Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 29. Jan. 2019 - 10 B 18.1094

published on 29/01/2019 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 29. Jan. 2019 - 10 B 18.1094
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Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 4. Februar 1963 geborene Kläger italienischer Staatsangehörigkeit wendet sich gegen die Feststellung, dass er das Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat, und begehrt eine Verkürzung der Sperrfirst.

Er reiste am 1. Oktober 1986 zur Aufnahme einer Beschäftigung in das Bundesgebiet ein, wo er am 6. Oktober 1989 eine deutsche Staatsangehörige heiratete. Aus der Ehe sind zwei am 31. Dezember 1991 (Sohn) und am 23. September 1997 (Tochter) geborene Kinder hervorgegangen. Am 9. Januar 1992 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für EG-Angehörige. Nach der Trennung von seiner Ehefrau wurde dieser mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 6. November 2003 die gemeinsame eheliche Wohnung zugewiesen und eine Kontaktsperre verhängt. Die Ehe wurde mit Urteil vom 8. November 2005, rechtskräftig seit 10. Januar 2006, geschieden. Die Tochter lebt bei der Mutter und der Sohn lebte seit dem Jahr 2010 bis zur Festnahme des Klägers im Januar 2012 bei diesem.

Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung nach § 153 Abs. 1 StPO mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember 2003; Geschädigte waren die getrennte lebende Ehefrau und die Schwiegermutter.

2. Urteil des Amtsgerichts München vom 2. März 2005 wegen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Bedrohung; Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20,- EUR; Geschädigte war die getrennt lebende Ehefrau des Klägers.

3. Urteil des Amtsgerichts München vom 23. Januar 2007 wegen Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz; Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,- EUR; Geschädigte war die geschiedene Ehefrau des Klägers.

4. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Betrugs nach § 153 Abs. 1 StPO mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 22. Oktober 2007.

5. Urteil des Landgerichts München I vom 2. September 2008 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung in Tatmehrheit mit Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung; Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung bis zum 1. September 2012 ausgesetzt und inzwischen widerrufen wurde; Geschädigte war die damalige Lebensgefährtin des Klägers.

6. Urteil des Landgerichts München I vom 1. August 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß insofern rechtskräftigem Schuldspruch im Urteil des Landgerichts München I vom 8. Oktober 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung; Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten.

Wegen seiner Straftaten wurde der Kläger am 14. März 2007 sowie am 22. November 2008 ausländerrechtlich verwarnt.

Nach erfolgter Anhörung hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. August 2014 festgestellt, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat (Ziffer 1), die Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet untersagt sind (Ziffer 2), und den Kläger zum Verlassen des Bundesgebietes innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheids (Ziffer 3) aufgefordert. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass zu Gunsten des Klägers von einem über zehnjährigen Aufenthalt ausgegangen werde, obwohl nach den vorliegenden Meldedaten eine Unterbrechung vom 28. Oktober 2003 bis 14. Dezember 2005 vorliege. Allerdings sei der Zeitraum der Inhaftierung grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen; diese Diskontinuität führe zum Wegfall des gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU verstärkten Schutzes vor Verlustfeststellung. Die nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU erforderlichen schwerwiegenden Gründe seien vorliegend erfüllt. Die in der Anlasstat gezeigte massive kriminelle Energie rechtfertige die Annahme der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger wirtschaftlich, wenn auch zuletzt nur in der Form von Aushilfs- und Gelegenheitsjobs, integriert und eine Kernfamilie gegründet habe. Jedoch seien die Kinder nunmehr volljährig und nicht mehr auf seinen Beistand angewiesen. Die Ehe sei geschieden. Kontakte in die Heimat bestünden fort. Die Verbindung zur derzeitigen Lebensgefährtin eröffne nicht den Schutzbereich des Art. 6 GG. Aufgrund der drohenden Wiederholungsgefahr und der Schwere der Straftaten müssten die privaten Belange zurückstehen.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.

