Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 14. März 2018 - L 11 AS 172/18 NZB

published on 14/03/2018 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 14. März 2018 - L 11 AS 172/18 NZB
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Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.01.2018 - S 15 AS 94/17 KO - wird zugelassen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird als Berufung fortgeführt.

III. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und RA B., A-Stadt, beigeordnet.

Gründe

I.

Streitig ist der Umfang der vom Beklagten zu tragenden Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Bescheid vom 19.07.2016. Mit Schriftsatz vom 16.08.2016 - laut Klägerin beim Beklagten eingeworfen am 16.08.2016, laut Beklagten eingegangen am 17.08.2016 (ein Nachtbriefkasten ist nicht vorhanden) - erhob die Klägerin Widerspruch dagegen. Mit dem am 16.08.2016 entworfenen, am 17.08.2016 um 8:58 Uhr von einem zweiten Mitarbeiter des Beklagten geprüften und danach ausgedruckten Bescheid vom 17.08.2016 änderte der Beklagte die vorläufige Bewilligung ab und bewilligte hernach mit Bescheid vom 22.08.2016 endgültig Alg II. Ohne das Widerspruchsverfahren, zu dessen Gegenstand auch der Bescheid vom 22.08.2016 geworden war (BSG, Urteil vom 05.07.2017 - B 14 AS 36/16 R - veröff. in juris), abzuschließen, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2017 fest, die notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens der Klägerin für ihren Bevollmächtigten würden nicht übernommen werden, da es an der notwendigen ursächlichen Verknüpfung zwischen Widerspruch und der begünstigenden Entscheidung vom 17.08.2016 fehle.

Die dagegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobene Klage hat dieses mit Urteil vom 25.01.2018 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide abgewiesen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Dagegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt. Es sei die grundsätzliche Rechtsfrage zu klären, ob ein internes Papier ohne Außenwirkung den zulässig eingelegten Widerspruch den Kausalitätserfolg zu nehmen möge. Das SG habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Das SG hätte sich aufgrund des Schreibens vom 06.04.2017 der Klägerin gedrängt fühlen müssen, die Sachbearbeiterin des Beklagten als Zeugin zu vernehmen. Der Entwurf des Bescheides stelle keine endgültige Entscheidung dar. Das SG habe § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verkannt. Anwaltskosten iHv 434,35 € seien zu erstatten.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist allerdings nicht gegeben, denn die Streitsache wirft keine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12.Aufl, § 144 RdNr. 28). Eine über den Einzelfall hinaus reichende Bedeutung ist zu bejahen, wenn die Klärung einer Rechtsfrage zugleich mit Rücksicht auf eine unbestimmte Anzahl ähnlich liegender Fälle erwünscht ist oder wenn von einer aufgrund der ausstehenden Klärung gegebenen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist (vgl. Leitherer a.a.O., § 160 RdNr. 7b). Dies ist vorliegend allerdings nicht der Fall. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht von allgemeiner Bedeutung. Sie hat lediglich für den vorliegenden Einzelfall einer konkreten Überschneidung des Bescheidentwurfes, Bescheiderlasses und Einlegung des Widerspruches Bedeutung.

Das SG weicht auch nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung ab (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.12.2012 - L 19 AS 2074/12 B - veröff. in juris).

Die Klägerin hat jedoch in gerade noch ausreichendem Umfang das Vorliegen eines Verfahrensfehlers gerügt. Das SG hat den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt: es hätte ermitteln müssen, wann der Widerspruch tatsächlich beim Beklagten eingegangen ist, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Beklagte evtl. über keinen sog. Nachtbriefkasten verfügt und ggfs. mit welchem Poststempel die erste morgendliche Leerung des Briefkastens durch den Beklagten versehen worden ist. Weiter hätte es klären müssen, ob der Entwurf des Bescheides vom 16.08.2916 am 17.08.2016 nochmals durch einen zweiten Mitarbeiter des Beklagten überprüft worden ist und daher vom evtl. vorher bereits erhobenen Widerspruch hätte beeinflusst werden können. Es genügt nämlich insoweit, dass der Abhilfe eine vom Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage zugrunde liegt; einer Kausalität zwischen Widerspruchsbegründung und Aufhebung des angefochtenen Bescheids bedarf es nicht (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 6 KA 35/10 R -, Urteil vom 02.05.2012 - B 11 AL 23/10 R - veröff. in juris). Von einer im Rahmen des Widerspruchsverfahrens lediglich nachgeholten, pflichtwidrig unterlassenen Handlung ist vorliegend nicht auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 02.05.2012 a.a.O.)

Nach alldem war die Berufung zuzulassen, so dass im Rahmen des anschließenden Verfahrens auch geprüft werden kann, ob für den Erlass eines eigenen Bescheides zur Kostenerstattung überhaupt Raum bleibt, wenn das Widerspruchsverfahren evtl. noch gar nicht beendet ist.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn hierüber ist im Rahmen des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

Der Klägerin ist PKH für das Beschwerdeverfahren aufgrund hinreichender Erfolgsaussicht zu bewilligen, die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung ohne Ratenzahlung liegen vor.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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published on 25/01/2018 00:00

Tenor I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9.1.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2017 wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Tatbestand Streitig ist die
published on 05/07/2017 00:00

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 13. September 2016 wird zurückgewiesen.
published on 02/05/2012 00:00

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
published on 19/10/2011 00:00

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2010 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dü
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Annotations

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.