Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 05. Juli 2016 - L 15 BL 17/12

published on 05/07/2016 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 05. Juli 2016 - L 15 BL 17/12
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Gericht

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Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. November 2012 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.

Der Kläger ist 2004 geboren. Mit Bescheid vom 08.07.2009 wurden vom Beklagten ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „aG“, „B“, „H“ und „RF“ festgestellt.

Am 06.03.2009 stellte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, Antrag auf Blindengeld beim Beklagten. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte die vorgelegten Unterlagen aus, wie den Bescheid der M. Pflegekasse vom 13.06.2008 bezüglich der Feststellung der Pflegestufe III und eine Reihe von medizinischen Berichten.

* Im Bericht der Klinik für Neuropädiatrie und neurologische Rehabilitation, Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, Behandlungszentrum V., vom 25.08.2008 wurde darauf hingewiesen, dass die Grunderkrankung des Klägers nicht geklärt sei, es wurden vorsichtige Modifikationen der derzeitigen antiepileptischen Therapie empfohlen. Der Kläger wurde dort wegen fortschreitender geistiger Entwicklungsretadierung mit sprachlichem Schwerpunkt, fortschreitender Ataxie, Hypotonie und orofacialer Hypotonie sowie symptomatischer Epilepsie behandelt. Im Bericht wurde eine augenärztliche Untersuchung vom 08.07.2008 erwähnt, die ergeben hatte, dass eine Fixation beidseits nur auf große Objekte und Licht möglich sei; die Motilität sei frei, es seien kein Drift der Augen gesehen worden und auch kein Nystagmus, „keine Blickparese nach unten, weiterhin Visusminderung beidseits.“ Im Bericht wurden weiter objektive Refraktionswerte angegeben und die Empfehlung, zu versuchen, eine Brille zu tragen, ausgesprochen. * In der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des UKR vom 21.08.2008 wurde der Verdacht auf Visusminderung im Rahmen eines Symptomkomplexes bisher unklarer Äthiologie als Diagnose festgestellt. Im Rahmen der Befunderhebung wurde festgestellt, dass keine Fixation aufgenommen worden sei, der Kläger habe jedoch zum Teil nach Gegenständen gegriffen. * Im Bericht der F-Klinik (Kinder- und Jugendmedizin) vom 08.04.2009 wurden die Diagnosen lokalisationsbezogene fokale partielle symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen, schwere psychomotorische Retadierung bei unklarer Grunderkrankung und langzeitige Abhängigkeit vom Rollstuhl und Stuhlinkontinenz gestellt. Die Krampfanfälle seien eher unverändert geblieben, „jedoch gebesserte Motorik und Verhalten“, so dass nach früheren Rückschritten jetzt wieder eine Verbesserung eingetreten sei. Im Rahmen des Aufnahmebefundes wurde u. a. festhalten, dass mit dem Kläger wenig Kontaktaufnahme möglich sei.

Sodann fertigte die Augenärztin L. am 26.05.2009 im Auftrag des Beklagten ein Gutachten an. Die Ärztin stellte fest, dass beim Kläger eine Epilepsie und eine Entwicklungsstörung vorliegen würden. Nach Angaben der Mutter sei der Kläger als gesundes Kind geboren worden und habe auch erste Worte sprechen können, als die Anfälle begonnen hätten und damit ein Rückschritt im Entwicklungsstand des Klägers eingesetzt habe. Im Rahmen der Befunderhebung schilderte die Ärztin, dass der Kläger keinerlei Folgebewegungen (mit den Augen) gemacht habe, es sei zu keinem Zeitpunkt der Versuch einer Fixationsaufnahme erfolgt. Es lasse sich keine Reaktion erkennen auf Abdunkeln und plötzliches Erleuchten des Raumes, helles Licht im dunklen Raum, auf bewegte Personen, auf bewegte bunte oder schwarze Gegenstände oder auf schnelle angreifende Handbewegungen auf das Gesicht zu. Ausschließlich das bei der direkten und indirekten Fundusuntersuchung extrem helle Licht löse Abwehr in Form von Kneifen aus, sei aber auch hier nicht stark ausgeprägt. Soweit feststellbar, scheine das Abwehrverhalten bei Blendung des linken Auges etwas stärker als rechts, hier drehe der Kläger den Kopf etwas zur Seite. Als Diagnose stellte die Augenärztin eine generalisierte Störung der Hirnfunktion mit Störung aller Sinnesmodalitäten. Es lasse sich keine stärkere Beeinträchtigung des visuellen Systems im Vergleich zu den anderen Sinnesqualitäten feststellen. Damit sei Blindheit im Sinne des BayBlindG nicht nachgewiesen. Vielmehr sei neben dem gleichermaßen ausgeprägten Fehlen adäquater Reaktionen auf visuelle, akustische oder taktile Reize auch ein Fehlen einiger Reflexe feststellbar sowie eine anormale Pupillen- und Bulbusmotilität, was auf eine Hirnstammbeteiligung schließen lasse.

Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.06.2009 den Blindengeldantrag ab. Nach dem o.g. augenärztlichen Gutachten und dem Bericht der F-Klinik liege beim Kläger eine schwere psychomotorische Retardierung bei unklarer Grunderkrankung vor, wobei sich eine generalisierte Störung der Hirnfunktion mit Störung aller Sinnesmodalitäten gezeigt habe. Das visuelle System sei im Vergleich zu den anderen Sinnesqualitäten nicht stärker beeinträchtigt. Morphologisch fänden sich an den Augen keine Befunde, die Blindheit beweisen oder nahelegen würden. Blindheit im Sinne des BayBlindG sei daher nicht nachgewiesen.

Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 11.07.2009 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurden eine Reihe von weiteren ärztlichen Berichten ausgewertet. Im Arztbrief des Behandlungszentrums V. vom 25.04.2008 wurde u. a. der Normalbefund einer MRT vom August 2006 und eines cCT vom November 2007 festgehalten. Im craniellen MRT von Februar und April 2008 fanden sich im Wesentlichen unauffällige Befunde, lediglich die Weite der Liquorräume war betont. Im Rahmen der Messung visuell evozierter Potentiale (VEP) wurde auf eine schlechte Morphologie und schlechte Reproduzierbarkeit hingewiesen sowie auf verzögerte Reizleitungen. Es habe sich der Hinweis auf eine beidseitige Funktionsstörung der Sehbahn, links mehr als rechts, ergeben. Eine augenärztliche Untersuchung, so der Bericht, habe zunächst einen unauffälligen Befund ergeben. Für eine Woche habe der Kläger fast ausschließlich nach oben geblickt und die Augen nur selten in die Mittellinie bringen können.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.09.2009 wurde von der Ärztin Dr. P. festgestellt, dass (faktische) Blindheit im Sinne des BayBlindG nicht nachgewiesen sei. Eine spezifische Sehstörung liege nicht vor. Der morphologische Befund an den Augen sei weitgehend unauffällig gewesen; Fixationsaufnahmen oder Folgebewegungen hätten nicht ausgelöst werden können etc. Das Kind reagiere jedoch ebenso wenig auf andere Reize. U. a. hat die Ärztin darauf hingewiesen, dass sich in der Bildgebung (MRT) weder umschriebene Veränderungen ischämischer, raumfordernder oder entzündlicher Natur gefunden hätten noch Allgemeinveränderungen der Hirnrinde (lediglich Weite der Liquorräume betont). Eine umschriebene oder abgrenzbare Schädigung im Bereich von Sehbahn bzw. Sehrinde sei somit nicht belegt.

Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück. Beim Kläger, so die Begründung, liege eine generalisierte, fortschreitende psychomotorische Retardierung, verbunden mit einem hirnorganischen Anfallsleiden, vor. Ob neben der zerebralen Schädigung auch Blindheit oder eine andere Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege, habe nicht festgestellt werden können. Mitwirkungsabhängige Untersuchungen des Visus und des Gesichtsfeldes seien aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers bei der augenärztlichen Untersuchung am 26.05.2009 nicht durchführbar gewesen. Morphologisch habe sich an den Augen kein Befund gefunden, der Blindheit beweisen oder nahelegen könne, so dass sich der objektive Nachweis von Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht erbringen lasse. Nachdem beim Kläger klinisch nicht nur eine Störung des Sehens, sondern generell ein schwerer Entwicklungsrückstand vorliege, sei zu prüfen, ob faktische Blindheit als Folge einer Hirnschädigung in Kombination mit einer Schädigung der Augen bestehe. Beim Kläger sei die Wahrnehmung aber nicht nur im visuell/optischen Bereich herabgesetzt, das fehlende Sehvermögen sei vielmehr eingebettet in eine umfassende Wahrnehmungsstörung und könne nicht von der schwerstgradigen seelischgeistigen und körperlichen Behinderung abgegrenzt werden.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 12.10.2009 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass nach der gegebenen Tatsachenlage eine der Blindheit gleich zu achtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG zum Antragszeitpunkt aufgrund der schwerwiegenden zerebralen Schädigungen vorgelegen habe und dass die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten nicht so weit herabgesetzt seien, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich wäre. Er hat u. a. hervorgehoben, dass der Kläger keinerlei Folgebewegungen gemacht habe und dass zu keinem Zeitpunkt der Versuch einer Fixationsaufnahme erfolgt sei. Somit müsse davon ausgegangen werden, dass die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit so stark herabgesetzt sei, dass nicht einmal eine Lichtscheinwahrnehmung vorhanden sei. Die Feststellung, dass die übrigen Sinneswahrnehmungen ebenso stark reduziert seien, sei unzutreffend.