Mit Urteil vom 21. April 2015 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab der Ausreise zu befristen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erweise sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als rechtmäßig. Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU i.V.m. Ziff. 6.4.1 VV-FreizügG/EU lägen vor. Auf den höheren Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU könne sich der Kläger nicht berufen, da er sich im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bereits zweieinhalb Jahre in Haft befunden habe und sich weiterhin in Haft befinde. Die Kontinuität des Aufenthalts sei dadurch unterbrochen. Jedenfalls führe die geforderte Einzelfallprüfung dazu, dass aufgrund der wiederholten Straffälligkeit und der langanhaltenden Freiheitsentziehung die geknüpften Integrationsverbindungen im Bundesgebiet abgerissen seien. Zu den Kindern bestehe nahezu kein Kontakt, die Ehe sei geschieden. Arbeitsmäßig habe keine Integration stattgefunden, die hätte abreißen können. Die Entscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerfrei ergangen. Die regelmäßigen Besuche der Lebensgefährtin seien berücksichtigt und angemessen gewichtet worden. Die Kontakte zu den Kindern seien ebenfalls hinreichend gewürdigt worden. Telefonisch bzw. postalisch könne der Kontakt in dieser Form auch von der Heimat aus aufrechterhalten werden.

Im Berufungszulassungsverfahren wurde eine Auskunft des Jobcenters München vom 13. August 2015 zu den Beschäftigungszeiten des Klägers vorgelegt. Der Kläger war demnach zuletzt ab Mitte Juli 2009 mit geringen Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Seit August 2010 bestand keine Hilfebedürftigkeit mehr und aufstockende Leistungen wurden nicht mehr gewährt. Gemäß Beschluss des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - vom 21. Februar 2016 wurde die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus dem Urteil vom 1. August 2013 und der Hälfte aus dem Urteil vom 2. September 2008 nicht zur Bewährung ausgesetzt. Ausweislich einer Telefonnotiz der Beklagten vom 27. August 2015 über ein Gespräch mit der geschiedenen Ehefrau des Klägers habe dieser nach der Trennung vorübergehend Unterkunft in der Wohnung ihrer Mutter gefunden, sei allerdings dort nicht mehr freiwillig ausgezogen und nur mit Hilfe der Polizei „entfernt“ worden. Der Kläger habe insgesamt sieben Geschwister, ein Bruder sei zwischenzeitlich verstorben, die anderen Geschwister lebten in Sizilien oder Mailand, wo sich auch seine Mutter befinde. Die gemeinsamen Kinder lebten bei der geschiedenen Ehefrau.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2017 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen. Mit weiterem Beschluss vom 31. Mai 2017 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt und dieses bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Hinblick auf die Frage der Unterbrechung der Kontinuität des Aufenthalts durch Verbüßung einer Haftstrafe eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt.

Im Berufungsverfahren bringt der Kläger vor, dass insbesondere aufgrund der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, der Familiengründung und der nach wie vor bestehenden Beziehungen eine starke Integrationsverbindung anzunehmen sei. Der Briefverkehr zu den Kindern bestehe fort. Die deutsche Lebensgefährtin habe den Kläger regelmäßig monatlich in der Haft besucht. Bei ihr könne er nach dem Haftende aufgenommen werden. Das Verhalten während des Strafvollzugs sei von dem Bemühen einer Aufarbeitung der Tat und der Gewaltproblematik geprägt gewesen. Auf den Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt werde verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. April 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2014 aufzuheben, hilfsweise eine kürzere Sperrfrist festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, dass nach dem Beschluss des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - vom 20. Juni 2018 eine Führungsaufsicht für die Höchstdauer von fünf Jahren angeordnet worden sei. Ferner habe sich der Kläger nach den Weisungen einer Psychotherapie wegen der Gewalt- und Persönlichkeitsproblematik zu unterziehen und eine ambulante Drogenberatung in Anspruch zu nehmen. Schließlich seien in dem Beschluss Weisungen in Bezug auf Kontaktverbote zu den Tatopfern, das Mitführen von Waffen und Alkohol- und Drogenabstinenz enthalten. Dem Kläger würden ein erhöhtes Aggressionspotential und wenig Opferempathie bescheinigt. Eine ausreichende Deliktaufarbeitung sei nicht erkennbar. Es sei zu gravierenden Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug gekommen. Im Ergebnis habe sich die in der Tat zum Ausdruck kommende Gefährlichkeit nicht attenuiert. Fehlende Problemeinsicht und Veränderungsmotivation sowie die Impulsivität des Klägers ließen eine positive Sozialprognose nicht zu. Der Kläger sei nach der Besuchsliste zuletzt am 1. Februar 2017 von seiner Lebensgefährtin besucht worden.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen Antrag, schließt sich jedoch der Rechtsauffassung der Beklagten an.

