Die Beteiligten streiten über den Blindengeldanspruch der Klägerin nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).
Die 1970 geborene Klägerin stellte erstmals 2011 Antrag auf Blindengeld nach dem BayBlindG beim Beklagten. Dieser und ein weiterer Antrag vom selben Jahr wurden vom Beklagten mangels Nachweises der Blindheit abgelehnt. Bereits am 21.08.2012 stellte die Klägerin den nächsten Antrag auf Blindengeld. In diesem Verwaltungsverfahren erstellte Prof. Dr. K. im Auftrag des Beklagten ein augenfachärztliches Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass sich bei der Untersuchung Unstimmigkeiten zwischen den subjektiv gemachten Angaben und den objektiv erhobenen Befunden ergeben hätten. Insbesondere die Verhaltensbeobachtungen, die Ergebnisse der visuell evozierten Potenziale (VEP), die Untersuchung am Bjerrumschirm als auch die Auslösbarkeit des Optokinetischen Nystagmus (OKN) würden eine bessere als die angegebene Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld erwarten lassen. Nach einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2013 den Antrag ab. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.
Am 15.07.2013 stellte die Klägerin den gegenständlichen Antrag. Es sei nun endlich eine Diagnose für die Sehbehinderung gefunden worden, so die Klägerin. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. L., vom 01.08.2013 aus. Darin wurden ein Fernvisus ohne Korrektion von Fingerzählen (rechts) und 0,05 (links) festgehalten und als Diagnose unter anderem Verdacht auf Retinopathia pigmentosa gestellt. Allgemein bestehe ein Anettevon-Droste-Hülshoff-Syndrom.
Mit Bescheid vom 04.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen des BayBlindG lägen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor. Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 30.08.2013 wies der Beklagte in dem Bescheid darauf hin, dass sich aktuell der Visus gegenüber dem von Prof. Dr. K. erhobenen Vorbefund gebessert habe. Bereits bei der früheren Begutachtung sei noch ein kleineres Gesichtsfeld zu erheben gewesen. Allerdings habe durch verschiedene Untersuchungen nachgewiesen werden können, dass eine bessere Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld zu erwarten gewesen wären. Diesbezüglich ergäben sich auch nach dem jetzigen Gutachten keine neuen Erkenntnisse. Allein die Diagnose Retinopathia pigmentosa könne die Glaubhaftigkeit beim jetzigen Gesichtsfeldbefund nicht erhöhen.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte am 26.09.2013 Widerspruch. Darin wurde darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung am 01.08.2013 auch Korrekturen keine Besserung des Visus ermöglicht hätten. Zudem sei anzumerken, dass seitens der Universitätsklinik U-Stadt eine Gesichtsfeldmessung am rechten Auge überhaupt nicht versucht worden sei, da dies nach Ansicht der behandelnden Augenärztin keinen Sinn mehr ergeben hätte aufgrund einer Sehschärfe von unter 2% (Fingerzählen). Aufgrund dieser Sehschärfe sei für die Entscheidung bzgl. des Blindengelds das Gesichtsfeld auch nicht mehr ausschlaggebend.
Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte der Beklagte einen neuen Befundbericht des Universitätsklinikums U-Stadt vom 17.12.2013. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.03.2014 von Dr. P. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ursache des schlechten Sehvermögens der Klägerin seien Netzhautveränderungen nach Frühgeborenenretinopathie beidseits sowie ein Zustand nach Netzhautablösung mit operativer Behandlung. Ferner bestehe eine Kunstlinse beidseits. Der Visus von 0,1 bzw. 0,2 sei fast 30 Jahre lang - bis zum Jahr 2011 - stabil geblieben. Ab 2011 seien bei unveränderten morphologischen Befunden Visusschwankungen dokumentiert. Ob der im Juni 2013 in U-Stadt geäußerte Verdacht auf eine Retinopathia pigmentosa abschließend abgeklärt worden sei, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Bei einer solchen Erkrankung, die eine Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 10° bzw. 5° verursache, sei das skotopische Elektroretinogramm (ERG) in der Regel komplett erloschen; bei der Klägerin seien die Amplituden jedoch nur reduziert gewesen. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. K. sei ein auf weniger als 5° eingeengtes zentrales Rechtsgesichtsfeld angegeben worden, was mit dem bei der Klägerin beobachteten Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen sei.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat die Klägerin mit Blick auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung darauf hingewiesen, dass der Aggravationsverdacht hinreichend widerlegt sei. Sie versuche, den Nachweis zu erbringen, dass sie keine Frühgeburt gewesen sei und die Sehbehinderung deshalb nicht hierauf zurückgeführt werden könne. Weiter solle die Frage der Diagnose gezielt geklärt werden. Ungeachtet dessen sei aufgrund der aktuellen Befunde Blindheit im Sinne des Gesetzes seit Juni 2013 zweifelsfrei nachgewiesen.
Das SG hat Beweis erhoben durch ein augenfachärztliches Gutachten von Dr. K. vom 30.12.2014. Der Sachverständige hat folgende Visuswerte erhoben (Sehschärfe mit Korrektion - Gläser bessern nicht):
– rechtes Auge: Erkennen von Handbewegungen, kein Fingerzählen in 30 cm Entfernung, kein Erkennen von Sehzeichen in 4 m Entfernung und in näherer Entfernung.
– Linkes Auge: 0,05 (Landoltringe in 4 m Entfernung),
– beidäugig: 0,063 (Landoltringe).
Hinsichtlich der Gesichtsfeldmessungen (mit dem Goldmann-Kugel-Perimeter) hat Dr. K. Folgendes festgehalten:
– Rechtes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben; sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 6 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation sei aufgenommen worden. Blickziel- und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.
– Linkes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben. Sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 2 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation werde aufgenommen. Blickzielbewegungen und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.
Dr. K. hat auch mit dem Bjerrum-Schirm (binokular) untersucht: Nach Abstandsvergrößerung werde eine deutliche „Aufweitung“ des Gesichtsfelds (zwei- bis dreifach) angegeben. Die Reizmarke werde dabei von 10 auf 20 mm Durchmesser vergrößert; der Mittelpunkt werde entsprechend vergrößert, so dass dessen Fixation gewährleistet sei. Beim Kontrastmuster-VEP hätten sich, so Dr. K., keine sicher identifizierbaren und reproduzierbaren Reizantworten kortikal ableiten lassen. Dies könne aber alleine schon auf das spontane Augenzittern zurückgeführt werden. Beim Blitz-VEP hätten sich bei der Stimulation des rechten Auges noch mäßig reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten ableiten lassen.
Die Klägerin habe sich in für sie ungewohnter Umgebung unsicher und vorsichtig orientiert. Sie habe leidlich zielsicher nach den Stuhl-Armlehnen und der Untersucherhand gegriffen. Die zentrale Fixation sei im Gespräch nicht aufgenommen worden. Die Klägerin habe einmal auf einen ca. 1 m entfernten Befund verwiesen, bei dem sie aber eine Netzhautskizze mit einem Gesichtsfeldauszug verwechselt habe.
Der Sachverständige hat festgestellt, dass diese Befunde unter Berücksichtigung der Aktenlage wohl mindestens auch seit 01.07.2013 vorgelegen hätten.
Dr. K. hat die folgenden Diagnosen gestellt:
Rechtes Auge:
* Myopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),
* Astigmatismus,
* Akkomodationslosigkeit bei Pseudophakie, Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),
* Missbildung und Dezentrierung der Makula (Makuladysgenesie mit Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula),
* Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen, angeborenem Nystagmus und Fehlsichtigkeiten,
* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnerven (Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),
* Verdacht auf Sicca-Syndrom.
Linkes Auge:
* Hyperopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),
* Astigmatismus,
* Akkumodationslosigkeit bei Pseudophakie,
* Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),
* Makuladysgenesie und Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula, Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen und angeborenem Nystagmus sowie Fehlsichtigkeiten,
* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnervs, Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),
* Verdacht auf Sicca-Syndrom.