Mit Schreiben vom 26.05.2011 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass nach den Gesamtumständen beim Kläger Blindheit im Sinne des Gesetzes vorliege; er hat ein augenärztliches Attest von Frau Dr. C. vom 12.04.2011 vorgelegt. Die Augenärztin hat in dem Attest ebenfalls berichtet, dass keine Fixation aufgenommen werde und der Kläger keinerlei Reaktion auf Lichtreize gezeigt habe. Morphologisch sei, soweit beurteilbar, ein regelrechter Befund gegeben.

Im Folgenden hat das SG zahlreiche medizinische Unterlagen eingeholt bzw. ausgewertet. In einem Attest des Kinderarztes Dr. L. vom 20.07.2011 ist bestätigt worden, dass es sich um eine bisher unklare Grunderkrankung handele. Im Entlassungsbericht des Klinikums C. vom 27.12.2006 ist im Rahmen der Anamneseerhebung festgehalten worden, dass der Kläger im September in Erlangen gewesen sei, wo seine Brille korrigiert worden sei; seitdem hätte sich eine deutliche Besserung in der Motorik ergeben. Im Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums C. vom 04.08.2006 sind als Diagnosen u. a. Hyperopie, Schielfehlsichtigkeit, Brillenversorgung, Abkleben gestellt worden. Seit einem Jahr sei der Kläger wegen Schielens mit einer Brille versorgt. In der zusammenfassenden Beurteilung ist u. a. hervorgehoben worden, dass die „deutliche visuelle Beeinträchtigung“ die Entwicklung des Klägers sicher verlangsamt bzw. eingeschränkt habe. Im Bericht vom 02.09.2008 ist der Verdacht auf eine zentrale Hör- und Sehminderung geäußert worden. Der Kläger reagiere im Rahmen der dortigen Untersuchung nur sicher auf intensive Farben; Blickkontakt sei dem Kläger immer nur kurz möglich. Ein Verfolgen sei ihm nur ansatzweise möglich. Im Bericht vom 11.11.2008 sind als Diagnose u. a. allgemeine einschließlich kognitive Entwicklungsstörung mit Hinweis auf einen neurodegenerativen Verlauf sowie Verdacht auf epileptische Encephalopathie mit beginnender Hirnatrophie festgehalten worden. Der Kläger zeige im Verlauf Entwicklungsrückschritte. Im Befundbericht der Augenärztin Dr. C. vom 20.09.2011 sind Strabismus convergens, Hyperopie, Astigmatismus und Verdacht auf kortikale Blindheit festgestellt worden. Seit Juli 2007 sei eine Verschlechterung des Allgemeinzustands eingetreten; damals sei noch eingeschränkte Kooperation möglich gewesen, derzeit erfolge keinerlei Reaktion.

Sodann hat das Gericht Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt (§ 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG). In seinem Gutachten vom 11.07.2012 hat Prof. Dr. G. geschildert, dass der Kläger während der gesamten Untersuchung im Rollstuhl gesessen sei und keinerlei Blickkontakt aufgenommen habe. Während der Untersuchung sei die Angabe der Eltern bestätigt worden, dass der Kläger auf Geräusche reagiere. Sobald der Kläger am Kopf berührt werde, z. B. im Rahmen einer Untersuchung, werde der Kopf gezielt nach unten im Sinne einer Abwehrreaktion geneigt. Die Stimme der Eltern und insbesondere der durch Streicheln entstehende Körperkontakt wirkten beruhigend auf den Kläger.

Der Gutachter hat für beide Augen folgenden Befund erhoben: „Die Lider sind in Form, Stellung und Beweglichkeit regelrecht. Die Bindehaut ist reizfrei. Die Hornhaut ist glatt, klar, spiegelnd. Die Vorderkammer ist mittelschief, optisch leer. Die Regenbogenhaut ist reizfrei, regelrecht gefügt. Die Pupille ist rund, mittelweit, nur angedeutete und unvollständige Reaktion auf kräftigen Lichtreiz, bei indirektem Lichtreiz (durch Beleuchtung des linken Auges) ebenfalls angedeutete konsensuelle Reaktion. Die Linse ist am Ort, klar, keine Verdichtung oder Trübung.“

Den Augenhintergrund hat der Gutachter wie folgt beurteilt: Der Sehnervenkopf sei regelrecht gefärbt mit kleiner zentraler Aushöhlung, im Netzhautniveau scharf begrenzt. Die Stelle des schärfsten Sehens zeige einen regelrechten Reflex. Die Gefäße seien in Verlauf und Kaliber regelrecht. Die Netzhaut liege, soweit einsehbar, überall an.