Der Kläger wurde am 24. August 2018 aus der Haft entlassen.

Auf Anfrage des Gerichts teilte der Kläger unter dem 18. Januar 2019 mit, mit seiner Lebensgefährtin in München zusammenzuleben. Er sei aufgrund einer am 28. November 2018 erfolgten Herzoperation bis Anfang 2019 arbeitsunfähig gewesen und aktuell eingeschränkt arbeitsfähig. Ab dem 1. Februar 2019 sei die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beabsichtigt.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2019 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die auf Aufhebung des streitbefangenen Bescheids gerichtete Klage im Wesentlichen abgewiesen und die Sperrfrist auf fünf Jahre festgesetzt.

I.

Streitgegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens bilden die von der Beklagten mit Bescheid vom 25. August 2014 getroffene Verlustfeststellung (1.) sowie das hilfsweise Begehren des Klägers auf Verkürzung der ihm gegenüber festgesetzten fünfjährigen Sperrfrist (2.).

1. Rechtsgrundlage für die von der Beklagten getroffene Verlustfeststellung sowie die Untersagung der Einreise und des Aufenthalts ist § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Abs. 3, Artikel 52 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.

Zu dem hier für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblicher Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. EuGH, U.v. - 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 91 ff.; BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 18, B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris; BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - juris -Ls 2.-) liegen die Voraussetzungen für die von der Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AufenthG verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt beim Kläger vor (1.1). Den durch § 6 Abs. 5 FreizügG/EU bewirkten erhöhten oder verstärkten Schutz vor einer Verlustfeststellung kann er nicht für sich in Anspruch nehmen (1.2). Die von der Beklagten nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU vorzunehmende Abwägungsentscheidung erweist sich als rechtsfehlerfrei (1.3).

1.1 Der Kläger ist als italienischer Staatsangehöriger freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht im Sinne des § 4a FreizügG/EU erworben hat und demzufolge gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus schwerwiegenden Gründen eine Verlustfeststellung getroffen werden kann.

Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EG bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. Inzwischen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - Ziolkowski, C-424/10 - juris Rn. 46; BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 16 und 21; BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 24). Da der Kläger nach Lage der Akten und eigenem Vortrag ab seiner Einreise zunächst als Kurierfahrer und dann von 1989 bis 2006 bei der Firma IKEA beschäftigt gewesen war, hat er schon deswegen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 200/38/EG erfüllt.

Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden, wobei dieser Begriff weder in der Freizügigkeits-Richtlinie noch im FreizügG/EU erläutert wird; nach 6.4.1 AVV liegen „schwerwiegende Gründe“ vor insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen, wenn der Betroffene wegen eines einzelnen Delikts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt und die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Durch das Tatbestandsmerkmal „schwerwiegend“ wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, so dass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind. Ausreichend ist insoweit eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies ist insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2016 - 19 C 15.2217 - juris Rn. 3; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 6 FreizügG/EU Rn. 51; Kurzidem in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.2.2018, § 6 FreizügG/EU Rn. 18; Björn Cziersky-Reis in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 33).

