Bayerisches Landessozialgericht Endurteil, 04. Mai 2016 - L 15 SF 133/16

published on 04/05/2016 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Endurteil, 04. Mai 2016 - L 15 SF 133/16
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Tenor

I.

Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 18. Februar 2016, Az.: L 15 SF 208/15, wird als unzulässig verworfen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Mit 19-seitigem Beschluss vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15, der Beschwerdeführerin am 27.02.2016 zugestellt, änderte der Senat den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Regensburg vom 10.12.2014 dahingehend ab, dass die Entschädigung der Beschwerdeführerin nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) für ihr Erscheinen beim Gerichtstermin am 26.02.2014 auf 123,95 € festgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.

Mit einem am 06.04.2016 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingegangenen und zum Aktenzeichen L 15 SF 208/15 verfassten Schreiben hat die Beschwerdeführerin die „Berichtigung“ des „20 Seiten Schriebs“ verlangt, der weitaus mehr gekostet habe als die von ihr geforderte Entschädigung. Die Fahrtstrecke von A-Stadt nach Regensburg betrage 80 km einfache Fahrt; schließlich habe sie auch wieder nach Hause fahren müssen. Wegen einer Straßensperrung habe sie einen großen Umweg fahren müssen. Die Öffnungszeiten in ihrem Geschäft seien von 8.00 bis 18.00 Uhr. Also müsse sie in dieser Zeit auch anwesend sein. Darum sei die Aushilfe dringend notwendig gewesen; die Abwesenheitszeit sei zu erstatten. Sie könne es sich nicht leisten, einfach nicht anwesend zu sein und die Kunden vor der Tür stehen zu lassen. Wegen ihrer Abwesenheit habe sie eine Fremdbetreuung für ihre Kinder in Anspruch nehmen und diese auch bezahlen müssen. Sie koche täglich für ihre Familie mittags warm; daher stehe ihr auch am Tag des Gerichtstermins eine warme Mahlzeit zu. Laut ihrem Anwalt sei eine Berichtigung zulässig.

II.

Die Anhörungsrüge ist gemäß § 4 a Abs. 4 Satz 2 JVEG als unzulässig zu verwerfen.

1. Auslegung des am 06.04.2016 beim Bayer. LSG eingegangenen Schreibens der Beschwerdeführerin

Das am 06.04.2016 eingegangene Schreiben ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge zu dem in Sachen der Beschwerdeführerin ergangenen Beschluss vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15, zu sehen.

Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, Az.: X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, Az.: B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 30.04.2003, Az.: 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, Az.: 1 BvR 461/03).

Bei Beachtung dieser Vorgaben ergibt die Auslegung Folgendes:

Das am 06.04.2016 eingegangene Schreiben ist als Anhörungsrüge gemäß § 4 a JVEG zumBeschluss vom 18.02.2016, Az.: L 15 SF 208/15, zu betrachten. Damit wird dem Begehren der Beschwerdeführerin nach „Berichtigung“ am Ehesten Rechnung getragen und dem potentiellen Vorwurf entgegengewirkt, der Beschwerdeführerin würde eine statthafte Möglichkeit des Rechtsschutzes abgeschnitten. Eine andere Möglichkeit zur erneuten inhaltlichen Prüfung des Beschwerdebegehrens ist infolge der Unanfechtbarkeit des Beschlusses vom 18.02.2016 nicht eröffnet.

2. Zur Prüfung der Anhörungsrüge

Die Anhörungsrüge ist gemäß § 4 a Abs. 4 Satz 2 JVEG als unzulässig zu verwerfen, da die Beschwerdeführerin jedenfalls dem Darlegungserfordernis des § 4 a Abs. 2 Satz 5 JVEG nicht gerecht geworden ist.

2.1. Für die Anhörungsrüge vorgetragene Gründe der Beschwerdeführerin

Dem am 06.04.2016 beim LSG eingegangenen Schreiben der Beschwerdeführerin sind folgende Gründe für die Anhörungsrüge zu entnehmen:

- Der Entschädigung sei eine gerichtsterminsbedingte Abwesenheitsdauer von 10 Stunden zugrunde zulegen, da ihr Geschäft von 8.00 bis 18.00 Uhr geöffnet sei.

