Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 05. Feb. 2015 - 2 BV 14.1202

published on 05/02/2015 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 05. Feb. 2015 - 2 BV 14.1202
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tatbestand

Die Kl. wandte sich gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Außentreppe als zweiten baulichen Rettungsweg und die mit der Erteilung einhergehende Verpflichtung zur fristgebundenen Errichtung. Mit Bescheid vom 6.12.2007 erteilte die Bekl. der Kl. im vereinfachten Genehmigungsverfahren eine Baugenehmigung für ein Bauvorhaben, das im Betreff des Baubescheids als „Neubau einer Wohnanlage (29 WE) mit auch altengerechten Wohnungen“ bezeichnet wird. Aus den mit einem Prüfstempel versehenen Bauzeichnungen ergibt sich, dass die 29 Wohneinheiten im Erdgeschoss sowie im 1. und 2. Obergeschoss untergebracht werden sollen. Das Gebäude besteht aus einem Baukörper, der in Nord-Süd-Richtung verläuft und aus einem weiteren Baukörper, der sich nach Westen in einem 90 Grad-Winkel erstreckt. In dem von Nord nach Süd ausgerichteten Baukörper werden die Wohnungen als Altenwohnungen bezeichnet. Die übrigen Wohnungen enthalten diesen Zusatz nicht. In beiden Baukörpern ist auch eine weitere nach unten führende Treppe im Bereich eines Laubengangs eingezeichnet und genehmigt. In der Eingabeplanung wird das Bauvorhaben von der Kl. als „WAL-Wohnen in allen Lebensphasen Neubau von 29 Mitwohnungen und Gemeinschaftsraum“ bezeichnet. Im Brandschutznachweis vom 5.10.2007 ist das Vorhaben als Vorhaben mittlerer Schwierigkeit eingestuft und zur Begründung ist ausgeführt, dass es sich um ein Gebäude mit geringer Höhe handle, jedoch für eine besondere Klientel (Altenwohnungen). Daher sei durch die oberste Baubehörde im Rahmen des Modellprojekts WAL-Wohnen in allen Lebensphasen festgelegt worden, dass die Anlage im Genehmigungsverfahren als Bauvorhaben mittlerer Schwierigkeit behandelt werden soll. Zum zweiten Rettungsweg ist im Brandschutznachweis ausgeführt, dass dieser als baulicher Rettungsweg über zusätzliche Treppen geführt werden soll. Bei einer Baustellenkontrolle am 7.7.2008 stellte die Bekl. fest, dass die im westlich orientierten Baukörper vorgesehene Außentreppe entlang der nördlichen Außenwand nicht ausgeführt wurde. Wegen dieser planabweichenden Bauausführung wurde mit Bescheid vom 28.7.2008 der Bau eingestellt. Die Kl. reichte daraufhin mit Datum vom 29.7.2008 einen Tekturantrag ein, der als Betreff ua ausweist „Entfall der baulich nicht notwendigen Treppe im nördlichen Gebäudeflügel“. Mit Bescheid vom 25.2.2009 erteilte die Bekl. der Kl. die beantragte Tekturgenehmigung. Unter Nrn. 3 und 4 der Nebenbestimmungen ist festgehalten, dass die nördliche Außentreppe deshalb entfallen könne, weil nach einer Nutzungsdarstellung der Kl. im westlichen Gebäudeflügel nur normales Wohnen, also kein betreutes Wohnen iSd WAL-Projekts stattfinde, folglich dieser Gebäudeflügel keinen Sonderbau darstelle. Sollte allerdings die spätere Nutzung dem betreuten Wohnen iSd WAL-Projekts entsprechen, so müsse die nördliche Außentreppe noch hergestellt werden. Eine