Die vom Kläger begangene (Anlass-)Straftat rechtfertigt die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU). Die der Verurteilung des Klägers vom 18. Oktober 2012 bzw. hinsichtlich des Strafausspruches vom 1. August 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten zugrunde liegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten erkennen, das eine schwerwiegende gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts München I war die Wohnung des Klägers, nachdem im Jahr 2010 sein Sohn zu ihm gezogen war und sich dieser schnell mit gleichaltrigen Jugendlichen des Viertels angefreundet hatte, ein beliebter Treffpunkt zum Konsum von Betäubungsmitteln. Der Kläger hat dies geduldet bzw. sich daran auch beteiligt. Auch am Tattag hatte der Kläger Alkohol getrunken und Betäubungsmittel zu sich genommen. Nachdem es in seiner Wohnung zu einer verbalen und anschließend tätlichen Auseinandersetzung mit „Bekannten“ gekommen war und der Kläger diese der Wohnung verwiesen hatte, hat sich der Kläger rund fünfzehn Minuten später zu einer nahe gelegenen Bushaltestelle begeben. Auf den Weg dorthin ist er aufgrund einer verbalen Provokation auf einen dieser Bekannten zugegangen. Im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung hat der Kläger dann einen zehn Zentimeter langen, spitzen Gegenstand in einer wuchtig geführten Bewegung dem Tatopfer in den Unterbauch gerammt. Laut Strafurteil drang dieser Gegenstand sieben Zentimeter in den Bauchbereich ein und führte zur Durchtrennung der Haut sowie des darunter liegenden Fettgewebes. Nur aufgrund glücklicher Umstände und der adipösen Konstitution des Opfers kam es nicht zur Verletzung innerer Organe, Öffnung der Bauchhöhle oder Durchtrennung wichtiger Blutgefäße. Es bestand allerdings abstrakte Lebensgefahr. Nach der strafgerichtlichen Bewertung hat der Kläger bei seinem Vorgehen die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkannt und billigend in Kauf genommen. Der Kläger hat demnach versucht, den Geschädigten zu töten, ist aber strafbefreiend von diesem Versuch zurückgetreten.

Die körperliche Unversehrtheit des Menschen ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das Ausmaß der vom Kläger bei seiner Tat zu Tage getretenen Gewaltbereitschaft wiegt besonders schwer. Hinzu kommen seine Vorstrafen, insbesondere im Bereich der Gewaltdelikte. Den dort abgeurteilten Taten lag ebenfalls deutlich ein besonders impulsives und gewalttätiges Verhalten zugrunde. Der Kläger beging die letzte Straftat zudem in offener, einschlägiger Bewährung.

Das persönliche Verhalten des Klägers stellt auch eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach den Feststellungen im Strafurteil zeigt die Persönlichkeit des Klägers deutliche Auffälligkeiten in Richtung psychopathischer und histrionischer Züge bei gleichzeitig mangelhafter Selbstkontrolle, Impulsivität und erhöhtem Aggressionspotential. Im Beschluss vom 21. Februar 2016 führte das Landgericht Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech - (LG Augsburg) u.a. aus, dass sich der Kläger zwar in der Haft überwiegend beanstandungsfrei geführt, eine gute Arbeitsleistung erbracht und sich mit seinem Tatunrecht auseinandergesetzt habe. Andererseits sei er mehrfach vorbestraft, eine eingeräumte Bewährung habe er nicht durchgestanden und die Rückfallgeschwindigkeit sei hoch. Nach dem von der Strafvollstreckungskammer eingeholten kriminalprognostischen Gutachten vom 19. Januar 2016 zeige der Kläger zwar Schuld- und Unrechtsbewusstsein, jedoch auch häufig Externalisierung, wenig Opferempathie und Bagatellisierung, so dass im Ergebnis eine ausreichende Deliktbearbeitung nicht zu erkennen sei. Der Kläger sei nach wie vor impulsiv und leicht erregbar bei jedoch überwiegend prosozialer Grundeinstellung angepasst und ohne Neigung zur Querulanz. Infolge unzureichender Auseinandersetzung mit den Delikten habe er kaum Bewältigungsstrategien in künftigen Konflikt- und Belastungssituationen entwickelt. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit sich nicht attenuiert habe und somit Gründe der öffentlichen Sicherheit einer Reststrafaussetzung entgegenstünden. Das LG Augsburg hat demzufolge die Reststrafaussetzung mit Beschluss vom 21. Februar 2016 abgelehnt.

Im Beschluss vom 20. Juni 2018 gelangte das LG Augsburg schließlich zu dem Ergebnis, dass die Höchstdauer der Führungsaufsicht beim Kläger nicht entfalle und sich hinsichtlich der Situation und Prognose im Vergleich zum letzten Reststrafenablehnungsbeschluss außer dem weiteren Haftverlauf, jedoch ohne nennenswerten(r) Eindruck oder Änderungsbereitschaft, keine Änderungen ergeben hätten. Nachdem es zwischenzeitlich zu einer gravierenden Disziplinarmaßnahme im Zusammenhang mit Drogenverdacht gekommen sei und eine Aufarbeitung der Defizite mangels Problemeinsicht und Veränderungsmotivation weiterhin nicht stattgefunden habe, könne eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden.

