Arbeitsgericht Halle Urteil, 10. Juli 2013 - 3 Ca 2997/12 NMB
Gericht
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Feuerwehrmann in zusammenhängenden 24-Stunden-Schichten in dem Umfang zu beschäftigen, wie auch die in 24-Stunden-Schichten eingesetzten Feuerwehrleute mit 54 Wochenstunden beschäftigt werden.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten im bestehenden Arbeitsverhältnis darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Beschäftigung in 24-Stunden-Schichten zusteht.
- 2
Der am … geborene Kläger ist seit dem 01.12.1992 bei der beklagten Stadt als hauptamtlicher Feuerwehrmann im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Arbeitsvertraglich war die Anwendbarkeit des BAT-O und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis vereinbart worden. Mit Einführung des neuen Tarifwerks und der entsprechenden Überleitung des Arbeitsverhältnisses sind seit dem 01.10.2005 grundsätzlich die Bestimmungen des TVöD auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Der Kläger erhält eine monatliche Vergütung auf der Grundlage einer tariflichen Einstufung in die Entgeltgruppe E 6 TVöD (VKA).
- 3
Die Beklagte beschäftigt insgesamt 18 hauptamtliche Feuerwehrleute. Mit diesen und weiteren ehrenamtlichen Einsatzkräften führt sie ihre Aufgaben nach dem Brandschutzgesetz durch. Der Einsatz erfolgt im Schichtdienst „rund um die Uhr“.
- 4
Ursprünglich galt für den feuerwehrtechnischen Dienst der Städte und Gemeinden bundesweit eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 54 Stunden (im Schichtdienst). Angesichts europarechtlicher Vorgaben und einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs musste diese Arbeitszeit auf 48 Stunden herabgesetzt werden.
- 5
Diesbezüglich ist in der aktuellen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im feuerwehrtechnischen Dienst der Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt (ArbZVO-Fw) vom 05.07.2007, gültig ab 01.01.2008 unter anderem folgendes geregelt:
- 6
„ …
- 7
§ 2 Regelmäßige Arbeitszeit
- 8
(1) Die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten, einschließlich der Mehrarbeitsstunden, beträgt im Jahresdurchschnitt 48 Stunden.
- 9
…
- 10
§ 4 Individualvereinbarungen
- 11
(1) Unter Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes kann über die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des § 2 Abs. 1 hinaus Schichtdienst als durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit geleistet werden, wenn Betroffene sich hierzu bereit erklären und der Dienstherr einen Nachweis hierüber erbringt.
- 12
(2) Die Erklärung nach Absatz 1 kann mit einer Frist von sechs Monaten widerrufen werden. Die Betroffenen sind hieraus schriftlich hinzuweisen.
- 13
… „
- 14
Die Bestimmungen dieser Verordnung über die regelmäßige Arbeitszeit sind gemäß Nr. 1 und Nr. 2 der Anlage D.2 zum TVöD (Kommunaler feuerwehrtechnischer Dienst) im Ergebnis auch auf alle Feuerwehrleute im Angestelltenverhältnis anzuwenden, die – wie der Kläger – unter den Tarifvertrag fallen. Insoweit gilt die Regelung des § 6 TVöD nicht.
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Auf der Grundlage von § 4 der o. g. ArbZVO-Fw bot die Beklagte Anfang des Jahres 2008 allen bei ihr beschäftigten hauptamtlichen Feuerwehrleuten den Abschluss einer Individualvereinbarung in Ergänzung des Arbeitsvertrages an. Das entsprechende Formular hat folgenden Inhalt:
- 16
„
- 17
Individualvereinbarung
- 18
Auf der Grundlage des § 46 TVöD -BT Sonderregelungen (VKA) in Verbindung mit § 4 Arbeitszeitverordnung Feuerwehr (ArbZVO-FW) wird folgende Vereinbarung geschlossen:
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1. Unter Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes wird Herr nach dienstlicher Notwendigkeit in einem 12/24 Stunden-Schicht-Rhythmus nach einem Dienstplan eingesetzt.