- Die Kosten für eine Vertretung in ihrer Änderungsschneiderei am Tag des Gerichtstermins seien ihr zu ersetzen, um die Öffnungszeiten einhalten zu können.

- Wegen ihrer Abwesenheit habe sie eine Fremdbetreuung für ihre Kinder in Anspruch nehmen und diese auch bezahlen müssen.

- Die von ihr unter Vorlage einer Quittung geltend gemachten Zehrkosten in Höhe 9,80 € seien ihr zu erstatten, da sie täglich mittags warm koche und ihr daher auch am Tag des Gerichtstermins eine warme Mahlzeit zustehe.

- Für den Gerichtstermin sei sie nicht nur 80 km, wie dies im gerügten Beschluss zugrunde gelegt worden sei, sondern zweimal 80 km, also insgesamt 160 km gefahren.

2.2. Nichterfüllung des Darlegungserfordernisses

Das Vorbringen in dem beim LSG am 06.04.2016 eingegangenen Schreiben der Beschwerdeführerin wird den Anforderungen an die Darlegungslast gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 5 JVEG nicht gerecht.

Gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 5 JVEG muss die Anhörungsrüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 4 a Abs. 1 Nr. 2 JVEG genannten Voraussetzungen („das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat“) darlegen.

Die gemäß § 4 a Abs. 4 Satz 1 JVEG von Amts wegen zu prüfende Erfüllung des Darlegungserfordernisses ist wegen § 4 a Abs. 4 Satz 2 JVEG Zulässigkeitsvoraussetzung (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 07.04.2005, Az.: B 7a AL 38/05 B; Beschlüsse des Senats vom 24.07.2012, Az.: L 15 SF 150/12 AB RG, L 15 SF 151/12 AB RG, und vom 27.04.2016, Az.: L 15 SB 42/16 RG). Eine Anhörungsrüge ist daher nur dann zulässig, wenn sich dem Vorbringen zweierlei entnehmen lässt, nämlich zum einen die Verletzung des Anspruchs des die Rüge erhebenden Beteiligten auf rechtliches Gehör durch das Gericht, zum anderen, dass die Verletzung entscheidungserheblich ist (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, § 4 a JVEG, Rdnrn. 29 ff.; zur Anhörungsrüge nach dem Sozialgerichtsgesetz - SGG -: Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 178 a, Rdnr. 6a).

Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten dürfen - auch mit Blick auf die kurze Darlegungsfrist von zwei Wochen gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 1 JVEG - die Anforderungen nicht überspannt werden, da auch im SGG zwingende Begründungsanforderungen ansonsten nur für Verfahren vor dem BSG mit Vertretungszwang aufgestellt werden. Auch von einem rechtsunkundigen Beteiligten müssen jedoch gewisse Mindestanforderungen erfüllt werden. Dies ist zum einen ein substantiierter Vortrag, aus dem erkennbar ist, warum das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist, oder der schlüssig die Umstände aufzeigt, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt. Zum anderen ist darzulegen, weshalb ohne den Verstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Hartmann, a. a. O., § 4 a JVEG, Rdnrn. 29 ff.; zum SGG: Leitherer, a. a. O., § 178 a, Rdnr. 6a).

An einem solchen Vortrag fehlt es hier:

- Zu der Frage der zu entschädigenden Zeitdauer hat sich der Senat unter Ziff. 5.2. („Zu entschädigende Zeitdauer“) des mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschlusses vom 18.02.2016 geäußert. Dass die objektiv erforderliche gerichtsterminsbedingte Abwesenheitszeit zu entschädigen ist, nicht die Öffnungszeit des Geschäfts der Beschwerdeführerin, ist darin ausführlich erläutert worden. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit ausgeschlossen.