Diese vom Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens geteilten strafgerichtlichen Prognoseeinschätzungen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht bzw. nicht substantiiert in Frage gestellt. Allein der Umstand, dass der Kläger seit seiner Haftentlassung strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, bringt die bestehende erhebliche Wiederholungsgefahr nicht in Wegfall. Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass eine Aufarbeitung der fachpsychologisch festgestellten Defizite auch weiterhin nicht erfolgt ist, vielmehr negiert er, ein Drogen- bzw. Suchtproblem zu haben. Sonstige für die Prüfung und Beurteilung der Wiederholungsgefahr bedeutsame, für den Kläger günstige Umstände sind von ihm auch im Übrigen weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

1.2 Entgegen der Auffassung des Klägers haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht im Ergebnis auch zutreffend festgestellt, dass ihm der besondere Schutz vor Verlustfeststellung aus § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU nicht zusteht.

Nach dieser Vorschrift darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Frage, ob eine Person die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG, den „Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat“ gehabt zu haben, erfüllt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergeht (EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 88).

Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verlustfeststellung am 29. August 2014 erfüllt der bereits seit Januar 2012 inhaftierte Kläger die Voraussetzung eines ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts nicht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38/EG unterbrechen (EuGH, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 33 und 36; s. auch BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 25). Allerdings ist zum „Zwecke der Feststellung, ob sie damit zu einem Abreißen des zuvor geknüpften Bandes der Integration zum Aufnahmemitgliedstaat dergestalt geführt haben, dass der Betroffene nicht mehr in den Genuss des durch diese Bestimmung verbürgten verstärkten Schutzes kommen kann, (…) aber gleichwohl eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt. Im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung sind die Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe zusammen mit allen anderen Anhaltspunkten zu berücksichtigen, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Gesichtspunkte ausmachen (…); zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs“ (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 70, 83). Dabei geht der Gerichtshof der Europäischen Union davon aus, „dass, je fester diese Integrationsbande zu dem besagten Staat insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind - in einem Maße beispielsweise, dass sie zu einer echten Verwurzelung in der Gesellschaft dieses Staates geführt haben, (…) -, umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG geführt haben kann“ (EuGH, a.a.O. Rn. 72).

Gemessen hieran ist bei Würdigung sämtlicher vorgenannter Aspekte im Falle des Klägers davon auszugehen, dass die zuvor geknüpften Integrationsverbindungen (spätestens) durch die Verbüßung seiner Freiheitsstrafe von über sechseinhalb Jahren abgerissen sind mit der Folge, dass kein ununterbrochener Aufenthalt von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/387EG vorliegt und damit kein besonderer Schutz vor Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU besteht.

Insofern sind zwar zugunsten des Klägers sein langjähriger Aufenthalt und seine zu Beginn erfolgreiche wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet einzustellen. Er ist im Oktober 1986 im Alter von 23 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, ist dort zunächst einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat eine Familie gegründet, aus der zwei am 31. Dezember 1991 (Sohn) und am 23. September 1997 (Tochter) geborene Kinder hervorgegangen sind. Auch geht der Senat mit der Beklagten zugunsten des Klägers davon aus, dass er nach der Trennung von seiner damaligen Ehefrau im Oktober 2003 bis Mitte Dezember 2005 zwar nicht im Bundesgebiet gemeldet war, jedoch eine längerfristige zusammenhängende Abwesenheit vom Bundesgebiet, die seine Aufenthaltsdauer unterbrechen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 48), nicht festgestellt werden kann. So sagte die damalige Ehefrau in einer Zeugenvernehmung am 24. Juli 2004 aus, dass sie ihren Mann seit Oktober 2003 aus der gemeinsamen Wohnung abgemeldet habe und dieser zeitweise in der Wohnung ihrer Mutter übernachte. Im Rahmen einer Aufenthaltsermittlung gab der Kläger am 18. August 2004 gegenüber den Polizeibehörden an, über seine Arbeitsstelle in München postalisch erreichbar zu sein. Auch im Übrigen lassen sich dem Akteninhalt diverse polizeiliche Mitteilungen entnehmen, wonach gegen den Kläger bspw. im Zeitraum Juni/August 2004 wiederholt wegen Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz, Bedrohung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung ermittelt wurde, was seine Anwesenheit im Bundesgebiet voraussetzt. Lediglich anlässlich einer weiteren Zeugenvernehmung gab die damals getrenntlebende Ehefrau am 7. November 2005 an, dass sie annehme, dass der Kläger wegen des Scheidungstermins kurz vorher aus Italien angereist sei, wo er bei seinen Eltern in Mailand wohne.