- 20
2.1. Für jede geleistete 24-Stunden-Schicht erhöht sich die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (§ 2 ArbZVO-FW) um 3 Zeitstunden.
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2.2. Für diese zusätzlichen Arbeitsstunden wird kein zusätzliches Entgelt bzw. Freizeitausgleich nach Ableistung gewährt.
- 22
3. Für die Ableistung der nach Pkt. 2 entstandenen Summe von zusätzlicher Arbeitszeit erfolgt keine nochmalige Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit.
- 23
4. Diese Vereinbarung kann mit einer Frist von 6 Monaten schriftlich widerrufen werden.
- 24
D., den
D., den …………..
Oberbürgermeister Arbeitnehmer „
- 25
Insgesamt 16 der 18 hauptamtlich beschäftigten Feuerwehrleute der Beklagten haben die Vereinbarung unterzeichnet und wurden sodann mit 54 Wochenstunden beschäftigt.
- 26
Die im Schichtdienst tätigen Feuerwehrleute mit 54 Wochestunden werden von der Beklagten ausschließlich in 24-Stunden-Schichten eingesetzt. Sie leisten 3 Wochen jeweils 2 Schichten zu 24 Stunden und sodann 1 Woche 3 Schichten zu 24 Stunden.
- 27
Der Kläger und ein weiterer Feuerwehrmann lehnten die Unterzeichnung der Individualvereinbarung ab. Für sie gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden. Sie werden viermal wöchentlich in 12-Stunden-Schichten (überwiegend Tagschichten) eingesetzt.
- 28
Mit Wirkung vom 10.10.2012 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Halle die vorliegende Klage erhoben, im Rahmen derer er nunmehr von der Beklagten einen Einsatz in 24-Stunden-Schichten entsprechend den Schichten der anderen Feuerwehrleute verlangt.
- 29
Der Kläger ist der Auffassung, er werde gegenüber den anderen Feuerwehrleuten benachteiligt, nur weil er sich geweigert habe, dem Druck der Beklagten nachzugeben und die Individualvereinbarung zu unterzeichnen und nicht bereit gewesen sei, unentgeltlich 6 Stunden pro Woche länger zu arbeiten. Ihn vom Einsatz in 24-Stunden-Schichten auszunehmen und ihm die entsprechenden Vorteile zu nehmen, sei sachlich nicht gerechtfertigt und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Es liege auch ein Fall der unzulässigen Maßregelung vor.
- 30
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, den Kläger in zusammenhängenden 24-Stunden-Schichten in dem Umfang zu beschäftigen, wie sie dies auch mit den anderen in 24-Stunden-Schichten beschäftigten Feuerwehrleuten tut.
- 32
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 34
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf einen Einsatz in 24-Stunden-Schichten. Die Einteilung der Feuerwehrleute in Schichten unterliege dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei schon deshalb nicht gegeben, da es sich nicht um gleiche Sachverhalte handele. Die Wochenstundenzahl sei ein wesentliches Unterscheidungskriterium. Der Einsatz ausschließlich in 24-Stunden-Schichten sei auch ein gewisses Entgegenkommen gegenüber denjenigen, die die Individualvereinbarung freiwillig unterzeichnet hätten. Im Übrigen sei es organisatorisch günstiger, diejenigen Arbeitnehmer mit 48 Wochenstunden in 12-Stunden-Schichten einzusetzen, weil man flexibler etwa auf Ausfälle oder höheren Arbeitsanfall reagieren könne.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
- 37
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Einsatz als Feuerwehrmann in zusammenhängenden 24-Stunden-Schichten in dem Umfang zu, wie auch die mit 54 Wochenstunden beschäftigten Feuerwehrleute eingesetzt werden. Die entsprechende Verpflichtung der Beklagten folgt aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Insoweit wird das Direktionsrecht der Beklagten eingeschränkt.
1.