Die Stelle des schärfsten Sehens sei anatomisch nicht identifizierbar, weil dort eine Strangbildung der Netzhaut beobachtbar sei. Nach Aktenlage sei dieser Befund seit frühester Kindheit - wohl seit Geburt - vorliegend. Er gleiche dem einer fortgeschrittenen Frühgeborenen-Netzhauterkrankung (Retinopathia praematuorum). Mangels einer Frühgeburt (glaubhafte Versicherung der Klägerin) lägen, so Dr. K., sehr wahrscheinlich keine Retinopathia praematurorum und kein von-Droste-Hülshoff-Syndrom vor. Deshalb seien die wesentlichen sichtbaren Veränderungen der Netzhaut und der Sehnervenköpfe als Missbildung unbekannter Ursache zu interpretieren. Durch die mangelnde Ausbildung der Stelle des schärfsten Sehens und deren Verlagerung ergäben sich erhebliche Konsequenzen und machten viele Befunde verständlich. Auf die Missbildung der Netzhaut (Netzhautdysgenesie) insbesondere im zentralen Bereich (Makuladysplasie) und der Sehnerven (Optikusdysgenesie oder -dysplasie) zusammen mit der Ausbildung einer Schwachsichtigkeit sei seines, Dr. Ks, Erachtens bereits ein Großteil der Sehschärfeminderung zurückzuführen.
Die heute angegebene relevante Sehschärfe von 0,05 am besseren linken Auge bzw. von 0,063 beidäugig sei alleine vor dem Hintergrund der Sehschärfeentwicklung der letzten beiden Jahre nicht dramatisch schlechter, zumal auch heute mit den schwerer zu erkennenden Landoltringen geprüft worden sei. Die Sehschärfeverschlechterung in den letzten zwei Jahren könne angesichts der 30-jährigen Stabilität - wie von Dr. P. angedeutet - aber auch nicht auf die Fehlbildungen von Sehnerven und Netzhaut zurückgeführt werden. Dennoch könne allein schon anhand der Abblasssung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration anhand der Akten nachvollzogen werden.
Von großer Bedeutung sei, so der Sachverständige, die Beurteilung der objektiven Funktionsentwicklung, vor allem der Verlauf der Amplitudenminderung im ERG; leider liege nach der Aktenlage aber nur ein ERG von 2013 vor. Heute könne die Amplitudenminderung im ERG sehr wohl bestätigt werden. Die gemessenen Amplituden der Zapfenantwort seien massiv (und nicht nur etwas) reduziert und würden bei aller Vorsicht der Vergleichbarkeit eine Verschlechterung im Sinne einer Degeneration anzeigen. Dr. P. sei aber recht zu geben, dass bei einer Retinopathia pigmentosa mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld wie von der Klägerin angegeben, die ERG-Potenziale nicht mehr messbar sein dürften. Weder die genetische Untersuchung noch der ERG-Befund weise auf das Vollbild einer Retinopathia pigmentosa hin. Es sei eher von einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie auszugehen. Die Vorerkrankungen (Operation der Netzhautablösung) ließen auch die Möglichkeit offen, dass Pigmentverschiebungen (Pigmentansammlungen) nicht unbedingt einer Retinopathia pigmentosa zugeschrieben werden müssten, das heiße, dass Pigmentansammlungen von der Operation herrühren könnten. Damit werde seines, Dr. K.s, Erachtens klar, dass neben der Netzhautdysgenesie (angeborene Fehlbildung) ein massiver degenerativer Netzhautschaden auf der Ebene der Fotorezeptoren, der mit der massiven Amplitudenminderung im ERG objektiviert sei, vorliege und zunehme. Er sei geeignet, sowohl die Sehschärfe zusätzlich zu reduzieren als auch das Gesichtsfeld massiv einzuschränken und stelle eine plausible Erklärung für die subjektiven Angaben zur Sehschärfe und auch zum Gesichtsfeld - insbesondere in deren Verlauf der letzten Jahre - dar. Somit liege ganz klar ein morphologisches bzw. funktionell objektivierbares Substrat über die weitere Sehschärfeminderung und für den zunehmenden Gesichtsfeldausfall vor.
In seinem Gutachten hat sich der Sachverständige zudem intensiv mit den Vorbefunden auseinandergesetzt.
Heute liege eine einer Sehschärfeminderung von 0,02 gleichzuachtende Sehstörung vor, die zwischen den Fallgruppen liege. Interpoliert und augenfachärztlicherseits auch sinnvoll begründbar reiche dann bei einer glaubhaften Sehschärfe von 0,063 zur Anerkennung von Blindheit nach dem Gesetz eine Gesichtsfeldeinschränkung auf ca. 11-12° Mittelpunktabstand oder weniger aus, um einer Sehschärfeminderung auf 0,02 analog zu den beiden Fallgruppen
– Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
– bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, gleichgeachtet zu werden. Diese liege mit einer Sehschärfe von 0,063 und maximalen Außengrenzen von 6° so weit im Toleranzbereich, dass bei allen Messunschärfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Blindheit angenommen werden müsse.
Auf das Gutachten hat Dr. P. des Beklagten darauf hingewiesen, dass sich der Sachverständige nicht dazu geäußert habe, wie das bei seiner Begutachtung deutlich reproduzierbare ERG nach Dunkeladaption mit der Angabe eines weiterhin hochgradig eingeschränkten Gesichtsfelds zu vereinbaren sei.
In einer kurzen ergänzenden Stellungnahme vom 24.03.2015 hat Dr. K. hervorgehoben, dass eine Retinopathia pigmentosa nicht zwangsläufig und nicht wahrscheinlich vorliege, sondern an beiden Augen eine Kombination aus Netzhautdysgenesie (Fehlbildung), Zustand nach Netzhautablösung und fortschreitender Degeneration, die noch am besten als Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (Zapfen mehr betroffen als Stäbchen im Gegensatz zur Stäbchen-Zapfen-Dystrophie) bezeichnet werden könne. Weiter hat er betont, dass für eine klassische Retinopathia pigmentosa so typisch erloschene ERG-Potenziale nicht auf andere Krankheitsbilder (zum Beispiel isolierte Zapfen-Dystrophie) übertragen werden könnten. Das bedeute, dass die Reizantworten nicht erloschen sein müssten, um mit dem angegebenen Gesichtsfeldrest vereinbar zu sein. Unberücksichtigt bleibe darüber hinaus noch die zusätzliche Einschränkung des Sehvermögens durch die Sehnervenerkrankung.
Mit Schriftsatz vom 01.07.2015 hat der Beklagte weiterhin Klageabweisung beantragt. Der Nachweis von Blindheit sei nicht erbracht. Der Beklagte hat insoweit auf den Grundsatz der objektiven Beweislast hingewiesen. Dabei hat er auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des Ophthalmologen Prof. Dr. U. vom 17.06.2015 verwiesen. Prof. Dr. U. hat darin zunächst festgestellt, dass man „rein fachlich“ den Ausführungen von Dr. K. „durchaus folgen“ könne. Die Problematik an sich liege hier in der schwierigen Untersuchungsart der Klägerin, die ihrerseits sehr gutachtenserfahren sei und „sicherlich auch … sehr gut beraten“ werde. Nach der Diskussion im vorangegangenen Schriftverkehr hinsichtlich einer Aufweitung der Gesichtsfeldaußengrenzen am Bjerrumschirm - der Patient erhalte ja Einsicht in die Unterlagen - sei es „nun auch prompt“ zu einer Aufweitung bei Vergrößerung des Abstands im Bereich der Außengrenzen gekommen. Es falle auf, dass Dr. K. in der Diskussion seiner Untersuchungsbefunde schlussfolgere, dass kein OKN auslösbar gewesen sei; bei einer Patientin mit einem congenitalen Nystagmus sei diese Untersuchung selbstredend sehr schwierig. Andererseits beschreibe Dr. K., dass mit einem Streifenband am rechten Auge zeitweise ein horizontaler und modularer Nystagmus auslösbar und am linken Auge ein horizontaler und vertikaler OKN erkennbar gewesen sei. Zusammenfassend könne man nur sagen, dass das BayBlindG seine Kriterien sehr streng definiere und dass die klinische und elektrophysiologische Untersuchung bei derart gutachtenserfahrenen und gut beratenen Patienten grundsätzlich an Grenzen stoße. Da genetisch eine Retinopathia pigmentosa mit Ausnahme einer doch seltenen Neumutation ausgeschlossen habe werden können, sei die weitere Erklärung der progressiven Verschlechterung der Netzhautfunktion lediglich auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung zurückzuführen. Ob es sich aber nun tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handle, bleibe trotz allem etwas spekulativ. Letztlich bleibe das Krankheitsbild bei der Klägerin „etwas unklar“. Viele Aspekte wie die Makulaektopie und die stattgehabten Neigung zur Netzhautablösung würden, so Prof. Dr. U., sicherlich für eine Erkrankung sprechen, wie man sie ansonsten bei Retinopathia praematororum sehe. Da die Klägerin kein Frühgeborenes gewesen sei, bleibe auch diese Diagnose letztlich unbefriedigend.
