee) Ferner ist auch im Übrigen eine unverhältnismäßige oder rechtswidrige Beschränkung sonstiger rechtlich geschützter Interessen nicht festzustellen.
- 102
(1) Dass der gerichtliche Sachverständige die südliche Ausdehnung der Schutzzone III, wie gezeigt, teilweise mit einer anderen Begründung gerechtfertigt hat als der Antragsgegner, bedeutet nicht, dass an die Verhältnismäßigkeit zumindest der hierfür geltenden Schutzanordnungen nunmehr zugunsten des von den Regelungen betroffenen Adressatenkreises geringere Maßstäbe angelegt werden müssen oder eine erneute „Abwägung“ zu erfolgen habe, wie die Antragstellerin meint. Dafür spricht, dass sich die Abgrenzung und somit das Vorhandensein einer abstrakten Gefährdung des Trinkwasservorkommens innerhalb der gesamten Schutzzone III im Ergebnis uneingeschränkt bestätigt hat und dieser Umstand als solcher unter gleichzeitiger Berücksichtigung der individuellen örtlichen Bodenverhältnisse, mit denen der Antragsgegner die einzelnen Verbote im Wesentlichen begründet hat, die Anordnungen im Interesse eines präventiven Grundwasserschutzes trägt.
- 103
(2) Ein erheblicher Eingriff in bestehende und bestandsgeschützte Betriebe ist nicht deshalb gegeben, weil § 4 RVO nach Auffassung der Antragstellerin rechtsfehlerhaft ist. Danach müssen für Anlagen, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung rechtmäßig bestehen und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben betrieben werden, die sich aus dieser Verordnung ergebenden strengeren Anforderungen erst nach Anordnung durch die zuständige Wasserbehörde beachtet werden.
- 104
Eine unzulässige Verlagerung auf den Vollzug der Verordnung (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 22. April 1993, a.a.O.) liegt darin nicht. Der vorstehend zitierten Entscheidung, auf die sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang beruft, lag eine Konstellation zugrunde, die mit dem vorliegend zu beurteilenden Fall nicht vergleichbar ist. Gegenstand des dortigen Verfahrens war unter anderem ein Verbot baulicher und gewerblicher Anlagen in der Schutzzone II in Ortskernen, obwohl mehrere sachverständige Stellen dies nicht für erforderlich gehalten hatten. Ein Verbot mit Dispens genügte ausweislich der Entscheidungsgründe nicht dem Übermaßverbot, weil die wasserschutzrechtliche Befreiung nur die Berücksichtigung von Sonderinteressen einzelner Eigentümer zulasse, deren Lage verschieden sei von derjenigen anderer Eigentümer (vgl. hierzu die Neufassung des § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG). Dabei war eine Übergangsbestimmung zu überprüfen, die für bestehende Einrichtungen deren Beseitigung oder Änderung auf Anordnung vorsah, wohingegen vorliegend nur die Beachtung von strengeren Anforderungen ermöglicht wird. Eine solche Regelung ist jedoch im Hinblick auf das wasserhaushaltsrechtliche Vorsorgeprinzip nicht unangemessen und darüber hinaus auch sachgerecht, da es nicht Aufgabe einer Verordnung sein kann, jeden einzelnen Bestandsschutzfall individuell-konkret zu regeln.
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(3) Zu Unrecht behauptet die Antragstellerin, der Antragsgegner habe den Regionalen Raumordnungsplan Mittelrhein-Westerwald – RROP – ignoriert, der eine Weiterentwicklung des Rheintals nach dem Leitbild „Wohnen und Arbeiten in einer zukunftsträchtigen Technologie-, Dienstleistungs- und Tourismusregion“ (vgl. S. 67 RROP, G1) ebenso wie das DVGW-Arbeitsblatt W 101 fordere. Eine Berücksichtigung derartiger Gesichtspunkte war entbehrlich, nachdem bereits die Obere Landesplanungsbehörde keine Bedenken erhoben und zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass die Flächen in einem Vorrang- und Vorbehaltsgebiet für Hochwasserschutz liegen (vgl. Schreiben vom 19. April 2011). Demzufolge ist in Nr. 4.2.1 RROP (Wasser- und Hochwasserschutz) als Ziel definiert, dass entsprechende Vorranggebiete von jeglicher Bebauung freizuhalten und in den Vorbehaltsgebieten dem vorbeugenden Hochwasserschutz ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Ferner fällt ins Gewicht, dass die Sicherung und Verbesserung der Freiraumqualität unter der Vorbedingung der wasserwirtschaftlichen Verträglichkeit steht (vgl. Nr. 5.7 G6 RROP).
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(4) Schließlich sind keine Grundrechte von privaten Dritten verletzt.
- 107
Die einzelnen Regelungen beinhalten grundsätzlich keine Enteignungen zu Lasten der Grundstückseigentümer im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern stellen Be-stimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass das jeweilige Grundstück durch seine Lage und Beschaffenheit sowie die Einbettung in seine Umwelt geprägt wird. Diese „Situationsgebundenheit“ kann den Gesetzgeber zu einer Beschränkung der Eigentumsposition berechtigen, die hier wegen der überragenden Bedeutung des Gemeinwohlinteresses an einer gesicherten Trinkwasserversorgung nicht unangemessen ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981 – 1 BvL 77/78 –, BVerfGE 58, 300). Keine anderen Kriterien gelten, soweit im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in Rede steht. Dessen Schutz geht nicht weiter als derjenige, den seine wirtschaftliche Grundlage − das Grundeigentum – genießt (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981, a.a.O.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 13. April 1983 – 4 C 76.80 –, BVerwGE 67, 93).
- 108
Des Weiteren scheidet ein Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG aus. Die getroffenen Festsetzungen stellen allenfalls mittelbare Berufsausübungsregelungen dar, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gedeckt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2000 − 1 BvR 1538/98 –, juris).
- 109
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 162 Abs. 3 VwGO entsprach es der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, nachdem diese sich durch die Stellung eines Sachantrages einem eigenen Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
- 110
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 111
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.
- 112
Beschluss
- 113
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.3 analog des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [LKRZ 2014, 169]).
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert,
- 1.
Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, - 2.
das Grundwasser anzureichern oder - 3.
das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln in Gewässer zu vermeiden,
(2) Trinkwasserschutzgebiete sollen nach Maßgabe der allgemein anerkannten Regeln der Technik in Zonen mit unterschiedlichen Schutzbestimmungen unterteilt werden.
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert,
- 1.
Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, - 2.
das Grundwasser anzureichern oder - 3.
das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln in Gewässer zu vermeiden,
(2) Trinkwasserschutzgebiete sollen nach Maßgabe der allgemein anerkannten Regeln der Technik in Zonen mit unterschiedlichen Schutzbestimmungen unterteilt werden.
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Der Antrag, die Rechtsverordnung der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord über die Festsetzung eines Wasserschutzgebietes in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Verbandsgemeinde Bad Breisig), Kreis Ahrweiler vom 9. November 2011 zugunsten der beigeladenen Stadt Sinzig für unwirksam zu erklären, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung seitens des Antragsgegners und der Beigeladenen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn diese nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Rechtsverordnung der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord über die Festsetzung des Wasserschutzgebiets „Goldene Meile“ zugunsten der beigeladenen Stadt Sinzig in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Stadt Bad Breisig).
- 2
Im nördlichen Bereich der Rheinaue zwischen Sinzig und Bad Breisig lag das 1977 festgesetzte Wasserschutzgebiet „Goldene Meile (alt)“, dessen Regelungen 2007 außer Kraft traten. Durch eine vorläufige Anordnung des Antragsgegners wurde das Trinkwasseraufkommen auch für die Zeit danach geschützt. Unmittelbar südlich schloss sich das 1984 festgesetzte und von seiner Geltungsdauer bis 2014 befristete Wasserschutzgebiet „Am Maar“ zugunsten der Verbandsgemeinde Bad Breisig an. Die Vorplanungen für eine Neuausweisung begannen 2006. Dabei stellte sich insbesondere heraus, dass die bestehenden Anlagen in Bad Breisig umfangreich saniert werden mussten. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde entschieden, zukünftig eine gemeinsame Trinkwassergewinnung sowohl für Sinzig als auch für Bad Breisig und die übrigen Orte der vorgenannten Verbandsgemeide aus den im Gemarkungsgebiet der Beigeladenen gelegenen Brunnen „Niederau“ der Stadtwerke Sinzig vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde neben den bereits vorhandenen drei Wasserquellen ein weiterer Brunnen gebohrt. Im Juni 2009 schloss die Beigeladene mit der Verbandsgemeinde Bad Breisig einen Wasser-lieferungsvertrag. Seit Februar 2011 wird Bad Breisig durch die Stadtwerke Sinzig aus den neuen Brunnen versorgt. Insgesamt hatte man zu diesem Zeitpunkt laut einer Presseinformation der rheinland-pfälzischen Landesregierung rund 3,3 Millionen Euro in die erforderlichen Anlagen investiert, wobei Fördermittel in Form eines zinslosen Darlehens in Höhe von 1,65 Millionen Euro gewährt worden waren.
- 3
Die am 21. November 2011 durch Veröffentlichung im Staatsanzeiger Rheinland-Pfalz in Kraft getretene Rechtsverordnung vom 9. November 2011 führte zu einer erheblichen räumlichen Erweiterung des unter Schutz gestellten Gebiets, das nunmehr erstmals auch das gesamte Stadtgebiet von Niederbreisig umfasst und eine Größe von 1023,33 ha hat. Es ist in die Schutzzonen I (Fassungsbereich), II (engere Schutzzone), III A, III B und III S (weitere Schutzzone) gegliedert und wird im Osten durch das Rheinufer begrenzt.
- 4
Der Festsetzung des Wasserschutzgebiets liegt maßgeblich die Grundwasser-modelluntersuchung der Firma H... Ingenieurgesellschaft mbH (H...) vom Februar 2010 sowie die „Fachtechnische Begründung der Wasserschutzzonen II und III und Beschreibung der Zone I“ des Büros W… und B… GmbH vom März 2010 zugrunde. Weiterhin holte der Antragsgegner mehrere Stellungnahmen des Landesamts für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz ein und erläuterte im Juni 2011 bzw. Oktober 2011 in einem „Verbotskatalog“ die einzelnen Schutz-anordnungen
- 5
Dem Erlass der angegriffenen Rechtsverordnung ging ferner ein Verfahren gemäß § 122 Landeswassergesetz – LWG – in der hier maßgebenden Fassung vom 22. Januar 2004 voraus: Die Beigeladene und die Verbandsgemeinde Bad Breisig legten den Entwurf der Rechtsverordnung mit den dazu gehörenden Plänen vom 4. April bis zum 3. Mai 2011 aus. Bei der ortsüblichen Bekanntmachung und Auslegung wurde auf die am 17. Mai 2011 ablaufende Einwendungsfrist und auf den damit verbundenen Einwendungsausschluss hingewiesen. Außerdem erfolgte ein gesondertes Behördenbeteiligungsverfahren. Die Antragstellerin erhob vor Ablauf der Frist Anregungen und Bedenken. Am 6. September 2011 fand in Sinzig ein Erörterungstermin statt, den die Antragstellerin durch ihren Stadtbürgermeister und ihre Verfahrensbevollmächtigten wahrnahm. Die Einwendungen konnten dort nicht ausgeräumt werden. Unter dem 7. November 2011 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihre vorgetragenen Anregungen und Bedenken der Ausweisung des Wasserschutzgebiets nicht entgegenstünden.