gegen diese Nebenbestimmung erhobene Klage wurde durch einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen. Ermittlungen der Bekl. ergaben, dass in den beiden Erdgeschosswohnungen im hier maßgeblichen westlichen Gebäudetrakt Eheleute bzw. eine Alleinerziehende mit insgesamt fünf Kindern wohnen. Die Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss waren zum Stichtag 20.10.2011 mit Bewohnern belegt, deren Lebensalter zwischen 74 und 84 Jahren lag. Mit Bescheid vom 21.10.2011 verpflichtete die Bekl. die Kl. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, am Westflügel der Wohnanlage entweder einen zweiten baulichen Rettungsweg (als Treppe) gem. den mit Bescheid vom 6.12.2007 genehmigten Plänen herzustellen bzw. einen Bauantrag für einen zweiten Rettungsweg für die Obergeschosse des Westflügels beim Bauordnungsamt der Bekl. vorzulegen. Die dagegen gerichtete Klage sowie das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatten keinen Erfolg (VG Bayreuth, Urt. v. 3.5.2012 – 2 BK 11.779; Beschl. v. 8.5.2012 – B 2 S. 12?189; VGH München, Beschl. v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1265). Mit Änderungsantrag vom 2.10.2012 beantragte die Kl. die Errichtung einer notwendigen Außentreppe als zweiten baulichen Rettungsweg. Mit Bescheid vom 4.12.2012 erteilte die Bekl. der Kl. die beantragte Baugenehmigung mit der Auflage, sie bis zum 5.4.2013 umzusetzen, im Fall einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage innerhalb von vier Monaten ab Bestandskraft. Die dagegen erhobene Klage wies das VG mit Urteil vom 10.4.2014 ab.

Die zulässige Berufung (§ 124 I VwGO) hat teilweise Erfolg.

Gründe

[19]Nr. 1. des angefochtenen Bescheids ist ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt, so dass der Kl. insoweit die Klagebefugnis fehlt. Das Urteil des VG ist insoweit richtig (s. 1.). Nrn. 2 und 5 des angefochtenen Bescheids sind jedoch rechtswidrig. Sie verletzen die Kl. in ihren Rechten (§§ 113 I 1, 125 I 1 VwGO). Das Urteil des VG war daher insoweit abzuändern (s. 2. und 3.).

[20]1. Die Klage gegen die unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheids vom 4.12.2012 erteilte Baugenehmigung ist unzulässig. Für eine Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung, die wie beantragt erteilt worden ist, fehlt bereits die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO). Für den Senat ist nicht ersichtlich, inwiefern die Kl. durch die erteilte Baugenehmigung möglicherweise in ihren eigenen Rechten verletzt sein könnte. Die Kl. hat eine Rechtsverletzung auch nicht näher dargelegt. Sie wird durch die Baugenehmigung ausschließlich begünstigt. Soweit sie eingewandt hat, dass sie zur Stellung des Bauantrags letztlich gezwungen worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Verpflichtung zur Stellung eines Bauantrags aus dem Bescheid der Bekl. vom 21.10.2011 ergab. Dieser, nicht aber die erteilte Baugenehmigung, stellt möglicherweise einen belastenden Verwaltungsakt dar. Die angefochtene Baugenehmigung enthält demgegenüber keine belastende Wirkung.

[21]2. Nach Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ist die Kl. zur fristgebundenen Errichtung der Außentreppe verpflichtet. Dabei handelt es sich um eine selbstständige bauaufsichtliche Anordnung. Diese hat im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (s. a) keine Rechtsgrundlage mehr (s. b) und ist daher rechtswidrig.

[22]a) Entscheidungserheblicher Zeitpunkt ist im vorliegenden Fall die letzte mündliche Verhandlung. Denn die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen ist fallbezogen zu beantworten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.1.1989 – 4 B 132/88, BeckRS 1989, 31273217). Die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind dann maßgeblich, wenn sich bei einem noch nicht vollzogenen Verwaltungsakt die Sach- oder Rechtslage inzwischen zu Gunsten der Kl. in einer Weise geändert hat, dass eine Durchsetzung der angegriffenen behördlichen Maßnahme nunmehr sinnlos geworden ist oder unangemessen erscheinen müsste. Unangemessen ist die Durchsetzung der angegriffenen behördlichen Maßnahme insbesondere dann, wenn durch eine Gesetzesänderung der angegriffenen behördlichen Maßnahme die Rechtsgrundlage entzogen worden ist. So liegen die Dinge hier. Die angegriffene behördliche Maßnahme findet nach der Änderung der Bayerischen Bauordnung (BayBauO) durch § 1 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung der BayBauO und des BayBaukammernG vom 11.12.2012 (BayGVBl. S. 633) keine Rechtsgrundlage mehr. Die Möglichkeit für die Bauaufsichtsbehörden, nachträgliche Anordnungen für einen zweiten baulichen Rettungsweg im Interesse des Brandschutzes zu erlassen, hängt im Wesentlichen von der Einordnung als Sonderbau ab. Der Gesetzgeber hat im Ergebnis durch die Einschränkung des Auffangtatbestands bei Sonderbauten das Interesse des Brandschutzes bewusst hintangestellt.