- Der Gesichtspunkt der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Vertretungskosten für die Zeit der gerichtsterminsbedingten Abwesenheit der Beschwerdeführerin ist Gegenstand der Erläuterungen im Beschluss vom 18.02.2016 unter Ziff. 6. („Erstattung von Kosten für eine Vertretung in der Änderungsschneiderei der Beschwerdeführerin“) gewesen. Dort ist ausführlich begründet worden, warum eine Notwendigkeit der Vertretung in Anbetracht des durch die Einkommenssituation (Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit als Änderungsschneiderin in Höhe von 257,- € im Jahr des Gerichtstermins) belegten geringen Umfangs der selbstständigen Tätigkeit nicht nachgewiesen ist mit der Folge, dass eine Erstattung der Vertretungskosten nicht in Frage kommt. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit ausgeschlossen.

- Mit der Frage der Erstattung der Kosten der Kinderbetreuung hat sich der Senat eingehend unter Ziff. 7. („Kinderbetreuungskosten“) des Beschlusses vom 18.02.2016 auseinander gesetzt. Es ist detailliert dargestellt worden, warum die Kosten der Kinderbetreuung insofern nicht ersetzt worden sind, als die von der Beschwerdeführerin angegebenen Zeiten nicht mit der objektiv erforderlichen gerichtsterminsbedingten Abwesenheitszeit in Einklang zu bringen waren. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit ausgeschlossen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit ausgeschlossen.

- Die Frage der Erstattung der von der Klägerin geltend gemachten Zehrkosten ist Gegenstand der ausführlichen Erläuterungen unter Ziff. 8. („Tagegeld (Zehrkosten)“) des Beschlusses vom 18.02.2016 gewesen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit ausgeschlossen.

- Sofern die Beschwerdeführerin in dem beim LSG am 06.04.2016 eingegangenen Schreiben erstmals eine Fahrtstrecke von 160 km vorgetragen hat, weil sie wegen des Gerichtstermins nicht nur 80 km - dies hatte sie im Entschädigungsantrag angegeben und bis zum Schreiben vom 06.04.2014 nie infrage gestellt -, sondern die doppelte Strecke gefahren sei, stellt dies einen neuen Sachvortrag dar. Ein solches Vorbringen kann schon per se keine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen, da es als neuer Sachvortrag für die Anhörungsrüge unbeachtlich ist (vgl. Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschuss vom 07.03.2006, Az.: 9 C 06.656). Denn eine Anhörungsrüge kann nicht auf neue, im gerügten Verfahren noch nicht bekannte Tatsachen gestützt werden (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.04.2014, Az.: L 15 SF 53/14, und vom 12.08.2015, Az.: L 15 RF 23/15). Dies begründet sich damit, dass die Anhörungsrüge nicht ein weiteres Rechtsmittel ist, das zu einer erneuten inhaltlichen Überprüfung oder Fortführung der inhaltlichen Prüfung, wie sie im zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren stattgefunden hat, führt (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 01.04.2008, Az.: 9 A 12/08, 9 A 12/08 (9 A 27/06)). Vielmehr ist die Anhörungsrüge nur ein Mittel, sich gegen die Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz, §§ 62, 128 Abs. 2 SGG) zur Wehr zu setzen. Es handelt sich also um ein formelles Recht, das nur dann greift, wenn das Gericht ein entscheidungserhebliches Vorbringen eines Beteiligten nicht in ausreichendem Maß zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.11.2011, Az.: 8 C 13/11, 8 C 13/11 (8 C 5/10)). Eine Nachbesserung oder Ergänzung des ursprünglichen Sachvortrags durch neue Angaben ist daher durch eine Anhörungsrüge nicht möglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.03.2010, Az.: 9 B 8/10, 9 B 8/10 (9 B 3/09); Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.06.2015, Az.: V ZR 86/14).

Die Anhörungsrüge ist daher wegen Nichterfüllung des Darlegungserfordernisses als unzulässig zu verwerfen.

Darauf, dass die Anhörungsrüge nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 4 a Abs. 2 Satz 1 JVEG erhoben worden ist - ab dem am27.02.2016 erfolgten Zugang des mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschlusses sind der Antragstellerin die im Rahmen der Anhörungsrüge vorgetragenen Gesichtspunkte bekannt gewesen - und auch deshalb als unzulässig zu verwerfen wäre, weist der Senat lediglich der Vollständigkeit halber hin.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 4 a Abs. 6 JVEG) und ist unanfechtbar (§ 4 a Abs. 4 Satz 4 JVEG).

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache
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Annotations

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.