- 6
Ihren am 19. November 2012 gestellten Antrag auf gerichtliche Normenkontrolle begründet die Antragstellerin wie folgt:
- 7
Vorliegend könne nicht von einer Schutzfähigkeit des Grundwasservorkommens ausgegangen werden. Der Antragsgegner verkenne bereits den Prüfungsrahmen, weil er den Gesichtspunkt einer verhältnismäßigen Belastung Dritter von vorn-herein ausgeblendet habe. Darüber hinaus sei das Wasserschutzgebiet fehlerhaft abgegrenzt worden. Dies gelte zunächst im Hinblick auf die Zone II. Gerügt werde, dass der Antragsgegner zu hohe Entnahmemengen zugrunde gelegt habe. Sein Vorgehen und die von ihm getroffenen Feststellungen seien zudem konstruiert, um auf diese Weise zu einem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Weiterhin habe das Rheinufer – ebenso wie bei der Begrenzung der Zone III − nicht als östliche Abgrenzung gewählt werden dürfen, da dies den Mindestanforderungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101 widerspreche. Sowohl eine Verlegung der Gewinnungsanlagen als auch eine mögliche Versorgung des Gebiets der Verbands-gemeinde Bad Breisig durch Anschluss an den benachbarten Wasserversor-gungszweckverband Maifeld-Eifel sei zu Unrecht nicht geprüft worden, obwohl so unverhältnismäßige Belastungen hätten vermieden werden können. Auch die Vergrößerung der südlichen Abgrenzung über 260 Meter hinaus widerspreche den einschlägigen Richtlinien. Vor allem habe der Antragsgegner die Schutzzone III durch die Einbeziehung des gesamten Stadtgebiets von Niederbreisig zu weit in südlicher Richtung ausgedehnt. Die hierzu gegebene fachtechnische Begründung des Büros Wasser und Boden halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu beanstanden seien des Weiteren die in der Rechtsverordnung enthaltenen Schutzanordnungen. Belastbare Gefahrenanalysen und vertretbare Risikobewertungen seien nicht vorgenommen worden. Hier hätte insbesondere näher untersucht werden müssen, ob sich das abstrakte Gefährdungspotenzial zu einer „mehr oder weniger“ konkreten Gefahr verdichtet habe und eine Beschränkung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig sei. Einzelne Verbote seien zudem nicht hinreichend bestimmt, nicht nachvollziehbar und willkürlich. Insgesamt würden die Regelungen in unangemessener Weise in das Eigentum und die Berufsfreiheit der im Wasserschutzgebiet ansässigen Betriebe und Privatpersonen sowie in ihr Selbstverwaltungsrecht und in ihre Planungshoheit eingreifen. So falle ins Gewicht, dass die drei größten Gewerbebetriebe in der Zone III A faktisch mit einem Bauverbot belegt würden und keine neuen Gewerbegebiete mehr ausgewiesen werden könnten. Aus den Schutzanordnungen des Wasserschutzgebiets „Koblenz-Urmitz“ (Rechtsverordnung vom 12. Dezember 2013) folge, dass differenzierte Verbote auch für diese Zone ausreichend seien. Schließlich habe der Antragsgegner Vorgaben des Regionalen Raumordnungsplans Mittelrhein-Westerwald ignoriert.
- 8
Die Antragstellerin beantragt,
- 9
die Rechtsverordnung über die Festsetzung eines Wasserschutz-gebietes in den Gemarkungen Sinzig (Stadt Sinzig), Niederbreisig, Oberbreisig und Rheineck (Verbandsgemeinde Bad Breisig), Kreis Ahrweiler, für die Brunnen I – IV Niederau, Sinzig, Wasserschutz-gebiet „Goldene Meile“, zugunsten der Stadt Sinzig, Kirchplatz 5, 53489 Sinzig, für unwirksam zu erklären.
- 10
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
- 11
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
- 12
Sie treten den Darlegungen der Antragstellerin mit eigenen Ausführungen ent-gegen.
- 13
Der Antragsgegner verweist darauf, dass das Wasserschutzgebiet ein bedeutendes und ergiebiges Grundwasservorkommen im nördlichen Bereich des Landes Rheinland-Pfalz schütze. Ausgehend von der Annahme, dass die Antragstellerin im Normenkontrollverfahren nur diejenigen Verbote zur Überprüfung stellen dürfe, von denen sie auch tatsächlich betroffen sei, könne sie sich hier nur auf eine Beschränkung ihrer kommunalen Planungshoheit berufen. Dabei sei der Umfang der gerichtlichen Kontrolle auf diejenigen Teile beschränkt, von denen der jeweilige Antragsteller auch tatsächlich betroffen und in eigenen Rechten verletzt werde. Der Vorwurf, er – der Antragsgegner − habe eine alternative Versorgungsmöglichkeit nicht hinreichend in Betracht gezogen, gehe schon deshalb ins Leere, weil durch die geschützten Brunnen auch das Stadtgebiet der Beigeladenen versorgt werde. Die Abgrenzung der einzelnen Schutzzone sei fehlerfrei erfolgt und entspreche den Regelungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101. Eine Einbeziehung von Teilen des Einzugsgebiets des Rheins sei weder praktikabel noch geboten. Die Ausdehnung der Schutzzone III im Zustrombereich beruhe darauf, dass es sich bei der Niederterrasse um einen zusammenhängenden Grundwasserleiter handele, der bis südlich von Bad Breisig reiche und instationäre Verhältnisse aufweise. Unterlegt werde diese Annahme durch einen Schadensfall innerhalb der Ortslage von Bad Breisig, der wahrscheinlich ursächlich für die Ausbreitung von Schadstoffen bis in die Fassungsanlagen „Niederau“ gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei für die Rechtmäßigkeit der in die Rechtsverordnung aufgenommenen Verbote ausschließlich das Vorliegen eines abstrakten Gefährdungspotenzials maßgebend. Die einzelnen Verbotstatbestände enthielten zwar Eingriffe in Grundrechte und in die kommunale Planungshoheit, sie seien jedoch zum Schutz des Trinkwasservorkommens zulässig und insbesondere nicht unverhältnismäßig.
- 14
Die Beigeladene teilt die Ansicht des Antragsgegners und trägt vor, die fest-gesetzte Gebietsabgrenzung sei rechtlich nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar müsse ein Normgeber unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie sowie weiterer rechtlicher Interessen möglicherweise Betroffener die örtlichen Gegebenheiten in Rechnung stellen und sich hierbei auf wasserwirtschaftliche und hydrogeologische Erkenntnisse stützen, dies sei vorliegend jedoch geschehen. Gerade die Ausdehnung des Einzugsgebiets eines Trinkwasservorkommens zeichne sich in der Regel nicht auf der Erdoberfläche ab. Deshalb begegne es keinen Bedenken, dass sich der Antragsgegner mit wissenschaftlich fundierten, in sich schlüssigen Schätzungen begnügt habe.
- 15
Der Senat hat mit Beschluss vom 10. April 2014 Beweis erhoben zu der Frage, ob der Antragsgegner die Schutzzone III des Wasserschutzgebiets im Hinblick auf den südlich der Brunnen I bis IV Niederau gelegenen Bereich der Niederterrasse unter Beachtung der hydrogeologischen Gegebenheiten und der fachlichen Grundsätze für die Ausweisung von Wasserschutzgebieten zutreffend festgelegt hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C… T…, B…. und P…, Beratende Ingenieure GmbH, vom 14. Januar 2015, die ergänzende Stellungnahme vom 16. April 2015 sowie die mündlichen Erläuterungen des Gutachters im Verhandlungstermin vom 8. Oktober 2015.
- 16
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus dem Inhalt der Gerichtsakte mit den zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen, aus den Akten des Antragsgegners (3 Hefte und 14 Ordner) betreffend den Erlass der angegriffenen Wassergebietsschutzverordnung sowie aus der Gerichtsakte des Verfahrens 1 C 10845/13.OVG. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
- 18
Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Normenkontrolle hat keinen Erfolg.
- 19
I. Gegen seine Zulässigkeit bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
- 20
Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 4 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung − AGVwGO – ist der Normenkontrollantrag statthaft; die angegriffene Rechts-verordnung unterfällt nicht der Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO. Ins-besondere kann die Antragstellerin geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit als Teilaspekt des der Antragstellerin zustehenden Rechts auf kommunale Selbstverwaltung im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG – erscheint jedenfalls mit Rücksicht auf die beträchtliche Ausdehnung des festgesetzten Wasserschutzgebiets nicht von vornherein ausgeschlossen; dieses umfasst überschlägig betrachtet zwischen 40 und 50 Prozent des Gemeindegebiets und die Hälfte der bebauten Ortslage von Niederbreisig, sodass negative Auswirkungen auf planerische Gesichtspunkte nicht von der Hand zu weisen sind. Vor allem berühren das Verbot, in den Schutzzonen – zum Teil beschränkt auf bestimmte Nutzungsarten – neue Baugebiete im Rahmen der Bauleitplanung auszuweisen, sowie die Beschränkungen für die Errichtung und Erweiterung baulicher Anlagen die Belange der Antragstellerin negativ, weil sie für die ortsplanerische und bauliche Entwicklung einschränkende Vorgaben beinhalten (zur Ableitung der Antragsbefugnis aus der gemeindlichen Planungshoheit vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 − 1 C 12087/98.OVG –, ESOVGRP).
- 21
II. In der Sache ist das Begehren der Antragstellerin jedoch unbegründet. Hinsichtlich des Prüfungsumfangs ist dabei dem Charakter eines Normenkontrollantrages als objektives Beanstandungsverfahren Rechnung zu tragen. Anders als bei sogenannten Individualklagen in Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO genügt bereits das Bestehen einer Antragsbefugnis gegenüber einer in der Norm getroffenen Regelung unter einem bestimmten Aspekt, wie hier, um – im Rahmen des Streitgegenstandes − eine umfassende Überprüfung der Rechtmäßigkeit auch in Bezug auf solche Bestimmungen herbeizuführen, bezüglich derer subjektive Rechte des jeweiligen Antragstellers nicht beeinträchtigt sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 50).
- 22
Allerdings sind von der Rechtskontrolle solche Aspekte auszuklammern, die einer Präklusion gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 2 Landeswassergesetz – LWG – in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 2004 (GVBl. 2004, S. 54) unterliegen. Das bedeutet, dass wegen Umständen, für die der Einwendungsausschluss zur Anwendung kommt, nicht mehr im Wege der gerichtlichen Normenkontrolle die Unwirksamkeit der Verordnung festgestellt werden kann. Das Landesrecht schränkt insoweit den Prüfungsmaßstab des Oberverwaltungsgerichts ein (vgl. hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2005 – 1 C 10258/04.OVG –, ESOVGRP). Hieran hält der Senat auch weiterhin fest.
- 23
Zwar ist im Zeitpunkt der Verkündung des vorliegenden Urteils noch nicht abschließend geklärt, welche Auswirkungen das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Vertragsverletzungsverfahren C-137/14 auf die Beibehaltung von Präklusionsvorschriften hat (vgl. hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 21. Mai 2015). Für den vorliegenden Fall ist sein Ausgang jedoch nicht relevant. Gegenstand des von der Europäischen Kommission eingeleiteten Verfahrens ist die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland durch die Einführung einer Präklusion nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten – UmwRG – und § 73 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – UVP-Richtlinie −) sowie gegen Art. 25 der Richtlinie 2010/75/EU vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) – IED-Richtlinie – verstoßen hat. Die UVP-Pflicht gilt jedoch nur für Projekte (vgl. hierzu die Legaldefinition in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a UVP-RL: Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen, sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen). Im Übrigen beinhaltet die Ausweisung eines Wasserschutzgebiets wegen des damit verbundenen Schutzzwecks keinen Eingriff in Natur- und Landschaft. Darüber hinaus ist vorliegend auch keine industrielle Tätigkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 IED-Richtlinie gegeben.
- 24
Dies vorausgeschickt hält die Verordnung einer rechtlichen Nachprüfung stand.