[23]b) Nach Art. 54 IV BayBauO können bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Anerkannt ist, dass eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit dann besteht, wenn ein erforderlicher zweiter baulicher Rettungsweg nicht vorhanden ist (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 722 = BRS 65, 622; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, BayBauO, Stand: 1.9.2014, Art. 54 Rn. 138). Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein (Art. 31 II 2 BayBauO). Bei Sonderbauten ist der zweite Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr nur zulässig, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen (Art. 31 III 2 BayBauO). Der Frage, ob ein Bauvorhaben ein Sonderbau (Art. 2 IV BayBauO) ist oder nicht, kommt somit besondere Bedeutung zu, weil für Gebäude, die keine Sonderbauten sind, in der Regel keine Bedenken gegen eine Personenrettung über Rettungsgeräte der Feuerwehr bestehen. Ein Sonderbau liegt nicht mehr vor (s. aa). Eine hinreichende konkrete erhebliche Gefahr, die eine nachträgliche Anordnung rechtfertigen könnte, ist ebenfalls nicht gegeben (s. bb).

[24]aa) Im vorliegenden Fall liegt weder nach Art. 2 IV Nr. 9 BayBauO, noch nach Art. 2 IV Nr. 11 BayBauO, noch nach Art. 2 IV Nr. 20 BayBauO ein Sonderbau vor.

[25]1) Sonderbauten sind nach Art. 2 IV Nr. 9 BayBauO Gebäude mit Nutzungseinheiten zum Zweck der Pflege oder Betreuung von Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, deren Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkt ist. Es muss eine ausdrückliche Widmung für diesen Zweck vorliegen (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBauO, Stand: Juli 2014, Art. 2 Rn. 445; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, Art. 2 BayBauO Rn. 116?a). Die nach dieser Vorschrift erforderliche ausdrückliche Zweckbestimmung ist vorliegend nicht erkennbar. Das Vorhaben wird in den Bauvorlagen als „WAL-Wohnen in allen Lebensphasen, Neubau von 29 Mietwohnungen und Gemeinschaftsraum“ beschrieben. Zwar war nach dem Nutzungskonzept der Kl. vorgesehen, dass Zielgruppe ältere Menschen mit geringem und hohem Betreuungs- und Pflegebedarf sowie Menschen mit Behinderung sind. Ein Drittel des Gebäudes sollte an Menschen mit Pflegebedarf vermietet werden. Bei einer späteren etwaigen Pflegebedürftigkeit sollte ein Umzug ins Pflegeheim vermieden werden. Die Kl. hat jedoch in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie an diesem Nutzungskonzept nicht mehr festhält. Unabhängig davon, ob das Nutzungskonzept in diesem Zusammenhang noch fruchtbar gemacht werden kann, ist nicht erkennbar, dass Zweck der Anlage die Pflege oder Betreuung von Personen ist. Eine ausdrückliche

Widmung zur Pflege entnimmt der Senat dem Nutzungskonzept nicht. Der Umstand, dass sich das Büro einer Sozialstation in der Nähe befindet, kann nicht als Zweckbestimmung gesehen werden. Die Bekl. hat zudem selbst zugestanden, dass nicht bekannt ist, ob bzw. wie viele Nutzungseinheiten bereits jetzt zum Zweck der Pflege genutzt werden. Jedenfalls derzeit ist somit eine Widmung zur Pflege nicht zu erkennen.