- 38
Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln. Damit verbietet der Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer vergleichbaren Gruppe und andererseits eine sachfremde Gruppenbildung. Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen aus unsachlichen Gründen von bestimmten Leistungen oder Vergünstigungen auszuschließen. Eine sachfremde Benachteiligung liegt nicht vor, wenn nachvollziehbare, vernünftige und billigenswerte Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen (vgl. zum Gleichbehandlungsgrundsatz etwa: BAG, Urteil vom 15.07.2009 – 5 AZR 486/08 – juris). Auch wenn der Arbeitgeber aufgrund eines Freiwilligkeitsvorbehalts grundsätzlich in seiner Entscheidung frei ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen er seinen Arbeitnehmern eine bestimmte Leistung gewährt, ist er dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, wenn er nach von ihm gesetzten Regeln leistet / handelt.
- 39
Maßgeblich für die Beurteilung, ob für die unterschiedliche Behandlung ein hinreichender Sachgrund besteht, ist vor allem der Regelungszweck. Dieser muss die Ungleichbehandlung objektiv rechtfertigen, was der Fall ist, wenn sie einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist (vgl. BAG, Urteil vom 21.08.2012 - 3 AZR 81/10 – juris ; BAG, Urteil vom 13.04.2011 – 10 AZR 88/10 – juris). Sind die Gründe für die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern nicht ohne Weiteres erkennbar, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese offenzulegen und jedenfalls im Rechtsstreit mit einem benachteiligten Arbeitnehmer so substantiiert darzutun, dass beurteilt werden kann, ob die Ungleichbehandlung durch sachliche Kriterien gerechtfertigt ist.
- 40
Rechtsfolge einer nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigten Ungleichbehandlung ist, dass der benachteiligte oder übergangene Arbeitnehmer verlangen kann, nach den allgemeinen Regelungen behandelt zu werden und z. B. die Leistung fordern kann, von der er bislang ohne rechtfertigenden Grund ausgeschlossen war. Da es sich um einen Erfüllungsanspruch und nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, kommt es auf ein Verschulden des Arbeitgebers nicht an (vgl. ErfK – Preis, 13. Aufl., § 611 BGB Rz. 606 m.w.N.).
2.
- 41
Vorliegend behandelt die Beklagte den Kläger und einen weiteren hauptamtlichen Feuerwehrmann „ungleich“, indem sie sie als einzige (vergleichbare) Feuerwehrleute nicht in 24-Stunden-Schichten einsetzt, obgleich dies grundsätzlich möglich wäre. Dieser Sachverhalt als solcher ist unstreitig.
- 42
Damit ergeben sich bestimmte Nachteile, die überwiegend nicht nur subjektiv (für den Kläger) als auch objektiv als Nachteil erkennbar sind, wie etwa der Umstand, dass der Kläger häufiger zum Dienst antreten muss und sich der Aufwand für die Fahrten zur Arbeit erhöht, dass ihm die Nachtschichtzulagen entgehen, dass die Ruhezeiten zwischen den Schichten kürzer sind und – nicht zuletzt – dass in Nachtschichten unstreitig weniger gearbeitet wird, er also in seinen 12-Stunden-Schichten (überwiegend Tagschichten) mehr Arbeit leisten muss als die anderen Feuerwehrleute in 24-Stunden-Schichten (immer mit Nachtschicht verbunden).
- 43
Die Beklagte hat die ungleiche Behandlung des Klägers als solche eingeräumt, ist jedoch der Auffassung, diese sei gerechtfertigt, weil keine vergleichbaren Sachverhalte vorlägen bzw. die anderen Arbeitnehmer nicht vergleichbar seien. Das Unterscheidungskriterium sei der Umstand, dass die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 48 Stunden betrage und nicht 54 Stunden wie bei denjenigen, die die Zusatzvereinbarung unterschrieben hätten.
3.