- 25
Formelle Fehler sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die von der Antragstellerin erhobenen materiell-rechtlichen Einwendungen unterfallen teilweise einem Einwendungsausschluss und liegen darüber hinaus insgesamt nicht vor.
- 26
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) – WHG – i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2585) können Wasserschutzgebiete unter anderem festgesetzt werden, soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, ein Gewässer – wozu gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG auch das Grundwasser gehört – im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen. Das Wohl der Allgemeinheit erfordert die Festsetzung dann, wenn das Wasservorkommen schutzbedürftig, schutzwürdig und schutzfähig ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2005 – 1 C 10358/04. OVG – m.w.N., ESOVGRP). Wasserschutzgebiete werden von der oberen Wasserbehörde festgesetzt, wobei nach Schutzzonen gestaffelte Verbote, Beschränkungen und Duldungspflichten angeordnet werden können (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 LWG).
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Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze sind hier erhebliche Rechtsfehler des Antragsgegners bei der Festsetzung des Wasserschutzgebiets „Goldene Meile“ nicht ersichtlich.
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1. Die Schutzbedürftigkeit des in Rede stehenden Grundwasservorkommens zum Zweck der Trinkwasserversorgung ist gegeben. Hierfür reicht es aus, dass das Wasservorkommen aus qualitativen Gründen für die Trinkwasserversorgung überhaupt brauchbar ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 –1 C 12087/98.OVG –, ESOVGRP). Davon ist auszugehen, da drei der Brunnen schon seit Jahrzehnten Teil der öffentlichen Wasserversorgung der Beigeladenen gewesen sind und Wasser geliefert haben, das nach seiner Menge und Qualität für die öffentliche Trinkwasserversorgung geeignet ist (siehe hierzu Stellungnahme des Landesamts für Geologie und Bergbau vom 20. April 2010). Da auch die Antragstellerin selbst die Schutzwürdigkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ bejaht, sieht der Senat von weiteren Darlegungen ab.
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2. Auch die Schutzbedürftigkeit steht nicht in Frage. Es ist vernünftigerweise geboten, abstrakte Gefährdungen für das Trinkwasser vorsorglich auszuschließen. Ein konkreter Nachweis eines unmittelbar drohenden Schadenseintritts ist nicht notwendig. Vielmehr genügt ein Anlass, um typischerweise gefährdende Situationen zu begegnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1980 − 4 C 89.77 –, BayVBl. 1980, 759). Das unter Schutz gestellte Gebiet liegt in einem Areal mit teilweise intensiven Nutzungen und lediglich sehr gering bis gering ausgebildeten Deckschichten in der Niederterrasse des Rheins. Es bedarf daher grundsätzlich der Inschutznahme des quellennahen Teils des Einzugsgebiets, um abstrakte Gefährdungen vorsorglich auszuschließen, wie sie etwa durch die Neuerrichtung baulicher Anlagen oder durch die großräumige Verletzung der schützenden Deckschichten entstünden. Die Antragstellerin zieht die Schutzbedürftigkeit ebenfalls nicht in Zweifel.
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3. Ferner ist die Schutzfähigkeit des festgesetzten Wasserschutzgebiets gegeben. Davon ist auszugehen, wenn das Grundwasservorkommen ohne unverhältnismäßige Belastungen Dritter vor störenden Einwirkungen geschützt werden kann. Eingriffe in der Form von Schutzgebietsverordnungen müssen demnach geeignet sein, das angestrebte Schutzziel zu erreichen, sie müssen erforderlich im Sinne des geringsten Eingriffs sein, und sie müssen dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit im engeren Sinn entsprechen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. März 2000, a.a.O.; siehe auch Kerkmann in Jeromin/Prinz, Kommentar zum LWG/WHG, § 13 LWG/§ 19 WHG Rn. 42).
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a) Soweit die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner habe den Prüfungsumfang verkannt, weil er den einschränkenden Zusatz „ohne verhältnismäßige Belastung Dritter“ ausgeblendet habe, trifft dies nicht zu, weil dieser sich mit den zahlreichen Einwendungen inhaltlich auseinandergesetzt und in eine konkrete Güterabwägung eintreten ist. Namentlich erfolgte eine ausführliche Würdigung der Anregungen und Bedenken der Betroffenen, wie sich den an sie ergangenen Mitteilungen vom 7. November 2011 entnehmen lässt.
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b) Anders als die Antragstellerin meint, steht der Erforderlichkeit der Schutzgebietsausweisung nicht entgegen, dass eine Verlegung der Gewinnungsanlagen sowie ein Anschluss an den Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel nicht in Erwägung gezogen worden sei. Ungeachtet dessen, dass dieser Vortrag dem Einwendungsausschluss unterliegt, durfte der Antragsgegner bei der Festsetzung des Wasserschutzgebiets von den vorhandenen, in Betrieb befindlichen Brunnen Niederau ausgehen. Dies ergibt sich schon aus der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 WHG enthaltenen Formulierung, wonach gerade auch die „bestehende“ öffentliche Wasserversorgung zu schützen ist. Die bei einer Ausweisung vorgefundene und in Kenntnis der Wasserbehörde genutzte Anlage der öffentlichen Wasserversorgung kann deshalb im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in der Regel nicht in Frage gestellt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Dezember 2009 – 3 S 170/07 –, NuR 2010, 659).
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Selbst wenn man aber der Auffassung ist, dass wegen des Eigentumsschutzes Betroffener nach Art. 14 GG nicht ohne weiteres von den vorhandenen Brunnenstandorten ausgegangen und auf eine alternative Prüfung nicht verzichtet werden kann, gilt dies nur dann, wenn eine sich aufdrängende alternative Trinkwassererschließung mit zumutbarem Aufwand hätte ernsthaft in Betracht gezogen werden müssen (vgl. BayVGH, Urteil vom 29. Dezember 2011 – 22 N 08.190 –, BayVBl. 2012, 500). Das ist hier nicht der Fall.
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Eine räumliche Verlegung der Brunnen innerhalb des nunmehr bestehenden Erschließungsgebiets scheitert daran, dass eine solche Verschiebung zum einen die Gefahr einer deutlichen Reduzierung der Zuflussmengen entsprechend der in Bad Breisig zwischenzeitlich aufgegebenen Brunnen „Am Maar“, zum anderen den Zufluss verstärkt nitrat- und sulfatbelasteter Grundwässer aus den Festgesteinsbereichen mit sich gebracht hätte (vgl. Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Aber auch die Prüfung eines Zusammengehens mit dem Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel musste sich dem Antragsgegner angesichts von drei funktionsfähigen Brunnen mit einem ausgebauten Leitungsnetz nicht aufdrängen. Ungeachtet dessen fällt insoweit entscheidend ins Gewicht, dass die Beigeladene und die Verbandsgemeinde Bad Breisig 2009 einen Wasserlieferungsvertrag geschlossen haben und der Antragsgegner laut unwidersprochen gebliebener Angabe des Bürgermeisters der vorgenannten Verbandsgemeinde im Termin zur mündlichen Verhandlung die Leistung von Zuwendungen in Millionenhöhe von einem gemeinsamen Versorgungssystem zwischen seiner Gebietskörperschaft und der Beigeladenen abhängig gemacht hat. Ohne diese Zuschüsse wäre die Sicherung der Trinkwasserversorgung für die beteiligten Träger dieser Aufgabe aber kaum finanzierbar gewesen. Die der Ausweisung zugrunde liegende Standortfrage sowie das Versorgungskonzept waren damit vor Erlass der Rechtsverordnung bereits abschließend geklärt, ohne dass vonseiten der Antragstellerin oder der Verbandsgemeinde Bad Breisig auch nur geltend gemacht wurde, dagegen rechtzeitig Bedenken erhoben zu haben.
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c) Die Festlegung der Grenzen der einzelnen Schutzzonen genügt den an die Erforderlichkeit zu stellenden Anforderungen. Der hierzu erfolgte Vortrag der Antragstellerin ist deshalb – unbeschadet eines teilweise gegebenen Rügeverlustes − schon aus sachlichen Erwägungen unbeachtlich. Bezüglich dieser Bewertung geht der Senat von folgenden allgemeinen Kriterien aus:
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Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG die flächenmäßige Ausdehnung eines Wasserschutzgebiets als erforderlich angesehen werden kann, müssen für jede darin einbezogene Teilfläche gegeben sein (BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1984 – 4 B 157/83 und 4 B 158/83 –, BayVBl. 1984, 371). In ein Wasserschutzgebiet dürfen nur solche Grundstücke einbezogen werden, die im Einzugsbereich der zu schützenden Trinkwasserbrunnen und -quellen liegen und von denen nach den gegebenen Erkenntnismöglichkeiten aufgrund eingehender Prüfung der örtlichen Verhältnisse Einwirkungen auf das zu schützende Grundwasser ausgehen können. Der örtliche Normgeber muss die örtlichen Gegebenheiten prüfen und sich hierbei auf wasserwirtschaftliche und hydrogeologische Erkenntnisse stützen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die genauen Grenzen des erforderlichen Wasserschutzgebiets bzw. der einzelnen Schutzzonen oft selbst bei größter Sorgfalt und genauer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse nur annähernd umreißen lassen. Solche Erkenntnislücken betreffen die Verhältnisse im Untergrund und sind mit verhältnismäßigen, dem konkreten Konflikt angemessenen, zumutbaren Aufwand nicht zu schließen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn sich die zuständige Behörde bzw. der Verordnungsgeber bei einer näheren Abgrenzung des Schutzgebiets und seiner Zonen mit wissenschaftlich fundierten, in sich schlüssigen Schätzungen begnügt, soweit diese auf wasserwirtschaftlichen und hydrogeologischen Fakten beruhen, und sich bei der Grenzziehung an in der Natur äußerlich erkennbaren Linien und an topografischen Gegebenheiten orientiert (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Mai 2008 − 1 C 10511/06.OVG –, juris).
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Bei der Abgrenzung kommen den durch Runderlass des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten vom 12. Juni 1963 (MinBl., S. 657) für verbindlich erklärten „Richtlinien für die Einrichtung von Schutzgebieten für Trinkwassergewinnungsanlagen (Trinkwasserschutzgebieten)“ von 1953 (jetzt: die als Arbeitsblatt W 101 veröffentlichten „Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete“ von 2006) des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) e.V. – DVGW-Arbeitsblatt W 101 – eine wesentliche Bedeutung zu. Diese Richtlinien weisen keine Rechtsnormqualität auf. Sie stellen lediglich technische Regeln dar, die jedoch kraft eines qualifizierten Erfahrungsschatzes als „antizipierte Sachverständigengutachten“ bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zugrunde gelegt werden können (siehe OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 1989 − 10 C 42/88.OVG –, NVwZ-RR 1990, 126 m.w.N.). Danach sind Wasserschutzgebiete grundsätzlich in drei Zonen einzuteilen: den Fassungsbereich zum unmittelbaren Schutz der Fassungsanlage (Zone I), die engere Schutzzone (Zone II) zur Abhaltung vor allem von Verunreinigungen durch pathogene Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Viren, Parasiten und Wurmeier) und die weitere Schutzzone (Zone III) zur Vermeidung weitreichender Beeinträchtigungen, insbesondere von nicht oder nur schwer abbaubaren chemischen oder radioaktiven Verunreinigungen. Vor diesem Hintergrund wird der mit der Ausweisung eines Wasserschutzgebiets verfolgte Zweck grundsätzlich dann in geeigneter Weise erreicht, wenn die Maßnahme den Richtlinien entspricht oder aber eine Abweichung durch erkennbare, sachlich gebotene Gründe angezeigt erscheint.
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Die Antragstellerin kann weder mit Erfolg geltend machen, der Antragsgegner habe zu Unrecht das östliche Rheinufer als Grenze des Wasserschutzgebiets festgesetzt, noch sich darauf berufen, bei der Abgrenzung der beiden Schutzzonen II und III seien im Übrigen hier relevante Rechtsfehler begangen worden.