Dr. P. hat am 25.06.2015 u.a. darauf hingewiesen, dass es in dem Fall letztlich darum gehe, ob man der Klägerin die Angaben zum Sehvermögen glaube, was letztendlich der richterlichen Beweiswürdigung obliege und nicht allein von medizinischer Seite beurteilt werden könne. Dabei sollte jedoch, so Dr. P., nicht vergessen werden, dass die Zweifel an den Gesichtsfeldangaben auch nach Auffassung von Dr. K. nicht vollends ausgeräumt hätten werden können und dass er zudem bestätigt habe, dass bei Patienten mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld ERG-Potenziale eigentlich nicht mehr messbar seien.
Hierauf hat die Klägerseite am 01.09.2015 betont, dass die Darlegungen von Prof. Dr. U. nicht geeignet seien, die persönliche Untersuchung des gerichtlich bestellten Gutachters zu entkräften. Schließlich ist auf eine Untersuchung von Dr. R. der Augenklinik der LMU M-Stadt vom 08.12.2014 verwiesen worden.
Hierzu hat wiederum der Beklagte Stellung genommen. Der Befundbericht der Augenklinik würde die bereits geäußerten Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestätigen. Bei der Untersuchung am 08.12.2014 sei am rechten Auge ein Visus von 0,16 (in 30 cm Entfernung) angegeben worden, wogegen bei der Untersuchung durch Dr. K. am 23.10.2014, also nur etwa 6 Wochen zuvor, in 30 cm nicht einmal Finger gezählt hätten werden können. Nachdem sich das Sehvermögen, so Dr. P., innerhalb dieser 6 Wochen wohl kaum gebessert haben dürfte, müsse die Zuverlässigkeit der Visusangaben bei Dr. K. in Zweifel gezogen werden. Die doch erhebliche Differenz der Visuswerte könne auch nicht alleine mit der Unterschiedlichkeit der Optotypen erklärt werden (Zahlen-Optotypen versus Landoltringe). Dass eine sehr schwerwiegende Sehminderung vorliege, sei unbestritten. Blindheit werde jedoch auch von Dr. R. in dem Arztbrief nicht bestätigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich der Begründung der streitgegenständlichen Verwaltungsakte des Beklagten angeschlossen und von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass nach allen vorliegenden Befunden, den ärztlichen Stellungnahmen des Beklagten und dem gerichtlich eingeholten Gutachten von Dr. K. sowie der ärztlichen Stellungnahme von Prof. U. keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne des BayBlindG im Vollbeweis nachgewiesen sei. Es verblieben Zweifel, so das SG, am Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere auch wegen der bestehenden Diskrepanz zwischen den objektiv erhobenen Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin. Wie sowohl Dr. K. als auch Prof. Dr. U. darlegen würden und die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 17.09.2015 betone, sei eben keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) eindeutig gegeben.
Am 02.03.2016 hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) mit dem Vortrag erhoben, dass der Entscheidung des SG nicht gefolgt werden könne. Unverständlich sei vor allem, dass das SG dem Gutachten von Dr. K. nicht gefolgt sei, ohne eine umfassende sachliche Auseinandersetzung durchzuführen. Weiter hat der Bevollmächtigte gerügt, dass das SG bestehende Zweifel nicht durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. Einvernahme des Gutachters im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgeklärt habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb den Einwendungen des Beklagten aufgrund einer Aktenlage-Stellungnahme (ohne weitergehende Aufklärung) der Vorrang gegeben worden sei. Nach den vom Gutachter getroffenen Feststellungen seien die Voraussetzungen für die Blindheit unter Beachtung der VG erfüllt.
Am 02.11.2016 hat der Beklagte - basierend auf einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2016 - die Zurückweisung der Berufung beantragt. Darin hat Dr. P. auf das Schreiben des Instituts für Humangenetik der Universitätsklinik U-Stadt vom 09.01.2016 hingewiesen, in dem das Ergebnis der humangenetischen Beratung im Jahr 2014 in R-Stadt bestätigt worden sei; eine Retinopathia pigmentosa als Erklärung für die Gesichtsfeldbefunde sei daher weiterhin nicht nachgewiesen. Dass eine nicht genetisch bedingte Form dieser Erkrankung oder eine Neumutation als Möglichkeiten genannt worden seien, ändere an dem Sachverhalt nichts, so der Beklagte. Wesentlich an dem vorgelegten Arztbrief der D. vom 20.07.2016 sei der Befund des Ganzfeld-ERG, das skotopisch und photopisch erniedrigte Amplituden zeige, also reproduzierbar bzw. messbar gewesen sei. Es sei von einem deutlich größeren Gesichtsfeld auszugehen, zumal es bisher weder ein morphologisches Korrelat noch eine Diagnose gebe, die eine vollständige Auslöschung der Gesichtsfelder beider Augen bis auf eine zentrale Gesichtsfeldinsel von ca. 5° - wie bei der Begutachtung durch Dr. K. - plausibel erklären könnten. Vielmehr sei im Arztbrief aus D-Stadt erneut auf die Stabilität der Befunde hingewiesen worden. Die zentral gelegenen Gesichtsfeldinseln stünden, so die Ärztin in der Stellungnahme des Beklagten, des Weiteren im Widerspruch zur angegebenen Sehschärfe; bei einem auf Handbewegungen bzw. 0,02 reduzierten Visus wäre zumindest am rechten Auge ein Zentralskotom zu erwarten gewesen. Ergänzend hat Dr. P. angemerkt, dass es für die von Dr. K. postulierte fortschreitende Degeneration angesichts der über die Jahre beschriebenen Stabilität der Befunde keinen Beleg gebe. Die erneute Diskrepanz zwischen den Angaben zum Sehvermögen und den elektrophysiologischen Untersuchungen könne als weiterer Beleg für unzutreffende Angaben gewertet werden.
Am 25.11.2016 hat sich die Klägerin direkt an den Senat gewandt und darauf hingewiesen, dass sie nichts dafür könne, kein eindeutiges Krankenbild zu haben. Jedoch bestätige ihr jeder Augenarzt, die Bedingungen für das Blindengeld zu erfüllen. Alle Universitäten, in denen sie zur Untersuchung gewesen sei, hätten der Klägerin versichert, dass sie die maßgeblichen Werte erfülle. Die Unterstellung, zu lügen, belaste die Klägerin sehr. Zudem ist ein Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. K., vom 03.05.2017 vorgelegt worden. Als Diagnosen sind dort insbesondere Retinopathia pigmentosa, Opticusatrophie, feinschlägiger Rucknystagmus mit rotatorischer Komponente, Pseudophakie - allgemein von-Droste-Hülshoff-Syndrom gestellt und als Fernvisus rechts Handbewegungen und links 1/25 festgehalten worden. Beim Goldmann-Gesichtsfeld sei am rechten Auge keine Messung möglich gewesen, am linken Auge hätten die Außengrenzen bei der Marke III/4 unter 5 Grad gelegen. Im Rahmen der Optischen Cohärenztomographie (OCT) der Makula habe sich in beiden Augen eine zentrale Ausdünnung ergeben. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund des weit fortgeschrittenen Funktionsverlusts beidseits der Erhalt von Blindengeld als indiziert anzusehen sei.
Am 31.05.2017 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden.
Im Folgenden ist die Begutachtung gemäß § 109 SGG durch Prof. Dr. C. beantragt worden. Der Sachverständige hat in seinem ophthalmologischen Gutachten vom 24.10.2017 u.a. die nachfolgend beschriebenen Untersuchungsbefunde erhoben.
Beide Augen: Am Augenhintergrund sei bei deutlich reduziertem Einblick die Sehnervenscheibe entrundet, scharf begrenzt und wachsgelb gefärbt; sie zeige eine minimale Prominenz. Die Gefäße seien erheblich verdünnt und erheblich nach schläfenwärts unten gestreckt bei deutlicher Verziehung der Makula. Am hinteren Pol seien leichte Hyperpigmentierungen zu erkennen. Nach schläfenwärts erkenne man zusätzliche weißliche Narben. Die Netzhaut sei allseits anliegend, es seien keine Vorstufen einer Netzhautablösung erkennbar. Die periphere Netzhaut sei nicht sicher einzusehen.
Visus (Fernvisus mit Landoltringen und Korrektion):
– rechtes Auge Handbewegungen,
– linkes Auge 0,04.
In 4 m nach DIN 58220 sei kein Sehzeichen erkannt worden, daher sei der Arbeitsabstand verkürzt worden.
Gesichtsfeld (Goldmann-Projektionsperimeter, Reizmarke III/4e):
– Rechts: Es werde ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld angegeben, das nach rechts bis 5, nach oben bis 7, nach links bis 8 und nach unten bis 6 Grad reiche.