[26]2) Sonderbauten sind gem. Art. 2 IV Nr. 11 BayBauO auch sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen sowie Wohnheime. Ein Wohnheim, insbesondere ein Altenwohnheim, liegt jedoch nicht vor. Ein Altenwohnheim ist ein Heim, in dem alte Menschen zur Führung eines Haushalts noch im Stande sind, volle Unterkunft in abgeschlossenen, nach Anlage, Ausstattung und Einrichtung auf die besonderen Bedürfnisse alter Menschen ausgerichteten Wohnungen gewährt wird und die Möglichkeit vorgesehen ist, im Bedarfsfall zusätzliche Verpflegung, Betreuung und vorübergehende Pflege durch den Träger zu gewähren. Letzteres erfordert ein Mindestmaß an Organisationsstruktur, die auch eine gewisse Leitungsfunktion durch einen Träger beinhaltet. Daran fehlt es hier. Die räumliche Präsenz eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege macht das Bauvorhaben noch nicht zu einem Altenwohnheim. Denn dieser bietet zum einen rechtlich getrennt vom Bauherrn den Bewohnern des Gebäudes eigenständig seine Leistungen an und zum anderen entscheiden allein die Bewohner, ob und wann sie erforderliche Leistungen in der angebotenen Art in Anspruch nehmen. Insofern fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal, dass im Bedarfsfall zusätzliche Verpflegung, Betreuung und vorübergehende Pflege durch den Träger gewährt wird. Hinsichtlich des Angebots der Leistungen besteht grundsätzlich kein Unterscheid zum allgemeinen Mietwohnungsmarkt. Zwar mag die Kooperation mit dem Vermieter in Verbindung mit örtlicher Präsenz eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege in der Wohnanlage Standortvorteile begründen. Dieser Standortvorteil verwandelt jedoch das Bauvorhaben noch nicht in ein Altenwohnheim. Die tatsächliche Nutzung der für die Zielgruppe Senioren günstigen Standortfaktoren begründet keine Trägerschaft im Sinn der oben dargestellten Definition.

[27]Auch ein Nachweis dafür, dass eine faktische Trägerschaft besteht, konnte nicht erbracht werden. So wurden in der Werbung als Dienstleistungen und Hilfen für die Mieter zielgruppenorientiert eine Erreichbarkeit rund um die Uhr, ein Notrufsystem, die Beratung und Vermittlung von Diensten, die Erbringung hauswirtschaftlicher Dienste, die ambulante Kranken- und Altenpflege, soziale Angebote, Freizeitangebote, Unterstützung bei der Mobilität, Seelsorge und Sterbebegleitung benannt. Es fehlen jedoch jegliche Angaben zur Art und Weise der Leistungserbringung und zum Leistungserbringer selbst. Wie das Erstgericht bereits ausgeführt hat, handelt es sich nach Einsicht in die Mietverträge um „normale“ Standardmietverträge ohne Betreuungsangebote (VGH München, Urt. v. 3.5.2012 – B 2 K 11.779). Auch von daher fehlt es an einer Organisationsstruktur, die für einen Heimcharakter Voraussetzung wäre. Bei einem Heim müssten die Bewohner stärker rechtlich mit dem Träger verbunden sein. Der Umstand, dass die Kl. eine soziale Vergemeinschaftung anstrebt, führt vor dem Hintergrund der eher neutralen und anonymen Mietverhältnisse nicht zu einer faktischen Trägerschaft. Vielmehr werden lediglich Strukturen in Form eines Netzwerks zur Verfügung gestellt.

[28]Zuzugestehen ist, dass sich die Ausstattung des Bauvorhabens vom üblichen Geschosswohnungsbau qualitativ unterscheidet. Denn ein Aufzug in einem Gebäude mit nur zwei Obergeschossen, ein Hausnotrufsystem in allen Zimmern und ein Gemeinschaftsraum für ein gemeinsames Mittagessen sind marktunüblich. Allein eine marktunübliche Ausstattung macht das Bauvorhaben jedoch noch nicht zu einem Altenwohnheim.