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aa) Der Umstand, dass das Schutzgebiet an den Rhein grenzt, stellt seine Schutzfähigkeit nicht in Frage. Dies folgt zweifelsfrei nicht nur aus den fachbehördlichen Stellungnahmen des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 17. Oktober 2011 und vom 30. April 2013, sondern auch aus den beiden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T... vom 14. Januar und vom 16. April 2015 sowie seinen mündlichen Erläuterungen im Verhandlungstermin vor dem Senat.
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Demzufolge sind die Brunnen im Wasserwerk „Goldene Meile“ in den wasserdurchlässigen, ca. 20 m mächtigen Kiesen und Sanden der Niederterrasse des Rheins verfiltert. Der größte Teil des nutzbaren Dargebotes stammt an diesem Standort südlich der Ahrmündung aus dem Uferfiltrat des Rheins. Die klimatisch und fördertechnisch erzeugten Höhenunterschiede zwischen den Wasserspiegeln im Rhein und im Niederterrassengrundwasserleiter lösen im Fall des Wassergewinnungsgebietes Niederau eine Influenz aus, deren Ausmaß durch die hydraulische Durchlässigkeit der Sohl- und Böschungsschichten des Flusses und der angrenzenden Terrassenablagerungen gesteuert wird. Im Nachgang zu einem Unfall in der Chemieanlage der Firma Sandoz im Jahr 1986 wurde ein Verbund-forschungsvorhaben zur Sicherheit der Trinkwassergewinnung aus Rheinuferfiltrat durchgeführt, dessen Ergebnisse von H. Sontheimer 1991 publiziert wurden. Daraus ergeben sich auch auf die Brunnen im Wasserwerk Niederau übertragbare Resultate:
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Die Infiltration des Rheinwassers erfolgt meist in einem breiten Infiltrationsbereich im Bereich des Hauptstromstriches; der geringste Anteil fließt über die Uferböschung in den Grundwasserleiter. Dadurch wird bei der Vermischung unterschiedlich alter Infiltratanteile bereits in unmittelbarer Flussnähe ein Konzentrations-ausgleich ausgelöst. Durch die geologisch bedingten Schichtungsunterschiede in einem pleistozänen Terrassenaquifer kommt es darüber hinaus zu unterschied-lichen Fließzeiten zu den Brunnen. Die Ankunft verschiedener alter und beschaffener Wässer am Brunnen erhöht die Effizienz des Konzentrationsausgleichs. Aufgrund der unterschiedlichen standörtlichen und räumlichen Durchlässigkeiten der geologischen Schichten unterstützt die Dispersion außerdem diesen Ausgleich. Ferner wirken in der Bodenpassage Adsorptions- und Assimilationsvor-gänge auf den Prozess des biologischen Abbaus von gut eliminierbaren Stoffen ein. Die unmittelbare Infiltrationszone im Flussland stellt sich insgesamt als laufend selbstreinigender „Langsamfilter“ dar, in dem Feststoffe und Kolloide sowie Mikroorganismen festgehalten, organische Wasserinhaltsstoffe mikrobiell oxidiert und schließlich eliminiert werden. Diese Abbauprozesse sind nach wenigen Metern Fließstrecke für die überwiegende Anzahl der organischen Stoffe abgeschlossen. Ein weiterer Faktor für den Konzentrationsausgleich ist die Mischung von Uferfiltrat und landseitigem Grundwasser, das aus der Grundwasserneubildung und aus Zuflüssen tributärer Einzugsgebiete stammt. Hierbei ist häufig die Belastung des landseitigen Grundwassers mit bestimmten Wasserinhaltsstoffen, wie z. B. Nitrat oder Sulfat (Härte), aufgrund vielfältiger Einflüsse durch die Landnutzung und Besiedlung größer als im Uferfiltrat.
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Belegt wurden diese Ergebnisse durch Untersuchungen an Grundwasser-messstellen und Brunnen rheinnaher Wasserwerke in Nordrhein-Westfalen, im Labor des DVGW-Technologiezentrums Wasser in Karlsruhe sowie durch Modellrechnungen der dortigen Universität. Hinzu kommen noch Langzeitmessungen des Chloridgehalts im Rhein, der durch den werktäglichen Rhythmus der Ein-leitung kalisalzhaltiger Wässer hervorgerufen wird. In diesem Kontext stellte Sontheimer fest, dass in rheinnahen Grundwassermessstellen der typische FünfTagewoche-Gang der Chloridgehalte, der im Rhein noch eindeutig identifizierbar ist, im Uferfiltrat nicht mehr nachgewiesen werden kann. Da Chlorid als konservativer Tracer nicht abgebaut, sondern nur verdünnt werden kann, eignet sich dieser Wasserinhaltsstoff typischerweise für eine verallgemeinerungsfähige Betrachtung von Konzentrationsausgleichsprozessen.
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Die starke Dämpfung dieser Konzentrationssignale bestätigt auch die Beobachtungen, die bei der Stoßbelastung in Folge des Chemieunfalls bei der Firma Sandoz gemacht wurden. Es wurde, unterstützt durch Modellrechnungen mit Worst-Case-Szenarien, abgeleitet, dass bei zeitlich begrenzten Stoßbelastungen, wie Chemieunfällen oder Tankerunglücken auf dem Rhein, die Misch- und Ausgleichsvorgänge nicht nachhaltig gestört oder ausgesetzt werden. Zum Durchbruch von Anteilen einer Störstoffkonzentration aus dem Fluss in den brunnennahen Grundwasserleiter kann es nur bei Dauerbelastungen und bei Belastungen mit Chemikalien kommen, die in der Bodenpassage nicht vollständig abgebaut werden (z. B. organische Sporenstoffe, sog. Xenobiotika, wie Arzneimittelrückstände etc., etwa aus undichten Kanälen oder Kläranlagenabläufen). Daher liegt das Hauptaugenmerk beim Wasserschutz von Uferfiltratwasserwerken und bei der Wasseraufbereitung dort auf den schwer oder langsam abbaubaren organischen Stoffen.
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Für den Wasserschutz am Wasserwerk Niederau bedeutet dies nach den einleuchtenden und vom Senat geteilten Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass hier durch die Nähe zum Rhein und den damit verbundenen Prozess der Uferfiltration keine besonderen Gefährdungen des Trinkwassers zu besorgen sind, was durch die vorliegenden Wasseranalysen aus den Brunnen bestätigt wird.
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Die gegen diese fachliche Bewertung gerichteten Rügen greifen nicht durch.
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Soweit die Antragstellerin im Hinblick auf die östliche Abgrenzung der Zone II beanstandet, es werde die nach Nr. 4.3.1 DGVW-Arbeitsblatt W 101 als äußeres Bemessungskriterium zugrunde zu legende 50-Tages-Linie nicht eingehalten, ist sie mit diesem Vorbringen bereits präkludiert.
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Davon abgesehen wird insoweit nicht hinreichend in Rechnung gestellt, dass bei komplexen hydrogeologischen Verhältnissen Ersatzkriterien herangezogen werden können (vgl. Nr. 4.1 DVGW-Arbeitsblatt W 101). Solche Ersatzkriterien sind zum Beispiel mächtige Überdeckungen oder geologische Schichten mit einem bestimmten Retentionspotential für mikrobiologische Partikel. Im vorliegenden Fall der Wassergewinnungsanlage Niederau ist dies gerade – wie der gerichtliche Sachverständige plausibel dargelegt hat − die Uferfiltratzone des Rheins, in der nach Sontheimer der wesentliche Abbau von Stoffen und die Zurückhaltung von Partikeln stattfinden. Die Grenzziehung der Zone II bis an den Rhein widerspricht deshalb in keiner Weise den Vorgaben des technischen Regelwerks und ist dementsprechend als regelkonform zu bezeichnen. Schon aus diesen Gründen überzeugt die Argumentation der Antragstellerin mithin nicht. Jedenfalls rechtfertigen die im Gutachten angeführten Erwägungen eine Abweichung von den Grundsätzen des Arbeitsblatts.
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Der vorstehenden Einschätzung steht weiterhin nicht entgegen, dass die das Grundwasser überdeckenden Schichten der Niederterrasse eine geringe Mächtigkeit und eine hohe Durchlässigkeit haben. Insofern hat der Sachverständige überzeugend erläutert, dass die sog. Deckschichten – als geologische Ablagerungen über dem Terrassengrundwasserleiter – nur dann als Abgrenzungskriterium für die Zonen II und III herangezogen werden können, wenn sie eine reduzierte Durchlässigkeit gegenüber dem Grundwasserleiter aufweisen, wovon hier aber nicht auszugehen ist. Insofern besteht ein Unterschied zwischen dem Prozess der Uferfiltration und der Schutzwirkung der Kolmationsschicht auf der einen und der Funktion der Deckschichten auf der anderen Seite. Beim erstgenannten Fall handelt es sich, wie angesprochen, um einen langsamen Filterprozess, der stetig abläuft, während der zuletzt genannte Tatbestand durch eine periodische Sickerwasserbildung gekennzeichnet ist, die durch den Niederschlag und die Durchlässigkeit der Böden gesteuert wird (unstetiger Prozess). Ein Wasseraustausch findet primär über die Gewässersohle in der Fahrrinne bzw. über die Uferpassage statt. Die Filtrationswirkung der Kolmationsschicht am Flussufer darf deshalb nicht verwechselt werden mit der Barrierewirkung grundwasserüberdeckender Schichten oberhalb des Terrassengrundwasserleiters.
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Vor allem musste die Schutzgebietsgrenze aus fachlicher Sicht nicht auf der rechten Uferseite angesetzt werden. Allerdings existiert nach den Erläuterungen des Gutachters Prof. Dr. T… am Niederrhein eine Praxis, auch die Uferbereiche oder Teile des Flusses mit in eine Schutzzone einzubeziehen. Hierbei gehe es in der Regel um eine 50 m breite Zone bezogen auf die Mittelwasserlinie, die mit Ankerverboten belegt sei. Begründet werde dies mit der Vorsorge zur Vermeidung einer Beschädigung der Kolmationsschicht durch Schiffsschrauben oder Schiffsbewegungen (Wellengang). Die Ausweisung einer solchen „Sonderzone Rhein“ basiere auf den besonderen schifffahrtstechnischen Randbedingungen und den Mäanderschleifen in der Industriezone Rhein-Ruhr (Warteposition von Schiffen). Eine vergleichbare Situation besteht im vorliegend zu beurteilenden Rheinuferbereich mangels möglicher Ankerplätze indes nicht.
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bb) Die mit der Antragsbegründung gegen die räumliche Abgrenzung der Schutzzonen II und III weiterhin vorgebrachten Argumente sind ebenfalls nicht stichhaltig.
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(1) Soweit die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren die Ausdehnung der Schutzzone II in Frage stellt, ist sie mit ihrem Vortrag präkludiert. Aber auch in der Sache sind ihre Rügen unberechtigt.