Allerdings hat der Kläger dann wohl auch im Zuge der familiären Probleme, die letztlich zur Scheidung Ende 2005 geführt haben, im Jahr 2006/2007 seine langjährige Beschäftigung bei der Fa. IKEA verloren und war im Anschluss daran nach einjähriger Arbeitslosigkeit jeweils nur für begrenzte Zeiträume in verschiedenen Bereichen beruflich tätig, bevor er zuletzt befristet für das Jahr 2011 über eine Zeitarbeitsfirma in einem Kaufhaus gearbeitet hat. Die gemeinsam in München erworbene Wohnung ist im Zuge der Scheidung verkauft worden. Über das Vermögen des Klägers wurde am 11. Juni 2014 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Aktuell bezieht der Kläger nach eigenen Angaben Arbeitslosengeld I, ist postalisch unter einer Adresse der Inneren Mission gemeldet und lebt abwechselnd bei seinen Kindern, seiner Lebensgefährtin oder einem Freund. Demzufolge kann zum maßgeblichen Zeitpunkt von einer nennenswerten wirtschaftlich-beruflichen Integration des Klägers, die hätte abreißen können, nicht (mehr) gesprochen werden. Auch in familiärer Hinsicht lag vor Haftantritt keine feste Bindung im Bundesgebiet (mehr) vor. Zu seiner geschiedenen Ehefrau bestand und besteht keinerlei Kontakt und von seinen Kindern wurde der Kläger während seiner sechseinhalbjährigen Haft nur sehr selten, ausweislich der Besuchsliste der JVA Landsberg am Lech insgesamt sechs Mal, besucht. Allein zur Lebensgefährtin E. wurde nach der Haftentlassung wieder ein regelmäßiger Kontakt aufgenommen, wobei sich der Kläger bei ihr auch aufgrund der beengten Wohnverhältnisse nur gelegentlich aufhält. Er erhält von ihr Unterstützung insbesondere bei Behördengängen. Eine feste Integrationsverbindung lässt sich hieraus aber nicht ableiten.

Die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung lassen erkennen, in welchem Maß sich der Kläger der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats entfremdet hat. Der Kläger nahm eine äußerst gefährliche Gewaltanwendung vor. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hat der Kläger vorsätzlich gehandelt und die hohe Hemmschwelle zur bedingt vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen überschritten, auch wenn er letztlich vom Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist. Seine Entfremdung zeigt sich ferner in den zahlreichen, auch im Gewaltbereich einschlägigen Vorstrafen, bei denen seine Aggressivität und Impulsivität bereits deutlich zu Tage traten. Zudem stand er zum Zeitpunkt der Anlassstraftat unter offener, einschlägiger Bewährung. Sein Verhalten während seines Strafvollzugs gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass im Hinblick auf die Wiedereingliederung seine (ursprünglich) zum Aufnahmestaat geknüpfte Integrationsverbindung wiederhergestellt werden wird. Eine Aufarbeitung des Drogen- und Alkoholproblems sowie der psychischen Auffälligkeiten erfolgte nicht. Vielmehr kam es nach den Feststellungen des LG Augsburg (s. Beschluss v. 20.6.2018) im Zusammenhang mit Drogenverdacht Ende Oktober 2016 zu einer „gravierenden Disziplinarmaßnahme“. Ende November 2017 wurde der Kläger erneut disziplinarisch belangt (s. Stellungnahme JVA Landsberg am Lech v. 1.2.2018). Ein einziges Gespräch mit einer Psychologin im Januar 2017 sei an offensichtlich mangelnder Problemeinsicht und Veränderungsmotivation gescheitert. Nur mit seinem Sohn hat der Kläger nach seiner Haftentlassung nach eigenen Angaben wieder regelmäßigen Kontakt. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass gerade der gesellschaftliche Umgang, den sein Sohn pflegte, mit Auslöser der der Straftat zugrundeliegenden Auseinandersetzung war. Mit Einzug seines Sohnes beim ihm habe sich seine Wohnung zu einem „beliebten Treffpunkt“ u.a. zum Konsum von Betäubungsmitteln entwickelt. Nach Angaben des Klägers sei sein Sohn ebenfalls kurz inhaftiert gewesen.