Eine Sehschärfeprüfung hat der Sachverständige nicht durchführen können. Weder im hellen noch im abgedunkelten Raum sei eine eindeutige Reaktion auf Licht erfolgt. Auch starkes Beleuchten mit der Bonnoskoplampe direkt auf das Auge, selbst bei schneller Annäherung der Lichtquelle, löse keinerlei Reaktion aus. Phasenweise scheine ein Lidschluss auslösbar. Fixationsaufnahme, Blickkontakt oder Auslösen von Folgebewegungen seien nicht möglich gewesen. Soweit beurteilbar, bestehe bei der Augenbeweglichkeit keine grobe Einschränkung. Die Pupillen seien beide mittelweit und reagierten nur angedeutet auf direkte Beleuchtung. Eine Gesichtsfeldprüfung hat der Sachverständige nicht durchgeführt.

Im Rahmen der Beurteilung hat Prof. Dr. G. festgestellt, dass der Kläger das Augenlicht somit nicht vollständig verloren habe. Die Reaktion des Klägers auf visuelle Reize hänge nicht ausschließlich vom Befund des Sehnervs, der Sehbahn und dem dargebotenen visuellen Reiz ab, sondern von höheren Zentren, die das, was der Kläger mit den Augen aufnehme, weiter verarbeiteten. Diese Zentren seien ohne Zweifel durch seine Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen. Summa summarum würde man, so der Sachverständige, eine hochgradige Beeinträchtigung des Sehvermögens vermuten. Der Gutachter hat aber nicht feststellen können, ob das Sehvermögen des Klägers einem Visus von 1/50 oder weniger entspricht. Eine visuelle Agnosie in ihrer typischen Form oder eine andere gnostische Störung in isolierter Form lägen nicht vor. Vielmehr scheine die Wahrnehmung auf allen Gebieten herabgesetzt bzw. massiv beeinträchtigt zu sein, wobei das visuelle System stärker betroffen sei als beispielsweise das taktile oder akustische, ohne dass dies in Zahlen ausgedrückt werden könne.

Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts hat der Sachverständige weiter festgestellt, dass zur Beantwortung der Beweisfragen ausschließlich die klinische Untersuchung eingesetzt worden sei. Messmethoden wie ein VECP seien beim Kläger nicht anwendbar. Die klinische Untersuchung könne dahingehend verifiziert werden, dass sie von anderen Untersuchern wiederholt werde. Er, der Gutachter, persönlich gewichte die Sehstörung, die beim Kläger vorliege, als so komplex und ausgeprägt, dass er sie mit einer faktischen Erblindung vergleichen würde.

Mit Schriftsatz vom 30.07.2012 hat der Bevollmächtigte seine Einschätzung wiedergegeben, dass beim Kläger offenkundig ein Grenzfall vorliege, bei dem sich selbst die Experten äußerst schwer täten, zu einem gesicherten wissenschaftlichen Ergebnis zu kommen. Aufgrund der gutachterlichen Einschätzung teile die Klägerseite die mittlerweile geäußerte Auffassung des SG nicht, wonach der Vollbeweis der Erblindung nicht zu führen sei. Er, der Bevollmächtigte, komme zu dem Ergebnis, dass für die Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer faktischen Erblindung auszugehen sei. Auch wenn dies wörtlich nicht so formuliert werde, müsse dieses Ergebnis im Wege der Auslegung der gutachterlichen Ausführungen angenommen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach Überzeugung des Gerichts der Blindheitsnachweis nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen nicht geführt werden könne. Eine hinreichende Beeinträchtigung der Sehschärfe sei nach dem Gutachten von Prof. Dr. G. im Hinblick auf die Feststellung von Restfunktionen des Sehvermögens nicht gegeben. Nicht zu folgen vermöge das SG der Äußerung des Gutachters, dass die Sehstörung einer faktischen Erblindung entspreche. Eine spezifische Sehstörung sei vorliegend nicht gegeben, ein Ermessen dem SG nicht eröffnet.

Hiergegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 27.12.2012 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. Zur Begründung der Berufung hat der Bevollmächtigte im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. G. nach klägerischer Auffassung Blindheit im Sinne des BayBlindG ergebe. Es handle sich um eine „andere Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, so dass diese Beeinträchtigung einer Sehschärfe gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBlindG von 1/50 gleichzuachten sei. So sei das Gutachten von Prof. Dr. G. zu verstehen. Eine faktische Blindheit werde dort bejaht, dies werde durch die Verwendung des Wortes „würde“ nicht in Zweifel gezogen. Weiter hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass eine der Blindheit gleichzusetzende Sehbeeinträchtigung nicht nur in den vom SG aufgeführten Fällen, sondern auch dann vorliege, wenn diese Kriterien nicht nachweisbar seien. In jedem Einzelfall sei zu prüfen, ob die Sehstörung nach ihrem Schweregrad als gleichschwere Beeinträchtigung zu bewerten sei. Bei der Blindheitsbeurteilung dürften nämlich nicht nur Sehschärfe und Gesichtsfeld herangezogen werden, sondern es müssten alle Störungen des Sehvermögens Berücksichtigung finden. Weiter hat der Bevollmächtigte auf das Urteil des BSG vom 20.07.2005 (Az.: B 9a BL 1/05 R) hingewiesen.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.04.2013 ist vom Beklagten vor allem darauf hingewiesen worden, dass in der Funktionsfähigkeit der verschiedenen Sinnesmodalitäten keine deutlichen Unterschiede bestehen würden. Weitere Untersuchungen, so die Ärztin Dr. P., seien im Hinblick auf die bisherigen aussagekräftigen Unterlagen nicht erforderlich und würden wohl auch keine neuen Erkenntnisse ergeben. (Faktische) Blindheit sei weiterhin nicht nachgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 09.04.2014 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass die Feststellung von Frau Dr. L. in krassem Widerspruch zu den Feststellungen von Prof. Dr. G. stehe; die Augenärztin habe zu dem Kläger keinen Zugang gefunden. Die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin könne aufgrund der mangelhaft durchgeführten Untersuchung im Prozess nicht verwendet werden. Seit Sommer 2013 gehe es dem Kläger wieder zunehmend besser; so könne er mit einer geringfügigen Unterstützung jetzt wieder sitzen und versuche wieder, sich lautierend mitzuteilen. U. a. ist zudem darauf hingewiesen worden, dass eine Lehrkraft des Klägers bestätigen könne, dass bei diesem eine Wahrnehmungsfähigkeit deutlich vorhanden sei.

Im Folgenden ist das Berufungsverfahren wegen des Parallelverfahrens des Senats Aktenzeichen L 15 BL 5/11 und des sich beim Bundessozialgericht (BSG) anschließenden Revisionsverfahrens (Az.: B 9 BL 1/14 R) nicht weitergeführt worden. Auf gerichtliche Aufforderung hin hat sich der Beklagte dann mit Schriftsatz vom 29.02.2016 zum Verfahren mit Blick auf das zwischenzeitlich ergangene Revisionsurteil des BSG vom 11.08.2015 (Az.: B 9 BL 1/14 R) wie folgt geäußert: Entsprechend den Unterlagen des Behandlungszentrums V. und der Kinderklinik des Klinikums C. aus 2008 leide der heute elfjährige Kläger an einem Symptomenkomplex bisher unklarer Äthiologie mit fortschreitender geistiger Entwicklungsretardierung. Schwerpunkte seien sprachliche, fortschreitende Ataxie und Hypotonie sowie symptomatische Epilepsie. Alle Untersuchungen - einschließlich Stoffwechseldiagnostik und Bildgebung des Schädels - würden, so Dr. P., unauffällige Befunde zeigen. Bei dieser Befundlage könne nach Auffassung des Beklagten eine Sehstörung, die einer Erblindung gleichgesetzt werden könnte, nicht nachgewiesen werden. Die seit etwa dem zweiten Lebensjahr einsetzende Entwicklungsverzögerung mit Verschlechterung sowohl der motorischen als auch der kognitiven Funktionen habe in erster Linie das Sprachvermögen, den Gleichgewichtssinn und den Musekltonus betroffen, die Verarbeitung externer, vor allem taktiler, akustischer und visueller Reize sei erst im fortgeschrittenen Stadium bei Schädigung der höheren Hirnfunktionen zunehmend beeinträchtigt. Um das Ausmaß einer Sehbehinderung bestimmen zu können, müssten das Sehvermögen und die visuelle Wahrnehmung untersuchbar sein, was voraussetze, dass eine reproduzierbare Kommunikation möglich sei, z. B. in Form einer Ja-Nein-Kommunikation. Wenn jemand aufgrund schwerer Bewusstseinsstörungen nicht untersuchbar sei, könne die Frage, ob Blindheit vorliege, nicht beantwortet werden. Die Differenzierung zwischen Erkennen und Benennen sei im Urteil des BSG vom 11.08.2015 (a. a. O.) für obsolet erklärt worden. Für die Feststellung von Blindheit würden dagegen unverändert die Vorgaben der VG gelten, wonach der morphologische Befund die Sehstörung erklären oder zumindest in vernünftiger Weise sehr wahrscheinlich machen müsse. Zudem müsse eine Erkrankung vorliegen, die Blindheit verursachen könne. Beide Kriterien seien im Fall des Klägers nicht gegeben. Das BSG habe weiter den Grundsatz der objektiven Beweislast und das Fehlen von Beweiserleichterungen beim Blindheitsnachweis bekräftigt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass vorliegend keine Blindheit gegeben sei.