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Dass der Antragsgegner bei der Modellierung der Schutzzone und der Errechnung des Wasserbedarfs mit mehr als 7 Millionen m³ pro Jahr eine zu hohe Ent-nahmemenge angenommen haben soll, ist nicht richtig. Interne Berechnungen im Vorfeld weisen lediglich im Hinblick auf eine nachhaltige wasserwirtschaftliche Vorsorge für die gesamte umliegende Region unter Einbeziehung der Bedürfnisse der umliegenden Gebietskörperschaften Remagen, Grafschaft, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Zweckverband Eifel-Ahr und Wasserversorgungszweckverband Maifeld-Eifel einen derartigen Bedarf aus (vgl. E-Mail des Referenten für Grundwasser und Wasserversorgung bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord vom 26. Februar 2008). Die Bedürfnisse der benachbarten Körperschaften wurden jedoch nicht realisiert und flossen damit auch nicht in die Überlegungen des Antragsgegners ein (vgl. dazu auch die negativen Antworten der zuletzt genannten Träger der Wasserversorgung auf die Abfrage eines möglichen Bedarfs aus der zweiten Jahreshälfte 2008). In Ansatz gebracht wurde tatsächlich ein zukünftiger Wasserbedarf für das geplante Versorgungsgebiet in Höhe von maximal 2,3 Millionen m³ pro Jahr. Dieser errechnet sich im Wesentlichen aus einer angestrebten Entnahme von 1,92 Millionen m³ pro Jahr und einem Zuschlag von 20 Prozent, um höhere Spitzenentnahmen im Sommer zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen die fachtechnische Begründung vom März 2010 in Anlehnung an die Grundlagendaten des Modells der Firma H... (H...); siehe auch die Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Dass der Antragsgegner versucht haben könnte, unter Anwendung von Worst-Case-Annahmen eine zu groß bemessene Schutzzone II zu rechtfertigen, lässt sich nicht feststellen. Die Abbildung verschiedener, auch ungünstiger hydraulischer Zustände wurde nicht zur Herleitung einer überdimensionierten Ausdehnung dieser Zone verwandt, sondern diente vielmehr der notwendigen Abbildung und vollständigen Erfassung der wechselhaften Strömungszustände. Zu diesem Zweck mussten namentlich auch die Pegelstände des Rheins und der Ahr mitbetrachtet werden, da sie als Modellränder benötigt wurden. Vor allem sind die Einflüsse der Wasserstände des Rheins auf die hydraulischen Zustände prägend und durften daher nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich lagen aus dem Untersuchungsgebiet Porösitätswerte anhand ungestörter Bodenproben kaum vor und konnten deshalb, wie die sog. Leakage-Werte, vielfach lediglich abgeschätzt werden (vgl. zu allem Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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Im Einzelnen plausibel und nach den Vorgaben des DVGW-Arbeitsblatt W 101 begründet ist auch die südliche Ausdehnung der Zone II. Ausgangspunkt der Grenzziehung war insoweit eine geohydrauliche Betrachtung, die eine berechnete theoretische Abstandsgeschwindigkeit von 260 m pro 50 Tage ergab. Nach der sog. Zylinderformel wurde die 50-Tages-Linie sodann in einem mittleren Abstand von 224 m angesetzt (vgl. fachtechnische Begründung, S. 33, 35). Jedoch waren neben den theoretischen Bemessungen durch die Modellsimulation (Einhüllende) und der überschlägigen Plausibilitätsprüfung mit der Zylinderformel die geologischen Verhältnisse mit Rinnenstrukturen und ähnlichen Heterogenitäten des Untergrundes zu berücksichtigen. Allen vorangegangenen rechnerischen Ermittlungen des Antragsgegners lag nämlich denknotwendig die Annahme zugrunde, dass flächendeckend gleichmäßige Untergrundverhältnisse vorherrschen. Die Auswertung von ca. 80 vorhandenen Bohraufschlüssen hat jedoch eindeutig belegt, dass im Untersuchungsgebiet eine Rinnenstruktur im Untergrund besteht, die den früher direkt nach Norden gerichteten Flussverlauf nachzeichnet (vgl. S. 13 der fachtechnischen Begründung).
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Weiter ist davon auszugehen, dass diese Rinnen, die nicht genau lokalisierbar sind, erhöhte Durchlässigkeiten aufweisen (vgl. Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013 und des Antragsgegners vom 17. Juli 2013). Gemäß Nr. 4.3.1 Abs. 6 DVGW-Arbeitsblatt W 101 ist eine Vergrößerung der Zone II zur Erreichung des hygienischen Schutzschilds bei Hinweisen auf heterogene Strukturen im Grundwasserleiter mit besonders hochduchlässigen Fließwegen, wie hier, indes notwendig. Dass eine Vergrößerung der Zone II nur bei einer Bestimmung der 50-Tage-Linie durch Markierungsversuche in Betracht kommt, ist den Richtlinien nicht zu entnehmen. Die Vergrößerung einer abgeschätzten bzw. errechneten oder nummerisch modellierten 50-Tage-Linie ist, wenn erforderlich, nicht allein auf der Grundlage von Tracer-Versuchen möglich. Das technische Regelwerk bestimmt nur für den Fall einer solchen Ermittlung die weitere Vorgehensweise (vgl. Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013). Andere Methoden, wie wissenschaftlich begründete Modellsimulationen, werden dadurch nicht ausgeschlossen.
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Entscheidend ist regelmäßig die Erreichung des Schutzziels. Weist der Untergrund aufgrund in sich stimmiger fachbehördlicher Aussagen eine erhöhte Durchlässigkeit auf, so ist es sachlich geboten, diesem Umstand durch eine größere Ausdehnung der Zone II Rechnung zu tragen. Nach allem ist die Annahme der Antragstellerin, die Schutzzone reiche über die 50-Tage-Linie hinaus, irrig, da nicht die Schutzzone II über diese Linie vergrößert wurde, sondern die lediglich modelltechnisch ermittelte 50-Tage-Linie selbst aufgrund der hydrogeologischen Gegebenheiten (modelltechnisch nicht abbildbare Heterogenitäten) vergrößert werden musste (vgl. Landesamt für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
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(2) Die Bestimmung der weiteren Grenzen der Zone III des Wasserschutzgebiets genügt ebenfalls den fachlichen Anforderungen. Dies gilt namentlich für die Erweiterung nach Süden.
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Nach dem technischen Regelwerk (DVGW-Arbeitsblatt W 101 Nr. 4.4) reicht die Zone III in der Regel bis zur Grenze des unterirdischen Einzugsgebiets der Wassergewinnungsanlage. Oberirdisch dort hinein entwässernde Flächen können zusätzlich einbezogen werden. Der Abgrenzung sind grundsätzlich die wasserrechtlich genehmigte Jahresentnahme und die langfristig mittleren hydrologischen Ver-hältnisse zugrunde zu legen. Kann das unterirdische Einzugsgebiet bei komplexen hydrogeologischen und hydraulischen Verhältnissen nicht sicher abgegrenzt werden, sind bei der Abgrenzung des Einzugsgebiets der Fassungsanlage begründete Näherungslösungen heranzuziehen. Bei stark schwankenden Grundwasserständen ist zur Bemessung des Grundwasserschutzgebiets zu untersuchen, ob statistische Werte für niedrige und hohe Grundwasserstände Berücksichtigung finden müssen. Dabei sind hydrologisch extreme Verhältnisse nur dann bei der Einzugsgebietsabgrenzung in Ansatz zu bringen, wenn das Grundwasser aus zum Beispiel nur temporär in das Einzugsgebiet entwässernden Bereichen die Fassungsanlage tatsächlich erreicht.
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In der Regel nimmt die Gefährdung des zu fördernden Grundwassers bei zu-nehmender Verweilzeit ab, weshalb je nach Standortbedingungen eine Unter-teilung der Schutzzone III in die Zonen III A und III B vorgenommen werden kann. Ggf. kommen auch weitere Unterteilungen in Betracht. Nach dem technischen Regelwerk ist die Unterteilung der Zone III in einer bestimmten Entfernung von der Fassungsanlage vor allem für Fassungen mit einem schmalen, langestreckten Einzugsgebiet mit gut bestimmbarer Einströmrichtung geeignet. Bei einer starken Variation der Fließzeiten von Punkten mit gleichem Abstand zur Fassung kann die Orientierung der Grenze der Zone III A/B anhand von Isochronen (Linien gleicher Fließgeschwindigkeit des Grundwassers im Untergrund; vgl. auch die vorgenannten 50-Tage-Linien) erfolgen. Welche Isochrone der Abgrenzung der Zone III A zugrunde gelegt wird, ist hier allerdings – anders als bei der Abgrenzung der Zone II – nicht durch das Regelwerk vorgegeben, sondern muss im Einzelfall begründet entschieden werden (so zusammenfassend Gutachten Prof. Dr. T… vom 14. Januar 2015).
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Davon ausgehend ist vorliegend in Rechnung zu stellen, dass das unterirdische Einzugsgebiet der Wassergewinnungsanlage Niederau durch den zusammen-hängenden und flächig verbreiteten Porengrundwasserleiter der Niederterrasse dominiert wird. Nach Norden erfolgte die Abgrenzung anhand der 10-Jahres-Isochronen für mittlere und hydraulisch trockene Verhältnisse, da hier gemäß den Modellrechnungen keine räumliche Varianz der Isochronen auftrat (Ausbildung einer quasi-stationären Trennstromlinie). Nach Westen erweiterte man die Zone um das oberirdische Einzugsgebiet, soweit es durch kanalisierte Ableitungen in den Rhein hydraulisch nicht von der Niederterrasse entkoppelt ist. Nach Süden dehnte der Antragsgegner die Zone schließlich bis zum Südrand der Nieder-terrasse südlich von Bad Breisig über die im Norden angesetzte 10-Jahres-Isochrone des instationären Modells der Firma H… aus (siehe Gutachten Prof. Dr. T… vom 14. Januar 2015).
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Die zwischen den Beteiligten umstrittene Vergrößerung des unterirdischen Einzugsgebiets in südlicher Richtung ist nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme von fachlichen Grundsätzen gedeckt und hält sich daher ebenfalls im Rahmen des dem Antragsgegner zustehenden Gestaltungsspielraums.
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Dass der Antragsgegner nicht alle einschlägigen Regelungen des DVGW-Arbeitsblattes W 101 konsequent umgesetzt und zutreffend angewendet hat, ist unschädlich.
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Der gerichtliche Sachverständige weist insofern darauf hin, dass die Verwendung einer angenommenen 10-Jahres-Isochrone, die eine zeitlich definierte Abfolge extremer Trockenwettersituationen, wie im Jahr 2003 real gemessen, simulieren sollte, als Grundlage für die Abgrenzung des unterirdischen Einzugsgebiets aus wissenschaftlicher Sicht nicht konsistent sei. Denn die Wahl eines 10-Jahres-Zeitraums sei wissenschaftlich weder durch die Daten der vergangenen Niederschlagsjahre noch durch die Modellprognosen der aktuellen Klimaforschung abgesichert. Hinzu komme, dass die in der fachtechnischen Begründung der Firma W… und B… und im Schreiben des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013 angeführten LHKW- und Chloridnachweise im inzwischen aufgelassenen Wasserwerk „Am Maar“ keine wissenschaftlich verwertbaren Datengrundlagen für eine tatsachenorientierte Abgrenzung der südlichen Schutzzone III darstellten. Es handle sich um qualitative Hinweise, die lediglich eine Süd-Nord-Verlagerung im sich nach Norden erweiternden Talaquifer indizierten. Eine tatsächliche Ankunft dieser Stoffe in den Brunnen Niederau sei damit nicht vorhersehbar oder ableitbar.