[29]Die Bekl. hat in der mündlichen Verhandlung eine Liste übergeben, der zufolge im 1. und 2. Obergeschoss des Westflügels 11 Personen wohnen, von denen die jüngste 77 Jahre alt ist. Für das Vorliegen eines Heims ist jedoch das Alter oder die Anzahl der unterzubringenden Personen unerheblich (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, Art. 2 Rn. 455). Entscheidend ist, ob die Bewohner in einer Weise auf Hilfe angewiesen sind, die ihnen die Führung eines eigenständigen Haushalts verbietet und mit der Orientierung und/oder Bewegungseinschränkungen verbunden sind, die die Selbstrettungsfähigkeit einschränken und deshalb zu einer besonderen Betrachtung insbesondere der Personenrettung im Brandfall Veranlassung geben. Dafür ist nichts hinreichend vorgetragen.

[30]Im Übrigen ist Grund für die Einordnung entsprechender Wohnheime in den Sonderbautenkatalog, dass die einzelnen Nutzungseinheiten (Appartements) zwar prinzipiell selbstständig sind, brandschutztechnisch aber nicht ausreichend gegeneinander abgeschottet sind, so dass die Rettungswegsituation häufig problematisch sein wird (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, Art. 2 Rn. 457; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBauO, Stand: Sept. 2014, Art. 2 Rn. 134?c). Im vorliegenden Fall sind jedoch die Nutzungseinheiten brandschutztechnisch wirksam gegeneinander abgeschottet. Insofern bedarf die Rettungswegsituation im Rahmen des Art. 2 IV Nr. 11 BayBauO keiner besonderen Betrachtung. Wie bereits vor dem VG durch einen sachverständigen Zeugen dargelegt wurde, sind die einzelnen Wohnungen zu den benachbarten mit einem Brandschutz F 90 ausgestattet. Dies ergibt sich auch aus dem Brandschutznachweis vom 5.10.2007. Diese brandschutztechnische Ausstattung ist für ein Heim nicht typisch, so dass auch von daher kein Sonderbau iSd Art. 2 IV Nr. 11 BayBauO vorliegt.

[31]3) Auch Art. 2 IV Nr. 20 BayBauO führt nicht zur Einordnung als Sonderbau. Danach sind Anlagen und Räume, die in den Nrn. 1 - 19 nicht aufgeführt und deren Art oder Nutzung mit vergleichbaren Gefahren verbunden sind, ausgenommen Wohngebäude, die keine Hochhäuser sind, Sonderbauten. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Bauvorhaben um ein Wohngebäude, so dass der Auffangtatbestand nicht anwendbar ist. Es fehlt zwar an einer gesetzlichen Definition des Begriffs Wohngebäude in der Bayerischen Bauordnung. Es spricht aber nichts dagegen, den Begriff des Wohnens wie im Baugesetzbuch und in der Baunutzungsverordnung als gekennzeichnet durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts anzusehen (vgl. Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, Art. 2 Rn. 102). Auch wenn man die Gesetzesänderung für rechtspolitisch verfehlt halten mag und die Gesetzesbegründung (vgl. LT -Dr 16/13931) teilweise falsch ist – der Senat hat nie in Abrede gestellt, dass das Älterwerden bauordnungsrechtlich irrelevant ist.

30 hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, dass Wohngebäude, wenn diese von alten Menschen – auch wenn diese ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege bedürfen – bewohnt werden, nicht als Sonderbau zu behandeln sind, wenn keine der Nrn. 1 - 19 des Art. 2 IV BayBauO tatbestandlich vorliegen. Die von der Bekl. gegen diese Auslegung angeführten Argumente vermögen den Senat nicht zu

überzeugen. Die Bekl. behauptet, dass mit Wohngebäude iSd Nr. 20 nicht alle Wohngebäude im städtebaulichen Sinne gemeint sein können und versucht dies auch mit systematischen Argumenten zu belegen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des Art. 2 IV BayBauO den Begriff Wohngebäude in der Bedeutung verwenden wollte, die er auch sonst im Rahmen dieser Vorschrift hat (vgl. dazu: Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, Art. 2 BayBauO Rn. 101). Eine einengende Auslegung des Begriffs Wohngebäude in Art. 2 IV Nr. 20 BayBauO würde zu einem Rechtszustand wie vor der Gesetzesänderung führen. Zudem darf Art. 2 IV Nr. 20 BayBauO als Auffangtatbestand nicht weit ausgelegt werden.