– Links: Ebenfalls ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld, das nach rechts bis 8, nach oben bis 6, nach links bis 9 und nach unten bis 10 Grad reiche.
– Beidäugig: Auch hier werde mit der Reizmarke III/4e eine Einengung festgestellt, nämlich nur 10 Grad nach links, 8 nach unten, 16 nach rechts und 8 nach oben. Für die größere Reizmarke V/4 werde ein deutlich größeres Gesichtsfeld angegeben. Bei nochmaliger Prüfung mit der Reizmarke III/4 werde ein etwas kleineres Gesichtsfeld als initial angegeben.
Bei Prüfung des rechten Auges im Muster-VEP seien keine reproduzierbaren Reizantworten feststellbar gewesen, am linken Auge seien Reizantworten mit normaler Latenz und deutlich reduzierter Amplitude zu erhalten gewesen. Im skotopischen ERG sei eine in der Amplitude massiv reduzierte Antwort nachweisbar gewesen (beide Augen), die Amplituden seien am rechten Auge kaum noch nachweisbar und geringer als im linken Auge gewesen. Das photopische ERG habe am linken Auge eine Antwort mit erheblich reduzierter Amplitude und unauffälliger Latenz gezeigt, am rechten Auge seien nur fragliche Antworten nachweisbar gewesen. OCT: Hier sei keinerlei normale Topographie der Sehgrube feststellbar, die Netzhaut sei erheblich verdünnt; hierbei liege insbesondere eine erhebliche Verminderung der retinalen Nervenfaserschicht vor. Beim OCT der peripapillären Netzhaut sei insgesamt von einer erheblichen Schädigung dieser Nervenfaserschicht auszugehen.
Prof. Dr. C. hat festgehalten, dass die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankung unverändert schwierig sei. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Annahme einer Netzhautveränderung nach Frühgeburtlichkeit, die in der Vergangenheit diagnostiziert worden sei, darauf hingewiesen, dass die Klägerin wiederholt angegeben habe, dass bei ihr kein solcher Zustand nach Frühgeburt vorliege und dass auch in den Akten zumindest ein normales Geburtsgewicht dokumentiert sei, was eine wesentliche Frühgeburt sicher ausschließe. Zusätzlich werde, so der Sachverständige, 1983 der Sehnervenkopf vollkommen unauffällig beschrieben. Die Entwicklung einer Netzhautablösung sei trotz hoher Kurzsichtigkeit bei einer 27 bzw. 30 Jahre alten Patientin ungewöhnlich. Aus diesem Grund sei auch denkbar, dass bei der Klägerin eine etwas untypische familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepen vorliege, die mit ähnlichen Netzhautveränderungen einhergehe und häufig zu Netzhautablösungen führe.
Dem Einwand von Dr. P. vom 10.03.2014 (zu den Sehschärfeangaben der Klägerin), dass die Wahrnehmung der Reizmarke I/4 gegen einen Visus von 1/35 spreche, sei zu entgegnen, dass sich die Erkennungssehschärfe grundlegend vom Auflösungsvermögen des Auges unterscheide und die Wahrnehmung eines hellen Punkts durchaus auch bei sehr geringer Sehschärfe denkbar sei. Wenn Dr. P. für den Beklagten zutreffend darstelle, dass bei der Klägerin über Jahrzehnte hinweg zunächst eine stabile Sehschärfe bestanden habe, die dann ab 2012 nahezu plötzlich abfalle, müsse hierzu angemerkt werden, dass die Befunde bis 2012 nahezu alle nicht unter gutachtlichen Bedingungen erhoben worden seien. Zu beachten sei, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantiativen Ergebnis führe, das mit seiner Zahl eine Genauigkeit vorgebe, die in Wirklichkeit nicht existiere. Darüber hinaus unterscheide sich eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220) mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Sehschärfeprüfung.
Wenn man die Sehschärfe anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. (23.10.2014) betrachte, so seien dies nur zwei Visusstufen weniger als die früher über lange Zeit erreichte Sehschärfe von 0,1 gewesen. Anlässlich der jetzigen Untersuchung sei die Sehschärfe links auf 0,04 reduziert, auch bei beidäugiger Prüfung sei keine bessere Sehschärfe angegeben worden.
Dr. P. habe in ihrer Stellungnahme vom 17.09.2015 ihre Zweifel am Vorliegen von Blindheit zusätzlich mit den unterschiedlichen Sehschärfeangaben bei Dr. K. rechts am 23.10.2014 (weniger als Fingerzählen in 30 cm) und in U-Stadt am 11.12.2014 (0,16 in 30 cm) begründet. Dieser Widerspruch, so Prof. Dr. C., der offensichtlich wesentlich zu den Zweifeln des SG beigetragen habe, sei jedoch ein Verständnisfehler. Die Angabe der Sehschärfe im Befundbericht von Prof. Dr. R. sei eindeutig so zu verstehen, dass auf einer Sehtafel für 5 m eine Sehschärfe von 0,16 angegeben worden sei, was bei Prüfung in 30 cm eben nur einer Sehschärfe von etwa 0,01 entspreche. Damit sei aber eben nicht von einer Sehschärfe von 0,16 auszugehen und es bestehe auch kein Widerspruch zu den Angaben bei Dr. K., da ein fehlendes Erkennen von Fingerzählen zumindest auf eine Sehschärfe von unter 0,014 hindeute.
Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten auch im Einzelnen mit der Frage der Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben zum Gesichtsfeld auseinandergesetzt. Wesentlicher Grund für die Klageabweisung des SG seien wohl die Zweifel an diesen Angaben der Klägerin gewesen. Er, Prof. Dr. C., halte diese Zweifel auch aufgrund der jetzt erhobenen zusätzlichen Befunde für nicht gut begründet.
Bei der Klägerin, die früher hochgradig kurzsichtig gewesen sei, sei davon auszugehen, dass das ERG immer schon niedrige Amplituden gehabt habe; darüber hinaus führe auch eine Netzhautablösung und selbst eine Operation derselben (mittels Glaskörperausschneidung) zu einer zusätzlichen Schädigung. Daher sei auch denkbar, dass die Klägerin nicht an einer erblichen Netzhautdystrophie leide, sondern dass sich in diesem Befund nur verschiedene andere Schädigungen oder Veränderungen bemerkbar machen würden. Dann wäre auch eine Gesichtsfeldeinengung nicht allein durch einen krankhaften Befund im ERG erklärt.
Allerdings habe bereits Dr. K. darauf hingewiesen, dass die an beiden Augen bestehende Sehnervenschädigung früher wohl nicht bestanden habe (zumindest sei der Sehnervenkopf 1983 als vollkommen normal beschrieben worden). Eine Sehnervenschädigung könne durchaus einen auch erheblichen Gesichtsfeldausfall erklären. Die Vermessung der peripapillären Faserschicht (Nervenfaserschicht um den Sehnervenkopf herum) sei bei der Klägerin nur eingeschränkt möglich gewesen, habe aber eindeutig eine schwerwiegende Veränderung gezeigt. Bereits anlässlich der ersten dokumentierten Gesichtsfelduntersuchung im Jahr 2000 sei das Gesichtsfeld an beiden Augen erheblich eingeengt gewesen. Auch wenn bei seitengetrennter Untersuchung inzwischen eine stärkere Einengung angegeben werde, so sei das beidäugige Gesichtsfeld jetzt doch relativ ähnlich, die nach rechts verschobene Erweiterung sei dabei der Lage des Kopfes geschuldet, der nicht zentral in der Kuppel angeordnet gewesen sei.
Der Sachverständige hat hervorgehoben, dass er keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld habe, und hat auf die Fallgruppen der VG sowie die Untersuchungsergebnisse bei Dr. K. hingewiesen. Er stimme Dr. K. vollumfänglich zu, dass bei dieser Konstellation, obwohl sie weder die Fallgruppe bb. noch cc. komplett erfülle, ebenfalls von Blindheit auszugehen sei. Allerdings sei bei der jetzigen Untersuchung vor allem bei der beidäugigen Gesichtsfeldprüfung ein doch größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier sei aber zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch sei und gewisse Schwankungen einfach untersuchungsbedingt bestehen könnten.