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Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Ausweisung der Schutzzone III im Ergebnis keine Rechtsverletzung beinhaltet. Denn es besteht gleichwohl eine empirische, hydrogeologisch begründbare Möglichkeit, dass das Grundwasser bei bestimmten Rheinwasserständen und Neubildungsverhältnissen, die nicht vorhersehbar sind, die Fassung der Wassergewinnungsanlage erreicht. Wegen der angesprochenen großmächtigen Überdeckung des Einzugsgebiets der Brunnen Niederau mit gering durchlässigen, retardierend wirkenden Deckschichten dringt bei einem Hochwasserereignis nämlich breitflächig Uferfiltrat in den Terrassenkörper von Süden nach Norden ein, das je nach Ereignis den gesamten Terrassenkörper des Rheins bis zum Festgebirgsrand im Westen ausfüllen kann. In den dadurch bedingten instationären Verhältnissen ist es unmöglich, dass sich ein stabiler Trennstromfaden im Terrassenkörper ausbildet. Dies hat zur Folge, dass der gesamte Terrassenkörper potentiell als Einzugsgebiet fungiert. Die Uferfiltratschicht wird im Hochwasserfall indes durch die Überflutung der Rheinaue problemlos überwunden. Da dadurch die Schutzfunktion der Uferfiltratschicht unwirksam wird, muss der Grundwasserschutz in der Fläche des Terrassenkörpers realisiert werden. Der Hochwasserfall stellt somit für den Terrassenaquifer diejenige Randbedingung dar, die für die Abgrenzung der Zone III maßgeblich ist. Da der Rheinhochwasserfall statistisch gesehen häufiger vorkommt als extreme Trockenperioden, ist eine Wahrscheinlichkeit gegeben, dass ein einmal in den Aquifer eingespeistes Wasserteilchen aus dem Süden im Norden an den Brunnen der Wassergewinnungsanlage Niederau ankommen kann. Ein Rückfluss in den Rhein ist vor allem aus den talrandparallelen Strömungen in den rheinferneren Rinnenstrukturen innerhalb der Terrassenablagerungen im Gegensatz zu den rheinnahen Aquiferbereichen nicht zwangsläufig zu erwarten (so im Einzelnen überzeugend Gutachten Prof. Dr. T… vom 15. Januar und 16. April 2015).
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Der Vorwurf der Antragstellerin, der Sachverständige habe in der Stellungnahme vom 16. April 2015 einen kompletten Begründungsaustausch vorgenommen, wenn er nunmehr im Gegensatz zu seinen Ausführungen im Gutachten vom Januar 2015 behaupte, dass nicht Trockenperioden, sondern Hochwasserfälle das eigentliche Problem seien, ist unzutreffend (vgl. Gutachten vom 15. Januar 2015, S. 41, 42).
- 67
Auch bedurfte es keiner näheren Untersuchung des Gutachters zum Vorliegen eines Hochwasserfalls, da dieser über eine ausreichendes Erfahrungswissen verfügt, um zum Beispiel die Zahl der Hochwasserereignisse abzuschätzen. Weshalb hier eine Überarbeitung der Grundwassermodelluntersuchung notwendig gewesen sein soll, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht. Davon abgesehen würde der von weitergehenden Untersuchungen ausgehende Erkenntnisgewinn in keinem angemessenen Verhältnis zu den anfallenden Kosten stehen.
- 68
Die Behauptung, dass der nördlich des Wasserwerks „Am Maar“ in Ost-West-Richtung verlaufende und im Bereich der Niederterrasse versickernde sog. Simmerbach (andere Bezeichnungen: „Tiefpfad“ bzw. „Im Teufelsteingraben“; vgl. fachtechnische Begründung, S. 51) eine Sperrwirkung auf voller Breite der Niederterrasse entfalten soll, ist zu unsubstantiiert, um diesem Einwand näher nachzugehen. Darüber hinaus hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Bach zwar die Grundwasserfließrichtungen im Terrassengrundwasserleiter beeinflusse, der Einfluss aber gegenüber dem Rhein, der aufgrund seiner größeren Wassermenge und Fließdynamik einen höheren hydrostatischen Druck auf den Grundwasserleiter ausübe, gering sei.
- 69
Soweit die Antragstellerin ferner anführt, der Sachverständige sehe die getroffene Abgrenzung keineswegs als zwingend an, wird übersehen, dass allein maßgebend ist, ob insofern fachliche Grundsätze beachtet worden sind, wovon hier gerade auszugehen ist.
- 70
Die Einbeziehung oberirdischer in das Einzugsgebiet entwässernder Flächen erfolgte ebenfalls rechtfehlerfrei (vgl. fachtechnische Begründung, S. 46 ff.). Für die in diesem Zusammenhang von der Antragstellerin erhobene Rüge, es hätte auch der Rhein nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, da dieser Wechselwirkungen entfalte und von der Niederterrasse hydraulisch nicht abgekoppelt werden könne, besteht kein Raum. Aus den im Einzelnen aufgezeigten Gründen sind solche Wirkungen nicht festzustellen.
- 71
Präkludiert und darüber hinaus unerheblich sind die von der Antragstellerin vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit der Festsetzung der nördlichen Grenze der Schutzzone III, die der Antragsgegner ebenfalls in Übereinstimmung mit fachtechnischen Grundsätzen definiert hat. Dass diese im Vergleich zur bisherigen Ausdehnung des Schutzgebiets nicht mehr bis zur Ahr reicht, beruht auf neueren hydrogeologischen Erkenntnissen, die in der Modellierung der 50-Tages-Linie durch das Abgrenzungsgutachten ihren Niederschlag gefunden haben (siehe S. 32 der fachtechnischen Begründung; vgl. auch die mündlichen Erklärungen des Sachverständigen Prof. Dr. T… in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat).
- 72
c) Des Weiteren sind die in der Rechtsverordnung enthaltenen Schutzanordnungen rechtmäßig.
- 73
aa) Vorweg ist auch insoweit klarzustellen, dass die Ermächtigung zu einer Normsetzung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG keine konkreten, sondern typische Gefährdungssachverhalte erfasst, die erfahrungsgemäß zu Schäden führen können. Beschrieben wird also ausschließlich ein abstrakter Gefährdungstatbestand. Zwar kann nicht pauschal auf die Hinweise im DVGW-Arbeitsblatt. W 101 zurückgegriffen werden, eine Einzelfallprüfung, ob die darin aufgestellten Kriterien auch auf das Untersuchungsgebiet zutreffen, bleibt deshalb notwendig (vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 22. April 1993 – 8 N 2/92 –, juris; gleichlautend Beschluss vom selben Tag – 8 N 3/92 –, ZfW 1994, 297). Diese Prüfung erfolgt aber wiederum nicht unter der Fragestellung, ob eine konkrete Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt anzunehmen ist, sondern anhand des vorbeschriebenen abstrakten Gefahrenbegriffs.
- 74
Überlegungen der Antragstellerin, das Vorliegen eines abstrakten Gefährdungspotentials im Rahmen eines von ihr sogenannten Drei-Stufen-Modells (vgl. Schriftsatz vom 9. Juli 2013) lediglich als Ausgangspunkt anzusehen (1. Stufe) und anschließend zu untersuchen, ob dieses sich zu einer „mehr oder weniger“ konkreten Gefahr verdichtet hat (2. Stufe) bzw. unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Beschränkung notwendig ist (3. Stufe), sind demgegenüber nicht tragfähig. Die Antragstellerin übersieht, dass eine Rechtsverordnung ihrem Rechtscharakter gemäß lediglich generelle Regelungen treffen kann, so dass der Normgeber gezwungen und berechtigt ist, sich verallgemeinernd am Regelfall zu orientieren. Die Verallgemeinerungen müssen in diesem Zusammenhang auf einer möglichst weiten Beobachtung, die alle betroffenen Regelungstatbestände einschließt, aufbauen. Nur auf diese Weise kann ein möglichst lückenloser Schutz des Grundwassers überhaupt gewährleistet werden. Fehlende konkrete Gefährdungspotentiale sind ggf. im Rahmen der Prüfung einer Befreiung nach § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG zu berücksichtigen.
- 75
An die sich daraus ergebenden Voraussetzungen hat sich der Antragsgegner gehalten, da die Festlegung der im Einzelnen untersagten Einrichtungen, Handlungen und Vorgänge auf der Grundlage der fachlichen Beurteilung der örtlichen Verhältnisse vorgenommen wurde (vgl. S. 1 des Verbotskatalogs vom Oktober 2011). Nur diese sind hier maßgebend. Ob die in anderen Wasserschutzgebieten ausgesprochenen Verbote differenzierter oder weniger belastend ausgestaltet sind, ist unerheblich.
- 76
bb) Der Antragsgegner hat ferner nicht dadurch inkonsequent oder sachwidrig gehandelt, dass bestehende und abstrakt gefährliche Anlagen von den Verboten ausgenommen worden sind (vgl. § 4 der Rechtsverordnung – RVO −). Eine bereits vorhandene Ortsbebauung oder Nutzung durch abstrakt gefährdende Anlagen schließt es nicht aus, weitere Gefährdungspotentiale für die Trinkwasserversorgung durch zusätzliche Verbote zu verhüten (vgl. BayVGH, Urteil vom 25. Januar 2008 − 22 N 04.3471 –, juris). So verhält es sich hier.
- 77
In der wasserwirtschaftlichen Stellungnahme vom 31. Oktober 2011 wurde abschließend eine zusammenfassende Bewertung mit dem Ergebnis vorgenommen, dass die bestehenden störenden Anlagen der Festsetzung des Wasserschutzgebiets nicht entgegenstehen. Zu diesem Zweck hat der Antragsgegner namentlich die im Wasserschutzgebiet ansässigen Betriebe nach der Landesverordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe – VAwS-Anlagen − vom 1. Februar 1996, soweit möglich, ermittelt und im Rahmen der Gefährdungsabschätzung nach abstrakt-generellen Kriterien rechtsfehlerfrei bewertet (vgl. Ordner I, Texte, IU.7).
- 78
Deswegen ist es nicht willkürlich, wenn die Rechtsverordnung etwa die Errichtung von neuen Abwassersammelgruben selbst in der Schutzzone III verbietet (vgl. Nr. III.21 RVO), für die vorhandene Grube eines Wassersportvereins in der Schutzzone II aber zumindest bis auf weiteres einen Bestandsschutz (vgl. § 4 RVO) vorsieht. Die in Nr. II.7 RVO aufgenommene Ausnahme von der Untersagung des Transports und der Lagerung wassergefährdender Stoffe im Fall der Andienung rechtmäßig bestehender Anlagen, darunter vor allem solche zum Zweck der Heizöllagerung (vgl. die Begründung im Verbotskatalog vom Oktober 2011), enthält nach allem ebenfalls keinen Rechtsverstoß. Darüber hinaus bewegt sich der Antragsgegner im Bereich einer zulässigen typisierenden Betrachtung, wenn er vom Verbot des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen im Sinne der Nr. III.22 RVO unter anderem eine Ausnahme im Hinblick auf Dieselkraftstoffe für land- und forstwirtschaftliche Betriebe macht und von einer gleichgelagerten Vergünstigung für (jegliche) gewerbliche Unternehmen absieht. Der Grad einer abstrakten Gefährdung des Grundwassers durch die in den Schutzzonen tätigen Betriebsinhaber von landwirtschaftlichen Hofstellen ist aufgrund ihrer überschaubaren Anzahl wesentlich geringer als sie wäre, wenn man generell sämtliche Gewerbebetriebe einbeziehen würde.
- 79
cc) Das gegen die rechtliche Wirksamkeit einzelner Schutzanordnungen gerichtete sonstige Vorbringen der Antragstellerin führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Namentlich ist auch keine Teilunwirksamkeit der betreffenden Regelungen gegeben.
- 80
(1) Die Planungshoheit der Antragstellerin aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch die in der angefochtenen Verordnung getroffenen Regelungen des § 3 RVO, darunter vor allem die Verbote zur Ausweisung und Erweiterung von Baugebieten (vgl. z. B. Nrn. III.2, III.16, III.35, die über Nrn. I.1 und II.1 auch in den Zonen I und II Anwendung finden), nicht unverhältnismäßig betroffen.