- 44
Nach Auffassung der Kammer ist dieses Unterscheidungskriterium kein hinreichender Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung des Klägers im Sinne der o. g. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Zudem liegt hierin ein Verstoß gegen europarechtliche Bestimmungen, da die Beklagte den Kläger gerade nicht benachteiligen darf, nur weil dieser auf seinem Recht besteht, nur 48 Wochenstunden zu leisten.
a.
- 45
In Artikel 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist folgendes geregelt:
- 46
„Artikel 6
- 47
Wöchentliche Höchstarbeitszeit
- 48
Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:
- 49
a) die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird;
- 50
b) die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“
- 51
In einer zu dieser Vorschrift ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14.10.2010 (EuGH, 2. Kammer, Urteil vom 14.10.2010 – C-243/09 – juris) ist in den Leitsätzen folgendes ausgeführt:
- 52
„ …
- 53
1. Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es zulässt, dass ein Arbeitgeber des öffentlichen Sektors eine Umsetzung eines Arbeitnehmers, der als Feuerwehrmann im Einsatzdienst beschäftigt ist, in einen anderen Dienst gegen dessen Willen mit der Begründung vornimmt, dass dieser die Einhaltung der in Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Einsatzdienst verlangt hat. Der Umstand, dass einem solchen Arbeitnehmer durch diese Umsetzung neben dem Nachteil, der sich aus der Verletzung von Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie ergibt, kein spezifischer Nachteil entstanden ist, ist in dieser Hinsicht unerheblich.
- 54
2. Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung erfüllt alle Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, da er den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist und die dahin geht, für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eine Höchstgrenze von 48 Stunden einschließlich der Überstunden vorzusehen. Dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaubt, von Art. 6 dieser Richtlinie abzuweichen, nimmt dem Buchst. b dieses Artikels doch nichts von seiner Genauigkeit und Unbedingtheit. Die Befugnis der Mitgliedstaaten, Art. 6 nicht anzuwenden, hängt nämlich von der Einhaltung aller in Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie genannten Bedingungen ab, so dass es möglich ist, den Mindestschutz zu bestimmen, der auf jeden Fall zu verwirklichen ist.
- 55
Demnach hat ein im öffentlichen Sektor beschäftigter Arbeitnehmer das Recht, gegenüber seinem Arbeitgeber Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 unmittelbar geltend zu machen, damit das durch diese Bestimmung garantierte Recht auf eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, die 48 Stunden nicht überschreitet, beachtet wird. Die nationalen Gerichte und die Verwaltungsorgane, einschließlich der Gebietskörperschaften, haben das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem sie entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts gegebenenfalls unangewendet lassen.
- 56
Eine Umsetzung gegen den Willen des Arbeitnehmers, weil dieser verlangt hat, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit beachtet wird, führt dazu, dass das durch diese Bestimmung verliehene Recht völlig ausgehöhlt wird. Eine solche Maßnahme macht die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung in Bezug auf diesen Arbeitnehmer zunichte. Es ist daher offensichtlich, dass diese Maßnahme weder die vollständige Anwendung von Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 noch den Schutz der Rechte gewährleistet, die diese Bestimmung den Arbeitnehmern in dem betreffenden Mitgliedstaat verleiht.
- 57
Außerdem wird das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert wird, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV den Verträgen rechtlich gleichrangig ist, wesentlich beeinträchtigt, wenn ein Arbeitgeber als Reaktion auf eine Beschwerde oder eine Klage, die ein Arbeitnehmer zur Gewährleistung der Einhaltung von Vorschriften einer Richtlinie zum Schutz seiner Sicherheit und Gesundheit eingereicht hat, das Recht hätte, eine Retorsionsmaßnahme zu ergreifen. Die Angst vor solchen Retorsionsmaßnahmen, gegen die keine Klagemöglichkeit gegeben wäre, könnte nämlich Arbeitnehmer, die sich durch eine von ihrem Arbeitgeber getroffene Maßnahme für beschwert halten, davon abschrecken, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen, und wäre folglich geeignet, die Verwirklichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels in schwerwiegender Weise zu gefährden.“
- 58
Im Wesentlichen hat der Europäische Gerichtshof somit klargestellt, dass es unzulässig ist, einen Arbeitnehmer zu benachteiligen, nur weil dieser seine Rechte wahrnimmt und auf einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden besteht. Der Fall betraf im Übrigen einen hauptamtlichen Feuerwehrmann der Stadt B-Stadt, der umgesetzt wurde, weil er nicht länger als 48 Wochenstunden arbeiten wollte.