Bei der Klägerin sei in der Kindheit und Jugend das rechte Auge das bessere und das Führungsauge bei Schielamblyopie des linken Auges gewesen. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass mit der erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens rechts, aufgrund derer dann das linke Auge zum besseren geworden sei, dennoch gewisse Probleme vor allem beim Lesen eingetreten seien, die sich bei alleiniger Berücksichtigung der Sehschärfe als Funktionsparameter nicht ausreichend abbilden würden. Darüber hinaus sei auch davon auszugehen, dass angesichts der erheblichen Trübung der verbliebenen Linsenkapsel an beiden Augen bei der Klägerin eine erheblich stärkere Blendungsempfindlichkeit bestehe, als man es aufgrund der Veränderungen an den Augen ohnehin bereits annehmen würde. Insofern lägen durchaus weitere Funktionsstörungen vor, die neben den in den VG vorgegebenen Einschränkungen bei der Bewertung einer faktischen Blindheit zu berücksichtigen seien.
Die Beweisfragen des Gerichts hat Prof. Dr. C. wie folgt beantwortet:
– Im Wesentlichen bestehe an beiden Augen eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens bei deutlichem langen Bau der Augen. Darüber hinaus sei es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden sei, auch sei die natürliche Linse durch eine Kunstlinse ersetzt worden. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion sei in den letzten Jahren eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die wesentlichen morphologischen Befunde hätten sich dabei seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert; so entspreche der Vorderabschnittsbefund an beiden Augen demjenigen, den Dr. K. anlässlich seines Gutachtens 2014 fotographisch dokumentiert habe. Bei den ebenfalls in den Akten enthaltenen Aufnahmen des Augenhintergrundes werde deutlich, dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnittts und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich sei. Dies führe gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung.
– Die Klägerin sei nicht vollständig erblindet.
– Die Sehschärfe betrage mehr als 1/50, nämlich am linken Auge sowie beidäugig 0,04. Eindeutig sei anlässlich der jetzigen Untersuchung (18.10.2017) mit einer korrigierten Sehschärfe von 0,04 links sowie beidäugig und bei einer gleichzeitig bestehenden Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 15 Grad vom Zentrum des Restgesichtsfelds eine einer Sehschärfeminderung auf 1/50 gleichzuachtende Störung des Sehvermögens nachgewiesen.
Bereits anlässlich der Untersuchung durch Dr. K. habe dieser (bei einer Sehschärfe von 0,06 und einem bis auf 6 Grad eingeengten Gesichtsfeld) Blindheit für nachgewiesen erachtet. Dieser Einschätzung könne er, Prof. Dr. C., sich prinzipiell anschließen; selbst unter Berücksichtigung des nunmehr wieder größeren Gesichtsfelds könne man bei einer Sehschärfe von 0,06 eine einer Sehschärfe von 1/50 gleichzuachtende Funktionsstörung diskutieren, aber grundsätzlich sei auch nicht davon auszugehen, dass die Sehschärfe bis jetzt stabil geblieben sei und es umgekehrt kurz nach der Untersuchung durch Dr. K. zu einer Verbesserung des Gesichtsfelds gekommen sei. Insofern halte er, Prof. Dr. C., einen dauerhaften Zustand mit einer Funktionsminderung bezüglich der Blindheit, d.h. das Vorliegen einer faktischen Blindheit ab dem 23.10.2014 für nachgewiesen. Auch anlässlich der folgenden Untersuchungen in M-Stadt und D-Stadt liege kein besseres Sehvermögen vor.
– Auch wenn bei der Untersuchung durch Dr. K. eine Funktionsschädigung außerhalb der normierten Fallgruppen vorgelegen habe, so sei die Begründung von Dr. K. überzeugend, in der dieser darlege, dass die Beeinträchtigung von Sehschärfe und Gesichtsfeld gerade unter Berücksichtigung der beiden genannten Fallkonstellationen eindeutig auch einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten sei. Hierbei seien weiter bei der Klägerin vorhandene Einschränkungen mit erhöhter Blendungsempfindlichkeit und Schielstellung des rechten Auges und vor allem die seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit dieses linken Auges, die funktionell trotz einer Sehschärfe von 0,04 eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung erkläre, nicht berücksichtigt. Der Sachverständige hat ausdrücklich festgehalten, dass für ihn jetzt unzweifelhaft auch nach dem BayBlindG dauerhaft Blindheit vorliege.
Auch diesem Gutachten ist der Beklagte jedoch nicht gefolgt. Im Schriftsatz vom 20.11.2017 hat er erneut auf die Zweifel an den Eigenangaben der Klägerin bzw. den Visusverlauf abgestellt. Zweifel am anhaltenden Vorliegen der gerade bei Begutachtungen angegebenen Befunde seien im Hinblick auf den Verlauf der Befundangaben durchaus berechtigt, zumal in den Unterlagen immer wieder von einem stabilen Befund die Rede sei. Es überrasche auch, dass im Befundbericht von November 2016 festgehalten sei, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe bei einem Visus von nur 0,025 und nun wieder 1 m rechts und 0,04 links sowie einem höchstgradig eingeschränkten Gesichtsfeld gut zurechtkomme. An der Größe der angegebenen Gesichtsfeldausdehnung ergäben sich auch Zweifel im Hinblick auf die Auslösbarkeit des Retinogramms.
Am 09.01.2018 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin ab 01.01.2018 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG zu gewähren. In der zugrundeliegenden Stellungnahme von Dr. L. vom 20.12.2017 ist u.a. betont worden, dass im Hinblick auf die wechselnden Befundangaben doch begründete Zweifel bestünden, ob tatsächlich anhaltend über sechs Monate eine einer Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege. Es lasse sich nicht einmal die Frage, ob zumindest eine hochgradige Sehbehinderung vorliege, mit letzter Sicherheit beantworten. Es spreche aber doch sehr viel dafür, dass es grenzwertig vertretbar sei, ab 01.01.2018 „ein abgesenktes Blindengeld“ zu erbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.02.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2014 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2013 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und ganz überwiegend auch begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld) zusteht. Dies hat das SG verneint, für die Zeit ab Oktober 2014 zu Unrecht. Die Klägerin hat ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
-
1.deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder
-
2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, vor allem bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
a. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
b. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
c. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
d. bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
e. bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
f. bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
g. bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Die Klägerin hat ab Oktober 2014 Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist seitdem nachgewiesen.
Zwar liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG erfüllt. Allerdings ist bei der Klägerin eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG (faktische Blindheit) erfüllt.
Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die besonders fundierten und plausiblen Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C.. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch nicht im Widerspruch zu den vorliegenden Befunddokumentationen stehen, zu eigen.
Freilich übersieht der Senat nicht, dass in dem vorliegenden - medizinisch-wissenschaft-lich komplexen - Fall gewisse Zweifel an der Blindheit der Klägerin verbleiben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Senat vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG überzeugt ist, wie unten im Einzelnen dargestellt wird.
Wie der Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen hat (z.B. Urteil vom 16.11.2015 - L 15 VG 28/13), muss sich das Gericht für den Vollbeweis die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache, wie hier der Blindheit der Klägerin, verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen mit der Folge, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugungsbildung zu begründen (BSG, a.a.O.).
Die vorliegend verbleibenden Restzweifel in dem vorgenannten Sinn stehen der vollen Überzeugungsbildung nicht entgegen. Dabei ist u.a. auch zu beachten, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer). Unter Berücksichtigung der allen medizinischen Beurteilungen immanenten Unsicherheiten (vgl. a.a.O., S. 49 f.) müssen somit nicht nur völlig unbedeutende Restzweifel außen vor bleiben, sondern auch solche, die durchaus einer medizinisch-wissenschaftlichen Diskussion offenstehen, jedoch im Einzelnen nicht überzeugen können. Andernfalls wäre ein Blindheitsnachweis in sozialgerichtlichen Verfahren so gut wie unmöglich. Denn dann könnte in keinem Fall, wo nur eine ernsthafte medizinische Zweifelsfrage im Raum steht, für die mehrere Antworten nicht ganz ausgeschlossen sind, der Blindheitsnachweis durch den Kläger grundsätzlich nicht erbracht werden. Ein solches Verständnis vom Blindheitsnachweis ist aber mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Zwar hat das BSG im Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) eindeutig festgelegt, dass die objektive Beweislast für die den Blindengeldanspruch begründende Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich den sehbehinderten bzw. blinden Anspruchsteller/Kläger trifft und dass etwaige Beweiserleichterungen (des sozialen Entschädigungsrechts) nicht zum Tragen kommen. Dass hier aber wegen der Vernachlässigung der bestehenden besonderen Erkenntnisschwierigkeiten (s.o.) übertriebene Anforderungen an den Vollbeweis zu stellen wären, lässt sich dieser Rechtsprechung keinesfalls entnehmen. Im Gegenteil hat das BSG (im Urteil vom 11.08.2015, a.a.O.) in einem Teilbereich - nämlich der Diagnostik spezifischer Sehstörungen - sogar darauf aufmerksam gemacht, dass die „mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind“, nicht gerechtfertigt ist.