- 81
Die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets beschränkt die Möglichkeiten der Gemeinde, für dieses nach eigenen Vorstellungen Nutzungen bauplanungsrechtlich vorzusehen. Jedoch ist die gemeindliche Planungshoheit nicht schlechthin dagegen geschützt, dass andere Träger hoheitlicher Aufgaben Teile des Gemeindegebiets für insbesondere überörtliche Zwecke in Anspruch nehmen und dadurch einer Planung der Gemeinde entziehen. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Planungshoheit liegt nur dann vor, wenn durch das zugelassene Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte eigene Planung der Gemeinde nachhaltig gestört wird oder wenn das Vorhaben wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren kommunalen Planung entzieht; das ist nicht schon der Fall, wenn die Gemeinde lediglich bestimmte Nutzungsarten und Baugebiete nicht mehr festsetzen kann. Das Vorhaben darf ferner von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötig verbauen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2001 –4 A 12.99 –, NVwZ 2001, 1160; Beschluss vom 15. April 2003 – 7 BN 4.02 –, NVwZ 2003, 1116; Urteil vom 9. Februar 2005 − 9 A 62.03 –, NVwZ 2005, 813; Urteil vom 15. Dezember 2006 – 7 C 1.06 –, BVerwGE 127, 259; Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 7 BN 4.08 –, UPR 2009, 236).
- 82
Auch bei der Ausweisung von mehr als der Hälfte der Fläche des Gebiets einer Gemeinde als Wasserschutzgebiet kann deshalb die kommunale Planungshoheit noch zutreffend in die bei der Festsetzung vorangegangene Abwägung der Festsetzungsbehörde eingestellt sein (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. März 2000 – 1 C 12087/98.OVG –, ZfW 2000, 243). Im Übrigen sind kommunale Planungsentscheidungen und Vorstellungen der Gemeinde über die künftige Entwicklung ihres Gemeindegebiets nicht losgelöst von den natürlichen Gegebenheiten möglich, sondern haben ihnen zu folgen (BVerwG, Urteil vom 22. Juli 2004 − 7 CN 1.04 –, BVerwGE 121, 283). Zu diesen natürlichen Gegebenheiten kann auch das Vorhandensein eines Grundwasservorrats gehören, der für die öffentliche Trinkwasserversorgung nutzbar ist. Trinkwasservorkommen zählen zu den natürlichen Lebensgrundlagen, deren Schutz ebenfalls Verfassungsrang genießt (Art. 20a GG; vgl. zur Trinkwasserversorgung: BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981 – 1 BvL 77/78 –, BVerfGE 58, 300). Die Gemeinde kann insoweit einer Situationsgebundenheit unterliegen, mit der Folge, dass ihr Eingriffe, die an dieses Merkmal anknüpfen, zumutbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2003 – 4 CN 9.01 –, BVerwGE 118, 181; siehe VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2014 − 3 S 280/10 –, juris).
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Davon ausgehend ist zunächst festzuhalten, dass der Antragstellerin in dem außerhalb des Wasserschutzgebiets gelegenen Teil ihres 19,94 km² großen Gemeindegebiets die ortsplanerischen Möglichkeiten erhalten bleiben. Unabhängig davon wird ihr aber auch innerhalb des Geltungsbereichs der Rechtsverordnung nicht jede Planungsmöglichkeit genommen. So gilt ein Verbot der Ausweisung und Erweiterung von jeglichen Baugebieten nur in den Zonen I, II und III A, während in der weiträumigen Zone III B nur eine auf Gewerbegebiete bezogene Untersagung gilt. Dort können also bei Beachtung der sonstigen Vorgaben der Rechtsverordnung durchaus Wohn- und Mischgebiete entstehen und hierzu erforderliche Planungen stattfinden. In diesem Zusammenhang ist weiterhin, ohne dass es allerdings noch darauf ankommt, die Möglichkeit von Bedeutung, nach § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG, § 6 Abs. 1 RVO Befreiungen von den Verboten zuzulassen.
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Der Einwand, es handele sich hierbei um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, dessen Voraussetzungen nie vorliegen würden, weil die konkrete Ungefährlichkeit nichts am abstrakten Gefährdungspotential ändere, überzeugt nicht. Ob eine Befreiung von dem Verbot der Ausweisung neuer Baugebiete hier tatsächlich erfolgen kann, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls und hängt ggf. auch von der konkreten Ausgestaltung eines Bebauungsplans ab. So hat der Antragsgegner in der Vergangenheit etwa seine Zustimmung zum Bebauungsplan „Katharinenhof“ der Antragstellerin erteilt, wie diese an anderer Stelle selbst einräumt.
- 85
(2) Das in Nr. III.29 RVO ausgesprochene Verbot der Gewinnung von Steinen, Erden und anderen oberflächennahen Rohstoffen ist rechtmäßig. Die Formulierung basiert auf Kapitel 7 Tabelle 1 Nrn. 5.1 und 5.2 DVGW-Arbeitsblatt W 101.
- 86
Vor allem Nassauskiesungen, d. h. die Freilegung von Grundwasser, bergen ein typisches Gefährdungspotential in sich, weil Schadstoffe in den Grundwasserkörper gelangen können. Dass von den derzeit vorhandenen Gruben und Abbauten keine erkennbare Gefahr für die Wassergewinnungsanlagen Niederau (vgl. Wasser und Boden, Bewertungsmatrix, Stand Januar 2011, IU.4, Steine und Erden) ausgehen, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Damit ist allein gemeint, dass bei bestandsgeschützten Anlagen derzeit keine konkrete Gefahr besteht, worauf hier jedoch nicht ankommt. Davon abgesehen stellt der Antragsgegner zutreffend fest, dass eine Befreiung denkbar sei, wenn unter anderem ein ausreichender Mindestflurabstand zwischen der Abbausohle und der Druckoberfläche des Grundwassers vorliege sowie der oberen Wasserbehörde die mittlere Schutzfunktion der das Grundwasser überdeckenden Schichten unterhalb der Abbausohle nachgewiesen werde. Auch der „Gemeinsame Standpunkt zur Kies- und Sandgewinnung in Trinkwasserschutzgebieten (Stand: März 2007)“ der Rohstoffindustrie, des DVGW und der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) geht davon aus, dass eine Nassauskiesung allenfalls in der Schutzzone III B im Weg einer Befreiung im Einzelfall zugelassen werden kann.
- 87
(3) Des Weiteren stehen die in Nr. III.44 RVO enthaltenen Untersagungstatbestände, welche die landwirtschaftliche, gartenbauliche und forstwirtschaftliche Betriebsführung und Nutzung einschränken, sofern sie nicht grundwasserschonend unter Vorsorgegesichtspunkten betrieben werden, mit höherrangigem Recht in Einklang.
- 88
Den auf Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6 DVGW-Arbeitsblatt W 101 beruhenden Regelungen vermag die Antragstellerin aus den dargestellten Gründen nicht mit dem Vorhalt zu begegnen, das konkrete Gefahrenpotential sei nicht untersucht worden. Die abstrakte Gefahrensituation vor dem Hintergrund der Deckschichtenverhältnisse in der Niederterrasse wurde vielmehr auch hier genügend begründet. Danach rechtfertigen sich die Verbote in der Hauptsache durch die Abwehr von unsachgemäßem Dünger- und Schadstoffeintrag, insbesondere von Nitrat und Pflanzenbehandlungsmitteln, in den Untergrund und damit letztendlich in das Grundwasser. Ergänzend ist festzustellen, dass ein Zufluss pathogener Organismen aus der Schutzzone III nicht auszuschließen ist, da nicht alle Mikroorganismen (z. B. manche Viren) innerhalb von 50 Tagen abgetötet werden. Die Minimierung solcher Gefahren wird durch die entsprechenden Schutzanordnungen innerhalb der weiteren Schutzzone gleichfalls unterstützt (Stellungnahme des Landesamtes für Geologie und Bergbau vom 30. April 2013).
- 89
Die Schutzanordnungen sind außerdem inhaltlich nicht deshalb zu unbestimmt, weil – so der Vortrag der Antragstellerin − unklar bleibe, wie die Formulierung „grundwasserschonend unter Vorsorgegesichtspunkten“ zu verstehen sei.
- 90
Gesetzliche Tatbestände sind zwar so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können; welche Anforderungen an die Bestimmtheit gestellt werden müssen, lässt sich aber nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt von der Eigenart des Regelungsgegenstandes und dem Zweck der betroffenen Norm sowie davon ab, in welchem Ausmaß Grundrechte betroffen sind. Der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG steht der Verwendung unbestimmter (Rechts-)Begriffe nicht von vornherein entgegen, sondern ist erst dann verletzt, wenn es wegen der Unbestimmtheit nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen (vgl. z. B. zusammenfassend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. August 2012 − OVG 2 B 13.09 –, juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
- 91
Nr. III.44 RVO enthält eine hinreichend klare Generalklausel, die durch die mit der Einleitung „insbesondere“ versehenen Nrn. III.44.1 bis 44.8 RVO näher umschrieben wird. Diese Unterziffern definieren negativ, unter welchen Voraussetzungen jedenfalls keine grundwasserschonende Nutzung betrieben werden darf. Im Wege einer systematischen und an Sinn und Zweck der Norm orientierten Auslegung lassen sich darüber hinausgehende weitere Fälle einer verbotenen Nutzung, die einen vergleichbaren Schweregrad haben müssen, ohne weiteres ermitteln.
- 92
Bei der Festlegung von Nutzungsauflagen für die Land- und Forstwirtschaft ist der Antragsgegner ferner nicht von pauschalen Vorgaben für Anbau- oder Bewirtschaftungsverfahren im Hinblick auf die Erreichung eines bestmöglichen Gewässerschutzes ausgegangen; stattdessen wurden standortbezogene Anforderungen unter Beachtung der Kriterien des DVGW-Arbeitsblattes W 104 (Grundsätze und Maßnahmen einer gewässerschützenden Landbewirtschaftung) zugrunde gelegt. Diese finden gerade in der Tabelle 1 DGVW-Arbeitsblatt W 101 ihren Niederschlag. Weiterhin enthält der Hinweis auf einen „bestmöglichen Gewässerschutz“ ohnehin nur eine Zielbestimmung, deren Ausfüllung auf der Grundlage des zuletzt genannten Regelwerks erfolgt.
- 93
Der Umstand einer fehlenden Kontamination des Erdreichs in den vergangenen Jahren unter Geltung der bisherigen Schutzverordnung verbietet auch keine Verschärfung bestehender Regelungen aufgrund neuer fachlicher Erkenntnisse oder einer neuen fachlichen Bewertung. Eine solche Beurteilung hat der Antragsgegner beanstandungsfrei vorgenommen.
- 94
Soweit die Antragstellerin bemängelt, dass bei der Ermittlung der Schutzfunktion der Deckschicht der erste Meter fehlerhaft nicht berücksichtigt worden sei, ist dieses Vorbringen ebenfalls unbeachtlich. Eine Bewertung des obersten Meters darf nicht erfolgen, da makroskopische Störungen des Bodens, zum Beispiel durch Grabgänge oder Wurzeln, bevorzugte Wasserwegsamkeiten bilden und damit keine Schutzwirkung entfalten. Die Verwendung eines abstrakten Punktebewertungsverfahrens ist gleichfalls keinen Zweifeln ausgesetzt. Eine Erhöhung dieses Punktwerts bis auf eine mittlere Schutzfunktion aufgrund des mächtigkeitsbedingt (1 m) vergleichsweise geringen Einflusses des Schutzfunktionswertes des Bodens ist flächendeckend nicht gegeben. Dies gilt umso mehr, als die Deckschichten der Niederterrasse bereits zum Teil zerstört oder beseitigt worden sind (vgl. die überzeugenden Darlegungen des Landesamtes für Bergbau und Geologie vom 30. April 2013).