In der Gesamtschau lässt sich feststellen, dass bereits vor seiner Inhaftierung mit Scheitern der Ehe (Oktober 2003), Beginn des regelmäßigen Konsums von Betäubungsmitteln (2005), Verlust des langjährigen Arbeitsplatzes (2006/2007) und wiederholter Straffälligkeit (2005, 2007 und 2008) die ursprünglich vorhandenen Integrationsverbindungen zunächst sukzessive und mit Verbüßung der langjährigen Strafhaft ab Mitte Januar 2012 nahezu vollständig abgerissen sind.

1.3 Schließlich ist auch die von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 - 10 ZB 11.2751 - juris Rn. 4) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen liegt (vgl. S. 10 des Bescheids), und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt (vgl. Seiten 10-13 des Bescheids). Sie hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation bewertet. Eine Fehlgewichtung ist darin nicht zu sehen. Die Beklagte ist hinreichend auf die noch bestehenden (familiären) Bindungen zu den volljährigen Kindern sowie zu der derzeitigen Lebensgefährtin eingegangen. Auch ist die Einschätzung zutreffend, dass der Kläger in Deutschland wirtschaftlich zuletzt nur bedingt Fuß fassen konnte, weil er nach dem Verlust seiner festen Arbeitsstelle bei der Fa. IKEA nur noch Gelegenheitsjobs und über Zeitarbeitsfirmen Beschäftigung fand.

Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK hat die Beklagte ebenfalls zu Recht verneint. Art. 8 Abs. 1 EMRK bestimmt, dass jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat. Der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff in die Schutzgüter des Art. 8 EMRK kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt. Insbesondere bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist, ist ein Eingriff in Art. 8 EMRK denkbar (BVerwG v. 29.9.1998 - 1 C 8.96 - juris). Zu diesem Personenkreis zählen vor allem im Bundesgebiet geborene Ausländer der zweiten Generation (vgl. BayVGH B.v. 11.7.2007 - 24 ZB 07.743 - juris; B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 27). Hierunter fällt der Kläger aber nicht. Er kam im Alter von 23 Jahren in das Bundesgebiet. Eine (nennenswerte) wirtschaftliche Integration besteht aktuell nicht. Der Kläger verfügt auch über keine eigene Wohnung. Der überwiegend telefonische bzw. postalische Kontakt zur Tochter kann ohne weiteres auch von Italien aus aufrechterhalten werden. Ebenso wenig ist erkennbar, dass sein Sohn, zu dem der Kläger nach der Haftentlassung wieder regelmäßigen Kontakt pflegt, in besonderem Maße auf den Kläger angewiesen wäre. Insofern besteht die Möglichkeit gegenseitiger Besuche etwa im Rahmen von Betretenserlaubnissen. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Verbindung zur derzeitigen Lebensgefährtin des Klägers. Diese nichteheliche Beziehung eröffnet nicht den Schutzbereich aus Art. 6 Abs. 1 GG. Andererseits hat der Kläger in Italien mehrere Familienangehörige.

Die Abwägungsentscheidung der Beklagten, dem Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr den Vorrang zukommen zu lassen, begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken.

2. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als die mit Urteil des Verwaltungsgerichts München ausgesprochenen fünf Jahre begehrt, dringt er damit ebenfalls nicht durch.