Zusammenfassend ist somit aus Sicht des Senats darauf zu achten, dass die verbleibenden Zweifel unter Beachtung dieser aufgezeigten Problematik zutreffend gewichtet werden.
Diese Gewichtung ergibt vorliegend, dass der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig fehlt und dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG nicht vorliegt, dass jedoch eine der Herabsetzung der Sehschärft auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG nachgewiesen ist, was aus den vorliegenden Untersuchungsbefunden der genannten Sachverständigen und der Berücksichtigung der weiteren Beeinträchtigung durch die erhebliche Blendempfindlichkeit der Klägerin sowie durch die Schielstellung ihres rechten Auges folgt.
1. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist auszuschließen, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde; hierauf muss angesichts der vorliegenden offenkundigen Befunde nicht näher eingegangen werden.
2. Der Annahme faktischer Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG stehen bereits die von den Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. erhobenen Visusbefunde entgegen. Denn danach beträgt die Sehschärfe bei der Klägerin im Zeitraum ab Antragstellung (knapp) mehr als 0,02, nämlich 0,04 bzw. 0,06 (vgl. im Einzelnen oben).
3. Bei der Klägerin liegt jedoch zur Überzeugung des Senat faktische Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG vor; dies ergibt sich, wie bereits oben ausgeführt, aus den überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C..
Zwar hat letzterer Zweifel geäußert, ob man bei einer - wie von Dr. K. angenommenen - Sehschärfe von 0,06 (und den gemessenen Gesichtsfeldgrenzen bei max. 6 Grad) von einem Vollbeweis der Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG ausgehen könne. Auch hat Prof. Dr. C. unter Zugrundelegung einer Sehschärfe von 0,04 bei der Messung des beidäugigen Gesichtsfelds immerhin noch einen Wert von 16 Grad festgestellt (vgl. Fallgruppe bb. VG Teil A, Nr. 6). Somit könnte fraglich sein, ob faktische Blindheit im Hinblick auf die o.g. Fallgruppen nachgewiesen ist.
Allerdings können den Senat diese Zweifel nicht überzeugen. So sind hinsichtlich der von Dr. K. ermittelten Werte die der Fallgruppe cc. VG Teil A, Nr. 6 erfüllt. Bei dem von Prof. Dr. C. ermittelten Gesichtsfeld handelt es sich um einen Grenzfall, der denkbar knapp - nämlich um ein Grad - über der Grenze liegt. Wie der Beklagte (Stellungnahme vom 22.03.2018) zu Recht hervorhebt, liegt das Problem vorliegend auch nicht darin, dass die bei den Untersuchungen ermittelten Werte, also die subjektiven Angaben der Klägerin, einer faktischen Blindheit nicht entsprechen würden, sondern in der Nachvollziehbarkeit dieser Angaben, von der der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen (siehe im Einzelnen unten) ausgeht.
Letztlich können diese Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen der genannten Fallgruppen bei den vorliegend ermittelten Sehschärfewerten (0,06 und 0,04) unerörtert bleiben. Denn die Sachverständigen gehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend und plausibel davon aus, dass hier jedenfalls die Annahme faktischer Blindheit nach der genannten Vorschrift wegen den besonderen Voraussetzungen bei der Klägerin durch die zusätzlich hinzukommende besondere Blendempfindlichkeit und die Schielstellung des rechten Auges gerechtfertigt ist, unabhängig von der Frage, ob der Wortlaut der Fallgruppen nun erfüllt ist oder nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - und vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12) ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:
„Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Ziff. 6 b) VG nur beispielhaft sind […].
Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit („fraglos gesichert“) selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden.“
Auch die normative Bindungswirkung der VG (vgl. z.B. Francke/Gagel, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 1. Aufl., S. 119, m.w.N. der Rechtsprechung; ferner BayLSG vom 06.11.2012 - L 15 VS 13/08 ZVW) bzw. die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung sprechen nach Auffassung des Senats wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen nicht entgegen.
Somit sind vorliegend nicht nur die in der Herabsetzung des Visus und der Begrenzung des Gesichtsfelds zum Ausdruck kommende Sehstörung, sondern entsprechend der plausiblen Darlegung von Prof. Dr. C. auch die Blendempfindlichkeit beider Augen und die Schielstellung des rechten Auges zu berücksichtigen. Ob darüber hinaus auch noch die von ihm erwähnte untypische Farbsinnstörung geeignet ist, einen besonderen Ausnahmefall bzw. ein spezielles Behinderungsbild zu begründen, kann vorliegend offenbleiben, da es hierauf nicht mehr entscheidend ankommt; weitergehende Ermittlungen waren daher nicht veranlasst.
Die „seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit“ (so der Sachverständige) des linken Auges dürften hingegen nicht hierzu beitragen, da sich die Schwachsichtigkeit unmittelbar in einem niedrigen Visus und ggf. eingeschränkten Gesichtsfeld niederschlägt, also nicht zusätzlich zu den Einschränkungen der Fallgruppen zu berücksichtigen ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn unvertretbar wäre. Denn die genannten zusätzlichen Einschränkungen sind erheblich und stellten eine wesentliche zusätzliche Einschränkung dar. Es ist unbestritten, dass - neben Sehschärfe und Gesichtsfeld - vor allem das räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit insoweit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. C., Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach 2012, 5 <8>).
Dass hier ein Ausnahmefall im o.g. Sinn und somit Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG vorliegt, steht im Übrigen auch nicht das oben erwähnte Urteil des Senats vom 05.07.2016 (L 15 BL 17/12) entgegen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung festgelegt, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung in den speziellen Fällen auch außerhalb der normierten Fallgruppen stets ist, dass feststeht, ob die Visus- und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht. Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Anders als in dem der genannten Entscheidung zugrundeliegenden Fall sind (grundsätzlich verlässliche) Messungen und Untersuchungen bei der Klägerin möglich gewesen; lediglich die Plausibilität einzelner Angaben ist hier zu diskutieren. Bei der Klägerin liegt aber weder eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen noch eine zerebrale, allgemeine Beeinträchtigung vor. Anders als im Fall der genannten Entscheidung betrifft die Wertung der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. vorliegend die zusätzlichen Beeinträchtigungen (durch Blendempfindlichkeit und Schielstellung) und nicht die allgemeine Unmöglichkeit, Visusbzw. Gesichtsfeldwerte zu erheben. Die Entscheidung vom 05.07.2016 (a.a.O.) schließt es gerade nicht aus, in wie hier vorliegenden Grenzfällen die Rechtsprechung des Senats (31.01.2013, a.a.O.) zur Annahme von Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen anzuwenden.
Dass vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit gegeben sind - im Einzelnen, dass die erhobenen Visus- und Gesichtsfeldbefunde grundsätzlich zutreffend sind (s. im Einzelnen unten) und die Annahme faktischer Blindheit unter Berücksichtigung der zusätzlichen Einschränkung durch die besondere Blendempfindlichkeit und Schielstellung des Auges gerechtfertigt ist - ergibt sich, wie bereits mehrfach betont, aus den genannten Sachverständigengutachten.
Danach leidet die Klägerin jedenfalls an Myopie, Astigmatismus, Makulaektopie, Opticusatrophie und Innenschielstellung (rechts) und untypischer Farbsinnstörung (rechts) sowie Pseudophakie.
Wie sich aufgrund der umfangreichen Befunddokumentation und der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen und des Beklagten ergibt, ist die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankungen schwierig. Problematisch bei der Beurteilung der zugrunde liegenden Augenerkrankungen ist u.a., dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnitts der Augen und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich ist, was, wie der Sachverständige Prof. Dr. C. plausibel hervorgehoben hat, auch gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung führt. Letztlich nicht geklärt werden konnte, ob bei der Klägerin eine Retinopathia pigmentosa (gegebenenfalls in einer seltenen Neumutation) vorliegt. Wie der vom Beklagten beauftragte Ophthalmologe Prof. Dr. U. darauf hingewiesen hat, bleibt es „etwas spekulativ“, ob es sich tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handelt. Nicht feststeht auch, ob bei der Klägerin die „etwas untypische“ familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepens (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. C.) vorliegt.