[32]Mithin liegt kein Sonderbau vor, so dass als zweiter Rettungsweg eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit ausreichend ist. Für Gebäude, die keine Sonderbauten sind, bestehen nämlich in der Regel keine Bedenken gegen einen über Rettungsgeräte der Feuerwehr geführten zweiten Rettungsweg (vgl. LT-Drs. 15/7161, 50?f.).

[33]bb) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 31 III 2 BayBauO gilt die Vorschrift nur für Sonderbauten (andere Ansicht:Kühnel/Gollwitzer in Simon/Busse, Art. 31 BayBauO Rn. 74). Dementsprechend bestehen für Gebäude, die keine Sonderbauten sind, auch nach Auffassung des Gesetzgebers generell keine Bedenken gegen einen über Rettungsgeräte der Feuerwehr geführten zweiten Rettungsweg (vgl. Schwarzer/König, BayBauO, 4. Aufl. 2012, Art. 31 Rn. 7; Famers in Molodovsky/Famers/Kraus, Art. 31 BayBauO Rn. 53). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein zweiter baulicher Rettungsweg für Vorhaben unterhalb des Sonderbautatbestands nie gefordert werden kann.

[34]Die Vollzugshinweise (IMS über Vollzugshinweise zur BayBauO 2008 v. 13.12.2007 Nr. 31.3.2) verweisen insofern auf Art. 54 III 1 BayBauO (vgl. Bauer in Jäde/Dirnberger/Weiß, Art. 31 BayBauO Rn. 74). Diese Vorschrift ermöglicht Anordnungen, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen, wenn sich die speziellen materiell-rechtlichen Anforderungen des Bauordnungsrechts nach dem allgemeinen Maßstab des Art. 3 BayBauO als nicht ausreichend erweisen (Schwarzer/König, Art. 31 BayBauO Rn. 43?f.). Bei vorhandenen, in ihrem Bestand geschützten Anlagen, können solche nachträglichen Anforderungen allerdings nur unter den Voraussetzungen des Art. 54 IV BayBauO gestellt werden (vgl. Famers in Molodovsky/Famers/Kramer, Art. 31 BayBauO Rn. 58; Schwarzer/König, Art. 31 BayBauO Rn. 45). Es müssen erhebliche Gefahren für Leib und Gesundheit abgewehrt werden. Von einer erheblichen Gefahr ist dann auszugehen, wenn die Gefahr oder der Nachteil schwerwiegend und nachhaltig ist, wobei es auf die übermäßige Empfindlichkeit des Einzelnen nicht ankommt, sondern auf die objektiven Gegebenheiten. Schon aus der Wendung „erhebliche Gefahren“ folgt dabei, dass es sich insoweit um konkrete Gefahren handeln muss (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790, BeckRS 2011, 33332). Es muss bei Betrachtung ex ante im Einzelfall bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden drohen (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBauO, Stand: Mai 2014, Art. 54 Rn. 45).

[35]Im vorliegenden Fall konnte dem Senat nicht dargelegt werden, dass erhebliche Gefahren für Leib und Gesundheit bestehen. Bei der Klärung der Frage der konkreten Gefahr kommt der Einsatzpraxis der örtlichen Feuerwehr sowie den konkreten baulichen Verhältnissen maßgebliche Bedeutung zu. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung des Senats liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete erhebliche Gefahr vor.