- 95
Aus dem Vorhalt der Antragstellerin, dass gemäß Nr. III.44.1 RVO ein Aufbringen von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft nach Maßgabe der Düngeverordnung zulässig, das Lagern dieses Düngers hingegen gemäß Nr. III.44.2 RVO verboten sei und damit ein Aufbringen unmöglich gemacht werde, folgt kein Normwiderspruch. Gegenstand der Nr. III.44.2 RVO ist die Lagerung von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft (Gülle, Jauche, Festmist) sowie von Gärsubstraten, fließfähigen Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln außerhalb dauerhaft dichter Anlagen. Dünger nichttierischer Herkunft kann mithin ohne weiteres im Wasserschutzgebiet gelagert werden, Dünger tierischer Herkunft in dauerhaft dichten Anlagen ebenso. Im Übrigen ist das Aufbringen von tierischem Dünger nicht unmöglich, da dieser ggf. auch außerhalb des Schutzgebiets gelagert werden kann.
- 96
Notwendig ist auch dieses Verbot wegen der hier vorhandenen Bodenverhältnisse und des damit verbundenen abstrakten Gefährdungspotentials (vgl. auch Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6.2 DVGW-Arbeitsblatt W 101). Lagerstellen, die auf Dauer eingerichtet werden, müssen generell als dauerhaft dichte Anlagen gebaut werden, da tierische Ausscheidungen Keime und wasserlösliche Stoffe enthalten, die geeignet sind, die Qualität von Grundwasser zu beeinträchtigen (siehe die Begründung im Verbotskatalog vom Oktober 2011). Dass der Antragsgegner die Verwendung tierischen Düngers in den einzelnen Schutzzonen zudem durchaus differenziert und je nach Gefährdungsgrad abgewogen hat, zeigt die Regelung in Nr. II.8 RVO (Anwendung von Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft, Gärsubstrate, Komposte und Silagesickersaft), das nur für die Zonen I und II Geltung beansprucht. Die hier gegebene Begründung (vgl. auch Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 6.1 DVGW-Arbeitsblatt W 101), insofern bestehe das Risiko, dass Krankheitserreger aus den tierischen Ausscheidungen bis zur Gewinnungsanlage gelangen können, lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen (vgl. Verbotskatalog vom Oktober 2011).
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Ein über die Untersagungen nach Nr. III.4.4 RVO hinausgehendes Verbot der baulichen Veränderung der Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe in der Zone III A gemäß Nr. III.3 RVO scheitert entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin nicht an der Erforderlichkeit. In der Zone III A besteht zwar ein weniger hohes Gefährdungspotential (vgl. Kapitel 7 Nr. 4.2 DVGW-Ab. W 101), ein Verbot ist jedoch wegen der nicht ausreichenden Schutzfunktion der Deckschichten notwendig, weil auch insoweit weitere Bauten diese Schutzfunktion beeinträchtigen können. Das verständliche Anliegen der landwirtschaftlichen Betriebsinhaber, die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Hofstellen zu sichern, muss demgegenüber zurücktreten.
- 98
Nach allem bedarf es keiner näheren Erläuterung, dass namentlich die Verbotstatbestände aus Nrn. II.2 (Errichten und Erweitern baulicher Anlagen einschließlich deren Nutzungsänderung), II.10 (Lagerung von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln), II.12 (Kompostplätze, auch häusliche Eigenkompostierung), III.6 (Tierbesatz, insbesondere Beweidung, ausgenommen im Zeitpunkt der Hauptvegetation von Mai bis Oktober), III.7 (Biogasanlagen) sowie III.26 (Waldrodung, Kahlschlag, Erstaufforstungen, Grünlandumbruch) RVO rechtlich unbedenklich erscheinen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.
- 99
(4) Schließlich ist für die von den Verbotsregelungen betroffenen Gewerbebetriebe keine günstigere Beurteilung angezeigt. Die vor allem auch insoweit gegen die Bauverbote (vgl. Nrn. II.2, III.3 RVO) vorgebrachten ergänzenden Kritikpunkte zielen im Wesentlichen darauf ab, dem Antragsgegner ein willkürliches und unverhältnismäßiges Handeln zu unterstellen, weil von einzelnen Betrieben oder Betriebssparten keine Gefahren ausgingen und deshalb generelle Errichtungs- bzw. Erweiterungsverbote unstatthaft seien. So sei beispielsweise nicht verständlich, warum Einzelhandelsbetriebe untersagt sein müssten, obwohl von ihnen nach der Liste störender Anlagen auch in der Schutzzone III A keine Gefährdungen befürchtet werden müssten. Anderen Unternehmen würde dagegen ein hohes Gefährdungspotential unterstellt, obwohl nicht nachvollziehbar sei, welche Stoffe überhaupt in welchem Umfang ins Grundwasser gelangen könnten. Dieser Argumentation ist indes zu entgegnen, dass damit erneut ein dem Normzweck von Rechtsverordnungen zuwiderlaufendes Eingehen auf die Gegebenheiten des konkreten Sachverhalts verbunden wäre, welches letztlich zu unübersichtlichen und kaum vollziehbaren Regelungen führen würde. Dass der Antragsgegner die Grenzen einer typisierenden Betrachtung der Verbote überschritten haben könnte, ist nicht ersichtlich.
- 100
Das von der Antragstellerin angegriffene und in Nr. III.10 RVO mitenthaltene Verbot der Aufstellung oder des Parkens von Wohnwagen und Wohnmobilen außerhalb dafür zugelassener oder dafür seitens der Gemeindeverwaltung bestimmter Flächen mit geordneter Schmutzwasser- und Abfallbeseitigung findet seine Rechtfertigung in Kapitel 7 Tabelle 1 Nr. 7.8 DVGW-Arbeitsblatt W 101. Aus der vorerwähnten Zustimmung des Antragsgegners zum Bebauungsplan „Katharinenhof“ können keine Rückschlüsse auf eine fehlende Erforderlichkeit des in Nr. III.10 RVO geregelten Untersagungstatbestandes gezogen werden, da es sich um einen anderen Verfahrensgegenstand handelt. Die Zustimmung wurde überdies nur unter der Maßgabe erteilt, dass die darin enthaltenen Flächen zum Abstellen von Fahrzeugen entsprechend befestigt und entwässert werden.
- 101
ee) Ferner ist auch im Übrigen eine unverhältnismäßige oder rechtswidrige Beschränkung sonstiger rechtlich geschützter Interessen nicht festzustellen.
- 102
(1) Dass der gerichtliche Sachverständige die südliche Ausdehnung der Schutzzone III, wie gezeigt, teilweise mit einer anderen Begründung gerechtfertigt hat als der Antragsgegner, bedeutet nicht, dass an die Verhältnismäßigkeit zumindest der hierfür geltenden Schutzanordnungen nunmehr zugunsten des von den Regelungen betroffenen Adressatenkreises geringere Maßstäbe angelegt werden müssen oder eine erneute „Abwägung“ zu erfolgen habe, wie die Antragstellerin meint. Dafür spricht, dass sich die Abgrenzung und somit das Vorhandensein einer abstrakten Gefährdung des Trinkwasservorkommens innerhalb der gesamten Schutzzone III im Ergebnis uneingeschränkt bestätigt hat und dieser Umstand als solcher unter gleichzeitiger Berücksichtigung der individuellen örtlichen Bodenverhältnisse, mit denen der Antragsgegner die einzelnen Verbote im Wesentlichen begründet hat, die Anordnungen im Interesse eines präventiven Grundwasserschutzes trägt.
- 103
(2) Ein erheblicher Eingriff in bestehende und bestandsgeschützte Betriebe ist nicht deshalb gegeben, weil § 4 RVO nach Auffassung der Antragstellerin rechtsfehlerhaft ist. Danach müssen für Anlagen, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung rechtmäßig bestehen und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben betrieben werden, die sich aus dieser Verordnung ergebenden strengeren Anforderungen erst nach Anordnung durch die zuständige Wasserbehörde beachtet werden.
- 104
Eine unzulässige Verlagerung auf den Vollzug der Verordnung (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 22. April 1993, a.a.O.) liegt darin nicht. Der vorstehend zitierten Entscheidung, auf die sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang beruft, lag eine Konstellation zugrunde, die mit dem vorliegend zu beurteilenden Fall nicht vergleichbar ist. Gegenstand des dortigen Verfahrens war unter anderem ein Verbot baulicher und gewerblicher Anlagen in der Schutzzone II in Ortskernen, obwohl mehrere sachverständige Stellen dies nicht für erforderlich gehalten hatten. Ein Verbot mit Dispens genügte ausweislich der Entscheidungsgründe nicht dem Übermaßverbot, weil die wasserschutzrechtliche Befreiung nur die Berücksichtigung von Sonderinteressen einzelner Eigentümer zulasse, deren Lage verschieden sei von derjenigen anderer Eigentümer (vgl. hierzu die Neufassung des § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG). Dabei war eine Übergangsbestimmung zu überprüfen, die für bestehende Einrichtungen deren Beseitigung oder Änderung auf Anordnung vorsah, wohingegen vorliegend nur die Beachtung von strengeren Anforderungen ermöglicht wird. Eine solche Regelung ist jedoch im Hinblick auf das wasserhaushaltsrechtliche Vorsorgeprinzip nicht unangemessen und darüber hinaus auch sachgerecht, da es nicht Aufgabe einer Verordnung sein kann, jeden einzelnen Bestandsschutzfall individuell-konkret zu regeln.
- 105
(3) Zu Unrecht behauptet die Antragstellerin, der Antragsgegner habe den Regionalen Raumordnungsplan Mittelrhein-Westerwald – RROP – ignoriert, der eine Weiterentwicklung des Rheintals nach dem Leitbild „Wohnen und Arbeiten in einer zukunftsträchtigen Technologie-, Dienstleistungs- und Tourismusregion“ (vgl. S. 67 RROP, G1) ebenso wie das DVGW-Arbeitsblatt W 101 fordere. Eine Berücksichtigung derartiger Gesichtspunkte war entbehrlich, nachdem bereits die Obere Landesplanungsbehörde keine Bedenken erhoben und zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass die Flächen in einem Vorrang- und Vorbehaltsgebiet für Hochwasserschutz liegen (vgl. Schreiben vom 19. April 2011). Demzufolge ist in Nr. 4.2.1 RROP (Wasser- und Hochwasserschutz) als Ziel definiert, dass entsprechende Vorranggebiete von jeglicher Bebauung freizuhalten und in den Vorbehaltsgebieten dem vorbeugenden Hochwasserschutz ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Ferner fällt ins Gewicht, dass die Sicherung und Verbesserung der Freiraumqualität unter der Vorbedingung der wasserwirtschaftlichen Verträglichkeit steht (vgl. Nr. 5.7 G6 RROP).
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(4) Schließlich sind keine Grundrechte von privaten Dritten verletzt.
- 107
Die einzelnen Regelungen beinhalten grundsätzlich keine Enteignungen zu Lasten der Grundstückseigentümer im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern stellen Be-stimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass das jeweilige Grundstück durch seine Lage und Beschaffenheit sowie die Einbettung in seine Umwelt geprägt wird. Diese „Situationsgebundenheit“ kann den Gesetzgeber zu einer Beschränkung der Eigentumsposition berechtigen, die hier wegen der überragenden Bedeutung des Gemeinwohlinteresses an einer gesicherten Trinkwasserversorgung nicht unangemessen ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981 – 1 BvL 77/78 –, BVerfGE 58, 300). Keine anderen Kriterien gelten, soweit im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in Rede steht. Dessen Schutz geht nicht weiter als derjenige, den seine wirtschaftliche Grundlage − das Grundeigentum – genießt (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981, a.a.O.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 13. April 1983 – 4 C 76.80 –, BVerwGE 67, 93).
- 108
Des Weiteren scheidet ein Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG aus. Die getroffenen Festsetzungen stellen allenfalls mittelbare Berufsausübungsregelungen dar, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gedeckt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2000 − 1 BvR 1538/98 –, juris).
- 109
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 162 Abs. 3 VwGO entsprach es der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, nachdem diese sich durch die Stellung eines Sachantrages einem eigenen Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
- 110
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 111
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.
- 112
Beschluss
- 113
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.3 analog des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [LKRZ 2014, 169]).
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.