Diese Fragen und weiteren Unsicherheiten sind jedoch letztlich nur teilweise beachtlich; die exakten Diagnosen, die der massiven Sehbeeinträchtigung der Klägerin zugrunde liegen, können letztlich offen bleiben. Wie oben im Einzelnen bereits zur Frage des Nachweises der Blindheit dargelegt, sind auch diese diagnostischen Einordnungen im Hinblick auf die grundsätzliche Problematik der medizinisch-wissenschaftlichen Feststellungen (s.o.) nur von sekundärer Bedeutung. Feststeht nach allen Darlegungen durch ophthalmologische Behandler und Gutachter, dass die Klägerin jedenfalls an erheblichen Schädigungen der Retina leidet und dass auch der Nervus opticus geschädigt ist. Wie Prof. Dr. C. nachvollziehbar dargelegt hat, steht eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens an beiden Augen im Mittelpunkt der Sehbeeinträchtigung der Klägerin; darüber hinaus ist es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden ist. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion ist es zudem in den letzten Jahren zu einer weiteren Verschlechterung gekommen, wobei sich die wesentlichen morphologischen Befunde seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert haben.
Auf die diagnostische Einordnung kommt es im Einzelnen nur insoweit an, als sich dadurch Rückschlüsse bezüglich der von der Klägerin angegebenen Sehbeeinträchtigungen ergeben (vgl. z.B. auch die Vorgabe der VG in Teil B, Vorbemerkung Nr. 4, wonach der morphologische Befund die Sehbeeinträchtigung zu erklären hat). Durch die hier festgestellten Diagnosen sind die massiven Sehstörungen der Klägerin zur Überzeugung des Senats, die zur Annahme faktischer Blindheit (gem. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) führen, ausreichend begründet, ohne dass die konkrete Einordnung entscheidend wäre. So gesteht selbst der vom Beklagten beauftragte, den Angaben der Klägerin sehr kritisch gegenüberstehende Ophthalmologe Prof. Dr. U. u.a. zu, dass selbst ohne eine „fragliche“ Stäbchen-Zapfen-Dystrophie eine funktionelle Verschlechterung des Sehnerven über die Jahre durchaus durch die von Geburt an bestehende Malformation des Sehnerven zu erklären sei. Im Übrigen ist es auch nicht Sinn eines sozialgerichtlichen Verfahrens, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen, wie der Senat in Übereinstimmung mit dem BSG bereits in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat (vgl. z.B. die Urteile vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14 - sowie vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.20107 - 1 RK 28/95). Aus diesem Grund war im Übrigen auch nicht veranlasst, hier noch weiter zu ermitteln.
Im Mittelpunkt der (für den Senat nur Rest-) Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, wie sie insbesondere vom Beklagten artikuliert wurden, stehen vielmehr die vorgetragenen Aspekte, nach denen den Angaben der Klägerin zu Visus- und Gesichtsfeld nicht (vollständig) geglaubt werden könne. Dies gilt insbesondere für die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben der Klägerin, auf die der Beklagte mehrfach in Übereinstimmung mit den vorliegenden Befunden hingewiesen hat.
Der Senat stellt nicht in Abrede, dass jeweils voneinenader abweichende Visus- und Gesichtsfeldangaben eines betroffenen sehbehinderten Menschen grundsätzlich u.U. durchaus zu gewichtigen Zweifeln führen und letztlich einen Blindheitsnachweis vereiteln können; dies ist in der ständigen Rechtsprechung des Senats auch fest verankert. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. C. und im Ergebnis auch mit Dr. K. geht der Senat jedoch davon aus, dass vorliegend die Angaben der Klägerin der Annahme von faktischer Blindheit im o.g. Sinn nicht entgegenstehen.
Auch wenn der Senat die Angaben der Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Prof. Dr. K. im Jahr 2012 durchaus als widersprüchlich und insoweit (besonders wegen der Angaben bei den jeweils unterschiedlichen Abständen am Bjerrumschirm) nur bedingt als glaubhaft ansieht, geht er entsprechend der zutreffenden Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. C. davon aus, dass „deshalb nicht dauerhaft und für alle Zeit an den Angaben … gezweifelt werden“ kann, vor allem, wenn - worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - zahlreiche objektive Befunde und auch der morphologische Befund eindeutig eine ausgeprägte Schädigung dokumentieren. Allerdings sind die Angaben sicherlich kritisch zu hinterfragen, was die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. auch im Einzelnen getan haben.
Im Ergebnis teilt der Senat die Auffassung von Prof. Dr. C., der die Sehschärfeangaben als glaubhaft betrachtet und „keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld“ hat.
Wie dieser zutreffend hervorgehoben hat, stehen die Schwankungen bzgl. der Angaben bei beiden Prüfungen dem nicht entgegen.
Nach der plausiblen Darlegung des beauftragten Ophthalmologen ist hinsichtlich der über Jahre hinweg angegebenen stabilen Sehschärfe und dem Abfall ab 2012 u.a. zu berücksichtigen, dass es sich bei den Befunden bis 2012 nahezu ausschließlich um klinische Untersuchungen ohne gutachtliche Bedingungen gehandelt hat. Eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220 mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium) unterscheidet sich erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Prüfung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gutachterliche Ergebnisse mit Landoltringen typischerweise niedriger liegen als Ergebnisse bei letzteren Prüfungen.
Vor allem aber hat der Gutachter festgestellt, dass sich bei der Sehschärfeprüfung im Vergleich von Ferne, Nähe und Vergrößerungsbedarf kein Anhalt für widersprüchliche oder nicht glaubhafte Angaben seitens der Klägerin ergeben hat.
Zudem hat der Sachverständige auch nachvollziehbar dargestellt, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantitativen Ergebnis führt, das eine Genauigkeit vorgibt, die in Wirklichkeit nicht existiert, worauf der Senat in seiner Rechtsprechung bereits hingewiesen hat (Urteil vom 16.11.2017 - L 15 BL 12/17). So ist die Sehschärfeprüfung (als subjektive Untersuchungsmethode) keine exakte Messung, bei der nicht einmal bei baldiger Wiederholung stets dieselbe Sehschärfe resultiert. Dies muss erst recht bei späteren Wiederholungen an einem anderen Tag gelten (vgl. d. Problem der „Tagesform“). Der Senat hat - im Ergebnis übereinstimmend nun auch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. - festgestellt (a.a.O.):
„Im Übrigen ist aus Sicht des Senats nicht außer Acht zu lassen, dass jeder Visusbestimmung, also auch der mit den grundsätzlich vorgeschriebenen Landoltringen, eine gewisse Unschärfe eigen ist, die sich durchaus als im Sinn der Blindheitsbegutachtung relevant darstellen kann. Hierzu zählen nicht nur die Fälle von Aggravation im Hinblick darauf, dass es sich bei Visus (und Gesichtsfeld) insoweit um subjektive Befunderhebungen handelt, sondern hinzu kommt auch die Problematik der nur eingeschränkten Reproduzierbarkeit von Sehschärfemessungen. Bekanntlich ist davon auszugehen, dass nur bei einem Drittel aller Wiederholungen eines Tests derselbe Sehschärfewert ermittelbar ist; bei einem Sechstel aller Wiederholungen könnte der Unterschied sogar zwei Visusstufen betragen (vgl. z.B. bereits die Darlegungen von Bach/Kommerell, Sehschärfebestimmung nach Europäischer Norm, in: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1998; 212: S. 190 bis 195).“
In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch plausibel auf die vorliegend starken Schwankungen der Angaben zur Brechkraft der Augen der Klägerin hingewiesen. So sind die deutlichen Schwankungen vor allem der Achse der Hornhautverkrümmung links einerseits Ausdruck der durch die erhebliche Trübung der Linsenkapsel hervorgerufenen Einschränkung der Optik dieses Auges, und somit ein zusätzlicher Erklärungspunkt für eine Sehschärfereduktion. Andererseits haben diese Schwankungen, wie der Sachverständige hervorgehoben hat, auch einen möglichen Einfluss auf die Sehschärfe.
Nach den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. C. haben die kurzfristigen Schwankungen der Sehschärfe im Jahr 2014 im Übrigen gar nicht stattgefunden.
Mit dem Sachverständigen geht der Senat auch davon aus, dass die Angaben der Klägerin zum Gesichtsfeld grundsätzlich stimmig sind, auch wenn - worauf der Beklagte, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, zutreffend hingewiesen hat - ein schwankender Verlauf dokumentiert ist. Gerade bei einer starken Kurzsichtigkeit ist nach der nachvollziehbaren Darlegung des Sachverständigen eine u.U. sogar erhebliche Gesichtsfeldeinengung manchmal ohne eindeutige Erklärung aber durchaus nicht unüblich.