Am 14.04.2016 hat der Bevollmächtigte erklärt, dass die Berufung nicht zurückgenommen werde. Alle entsprechenden Stellungnahmen (insbesondere der Ärztin L. sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen) würden das Vorliegen einer Blindheit mit Verweis auf die nicht vorhandene besondere Betroffenheit des Sehsinns negieren. Gleichzeitig würden aber als Grundlage dieser Stellungnahmen Untersuchungsergebnisse herangezogen, die lediglich basale Reaktionen im Bereich des Sehens beschreiben würden. Zudem hat der Bevollmächtigte erneut auf die Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. G. verwiesen. Blindheit sei damit spätestens ab dem Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch den genannten Sachverständigen nachgewiesen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab März 2009 Blindengeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten des Berufungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i. V. m. §§ 143, 151 SGG), jedoch nicht begründet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger blind im Sinne des BayBlindG ist und ihm deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG zu Recht verneint. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 24.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG, an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Zwar steht die Tatsache, dass bei ihm zerebrale Schäden vorliegen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Auch steht dem nicht im Wege, dass eine spezifische Störung des Sehvermögens im Hinblick auf andere Sinnesmodalitäten fraglich ist. Doch sind die vorstehend genannten Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

1. Beim Kläger liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (Entscheidungen vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93, 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R, und 11.08.2015, Az.: B 9 BL 1/14 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Diese Festlegung wird in der Literatur begrüßt (vgl. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82), wenngleich auch - zu Recht - auf sich hierdurch ergebende gravierende Schwierigkeiten in der Praxis bzgl. des Blindheitsnachweises aufmerksam gemacht wird (a. a. O.).

2. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besteht beim Kläger eine hochgradige Einschränkung aller Sinnesfunktionen (vgl. das o.g. Gutachten von Prof. Dr. G.). Unklar bleibt, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten. Hierauf kommt es jedoch nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil vom 11.08.2015 (a. a. O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a. a. O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem „Erkennen“ und dem „Benennen“ als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d. h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung „Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist“.

Der Senat fühlt sich an diese (neue) Rechtsprechung des BSG gebunden.

Die bestehende Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens einer spezifischen Sehstörung hindert vorliegend die Annahme eines Blindengeldanspruchs also nicht.

3. Beim Kläger ist Blindheit jedoch nicht nachgewiesen.

Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass der Kläger das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass die Sehschärfe des Klägers entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 1/50 (0,02) oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 20.01.2015, Az.: L 15 BL 16/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Wie der Beklagte zutreffend annimmt, hat sich durch die neue Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert. Nach der Rechtsprechung des Senats kam es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht (mehr) an, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden (Urteil vom 27.11.2013, Az.: L 15 BL 4/11). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden (vgl. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, S. 134, 135: keine allgemeine „Entwarnung“).

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Kläger den Nachweis nicht führen, dass sein Sehvermögen unterhalb der gesetzlichen Blindheitsschwelle liegt. Dies ergibt sich bereits ohne Weiteres aus dem - mit Ausnahme der vom Sachverständigen getroffenen „persönlichen Einschätzung“ plausiblen - Gutachten vom Prof. Dr. G. vom 11.07.2012. Der Senat macht sich die getroffenen sachverständigen Feststellungen (mit der genannten Ausnahme) zu eigen. Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen von Prof. Dr. G. hat der Kläger das Augenlicht nicht vollständig verloren, was sich bereits aus Untersuchungen mit dem Bonnoskop ergeben hat. Nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob die Beeinträchtigungen des Klägers so groß sind, dass sie selektiv das Sehvermögen so weit herabsetzen, dass dieses einem Visus von 1/50 oder weniger entspricht. Wie Prof. Dr. G. im Einzelnen dargelegt hat, ist die Angabe einer Sehschärfe des Klägers - auch eines Näherungswertes - und somit eine Einschätzung des Sehvermögens nicht sicher möglich. Die eingeschränkte Pupillenmotorik des Klägers legt eine hochgradige Sehbeeinträchtigung nahe; allerdings ist entsprechend den Feststellungen des Gutachters der Sehnerv auf beiden Augen vital und zeigt keinerlei Zeichen einer Atrophie. Eine direkte Läsion des Sehnervs oder eine solche der hinteren Sehbahn als alleinige Ursache für eine Visusherabsetzung ist sehr unwahrscheinlich, weil eine Läsion dort, wie Prof. Dr. G. plausibel dargestellt hat, durch eine sogenannte transsynaptische Degeneration zu einer Aufhellung des Sehnervs führen würde, die beim Kläger aber nicht zu erkennen ist. Wegen der aufgehobenen bzw. stark beeinträchtigten Kooperationsbereitschaft des Klägers ist eine Klärung des Sehvermögens durch den Einsatz von Messverfahren nicht möglich. Somit beruht die Einschätzung des Sehvermögens ausschließlich auf Reaktionen des Klägers auf angegebene Optotypen oder Lichtreize. Dies ist jedoch nicht ausreichend, um mit Sicherheit sagen zu können, ob das Sehvermögen 1/50 oder weniger oder vielleicht auch ein 1/20 oder weniger beträgt, wie der Sachverständige ausdrücklich klargestellt hat. Somit kann der Blindheitsnachweis nicht geführt werden, da eine Quantifizierung und Qualifizierung des Sehvermögens an den allgemeinen Beeinträchtigungen des Klägers und auch an den weiteren vorliegenden medizinischen Besonderheiten scheitert.