- 59
Ebenfalls klargestellt wurde, dass sowohl der Arbeitgeber als auch die staatlichen Institutionen und die Gerichte (bei ihren Entscheidungen) an die Vorgaben der Richtlinie gebunden sind.
b.
- 60
Im Streitfall bedeutet dies, dass das alleinige Unterscheidungskriterium der Wochenarbeitszeit (48 Stunden statt 54 Stunden) keinen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung des Klägers darstellen kann und darf. Der Kläger darf nicht im Ergebnis anders behandelt werden, nur weil er sich geweigert hat, die Individualvereinbarung über eine längere Arbeitszeit zu unterzeichnen und sein Recht auf 48 Wochenstunden damit aufzugeben.
- 61
Es liegen ansonsten (bis auf die wöchentliche Arbeitszeit) gleiche Sachverhalte vor, die die Beklagte grundsätzlich gleich zu behandeln hat. Sie hat den Kläger ebenfalls in 24-Stunden-Schichten einzuteilen und zu beschäftigen.
- 62
Erwägungen zur Organisation und zu einer evtl. besseren Einsatzplanung können daher keine Rolle spielen. Denn es war unstreitig, dass der Einsatz des Klägers in 24-Stunden-Schichten tatsächlich ohne weiteres möglich ist dass ein solcher Einsatz auch umgehend erfolgt wäre, hätte der Kläger die Zusatzvereinbarung unterschrieben. Dies haben die Beklagtenvertreter im Verhandlungstermin auf Frage des Vorsitzenden ausdrücklich bestätigt.
- 63
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
- 64
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- 65
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Mangels hinreichender Anhaltspunkte bezüglich des konkreten wirtschaftlichen Werts der Angelegenheit wurde der Auffangwert nach § 23 Abs. 3 RVG (4.000,00 €) in Ansatz gebracht.
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Annotations
Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit sowie deren Beginn und Ende sind festzulegen. Hierbei dürfen 13 Stunden einschließlich der Pausen nicht überschritten werden. Bei Teilzeitbeschäftigung ist die regelmäßige tägliche Arbeitszeit individuell festzulegen.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.
(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.
(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.
(1) Soweit sich die Gerichtsgebühren nach dem Wert richten, bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. In Verfahren, in denen Kosten nach dem Gerichtskostengesetz oder dem Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen erhoben werden, sind die Wertvorschriften des jeweiligen Kostengesetzes entsprechend anzuwenden, wenn für das Verfahren keine Gerichtsgebühr oder eine Festgebühr bestimmt ist. Diese Wertvorschriften gelten auch entsprechend für die Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, wenn der Gegenstand der Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte. § 22 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) In Beschwerdeverfahren, in denen Gerichtsgebühren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht erhoben werden oder sich nicht nach dem Wert richten, ist der Wert unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers nach Absatz 3 Satz 2 zu bestimmen, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Der Gegenstandswert ist durch den Wert des zugrunde liegenden Verfahrens begrenzt. In Verfahren über eine Erinnerung oder eine Rüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs richtet sich der Wert nach den für Beschwerdeverfahren geltenden Vorschriften.
(3) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gelten in anderen Angelegenheiten für den Gegenstandswert die Bewertungsvorschriften des Gerichts- und Notarkostengesetzes und die §§ 37, 38, 42 bis 45 sowie 99 bis 102 des Gerichts- und Notarkostengesetzes entsprechend. Soweit sich der Gegenstandswert aus diesen Vorschriften nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen; in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit 5 000 Euro, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500 000 Euro anzunehmen.