Vor allem ist bei der Untersuchung durch Prof. Dr. C. von der Klägerin ein nun aber wieder größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier ist jedoch entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch ist und gewissen Schwankungen unterliegt. Auch ist zu beachten, dass diese Schwankungen untersuchungsbedingt entstehen können; dass daneben - bei der gegebenen subjektiven Untersuchungsmethode - auch die „Tagesform“ der Klägerin eine gewisse Rolle spielen kann, ist selbstverständlich. Ob das Ausmaß der vorliegenden Schwankungen hiermit vereinbar ist, kann der Senat aufgrund eigener Sachkunde nicht definitiv entscheiden. Der Senat sieht aber keinen Anhalt dafür, dass die plausiblen Darlegungen des anerkannten Sachverständigen insoweit unzutreffend sein könnten; er macht sich auch diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.
In diesem Zusammenhang ist freilich auch zu beachten, dass die zahlreichen objektiven Untersuchungsergebnisse sowohl des morphologischen als auch des objektiven Funktionsbefunds (d.h. der elektrophysiologischen Ergebnisse) eindeutig eine ganz ausgeprägte Schädigung der Klägerin dokumentieren (zum morphologischen Befund siehe u.a. bereits oben). Entsprechend der ausdrücklichen Feststellung von Prof. Dr. C. haben die objektiven Befunde eine wie angegeben hochgradige Störung der Sehschärfe erklärt, selbst wenn eine eindeutige Veränderung des Befundes nicht dokumentiert ist. Der Sachverständigen hat jedoch plausibel festgestellt, dass in solchen Fällen angesichts der ohnehin schon bestehenden (starken) Schädigung eine eindeutige Dokumentierung einer solchen Veränderung oft nicht mehr möglich ist.
Dabei ist mit Blick auf die morphologische Situation auch zu berücksichtigen, dass, wie der Sachverständige Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, unterstellt werden muss, dass die Netzhautdegeneration zugenommen hat. Wegen der massiven strukturellen Vorveränderungen der Netzhaut ist eine weitere Degeneration durch Inaugenscheinnahme nur noch schwer heraus zu differenzieren, d.h. zu erkennen, zumal die Augenhintergrundspiegelung wegen des reduzierten Einblicks (s.o.) bei der Klägerin ohnehin sehr schwierig ist. Wie Dr. K. nachvollziehbar festgestellt hat, ist es also nicht verwunderlich, „wenn dann angesichts der Fülle an Vorschäden bei massiv erschwertem Einblick zusätzliche chronisch-degenerative, also langsam zunehmende Schäden nicht erkannt bzw. nicht dokumentiert“ worden sind. Wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, bedeutet die Tatsache, dass keine zusätzlichen Fundusschäden in der fraglichen Zeit dokumentiert worden sind, entgegen der Argumentation des Beklagten nicht automatisch, dass sich keine entwickelt hätten. Zudem können sich durchaus funktionelle Verschlechterungen einstellen, ohne dass unbedingt eine sichtbare Strukturveränderung erkennbar sein muss. Im Übrigen ist hinsichtlich der Veränderung des morphologischen Befundes auch auf die Feststellung von Dr. K. zu verweisen, dass allein schon anhand der Abblasung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration (anhand der Akten) nachvollzogen werden kann.
Wie Prof. Dr. C. plausibel dargelegt hat, gelingt die Einschätzung einer (diffusen) Schädigung der Sinneszellen der Netzhaut am ehesten durch das Ganzfeld-Elektroretinogramm. Doch auch diese objektiven Befunde der elektrophysiologischen Untersuchung haben bei der Klägerin von Untersuchungsort zu Untersuchungsort und auch zwischen den unterschiedlichen Geräten geschwankt. Die Befunde sind jedoch durchwegs im unteren Bereich der Nachweisbarkeit gelegen.
Hinsichtlich des OKN geht der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. z.B. das Urteil vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, m.w.N.) zwar davon aus, dass eine Auslösbarkeit zu erheblichen Zweifeln an einer niedrig angegebenen Sehschärfe (von nur noch Handbewegungen) Anlass gibt. Solche massiven Zweifel können vorliegend jedoch nicht durchgreifen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C. (im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. U.) plausibel angemerkt hat, ist es bei einem gleichzeitig bestehenden Spontannystagmus grundsätzlich schwierig, den OKN von Letzterem zu differenzieren. Daneben aber ist auch wesentlich, dass vor allem bei vorbestehender Schwachsichtigkeit auch bei erheblich reduzierter Sehschärfe ein Nystagmus auslösbar sein kann. Ferner ist der Reiz einer Nystagmustrommel sehr großflächig und bei Annäherung auch mit einem leicht erkennbaren Strichmuster verbunden, so dass die Auslösbarkeit eines Nystagmus mit einer Trommel eine deutlich bessere als die subjektiv angegebene Sehschärfe nicht sicher beweist. Gerade angesichts einer Sehschärfe im Bereich wie vorliegend von 0,04 bis 0,06 gegenüber früheren Werten von 0,1 oder 0,125 ist der Unterschied nur so gering, dass sich ein solcher auch mit dieser objektiven Untersuchungsmethode nicht beweisen oder ausschließen lässt.
Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat aus Sicht des Senats plausibel auch festgestellt, dass das Verhalten der Klägerin nicht gegen ihre subjektiven Angaben gesprochen hat. Bei einem Gesichtsfeld, das bis etwa 16 Grad vom Fixierpunkt erhalten ist, ist ein Betroffener, der sich über Jahre an eine solche Einengung gewöhnt hat, durchaus in der Lage, sich zögernd zu orientieren (und einen Stuhl zu finden oder die Hand zu reichen). Im Übrigen hat der Senat bereits längst entschieden (z.B. Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13), dass bei der Blindheitsbegutachtung im Rahmen von Plausibilitätskontrollen unter anderem auch Verhaltensbeobachtungen berücksichtigt werden können, dass dabei jedoch zu beachten ist, dass eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens erlaubt. Sie ist grundsätzlich nicht geeignet, zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung (im untechnischen Sinne) und einer Blindheit im Sinne des Art: 1 Abs. 2 BayBlindG mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zu differenzieren.
Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem vom Beklagten ins Verfahren eingeführten (Partei-)Gutachten, d.h. der Stellungnahme von Prof. Dr. U. vom 17.06.2015. Dieser hat im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben problematisiert und darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihrerseits sehr gutachtenserfahren und insoweit gut beraten sei. Zudem hat er im Einzelnen auf die Möglichkeiten der Beeinflussung elektrophysiologischer Untersuchungen (durch mangelnde Fixation des Bildschirms) thematisiert. Eine solche Untersuchung stoße in einem Fall wie dem der Klägerin „grundsätzlich an Grenzen“. Diese Ausführungen des - erfahrenen - Ophthalmologen sind aber nicht geeignet, die insoweit bestehenden positiven Feststellungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. in Frage zu stellen oder zu entkräften.
Schließlich hindert nach Auffassung des Senats auch die Angabe im Befundbericht vom 14.11.2016, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe gut zurechtkomme, nicht an der Annahme von Blindheit. Denn zur Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen, gelten die allgemeinen Regeln (VG Teil B, Vorbem. 4), nach denen es auf den Fernvisus ankommt. Wie der Senat im Urteil vom 26.09.2017 (L 15 BL 8/14) entschieden hat, gilt dies (im Fall einer Makuladegeneration) auch dann, wenn ein (fast) vollständiger Verlust der Lesefähigkeit vorliegt und die Sehschärfe in der Ferne deutlich besser ist. Umgekehrt gilt dies ebenfalls, wenn zwar gelesen werden kann, die Sehschärfe in der Ferne aber schlechter ist. Aus der Tatsache, dass unter Zuhilfenahme klassischer Lesehilfen Sehleistungen in der Nähe noch erbracht werden können, lässt sich nicht schlussfolgern, dass vorliegend die Angaben der Klägerin falsch gewesen wären. Im Übrigen kann dahinstehen, wie die Formulierung des Arztes, die Klägerin komme mit den Geräten gut zurecht, tatsächlich zu verstehen ist.
Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. sieht der Senat Blindheit der Klägerin jedoch erst ab dem 23.10.2014, also ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. K., als nachgewiesen an (vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 1 BayBlindG). Vor dem genannten Zeitpunkt ist der Blindheitsnachweis nicht erbracht; hier liegen noch gewichtige Zweifel in o.g. Sinn vor. Die Berufung ist daher insoweit zurückzuweisen.
Die Berufung hat somit im tenorierten Umfang Erfolg. Der Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zur Gewährung von Blindengeld ab dem genannten Zeitpunkt zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).