Hinzu kommt, dass, wie aufgrund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme feststeht, kein objektiver Strukturbefund gegeben ist, der die massive Sehstörung bzw. eine mögliche Blindheit des Klägers erklären könnte. Wie der Beklagte zudem zutreffend darauf hingewiesen hat, gilt Entsprechendes auch für eine plausible Grunderkrankung, die zu einer Aufhebung des Sehvermögens führen würde.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger gezeigten Sehleistungen. Der Klägerseite ist durchaus zuzugestehen, dass vorliegend lediglich Untersuchungsergebnisse gegeben sind, die im Wesentlichen nur basale Reaktionen im Bereich des Sehens beschreiben. Der Rückschluss der Klägerseite hieraus, der Kläger könne auch nur noch diese basalen Reaktionen zeigen, weil er zu weiteren visuellen Leistungen nicht (mehr) in der Lage sei, ist jedoch unzulässig. Denn, worauf auch der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, „eine fehlende oder nicht adäquate Reaktion auf optische Reize“ kann „nur dann als Beleg für Blindheit gewertet werden, wenn bei erhaltener - teilweiser - Untersuchbarkeit eine zuverlässige reproduzierbare Kommunikation mit dem sehbehinderten Menschen möglich ist“ (vgl. Braun, a. a. O., S. 134). Für den Senat bleibt letztlich nicht aufklärbar, auf welchen Ursachen die sehr eingeschränkten Reaktionen im Bereich des Sehens beruhen; auf den fehlenden morphologischen Befund ist bereits hingewiesen worden.

Der Blindheitsnachweis ist im Übrigen auch keineswegs durch die abschließende Äußerung des Sachverständigen in seinem Gutachten geführt, er persönlich gewichte die Sehstörung des Klägers als so komplex und ausgeprägt, dass er sie mit einer faktischen Erblindung vergleichen würde. Diese „persönliche Einschätzung“, die bereits per se unzulässig ist, beruht nämlich auf der falschen, ausdrücklich geäußerten Annahme, die Frage nach einer Erblindung sei eine „reine Ermessensfrage“. Auch wenn dies sicherlich nicht im juristischen Sinn gemeint gewesen sein dürfte, so geht sie doch von der falschen Grundannahme aus, dass das Herabsinken des Sehvermögens unter die gesetzlich normierte Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG auch anhand sonstiger, nicht genau definierter Kriterien bestimmt bzw. angenommen werden könne. Dies ist unzutreffend.

Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (Az.: L 15 BL 6/07) im Einzelnen dargelegt, dass in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG (bzw. der Richtlinien der DOG) nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Damit bedarf es in speziellen, seltenen Ausnahmefällen durchaus einer gewissen Wertung des medizinischen Sachverständigen, ob trotz der noch besseren Sehschärfe- und Gesichtsfeldwerte wegen zusätzlicher Einschränkungen der Sehleistung - also wegen der (nahezu) zwingenden Vergleichbarkeit des gemäß den gesetzlichen Vorgaben weitgehend eingeschränkten Visus/Gesichtsfelds einerseits mit der Situation von geringeren Einschränkungen (die jedoch immer noch erheblich sind) zuzüglich weiterer massiver Einschränkungen andererseits - der Fall des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 BayBlindG gegeben ist.

Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Denn die Voraussetzungen für die Annahme von Blindheit ausnahmsweise außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. DOG sind vorliegend nicht gegeben. Sie bestehen nämlich vor allem darin, dass die (Nicht-)Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBlindG geklärt ist, dass also feststeht, ob das Sehvermögen unter die normierten Werte herabgesunken ist bzw. welche Werte im Einzelnen erreicht werden. So liegt es vorliegend jedoch gerade nicht, da, wie oben im Näheren dargelegt, nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, welches Sehvermögen der Kläger überhaupt hat. Es genügt jedoch nicht, dass nur feststeht, dass der Kläger ein sehr schlechtes Sehvermögen hat. Dies würde den vom bayerischen Gesetzgeber gemachten und von den VG bzw. den sachverständigen Festlegungen der DOG konkretisierten Vorgaben (s.o.) widersprechen. Der Gesetzgeber hat gerade keine hochgradige Sehbehinderung mit Werten unterhalb der hier maßgeblichen Grenze ausreichen lassen (kein Blindengeld für „beinahe blinde Menschen“). Die Wertung des Sachverständigen betrifft vorliegend also gar nicht die zusätzliche Berücksichtigung spezieller, weiterer Sehbeeinträchtigungen, sondern die Visus- und Gesichtsfeldwerte selbst. Dies ist nach der o.g. Rechtsprechung des Senats aber nicht zulässig.

Im Übrigen widerspricht die persönliche Gewichtung von Prof. Dr. G. - unabhängig von den eben aufgezeigten Aspekten bezüglich der Senatsrechtsprechung vom 31.01.2013 (a. a. O.) - seiner eigenen unmissverständlichen Feststellung, dass das Ausmaß der Sehbeeinträchtigung des Klägers eben nicht genau festgestellt werden kann.

b. Auch eine visuelle Verarbeitungsstörung ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.) ist jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden ferner auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur „Verarbeitung im Bewusstsein“ des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist. Ein solcher Nachweis kann vorliegend ebenfalls nicht geführt werden. Auch insoweit fehlt das morphologische Korrelat. Zudem ergibt auch das klinische Bild des Klägers vorliegend keine Belege und vor allem keinen sicheren Nachweis dafür, dass das Vermögen des nicht bewusstlosen Klägers, visuelle Reize zu verarbeiten, aufgehoben wäre. Insbesondere kann nicht sicher geklärt werden, weshalb der Kläger nur auf Lichtreize (schwach) reagiert. Neben einer visuellen Verarbeitungsstörung können auch sonstige Ursachen hierfür maßgeblich sein. Für den Senat liegen insoweit eine mangelnde Kooperationsbereitschaft (Motivationsstörung), worauf der Sachverständige hingewiesen hat, bzw. Defizite in den kognitiven Bereichen der Aufmerksamkeit (Wachsamkeit und Konzentration) und Gedächtnis als Ursachen sehr nahe (vgl. Braun/Zihl, a. a. O.).

Somit sind keine sicheren Anhaltspunkte für eine Verarbeitungsstörung gegeben, was im Hinblick auf die (weitgehend) unklare Grundproblematik der schweren Gesundheitsstörungen des Klägers nicht überrascht.

Aus Sicht des Senats ist es zwar nicht auszuschließen, dass der Kläger die Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG unterschritten hat. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt - wie oben bereits erwähnt - der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z. B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Der Kläger muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (große) Ungewissheit bezüglich der für ihn - rechtlich, d. h. für den geltend gemachten Anspruch - günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Beweiserleichterungen gelten vorliegend nicht (vgl. Urteil des BSG vom 11.08.2015, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. auch Braun, a. a. O.).

Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. Auch die Klägerseite hat die Auffassung vertreten, dass offenkundig keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten bestehen (Schriftsatz vom 20.07.2012).

Diesem vorliegend gefundenen Ergebnis steht auch nicht die frühere Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.11.1997, Az.: L 15 BL 10/96) entgegen. Damals hat der Senat einem Kleinkind, bei dem naturgemäß eine genaue Untersuchung nicht möglich war und das später eine Sehschärfe von 0,3 erreicht hat, Blindengeld zugesprochen. Er hat in der Begründung ausgeführt, dass die fehlenden Möglichkeiten apparativer Untersuchung einen gerichtlichen Sachverständigen nicht daran hindern können, seine ärztliche Erfahrung in die Beurteilung einzubringen und in Verbindung mit den vorliegenden Befunden daraus zu schließen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für einen gewissen Zeitraum gegeben sind. Daraus ist abgeleitet worden, dass die Funktionsbestimmung gerade im Kindes- und Kleinkindalter unsicher sein könne und dass am besten entsprechende Nachuntersuchungen erfolgen sollten (z. B. Rohrschneider, Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach, 1/2012, S. 9). Bereits hieraus wird aber deutlich, dass die Sachlagen nicht vergleichbar sind. Zwar ist auch vorliegend eine genauere Untersuchung nicht möglich. Der Senat hat jedoch in der damaligen Entscheidung auf eine rückschauende Beurteilung und die später gewonnenen Erkenntnisse, d. h. die später erhobenen genaueren Befunde abgestellt. Solche liegen im streitgegenständlichen Fall aber gerade nicht vor.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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Annotations

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.