[36]Nach den Erläuterungen von Seiten der Bekl. in der mündlichen Verhandlung sind bei ihr zwei Hubrettungsfahrzeuge mit jeweils einem Zwei-Personen-Rettungskorb und eines mit einem Drei-Personen-Rettungskorb vorhanden. In jedem Korb muss ein Feuerwehrmann tätig sein, so dass nur eine bzw. zwei Personen gerettet werden können. Ferner wurden Rettungszeiten von 3 Min. pro Person bzw. 6 bis 9 Min. pro eingeschränkt beweglicher Person bestätigt. Dabei versucht die Feuerwehr zunächst die Personen über den ersten Rettungsweg ins Freie zu bringen. Straßenseitig können zwei Hubrettungsfahrzeuge hintereinander eingesetzt werden. Geht man von den max. zulässigen 16 Bewohnern aus, so können diese mit zwei Hubrettungsfahrzeugen in knapp 90 Min. auch bei eingeschränkter Beweglichkeit evakuiert werden, wenn straßenseitig von den drei Segmenten des Laubengangs in den Obergeschossen gerettet wird.

[37]Stellt man auf die erreichbare Stelle der Nutzungseinheit iSv Art. 31 II 2 BayBauO ab, so muss über den Innenhof mit Steckleitern gerettet werden. Wie bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem VG dargelegt wurde, kann die Feuerwehr nach ca. 15 Min. vor Ort sein. Die Rüstzeit beträgt zusätzlich ca. 3 Min. Danach entsprechen die Rettungszeiten etwa denen mit dem Hubrettungsfahrzeug, dh bei nicht eingeschränkten Personen ca. 3 Min. während bei Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit ca. 8 bis 10 Min. erforderlich sind. Für eine entsprechende Rettung werden pro Leiter drei Feuerwehrleute zum Einsatz benötigt. Bei der Löschgruppe ist neben dem Hubrettungsfahrzeug eine Leiter am Löschfahrzeug vorhanden. Personen, die abgeseilt werden müssen, haben eine um nochmals 5 Min. längere Rettungszeit. Für 16 Bewohner, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, würde bei 10 Min. Rettungszeit pro Person die Rettung insgesamt 160 Min. dauern. Bei den zwei vorhandenen Steckleitersystemen könnte die Rettung aber in 80 Min. bewerkstelligt werden. Unterstellt man, dass alle Personen abgeseilt werden müssen, so beträgt die reine Rettungszeit 120 Min. Der Senat hält es jedoch für äußerst unwahrscheinlich, dass alle 16 Personen abgeseilt werden müssen. Hierzu hat die Bekl. auch nichts Konkretes dargetan. Vielmehr wird nach der Lebenserfahrung immer ein gewisser Anteil der Bewohner noch in der Lage sein, selbst auf die Leiter zu gelangen. Wie oben dargelegt sind im vorliegenden Fall die einzelnen Wohnungen zu den benachbarten mit einem Brandschutz F 90 ausgestattet. So verbleiben 90 Min. Zeit, um sich dort aufhaltende Personen zu retten. Nimmt man hinzu, dass die Feuerwehr zur Brandlöschung bei einer brennenden Wohnung ca. 20 - 30 Min. benötigt und bei der Rettungsaktion mit den Wohnungen begonnen wird, die sich dem Brandherd am nächsten befinden, erkennt der Senat keine hinreichend konkrete erhebliche Gefahr.

[38]3. Nach Art. 38 I 1 VwZVG sind gegen die Androhung eines Zwangsmittels die förmlichen Rechtsbehelfe gegeben, die gegen den Verwaltungsakt zulässig sind, dessen Durchsetzung erzwungen werden soll. Wie unter Nr. 2 dargelegt wurde, ist der der Androhung zu Grunde liegende Verwaltungsakt aufzuheben. Mithin ist auch die Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Errichtung einer Außentreppe (Nr. 5 des Bescheids) aufzuheben.

Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.
5 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 29/06/2016 00:00

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Di
published on 17/08/2018 00:00

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt. Gründe I. Die Antragstellerin wen
published on 12/03/2018 00:00

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Die Klägerin begehrt die Aufhebung des
published on 12/03/2018 00:00

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens gesamtverbindlich zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Die Kläger begehren
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.