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU, wonach das durch die Verlustfeststellung ausgelöste Verbot der Einreise und des Aufenthalts von Amts wegen befristet wird. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Entscheidung über die Befristung einschließlich der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU eine gerichtlich voll kontrollierbare, gebundene Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2015 - 1 C 20.14 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 22 ff.). Die Neufassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 dahingehend, dass über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden wird, gibt angesichts dessen, dass der Wortlaut des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU unverändert gelassen wurde, keinen Anlass für die Annahme, dies wirke sich auf ein nach dem FreizügG/EU zu beurteilendes Einreise- und Aufenthaltsverbot aus (vgl. VGH BW, U.v. 24.3.2016 - 11 S 992/15 - juris Rn. 23; U.v. 15.2.2017 - 11 S 983/16 - juris Rn. 34).

Die Befristungsentscheidung ist auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage und unter Würdigung des Verhaltens des Betroffenen nach der Verlustfeststellung zu treffen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 31 m.w.N.). Dabei ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 35; VGH BW, U.v. 15.2.2017 - 11 S 983/16 - juris Rn. 36). Die im Hinblick auf die zur Gefahrenabwehr als erforderlich angesehene Sperrfrist ist einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen des Klägers zu ermitteln und zu gewichten (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 37). Maßgebend ist die aktuelle Situation des Betroffenen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2016 - 10 ZB 14.2448 - juris Rn. 5; Kurzidem in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.2.2018, § 7 FreizügG/EU Rn. 11; Geyer in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 12; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 7 FreizügG/EU Rn. 65 ff.).

Dies zugrunde gelegt begegnet die auf fünf Jahre bestimmte Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen rechtlichen Bedenken. Ausgehend von der Strafbiographie des Klägers, der Einschätzung und Beurteilung der Wiederholungsgefahr sowie unter Berücksichtigung des oben dargelegten Persönlichkeitsbildes des Klägers erscheint ein an dem mit der Verlustfeststellung verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierter langfristiger, jedenfalls über den Fünfjahreszeitraum nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU hinausgehender Ausschluss der Wiederreinreise angemessen und sachgerecht. Hinweise auf positive Änderungen des Persönlichkeitsbildes lassen sich weder den fachlichen Stellungnahmen noch den einschlägigen strafgerichtlichen Entscheidungen entnehmen. Vielmehr ist weder während des Strafvollzugs noch im Anschluss daran die erforderliche Aufarbeitung der Persönlichkeitsdefizite sowie der Suchtproblematik erfolgt. Zugunsten des Klägers ist aber einzustellen, dass er seit der Haftentlassung nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten und um eine Befolgung der Weisungen der Führungsaufsicht bemüht ist. Möglichkeiten der sozialen Reintegration in Deutschland erscheinen ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. So konnte der Kläger einen befristeten Arbeitsvertrag über eine geringfügig entlohnte Beschäftigung für den Zeitraum ab den 1. Februar 2019 vorlegen. Zudem hat der Kläger soziale Anknüpfungspunkte bei seiner Lebensgefährtin und bei seinem Sohn, auch wenn eine familiäre Lebensgemeinschaft mit diesen nicht besteht. Nach eigenen Angaben pflegt er auch (wieder) Kontakt zu seiner Tochter. Für den Kläger spricht schließlich auch, dass er sich fast zwei Jahrzehnte lang straffrei im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor es im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung von seiner Ehefrau und den damit einhergegangenen wirtschaftlichen sowie persönlichen Problemen zur (wiederholten) Straffälligkeit gekommen ist. In der Gesamtschau erweist sich daher eine an der Dauer der Führungsaufsicht orientierte Sperrfrist von fünf Jahren als angemessen und sachgerecht.

Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen (neuen) Antrag auf Verkürzung oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln oder neue persönliche Umstände eintreten sollten, die eine andere, für ihn günstigere Entscheidung gebieten würden.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff., § 711 ZPO.

III.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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published on 21/04/2016 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt. Grü
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published on 26/10/2016 00:00

Tenor I. In Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 14. September 2015 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt *******, ******** bewilligt, soweit er sich mit der Klage gegen die Befr
published on 15/02/2017 00:00

Tenor Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2016 - 11 S 2806/15 - geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.Die Revisio
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published on 06/06/2019 00:00

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe Mit ihrer Beschwerde verfolgt die am 31. August 1979 geborene Klägerin ungarischer Staatsange
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Annotations

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.